Urteil des VG Saarlouis vom 06.11.2007

VG Saarlouis: aufschiebende wirkung, sachliche zuständigkeit, örtliche zuständigkeit, radweg, einziehung, verkehr, sperrung, schranke, eingriff, gemeingebrauch

VG Saarlouis Beschluß vom 6.11.2007, 10 L 1494/07
Straßenrecht: Zulässigkeit der Sperrung einer Straße durch Verbotsschild; Abgrenzung
Einziehung und Straßensperrung; Interessenabwägung im einstweiligen Rechtsschutz
gegen bei Straßensperrung
Leitsätze
Ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären, ob es sich
bei einer streitbefangenen Wegstrecke um eine öffentliche Straße im straßenrechtlichen
Sinne handelt, ist diese jedoch allem Anschein nach eine (auch) für den
Kraftfahrzeugverkehr einschließlich Lkw gewidmete öffentliche Straße, so spricht bei nur
möglicher überschlägiger Prüfung bereits vieles dafür, dass eine verkehrsrechtliche
Regelung, mit welcher die betreffende Straße für den Kraftfahrzeugverkehr vollständig
gesperrt wird, rechtswidrig sein dürfte, weil auf diese Weise mit Hilfe des Verkehrsrechts
ein Zustand hergestellt wird, der rechtmäßig nur mit einer zuvörderst vorzunehmenden,
straßenrechtlichen Teil-Einziehung der betreffenden Straße erreicht werden könnte. Vor
diesem Hintergrund gebührt im Rahmen einer hauptsacheoffenen Abwägung dem privaten
Interesse des auf die betreffende Zufahrtsstraße als Gewerbetreibender/Verpächter
angewiesenen Anliegers der Vorrang, so dass die aufschiebende Wirkung dessen
Rechtsbehelfs gegen die Verbotsbeschilderung anzuordnen ist.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerinnen gegen die
Verkehrsregelung, die der Antragsgegner durch „Verkehrspolizeiliche Anordnung“ vom
1.10.2007 (Amtliche Bekanntmachung in der Wadgasser Rundschau, Ausgabe 41/2007,
S. 2) für ein „Teilstück des Leinpfades (Saarradweg) zwischen Hostenbach und A-Stadt“ in
66787 Wadgassen durch Aufstellen des Verkehrszeichens 250 – „Verbot für Fahrzeuge
aller Art“ – mit dem Zusatzzeichen 1022-10 („Radfahrer frei“) vorgenommen hat, wird
angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Das Begehren der Antragstellerinnen, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs
gegen die im Tenor bezeichnete, zum Schutz des Rad- und Fußgängerverkehrs durch den
Antragsgegner verfügte Straßensperrung anzuordnen, hat Erfolg.
Der Antrag ist statthaft, denn er bezieht sich auf eine Verkehrsregelung durch ein
Verkehrszeichen, welche gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO analog von Gesetzes
wegen sofort vollziehbar ist, so dass die fehlende aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
im vorliegenden Verfahren gerichtlich angeordnet werden kann.
Vgl. dazu Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Aufl. 2007, §
80 Rdnr. 64
Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere sind die Antragstellerinnen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO analog
antragsbefugt, denn sie machen nachvollziehbar geltend, durch die angegriffene
Verkehrsregelung in ihren Rechten als Anlieger bzw. Eigentümer eines im betroffenen
Straßenabschnitt gelegenen Betriebsgrundstücks verletzt bzw. hierdurch einem
enteignungsgleichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
ausgesetzt zu sein. Im Einzelnen tragen sie neben Zweifeln an der Zuständigkeit des
Antragsgegners für die umstrittene verkehrsrechtliche Regelung hauptsächlich vor, die
verfügte Sperrung durch das Verkehrsschild mit dem Zeichen 250 (Verbot für alle
Fahrzeuge) mit dem Zusatzzeichen 1022-10 (für Radfahrer frei) hindere rechtstreue
Kraftfahrer daran, das im vom Verbot betroffenen Straßenabschnitt gelegene Grundstück
anzufahren, welches der Antragstellerin zu 2 gehöre und auf welchem die Antragstellerin
zu 1 als Pächterin des Geländes mit behördlicher Genehmigung eine Anlage zum
Umschlagen, Sortieren und Verkleinern von Abfällen betreibe. Es liege daher außer der
Verletzung des Anliegerrechts ein rechtswidriger Eingriff in den ausgeübten und
eingerichteten Gewerbebetrieb vor, weil wegen der Sperrung der bisherige, dem
Genehmigungszweck entsprechende Betrieb der Anlage, zu welchem das mehrmals
tägliche Anfahren mit Lkw der Antragstellerinnen und sonstiger Abfallanlieferer gehöre,
entweder nicht oder nur unter ständigem, bußgeldbewehrtem Verstoß gegen die nunmehr
geltende Verkehrsregelung weitergeführt werden könne. Dadurch seien Investitionen von
mehr als 1,5 Millionen EUR und 25 mit staatlicher Förderung geschaffene Arbeitsplätze
gefährdet. Die vom Antragsgegner verhängte Nutzungseinschränkung an der
Zufahrtsstraße zu ihrem Betriebsgelände stelle eine gesetzeswidrige Umgehung der
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften dar, denn es hätte hierzu (zuvörderst) einer
straßenrechtlichen "Umwidmung" bedurft.
Die Antragstellerinnen haben hiermit die mögliche Verletzung in eigenen Rechten schlüssig
dargelegt, denn das von ihnen reklamierte Anliegerrecht an einer öffentlichen Straße
umfasst sowohl den nach Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Kernbereich der
unverzichtbaren Anbindung des Grundstücks an das Straßennetz als auch
Abwehransprüche gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG gegen eine rechtswidrige
Beschränkung oder Aufhebung des Gemeingebrauchs an einer Straße.
Vgl. etwa Urteile der Kammer vom 30.5.2007, 10 K 33/07 und vom
11.7.2007, 10 K 34/07, sowie den Beschluss des OVG des
Saarlandes vom 31.10.2005, 1 Q 62/05 (VG-Az.: 11 K 131/05); vgl.
ferner den Beschluss des OVG des Saarlandes vom 6.3.1996, 9 R
6/95, SKZ 1996, 267, jeweils m.w.N.
Abwehrrechte können überdies gemäß Art. 14 Abs. 1 GG bestehen, wenn in einer solchen
rechtswidrigen Beschränkung oder Aufhebung des Gemeingebrauchs gleichzeitig ein
unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt.
Die Antragstellerinnen sind daher im vorliegenden Verfahren antragsbefugt.
Der insgesamt zulässige Antrag ist auch begründet.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht zu
entscheiden, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
Verfügung (hier: Allgemeinverfügung) gegenüber dem Interesse des jeweiligen
Antragstellers am Aufschub der Vollziehung schwerer wiegt. Hierbei sind vorrangig die
Erfolgsaussichten des ergriffenen Rechtsbehelfs (hier: Widerspruch) zu berücksichtigen.
Dem öffentlichen Interesse gebührt dabei in der Regel der Vorrang, wenn der Rechtsbehelf
aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Umgekehrt überwiegt das
Aussetzungsinteresse des Antragstellers, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg
verspricht. Erweisen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsache als offen, erfordert die
Entscheidung eine unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände vorzunehmende
Abwägung der betreffenden Interessen.
Vorliegend gelangt die Kammer aufgrund einer hauptsacheoffenen Abwägung zu dem
Ergebnis, dass das private Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung
ihres Widerspruchs überwiegt. Aufgrund der im vorliegenden Verfahren gewonnenen
Erkenntnisse und nach Maßgabe der in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
nur möglichen überschlägigen Prüfung spricht bereits einiges dafür, dass die vom
Antragsgegner verfügte und auch umgesetzte Verkehrsregelung rechtswidrig ist, weil er
hierdurch mit Hilfe des Verkehrsrechts einen Zustand hergestellt hat, der rechtmäßig nur
mit einer zuvörderst vorzunehmenden, straßenrechtlichen Teil-Einziehung der betreffenden
Straße erreicht werden könnte. Aus diesem Grunde erscheint das öffentliche Interesse an
der sofortigen Durchsetzung der vom Antragsgegner geschaffenen Verkehrsregelung
bereits als abgeschwächt. Da indes eine abschließende Klärung der so aufgeworfenen
Fragestellung im vorliegenden Verfahren nicht möglich ist, ergibt vor diesem Hintergrund
eine hauptsacheoffene Abwägung, dass das Anliegerrecht der Antragstellerinnen bzw. dass
von ihnen dargelegte wirtschaftliche Interesse an der zumindest vorerst ungehinderten
Fortführung ihres im betroffenen Straßenabschnitt gelegenen Betriebes das öffentliche
Interesse an einem durch den Anliegerverkehr mit Kraftfahrzeugen ungestörten,
ausschließlichen Freizeitverkehr überwiegt.
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist die Annahme, dass es sich bei der von der
Verkehrsregelung betroffenen Wegstrecke um eine öffentliche Straße handelt bzw. diese
dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist (vgl. § 2 Abs. 1 SStrG). Nach den Erkenntnissen
des Gerichts (vgl. insbesondere das vom Antragsgegner vorgelegte Luftbild) befindet sich
die maßgebliche Wegstrecke links der Saar am Ende einer offenkundig (im Übrigen auch
unstreitig) öffentlichen Straße, die als Abzweigung von der Kurt-Nagel-Straße entlang der
Saar u. a. die dortige Kläranlage und im Verlaufe der hier streitigen Wegstrecke, die an
einer Schranke endet, allein noch das Anwesen der Antragstellerinnen erschließt. Die
Straße ist durchgängig - insbesondere im hier betroffenen Abschnitt - asphaltiert und bis zu
der Schranke faktisch ungehindert – auch für Kraftfahrzeuge - befahrbar, wobei die Zufahrt
zum Betriebsgrundstück der Antragstellerinnen kurz vor dieser Schranke einmündet.
Aufgrund der Entfernung der Straße vom Ufer der Saar erscheint zweifelhaft, dass es sich
hierbei um den ehemaligen Leinpfad handeln sollte, zumal in unmittelbarer Ufernähe ein
schmaler, unbefestigter Weg entlang der Saar verläuft.
Letztendlich ist für das vorliegende Verfahren jedoch entscheidend, dass nach dem im
Wesentlichen unbestrittenen Vortrag der Antragstellerinnen die von ihnen so bezeichnete
Straße "Auf dem Leinpfad" seit Jahrzehnten im Gemeingebrauch für den öffentlichen
Verkehr steht und über diese Straße auch ihr Betriebsgrundstück, auf dem zuvor
jahrzehntelang – nach Angaben der Antragstellerinnen jedenfalls seit 18.12.1982 - eine
Autoverwertung (Schrottplatz) bestanden hat, seit jeher und bisher ausschließlich auf
diesem Weg mit Kraftfahrzeugen bzw. Lkw erreichbar gewesen ist. Es spricht daher viel
dafür, dass der betreffende Straßenabschnitt bzw. die Zufahrt zum Betriebsgelände der
Antragstellerinnen als sonstige öffentliche Straße im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 SStrG
gewidmet und der Antragsgegner Träger der Straßenbaulast (vgl. § 54 SStrG) ist. Gleiches
würde gelten, wenn man den betreffenden Streckenabschnitt als Gemeindestraße nach §
3 Abs. 1 Nr. 3 SStrG ansähe (vgl. § 50 SStrG). Dabei kann hier offen bzw. einer
abschließenden Klärung im Widerspruchsverfahren vorbehalten bleiben, auf welcher
rechtlichen Grundlage (womöglich gemäß § 63 Satz 1 SStrG – Widmungsfiktion -) eine
entsprechende Widmung erfolgt ist.
Die vom Antragsgegner vertretene gegenteilige Auffassung vermag diese vorläufige
Bewertung der straßenrechtlichen Situation vor Ort nicht zu entkräften. Er ist der
Darstellung der Antragstellerinnen unter Bezug auf Kapitel III, Ziffer 9, Satz 1, des für deren
Anlage erteilten Genehmigungsbescheides des Landesamtes für Umwelt und Arbeitsschutz
vom 21.11.2006 -I 29/2006- (Bl. 5 ff. GA) entgegengetreten mit der Auffassung, dass das
von der Sperrung betroffene Teilstück als "Saar-Radweg" gewidmet und bei einer Länge
von etwa 200 m sowie einer Breite von drei Metern für einen gefahrlosen
Begegnungsverkehr zwischen Lkw und insbesondere von Lkw mit Radfahrern oder
Fußgängern nicht geeignet sei. Hieraus ergibt sich jedoch weder eine förmliche Widmung
des betreffenden Straßenabschnitts im Sinne des § 6 SStrG als "Saar-Radweg" noch eine
etwaige Teil-Einziehung gemäß § 7 SStrG im Zuge der Ausweisung des "Saar-Radweges".
Der vom Antragsgegner in Bezug genommene Genehmigungsbescheid gibt zu Kapitel III,
Ziffer 9, Satz 2, lediglich den Hinweis, dass wegen der betreffenden "Widmung" bzw.
Zugehörigkeit der Wegstrecke zum "Saar-Radweg" "evtl. anderweitige das Vorhaben
betreffende Zulassungsverfahren notwendig" seien. Damit wird aber letztlich lediglich dem
Umstand Rechnung getragen, dass der "Saar-Radweg" dort entlang verläuft. Der
Genehmigungsbescheid vermittelt mangels Zuständigkeit seiner Erlassbehörde weder eine
Widmung als "Saar-Radweg", noch belegt er ungeachtet der Verwendung des Begriffes der
"Widmung" eine förmliche Widmung durch eine hierfür zuständige Straßenbehörde. Der
Hinweis vermag daher nichts an der Rechtslage zu ändern, wonach eine entsprechende
förmliche Widmung des hier zu betrachtenden Straßenabschnitts als Fuß- und Radweg
bzw. eine mit Blick auf die bestehende Widmung als öffentliche Straße (vgl. oben)
erforderliche Teil-Einziehung durch den Antragsgegner als Träger der Straßenbaulast im
betreffenden förmlichen Verfahren hätte verfügt werden müssen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 und §
8 Abs. 1 Satz 1 SStrG). Dass Dergleichen geschehen sei, ist im vorliegenden Verfahren
jedoch weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Darüber hinaus ist zu
berücksichtigen, dass der "Saar-Radweg" in Richtung Kurt-Nagel-Straße ab der Kläranlage
ohnehin über eine unstreitige öffentliche Straße verläuft und in der umgekehrten Richtung
erst die hinter der Einmündung zum Betriebsgelände der Antragstellerinnen befindliche
Schranke diese öffentliche Straße nach Westen hin vom weiterführenden "Saar-Radweg“
(deutlich) trennt.
Mangels anderweitiger Erkenntnisse ist hieraus zu folgern, dass es sich bei der vorliegend
zu betrachtenden Wegstrecke um eine öffentliche Straße handeln dürfte, auf welcher der
Gemeingebrauch zu Verkehrszwecken eröffnet und damit auch eine Benutzung durch Lkw
grundsätzlich erlaubt ist.
Hiervon ausgehend ergibt sich aufgrund § 7 Abs. 1 Nr. 4 des saarländischen
Straßenverkehrszuständigkeitsgesetzes die sachliche Zuständigkeit des Antragsgegners für
Verkehrsbeschränkungen aller Art (§ 45 Abs. 1 bis 1 d StVO), soweit sich die Maßnahmen -
wie hier - auf Gemeindestraßen oder sonstige öffentliche Straßen im Sinne des § 3 Abs. 1
Nr. 4 SStrG bezieht. Da auch seine örtliche Zuständigkeit unproblematisch gegeben ist,
darf der Antragsgegner daher im betreffenden Straßenabschnitt gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1
StVO den Straßenverkehr regeln. Die genannte Vorschrift ermächtigt die
Straßenverkehrsbehörden dazu, die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken
aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs zu beschränken oder zu verbieten
und den Verkehr umzuleiten. Vorliegend hat der Antragsgegner ersichtlich aus Gründen der
Sicherheit des Straßenverkehrs seine verkehrsrechtliche Anordnung getroffen und durch
Aufstellen der entsprechenden Beschilderung umgesetzt.
Wird indes - wie hier - eine Straße für bestimmte Benutzungsarten vollständig gesperrt,
entsteht regelmäßig eine Konkurrenz zwischen dem bundesrechtlich geregelten
Straßenverkehrsrecht und dem landesrechtlichen Straßenrecht, wobei ausschließlich das
Straßenrecht einschlägig sein kann, aber auch Überlagerungen der jeweiligen Regelungen
möglich sind. Insbesondere können nach der Teil-Einziehung einer öffentlichen Straße hieran
anknüpfende, den zugelassenen Straßenverkehr entsprechend einschränkende,
verkehrsrechtliche Regelungen getroffen werden.
Vgl. dazu etwa das Urteil der Kammer vom 11.7.2007, 10 K 34/07
Aus den verschiedenen Zielsetzungen, die das Straßenverkehrsrecht und das Straßenrecht
haben, folgt, dass die Straßenverkehrsordnung den Straßenverkehr abschließend regelt
und deshalb straßenrechtliche Maßnahmen in diesem Bereich nicht zugelassen sind. Das
Straßenverkehrsrecht, welches den Verkehr grundsätzlich unter ordnungsrechtlichen
Gesichtspunkten regelt, hat zum Ziel, die Sicherheit und Ordnung (früher: Leichtigkeit) des
Verkehrs zu gewährleisten. Das Straßenrecht dagegen befasst sich mit den
Rechtsverhältnissen an öffentlichen Straßen. Es regelt insbesondere ihre Entstehung,
Indienststellung und Widmung, grenzt den Gemeingebrauch von der Sondernutzung ab und
bestimmt den Träger sowie den Umfang der Straßenbaulast. Das Straßenverkehrsrecht
wiederum knüpft an die wegerechtliche Widmung in ihrem gegebenen Bestand an und
befasst sich nicht selbst mit deren Voraussetzungen, insbesondere mit deren Umfang.
Daraus folgt zum einen, dass das Straßenverkehrsrecht nicht zu verkehrsregelnden
Maßnahmen ermächtigt, die über den Umfang der wegerechtlichen Widmung der Straße
hinaus andere Benutzungsarten zulassen; zum anderen dürfen Verkehrsregelungen die
Widmung auch nicht in Frage stellen bzw. zu einer faktischen Entwidmung der Straße
führen. Mit anderen Worten darf das Widmungsrecht und das mit ihm verbundene
förmliche Verfahren nicht dadurch umgangen werden, dass faktisch mit Hilfe des
Verkehrsrechts die gleichen Zustände hergestellt werden, wie sie mit einer Widmung bzw.
Entwidmung zu erreichen sind.
So das Urteil des OVG des Saarlandes vom 6.3.1996, 9 R 6/95, SKZ
1996, 267; vgl. ferner das Urteil der Kammer vom 11.7.2007, 10 K
34/07, jeweils mit weiteren Nachweisen; vgl. auch die Urteile des
BVerwG 26.6.1981, 7 C 27/79, und vom 3.4.1996, 11 C 3.96, und
11 B 11.96, beide zitiert nach juris
Im Einzelfall kann sich die diesbezügliche Abgrenzung zwischen Straßenverkehrsrecht und
Straßenrecht recht schwierig gestalten. Dennoch spricht vorliegend bei nur summarischer
Prüfung einiges dafür, dass der Antragsgegner durch die von ihm vorgenommene Sperrung
des betreffenden Straßenabschnitts für sämtliche Kraftfahrzeuge den rechtlichen Zustand
hergestellt hat, wie er mit Blick auf die obigen Ausführungen rechtmäßig nur durch eine
förmlich zu verfügende Teil-Einziehung des betreffenden Straßenabschnitts zu erreichen ist.
Für die richtige Alternative einer Teil-Einziehung spricht auch der Hinweis des
Antragsgegners, die betreffende Wegstrecke sei für den Lkw-Verkehr mit tonnenschweren
Fahrzeugen weder baulich noch sonst geeignet.
Ist somit davon auszugehen, dass die angegriffene verkehrsrechtliche Regelung des
Antragsgegners - vorbehaltlich einer abschließenden Nachprüfung in der Hauptsache -
jedenfalls in der Tendenz eher rechtswidrig und der Widerspruch der Antragstellerinnen
daher erfolgreich sein dürfte, eine abschließende Klärung des Fragenkomplexes aber im
vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nicht möglich ist, ist im Rahmen einer
hauptsacheoffenen Abwägung der widerstreitenden Interessen dem oben bereits
dargestellten wirtschaftlichen Anliegen der Antragstellerinnen zum Zwecke der
ungehinderten Fortführung ihres Betriebes (vgl. die Ausführungen zur Antragsbefugnis) im
Rahmen des Anliegergebrauchs der Vorzug zu geben. Dabei ist zunächst zu
berücksichtigen, dass das vom Antragsgegner dargelegte öffentliche Interesse am Vollzug
der Verkehrsregelung mit Blick darauf, dass das fragliche Teilstück des "Saar-Radweges"
die derzeit alleinige Zufahrtsmöglichkeit zu dem Anwesen der Antragstellerinnen darstellt,
und zudem im Hinblick auf die o.a. Einschätzung der Sach- und Rechtslage bereits
abgeschwächt erscheint. Ungeachtet des Umstandes, dass ein gesteigertes Interesse am
Schutz des Rad- und Fußgängerverkehrs auf dem betreffenden Straßenabschnitt in den
kommenden Wintermonaten nicht bestehen dürfte, bleibt es dem Antragsgegner – auch
unter Berücksichtigung einer höheren Frequentierung des Straßenabschnitts durch
Fußgänger- und Radfahrerverkehr in den übrigen Jahreszeiten (vgl. dazu die vom
Antragsgegner vorgenommenen Verkehrszählungen von April bis September 2007)
überlassen, durch andere, die Antragstellerinnen weniger belastende Verkehrsregelungen,
wie zum Beispiel die Festlegung einer Geschwindigkeitsbeschränkung oder - um das von
ihm nicht erwünschte Parken von Lkw im betreffenden Straßenabschnitt zu unterbinden -
von Halt- und/oder Parkverboten den gefahrlosen Verkehr auf dem fraglichen
Streckenabschnitt des "Saar-Radweges" zu sichern. Eine andere Bewertung rechtfertigt
auch nicht der Hinweis des Antragsgegners, er gehe davon aus, dass die Antragstellerinnen
verpflichtet seien bzw. sich im Rahmen des Genehmigungsverfahrens (vgl. den o.a.
Genehmigungsbescheid) verpflichtet hätten, für eine anderweitige Zuwegung zu ihrem
Gelände zu sorgen. Selbst wenn nämlich das Bestehen einer derartigen Verpflichtung
unterstellt wird, berechtigt dies den Antragsgegner nicht dazu, die dahingehende
Verpflichtung im Wege verkehrsrechtlicher Anordnungen durchzusetzen.
Der Antrag hat nach alledem Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG, wobei der Auffangwert in Höhe
von 5.000 EUR pro Antragstellerin (subjektive Antragshäufung) anzusetzen und der so
ermittelte Gesamtstreitwert von 10.000 EUR für das Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes zu halbieren ist.