Urteil des VG Saarlouis vom 22.02.2011

VG Saarlouis: wichtiger grund, reaktive depression, psychische störung, unverzüglich, rücktritt, treu und glauben, leistungsfähigkeit, herbst, chancengleichheit, wochenende

VG Saarlouis Urteil vom 22.2.2011, 1 K 1908/09
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld
abwenden, falls der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger erstrebt bezüglich der Prüfung zum Ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung im
Frühjahr 2009 die Anerkennung seiner Säumnis des schriftlichen Teils (10./11.03.2009)
aus wichtigem Grund.
Mit Schreiben vom 11.03.2009, einem Mittwoch, dem ein amtsärztliches Attest vom
gleichen Tag beigefügt war, eingegangen beim Beklagten am 16.03.2009, beantragte der
Kläger seinen Rücktritt vom schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung
im Frühjahr 2009 (10./11.03.2009), der ersten Wiederholungsprüfung, wegen Erkrankung
an „Magen-Darm-Grippe“ zu genehmigen. Aus dem amtsärztlichen Attest ergibt sich, dass
er sich am 11.03.2009 in der amtsärztlichen Sprechstunde vorgestellt habe. Seit dem
Wochenende bestehe die Symptomatik einer akuten Gastroenteritis. Er sei deshalb aktuell
nicht prüfungsfähig. Mit Wiederherstellung der Prüfungsfähigkeit sei ab der nächsten
Kalenderwoche zu rechnen. Zugleich legte er ein ärztliches Attest eines praktischen Arztes
vom 11.03.2009 vor, worin es heißt: „O.g. Patient ist in der Zeit vom 10.03.09 bis
18.03.09 aufgrund einer akuten Gastroenteritis nicht prüfungsfähig.“ Aus der weiter
beigefügten Verordnung dieses Arztes vom 11.03.2009 ergibt sich, dass dem Kläger L.
akut verordnet wurde.
Mit dem streitigen Bescheid vom 19.05.2009 wurde die Genehmigung des Rücktritts
versagt. Zur Begründung ist ausgeführt, der Rücktritt von der Prüfung sei nicht
unverzüglich erklärt worden. Unverzüglich erfordere, dass die Mitteilung ohne schuldhaftes
Zögern von dem Prüfling auf den Weg gebracht werde. Die den Prüfling treffende
Obliegenheit, im Prüfungsverfahren im Rahmen des Zumutbaren mitzuwirken, setze bei
der krankheitsbedingten Beeinträchtigung der Prüfungsfähigkeit in dem Moment ein, in dem
sich der Prüfling der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bewusst werde. In dem
klägerischen Antrag auf Genehmigung des Rücktritts habe er lediglich angegeben, an einer
„Magen-Darm-Grippe“ erkrankt zu sein. Dem amtsärztlichen Attest sei zu entnehmen,
dass die Symptomatik einer akuten Gastroenteritis bereits seit dem Wochenende
(Samstag/Sonntag, 07./08.2009) bestehe. Der Hausarzt und der Amtsarzt seien jedoch
erst am zweiten Prüfungstag, dem 11.03.2009, konsultiert worden. Kenntnis von der
Beeinträchtigung habe der Kläger jedoch bereits vor Prüfungsbeginn, spätestens aber am
ersten Prüfungstag gehabt, den er bereits versäumt habe. Da es danach an der
unverzüglichen Mitteilung des wichtigen Grundes fehle, komme es auf die Frage, ob die
krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit glaubhaft gemacht worden sei, nicht mehr an.
Gegen diesen am 20.05.2009 zur Post gegebenen Bescheid erhob der Kläger am
22.06.2009 Widerspruch, den er damit begründete, er sei bereits seit dem Wochenende
an Gastroenteritis erkrankt gewesen. Am Mittwoch, dem 11.03.2009, habe er sich zu
zwei verschiedenen Ärzten begeben. Wegen der beiden ärztlichen Stellungnahmen dürften
an der tatsächlichen Prüfungsunfähigkeit auf Grund der akuten Gastroenteritis keine
Zweifel vorliegen. Er habe an Beschwerden wie Übelkeit, Fieber, Erbrechen und Durchfall
gelitten. Diese seien am Wochenende erstmalig aufgetreten. Am Montag sei er noch der
Ansicht gewesen, dass sich die Symptome legen würden und er an der Prüfung am
Dienstag teilnehmen könne. Jedoch hätten die Beschwerden am Dienstagmorgen immer
noch vorgelegen, sie seien sogar viel schlimmer geworden. Er habe das Bett nicht
verlassen können. Er leide zusätzlich an Depressionen. Die Depression verbunden mit der
Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Durchfall hätten dazu geführt, dass er am Dienstag den
ganzen Tag zu Hause und überwiegend im Bett verbracht habe. Er sei müde, benommen,
schwach und antriebslos gewesen. Erst am Mittwochmorgen habe er sich zu einem Arzt
begeben und sich untersuchen und behandeln lassen können. Da er bis zum Morgen des
ersten Prüfungstags davon ausgegangen sei, dass er die Prüfung antreten könne, aber
seine Beschwerden am Morgen des Dienstag nicht weggegangen, sondern sogar
schlimmer geworden seien und er beschwerdebedingt im Bett gelegen habe und dann,
sobald es ihm körperlich möglich gewesen sei, am Mittwoch sich zu den Ärzten begeben
und dies dem Beklagten mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt habe, habe er seine
gesundheitlich bedingte Prüfungsunfähigkeit auch unverzüglich mitgeteilt. Es sei ihm nicht
möglich gewesen, telefonisch eine Mitteilung zu machen. Zum einen sei das Amt des
Beklagten in B-Stadt auf Grund der Prüfungen in A-Stadt am ersten und zweiten
Prüfungstag nicht besetzt und er habe nur die Telefonnummer des Amtes in B-Stadt. Am
Mittwoch sei er erst nachmittags von der amtsärztlichen Untersuchung zurückgekommen
und habe sich nach Hause begeben. Am Abend habe er die schriftliche Mitteilung gefertigt
und am nächsten Tag zur Post aufgegeben.
Durch Widerspruchsbescheid des zuständigen Ministeriums vom 22.09.2009 wurde der
Widerspruch zurückgewiesen. Darin heißt es, der Kläger habe seine Prüfungsunfähigkeit
nicht unverzüglich mitgeteilt. An der Unverzüglichkeit mangele es, da es dem Kläger ohne
Weiteres möglich gewesen wäre vor der schriftlichen Prüfung sich mit dem Prüfungsamt in
Verbindung zu setzen und gegebenenfalls eine amtsärztliche Untersuchung durchzuführen.
Bereits am Wochenende vor der schriftlichen Prüfung sei er sich der Beeinträchtigung
seiner Prüfungsfähigkeit bewusst gewesen. Zum Zeitpunkt der schriftlichen Prüfung sei das
Büro des Beklagten zwar für Besucher geschlossen, ein telefonischer Notdienst sei aber
eingerichtet. Weiter sei nicht eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit glaubhaft
gemacht. Bei dem Kläger gehe die Leistungsminderung auf ein Dauerleiden zurück. Bei ihm
bestehe keine Prüfungsunfähigkeit in dem Sinne, dass es sich lediglich um eine aktuelle und
zeitweise Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handele. Ein Dauerleiden sei ebenso
wie eine sich in Prüfungsängsten äußernde Examenspsychose, soweit sie nicht auf einer
psychischen Erkrankung beruhe, unabhängig von der Intensität der dadurch ausgelösten
Ausfallerscheinungen nicht als wichtiger Grund für den Rücktritt von der Prüfung oder zur
Entschuldigung für eine Säumnis anzuerkennen. Der Kläger habe seit dem Jahr 2005
insgesamt vier Mal den schriftlichen und den mündlich-praktischen Teil des Ersten
Abschnitts der Ärztlichen Prüfung versäumt bzw. den Rücktritt von der Prüfung erklärt
(Frühjahr 2005, Herbst 2007, Frühjahr und Herbst 2008). In den dazu vorliegenden
amtsärztlichen Attesten vom 14.09.2007, 12.03.2008 und 16.09.2008 sei jeweils eine
akute Gastroenteritis bescheinigt worden. In dem amtsärztlichen Attest vom 14.09.2007
habe der zuständige Amtsarzt auch darauf hingewiesen, dass diese Symptomatik schon
seit mehreren Jahren rezidivierend auftrete und dringend zur Abklärung der Beschwerden
geraten werde. Da der Kläger somit zum wiederholt die Säumnis bzw. den Rücktritt von
der Prüfung oder einem Prüfungsteil auf Grund einer Diagnose geltend gemacht habe, die
den Rückschluss rechtfertige, dass es sich bei seiner Leistungsbeeinträchtigung um einen
psychogene Reaktion auf das Prüfungsgeschehen handele, sei davon auszugehen, dass die
Voraussetzungen eines Dauerleidens vorlägen. Es handele sich um eine konstitutionelle
Schwäche, die unter besonderer Stressbelastung immer wieder zu einer akuten
Gastroenteritis führe, die als mittlerweile chronische Leistungsminderung als ein allenfalls
mittelfristig heilbares Dauerleiden anzusehen sei.
Auf den am 06.10.2009 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am
06.11.2009 Klage.
Unter Vertiefung seines Vortrags aus dem Widerspruchsverfahren trägt er vor,
insbesondere sei er noch am Montag davon ausgegangen, die Prüfung antreten zu können.
Am Dienstag habe sich seine Krankheit verschlimmert, er habe den ganzen Tag mit den
Symptomen seiner Krankheit, insbesondere der fieberbedingten Müdigkeit, Schwäche,
Benommenheit und dem Krankheitsgefühl zu kämpfen gehabt, so dass es ihm erst am
Mittwoch zumutbar gewesen sei, sich zu melden und seine Prüfungsunfähigkeit
mitzuteilen. Es werde bestritten, dass ein Notdienst tatsächlich eingerichtet gewesen sei.
Diese Telefonnummer sei ihm auch nicht bekannt. Die Beschreibung seiner Erkrankung als
Dauerleiden stelle eine Vermutung des Beklagten dar, die keine Grundlage für eine
Entscheidung sein könne.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 19.05.2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2009 den
Beklagten zu verpflichten, die Säumnis des schriftlichen
Teils des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung im
Frühjahr 2009 zu genehmigen,
die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, bei der Beurteilung der Unverzüglich der Geltendmachung eines wichtigen
Grundes für eine Säumnis sei ein strenger Maßstab anzulegen. Die klägerische Schilderung
des konkreten Krankheitsverlaufs leide unter einem besonderen Glaubwürdigkeitsdefizit.
Der Kläger leide seit längerer Zeit bezogen auf die besondere Stresssituation der Prüfungen
unter Gastroenteritis und dies sei bereits wiederholt als krankheitsbedingte
Prüfungsunfähigkeit gegenüber dem Beklagten geltend gemacht worden. Ihm sei es
deshalb in Kenntnis seiner spezifischen gesundheitlichen Problematik möglich und zumutbar
gewesen, noch vor dem Prüfungstermin eine entsprechende Erklärung abzugeben. Zwar
sei das Prüfungsamt während der beiden Prüfungstage für Besucher geschlossen
gewesen. Zur Sicherstellung der Erreichbarkeit sei jedoch in Abstimmung mit der
Telefonzentrale des Beklagten ein telefonischer Notdienst eingerichtet gewesen. Weiter sei,
da der Kläger mehrfach die Säumnis bzw. den Rücktritt von der Prüfung oder einem
Prüfungsteil aufgrund einer Diagnose geltend gemacht habe, die den Rückschluss
rechtfertige, dass es sich bei seiner Leistungsbeeinträchtigung um eine psychogene
Reaktion auf das Prüfungsgeschehen handele, davon auszugehen, dass die
Voraussetzungen eines Dauerleidens vorlägen. Eine Gesamtbetrachtung der
„Krankengeschichte“ des Klägers rechtfertige die Feststellung, dass gewichtige Aspekte für
eine Dauererkrankung zum Prüfungszeitpunkt vorlägen. Selbst wenn zwischenzeitlich eine
Besserung eingetreten sein sollte, würde das Vorliegen eines in seiner Persönlichkeit
wurzelnden Dauerleidens zum Prüfungszeitpunkt dadurch nicht zwangsläufig widerlegt.
Der Kläger, der sein Studium im Wintersemester 2001/2002 aufgenommen hat, trat von
der ärztlichen Vorprüfung im Frühjahr 2005 nach Vorlage eines amtsärztlichen Attestes
wegen „fieberhaften Infekts“ zurück. Im Frühjahr 2006 nahm er an der ärztlichen
Vorprüfung nach der bis 30.09.2003 gültigen Ärztlichen Approbationsordnung ohne Erfolg
teil. Von den Prüfungen im Herbst 2007 erklärte er seinen Rücktritt wegen „akuter
gastrointestinaler Symptomatik, verbunden mit starken Kopfschmerzen“, so das
amtsärztliche Attest vom 22.08.2007 bzw. nach dem amtsärztliche Attest vom
14.09.2007: „Zusammenfassend lässt sich demnach folgendes feststellen: „Herr K gibt
an, seit dem 10.09.2007 erneut unter Durchfällen zu leiden, dabei auch Übelkeit und
Kopfschmerzen, kein Fieber. Heute auch Schwindelgefühl und Brechreiz.
Darmbeschwerden mit Durchfällen werden seit 2005 angegeben in einer Frequenz von ca.
1 x pro Monat. 2005 erfolgte eine Darmspiegelung. Vor zwei Jahren sei eine einmalige
Stuhluntersuchung erfolgt. Jetzt wurde vom behandelnden Arzt eine akute Gastroenteritis
diagnostiziert und medikamentös behandelt. Aus hiesiger Sicht ist Herr K heute und
voraussichtlich eine weitere Woche krankheitsbedingt nicht prüfungsfähig. Da diese
Symptomatik schon seit mehreren Jahren rezidivierend auftritt, wurde ihm dringend zur
Abklärung der Beschwerden geraten. Sollten organische Ursachen ausgeschlossen werden,
sind Maßnahmen zur Hilfe bei Stressbewältigung nötig.“
Zur Prüfung Frühjahr 2008 lautet das amtsärztliche Attest vom 12.03.2008 auf
Gastroenteritis. Für die Prüfungen im Herbst 2008 ist in dem amtsärztlichen Attest vom
21.08.2008 eine reaktive Depression in Folge familiärer Belastungssituation beschrieben
und das amtsärztlichen Attest vom 16.09.2008 bescheinigt, dass die reaktive Depression
nach wie vor bestehe, wobei die eingeleitete medikamentöse Therapie bisher nicht den
gewünschten Erfolg habe erzielen können. Mit Wiederherstellung der Prüfungsfähigkeit sei
in zwei bis drei Monaten zu rechnen.
Zu der klägerischen Säumnis des mündlich-praktischen Teils des Ersten Abschnitts der
ärztlichen Prüfung im Frühjahr 2009 (20.03.2009) wegen Erkrankung an Gastroenteritis
ist der Verwaltungsrechtstreit 1 K 1927/09 anhängig.
Seine Säumnis des mündlich-praktischen Teils des Ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung
im Herbst 2009 (31.08.2009) wegen psycho-vegetativen Erschöpfungszustandes ist
Gegenstand des Verfahrens 1 K 352/10. In diesem Verfahren hat das Gericht durch
medizinisches Sachverständigengutachten Beweis darüber erhoben, ob eine
gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers zu einer „dauerhaften“ Prüfungsunfähigkeit
im Studium der Humanmedizin führt, insbesondere ob eine psychische Störung besteht, sie
„Krankheitswert“ erreicht, die an die spezifische Prüfungssituation gebunden ist, es sich
um eine aktuelle und zeitweise Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handelt oder die
Leistungsminderung auf einer in seiner Person liegenden generellen Einschränkung der
Leistungsfähigkeit beruht, ob deren Behebung in absehbarer Zeit erwartet werden kann
oder allenfalls mittelfristig bzw. langfristig die Möglichkeit einer Reintegration in das
Studienleben besteht. Zum Sachverständigen wurde Dr. R., B-Stadt, bestellt. In seinem
sozial-medizinischen Gutachten, Schwerpunktmäßig aus neurologisch-psychiatrischer Sicht,
vom 27.11.2010 (Abschlussdatum) kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, beim Kläger
werde nicht über körperliche Beschwerden geklagt noch könnten entsprechende
psychische Störungen oder geistige Behinderungen festgestellt werden, die die Feststellung
trügen, eine gesundheitliche Beeinträchtigung liege vor, die zu einer „dauerhaften“
Prüfungsunfähigkeit im Studium der Humanmedizin führten. Es bestehe keine psychische
Störung von Krankheitswert. Eine sogenannte Prüfungsangst liege lediglich im Bereich des
zu Vermutenden. Sie sei auf Nachfrage vom Kläger ausgeschlossen worden. Er habe
immer wieder betont, dass er auf Grund des Zerwürfnisses mit seinem Vater und den
familiären Schwierigkeiten nervlich angegriffen gewesen sei und deshalb sich nicht
prüfungsfähig gefühlt habe. Eine derartige nervliche Belastung habe sicherlich vorgelegen,
aber zu einer psychiatrischen Erkrankung habe dies jedoch nicht geführt. Auf Grund seiner
körperlichen, psychischen und geistigen Situation, wie sie zum Zeitpunkt der
Gutachtenerstellung festgestellt werde, sei der Kläger durchaus in der Lage, die ärztliche
Prüfung sofort anzutreten.
Zum Gutachten führt der Beklagte aus, dieses sei dadurch geprägt, dass der Gutachter im
Wesentlichen darauf beschränkt sei, den gesundheitlichen Zustand des Klägers zum
Zeitpunkt der Begutachtung zu beurteilen und retrospektive Betrachtungen dem „Bereich
des zu Vermutenden“ zuordnen müsse, also nur Vermutungen anstellen könne. Der
Gutachter deute jedoch die Magen-Darm-Beschwerden, Durchfälle und Erbrechen
retrospektiv als funktionelle Störung möglicherweise im Rahmen einer Prüfungsangst, die
jedoch negiert werde. Des Weiteren werde das Vorliegen einer Leistungsminderung bejaht,
die auf eine in der Person des Klägers liegenden generellen Einschränkung der
Leistungsfähigkeit beruhe. Auf Grund seiner Persönlichkeit mit fehlender Beharrlichkeit, mit
fehlender Zielstrebigkeit und mangelnden Durchsetzungsvermögen sei es wiederholt zu
dem geschilderten Verhalten gekommen, was persönlichkeitsgebunden sei. Diese
Ausführungen bestätigten die Einschätzung des Beklagten, dass keine Prüfungsunfähigkeit
im Rechtssinne vorliege und damit die ergangenen Entscheidungen rechtmäßig gewesen
seien. Die Schlussfolgerung des Gutachters, der Kläger sei durchaus in der Lage, den
Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung sofort anzutreten, beschränke sich in ihrem
Aussagewert auf die Feststellung, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Prüfungsunfähigkeit
gegeben sei. Auf Grund des beschriebenen situationsbezogenen klägerischen Verhaltens,
das nach Auffassung des Gutachters persönlichkeitsgebunden sei, bestehe jedoch die
konkrete Gefahr, dass es auch bei weiteren Prüfungsversuchen zu dem beschriebenen
Verhalten komme, zumal der Kläger seine Beschwerden auch dem Gutachter gegenüber
beharrlich mit familiären Problemen begründen wolle und jeden Situationsbezug zu den
Prüfungen, der augenscheinlich vorliege, verneine.
Der Kläger bewertet das Gutachten dahingehend, es stütze seinen Vortrag, dass es sich
bei seinen Erkrankungen um kurzfristige Krankheitsbilder gehandelt habe.
Dem Kläger wurde Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Verwaltungsrechtsstreit wurde zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die
Verfahrensakten 1 K 1927/09 und 1 K 352/10 und die beigezogenen
Verwaltungsunterlagen des Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da die Säumnis des schriftlichen Teils am
10./11.03.2009 des Ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung im Frühjahr 2009 nicht aus
wichtigem Grund nach §§ 19, 18 ÄAppO anzuerkennen ist.
Zwar hat der Kläger unter Mitteilung der Gründe die Säumnis geltend und die Gründe
durch Vorlage einer amtsärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht; diese rechtfertigten
auch als wichtiger Grund die Feststellung, dass der Prüfungsteil als nicht unternommen gilt.
Doch mangelt es an der notwendigen Unverzüglichkeit der Mitteilung der Säumnisgründe.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 11.03.2009 dem Beklagten die Gründe für seine
Säumnis konkret mitgeteilt, indem er das Bestehen einer akuten Gastroenteritis verwies.
Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerden kein Ausmaß erreicht hatten, die
ein vollständiges Absehen von der Prüfung nahegelegt hätten, bestehen nicht.
Damit hat der Kläger „konkrete erhebliche, gesundheitliche, leistungsmindernde
Beeinträchtigungen und Beschwerden im Sinne von Befundtatsachen angegeben“.
zu diesem Erfordernis vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
07.05.1991 - 9 S 42/90 -, juris
Es ist nicht nachvollziehbar, welchen konkreten Vortrag der Beklagte vor Augen hat, den
der Kläger darüber hinaus zur näheren Konkretisierung des wichtigen Grundes,
so BVerwG, Beschluss vom 27.01.1994 - 6 B 12/93 -, Buchholz
421.0 Prüfungswesen Nr. 328,
hätte leisten müssen, um nach seinem Dafürhalten die Gründe für den Rücktritt
ausreichend zu beschreiben. Nach Niehues,
Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2 Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rz.
131,
muss der Prüfling die „maßgeblichen Gründe angeben, d.h. seine körperlichen oder
geistigen Beschwerden nennen, so wie er sie zu erkennen vermag (z.B. Kopfschmerzen,
Erbrechen, Fieber).“ Das hat der Kläger durch Angabe Magen-Darm-Beschwerden getan.
Auf Grund der amtsärztlichen Stellungnahme,
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 09.07.2002 - 14 A
1630/02 - und15.09.2005 - 14 E 1130/05 -, beide juris,
lag auch zur Überzeugung des Gerichts,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.06.1993 - 6 B 9/93 -, Buchholz
421.0 Prüfungswesen Nr. 316,
mit der akuten Gastroenteritis, die die Konzentration beeinträchtigte, ein wichtiger Grund in
der Person des Klägers für seine Säumnis von diesem Prüfungsteil vor.
Diese gesundheitliche Beeinträchtigung ist nicht als ein die Leistungsfähigkeit des Klägers
prägendes „Dauerleiden“ unbeachtlich.
Weil Krankheit, die eine erhebliche Verminderung der Leistungsfähigkeit während der
Prüfung bewirkt, zu einem Prüfungsergebnis führen würde, das nicht die durch die Prüfung
festzustellende wirkliche Befähigung des Kandidaten wiedergäbe, und um die hierin
liegende Beeinträchtigung der Chancengleichheit des Prüflings zu verhindern, ist anerkannt,
dass ein durch Erkrankung prüfungsunfähiger Kandidat die Möglichkeit besitzt, von der
Prüfung zurückzutreten bzw. seine Säumnis zu entschuldigen und diese ohne Anrechnung
auf bestehende Wiederholungsmöglichkeiten neu zu beginnen. Anknüpfungspunkt der
Anerkennung entsprechender Beeinträchtigungen ist dabei, dass die im Zustand der
Erkrankung erbrachte Prüfung nicht die „normale“ Leistung des Prüflings widerspiegelt und
seine Erfolgschancen so in unzumutbarer Weise geschmälert wären. Keine
Prüfungsunfähigkeit in diesem Sinn kann deshalb angenommen werden, wenn die
Beeinträchtigung auf einer in der Person des Prüflings liegenden generellen Einschränkung
seiner Leistungsfähigkeit beruht. Derartige „Dauerleiden“ prägen als
persönlichkeitsbedingte Eigenschaften vielmehr das normale Leistungsbild des Prüflings und
können auch bei Berücksichtigung des in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten prüfungsrechtlichen
Grundsatzes der Chancengleichheit nicht berücksichtigt werden Die Frage, ob eine
gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führt, macht
daher die Unterscheidung erforderlich, ob es sich um eine aktuelle und zeitweise
Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handelt oder ob die Leistungsminderung auf ein
„Dauerleiden“ zurückgeht, dessen Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden
kann und das deshalb auch bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Prüflings
berücksichtigt werden muss. Nicht als Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne anzuerkennen
sind Leistungsminderungen durch Prüfungsstress oder Examensangst, weil derartige
Belastungen zum typischen, grundsätzlich jeden Kandidaten treffenden Prüfungsgeschehen
gehören. Anderes ist es, wenn die psychische Beeinträchtigung „über allgemeine
Examenspsychosen hinausgeht“ und „Krankheitswert“ erreicht, wobei es einer generellen
Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Prüflings im Sinne eines „Dauerleidens“
entsprechen kann, wenn die Angststörung an die spezifische Prüfungssituation gebunden
ist.
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.04.2009 - 9 S 502/09
-, VGH München, Beschluss vom 04.10.2007 - 7 ZB 07.2097 -,
beide juris
Der bisherige Prüfungsverlauf des Klägers gibt ohne Zweifel Anlass, der Frage des
Bestehens eines „Dauerleidens“ nachzugehen. Die mangels eigener Sachkunde des
Gerichts durchgeführte Beweiserhebung im Verfahren 1 K 352/10 konnte mit dem
Gutachten im November 2010 jedoch die gerichtliche Überzeugung des Vorliegens einer
andauernden generellen Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht begründen.
Rückschauend auf die Prüfungssituation im Jahr 2009 lässt sich zwar feststellen, dass eine
gewisse Disposition des Klägers Voraussetzung seiner Erkrankung war. Tatsächliche
Anhaltspunkte dafür, dass die für das Entstehen einer Beeinträchtigung des
Gesundheitszustandes daneben erforderliche und dazugekommene familiäre
Belastungssituation jedoch mehr als nur eine zeitweise Beeinträchtigung des
Leistungsvermögens war, sind nicht gegeben.
Allerdings ist die Säumnis nicht aus wichtigem Grund nach §§ 19, 18 ÄAppO anzuerkennen,
weil es an der Unverzüglichkeit der Mitteilung der wichtigen Gründe mangelt. Fehlt es an
dieser Mitwirkungshandlung und muss sich der Prüfling die verspätete Mitteilung der
Gründe vorwerfen lassen, ist eine Anerkennung des wichtigen Grundes bzw. die
Genehmigung des Rücktritts nicht möglich.
so VGH Hessen, Urteil vom 10.01.1991- 6 UE 1426/90 -, juris
Der Kläger hätte im konkreten Fall bereits vor dem Prüfungsbeginn am Dienstag dem
10.03.2009 den Rücktritt erklären müssen. Sein Aufsuchen des Haus- und Amtsarztes am
zweiten Prüfungstag entschuldigt dies nicht.
Zu den Anforderungen an die Unverzüglichkeit der Mitteilung hat das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13.05.1998 - 6 C 12/98 -,
BVerwGE 106, 369,
ausgeführt:
Eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung hat
regelmäßig zur Folge, dass es für den Prüfungsabschnitt oder
Prüfungsteil auch dann bei der Note „ungenügend“ bleibt, wenn
objektiv ein wichtiger Grund für die Säumnis vorgelegen hat.
Allerdings gilt es hier in besonderer Weise zu beachten, dass die
Sanktion des ggf. endgültigen Verlustes der Prüfungschance nicht
außer Verhältnis zu dem mit der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung
verfolgten legitimen Ziel der Wahrung der Chancengleichheit steht.
Ob eine Mitteilung im Rechtssinne unverzüglich ist, ist stets auch im
Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG zu beurteilen. Hieraus ergeben sich
insbesondere im Falle des endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung
durch Verletzung der prüfungsverfahrensrechtlichen Nebenpflicht zur
unverzüglichen Mitteilung eines Säumnisgrundes Schranken. Hat die
Verletzung einer solchen Pflicht nämlich zur Folge, dass die Prüfung
als nicht bestanden gilt, so wird sie letztlich ebenfalls zu einer die
Freiheit der Berufswahl begrenzenden „Prüfungsschranke“. Insoweit
gelten vergleichbar die Grundsätze, die das
Bundesverfassungsgericht für das materielle Prüfungsverfahren
entwickelt hat. Vorschriften, die für die Aufnahme des Berufs eine
bestimmte Vor- und Ausbildung sowie den Nachweis erworbener
Fähigkeiten in Form einer Prüfung verlangen, greifen in die Freiheit
der Berufswahl ein. Sie müssen deshalb den Anforderungen des Art.
12 Abs. 1 GG genügen (vgl. BVerfGE 84, 34 <45 f.>; 84, 59 <72
f.>). Die Leistungen, die in einer solchen Prüfung gefordert werden,
und die Maßstäbe, nach denen die erbrachten Leistungen zu
bewerten sind, bedürfen somit einer gesetzlichen Grundlage; die
Prüfungsschranke darf zudem nach Art und Höhe nicht ungeeignet,
unnötig oder unzumutbar sein (vgl. BVerfGE 80, 1 <24>). Darüber
hinaus beansprucht das Grundrecht der Berufsfreiheit auch Geltung
für die Durchführung des Prüfungsverfahrens (vgl. BVerfGE 52, 380
<389 f.>). Grundrechtsschutz ist auch durch die Gestaltung von
Verfahren zu bewirken (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>).
Diese Grundsätze sind auf die Anforderungen an die Unverzüglichkeit
der Mitteilung von Gründen im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄAppO
übertragbar. Die Mitwirkungspflicht des Prüflings dient dem Schutz
der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren. Allein dieser, das
gesamte Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz rechtfertigt die
einschneidende Folge der verspäteten Mitteilung, nämlich den ggf.
endgültigen Verlust einer Prüfungschance und damit der Möglichkeit,
überhaupt in dem gewählten Beruf tätig zu sein. Deshalb muss die
Beurteilung, wie und wann ein Prüfling seine Mitwirkungsobliegenheit
zumutbarerweise zu erfüllen hat, mit einbeziehen, wenn im Einzelfall
der Zeitpunkt der Benachrichtigung des Prüfungsamtes sich auf die
Chancengleichheit der übrigen Prüflinge nicht auswirken kann. Eine
Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Prüflings zur
unverzüglichen Mitteilung liegt in diesen Fällen nur dann vor, wenn sie
im Sinne eines „Verschuldens gegen sich selbst“ - vorwerfbar ist (s.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Oktober 1988 - BVerwG 7
C 8.88 - BVerwGE 80, 282, 286 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen
Nr. 259; vgl.a. Urteile vom 22. Oktober 1982 - BVerwG 7 C 119.81 -
BVerwGE 66, 213, 215 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 167;
vom 17. Februar 1984 - BVerwG 7 C 67.82 - BVerwGE 69, 46, 50
= Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 195; vom 6. September 1995
- BVerwG 6 C 16.93 - BVerwGE 99, 172, 176 = Buchholz 421.0
Prüfungswesen Nr. 355).
„Unverzüglich“ in diesem Sinne bedeutet - wie sonst auch (vgl. § 121
BGB) - „ohne schuldhaftes Zögern“. Da die Mitwirkungslast an der
Grenze der Zumutbarkeit endet, ist eine Erklärung von
Säumnisgründen hiernach dann nicht unverzüglich, wenn sie nicht zu
dem frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie vom Prüfling
zumutbarerweise hätte erwartet werden können. Dies bedeutet:
Kann die Mitteilung von Säumnisgründen nach den gesamten
Umständen, insbesondere wegen der Evidenz der Verhinderung, aus
Sicht eines „vernünftig handelnden Prüflings“ die Chancengleichheit
der Mitprüflinge nicht mehr beeinflussen, und kann sich eine zeitnahe
Überprüfung durch das Prüfungsamt auf die Beweislage nicht mehr
wesentlich auswirken, können - je nach Lage der Dinge - auch andere
gewichtige Umstände an Bedeutung gewinnen. Daher muss etwa
eine Mitteilung eines noch an Unfallfolgen leidenden Prüflings
zumutbarerweise von ihm nicht bereits mit den ersten ihm möglichen
zielgerichteten Handlungen erwartet werden. Informiert ein solcher
Prüfling das Prüfungsamt innerhalb eines Zeitraums von wenigen
Tagen nach Entlassung aus dem Krankenhaus, und ist er in diesen
Tagen zudem noch tätig geworden, um ein ärztliches oder gar
amtsärztliches Attest zu besorgen, das er zur zusätzlichen
Beweissicherung ergänzend zum Krankenhausbericht für erforderlich
halten durfte, so ist es nicht mehr entscheidend, ob er die schriftliche
Mitteilung seiner Säumnisgründe einen oder zwei Tage später zur
Post bringt, als ihm dies objektiv möglich gewesen wäre. In einem
solchen Fall genügt es, wenn der Prüfling noch in engem zeitlichen
Zusammenhang zur versäumten Prüfung handelt.
Wie stets, ist auch im konkreten Fall die Frage der Zumutbarkeit der Erklärung des
Rücktritts vor der Prüfung eine Frage des Einzelfalls.
vgl. etwa: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.11.2005 - 14 A
3101/03 -, juris
Allgemein ist zu fordern:
Der Prüfling muss, nachdem er seine zur Prüfungsunfähigkeit
führende gesundheitliche Belastung erkannt hat, alsbald ohne weitere
Verzögerung zum frühestmöglichen, ihm zumutbaren Zeitpunkt
seinen Rücktritt erklären und dabei auch unverzüglich die Gründe
hierfür mitteilen. Diese Obliegenheit ist Teil der auf dem
Prüfungsrechtsverhältnis beruhenden Pflicht des Prüflings, im
Prüfungsverfahren mitzuwirken, die ihren Rechtsgrund in dem auch
im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und
Glauben hat. Daher ist es auch Sache des Prüflings, sich rechtzeitig
vor der Prüfung, aber auch insbesondere während der Prüfung
Klarheit über seine Prüfungsfähigkeit zu verschaffen und ggf.
unverzüglich die in der jeweiligen Prüfungsordnung vorgesehenen
Konsequenzen zu ziehen und Prüfungsunfähigkeit spätestens dann,
wenn er sich ihrer bewusst geworden ist, geltend zu machen. Zur
Mitwirkungspflicht des Prüflings gehört auch, dass er sich bei
Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen selbst um die Frage
seiner Prüfungsfähigkeit und eines evtl. erforderlichen Rücktritts
kümmert und dass diese Frage bei auftauchenden Zweifeln sofort
geklärt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Prüfling die
genaue krankheitsbedingte Ursache seiner Prüfungsunfähigkeit kennt
und dass er die Krankheitssymptome richtig deuten und alle
Auswirkungen der Krankheit zutreffend einschätzen kann. Vielmehr
muss er sich bereits bei subjektivem Krankheitsverdacht, also wenn
ihm erhebliche Beeinträchtigungen seines Leistungsvermögens im
Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre nicht verborgen
geblieben sind, unverzüglich selbst um eine Aufklärung seines
Gesundheitszustandes bemühen.
so VGH Bayern, Urteil vom 23.09.2004 - 7 B 03.1192 -, juris
Unterlässt der Prüfling dies, obwohl es ihm zuzumuten ist, ist es ihm verwehrt, sich
nachträglich auf eine Erkrankung am Prüfungstag zu berufen.
Dazu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, er sei bis zum ersten
Prüfungstag davon ausgegangen, an der Prüfung teilnehmen zu können. An diesem Tag
habe er jedoch das Bett nicht verlassen können. Er halte es für ausreichend, wie schon
zuvor, am zweiten Prüfungstag den Amtsarzt aufzusuchen und dem Beklagten daraufhin
die Gründe der Säumnis mitzuteilen.
Die die klägerische Säumnis begründende gesundheitliche Beeinträchtigung war kein
plötzlich auftretendes Ereignis. Nach dem amtsärztlichen Attest vom 11.03.2009, einem
Mittwoch, bestand die Erkrankung seit dem vorgehenden Wochenende, dem
07./08.03.2009. Mit Wiederherstellung der Prüfungsfähigkeit sei ab der nächsten
Kalenderwoche, dem entspricht Montag der 16.03.2009, zu rechnen. Auch wenn dem
Prüfling im Falle einer solchen Erkrankung „ein Mindestmaß an Überlegungszeit“,
so VGH München, Urteil vom 01.04.1992 - 7 B 91.3037 -, BayVBl
1993, 149,
zusteht, ist hier die Besonderheit gegeben, dass der Kläger bei den Prüfungen im Herbst
2007 und Frühjahr 2008 ebenfalls den schriftlichen wie den mündlich-praktischen
Prüfungsteil wegen andauernder Gastroenteritis versäumte.
Bei dieser Sachlage hätte der Kläger nicht blind darauf vertrauen dürfen, bis zum
Prüfungstag beschwerdefrei zu sein. Er hätte sich sofort montags um eine ärztliche
Abklärung bemühen und seinen Rücktritt von der schriftlichen Prüfung vor dem Prüfungstag
erklären müssen. Auf der Grundlage der klägerischen Erklärung vom 11.03.2009, in der
keine am ersten Prüfungstag plötzlich ansteigende gesundheitliche Beeinträchtigung
geschildert wird, und den entsprechenden Angaben des Klägers gegenüber dem Amtsarzt
erachtet das Gericht den gesteigerten Vortrag im Widerspruchsverfahren,
vgl. zur „Frage, ob die Rücktrittserklärung u n v e r z ü g l i c h erfolgt
ist“: BVerwG, Urteil vom 22.10.1982 - 7 C 119/81 -, BVerwGE 66,
213,
noch am Montag sei er davon ausgegangen, dass er die Prüfung am folgenden Tag
antreten könne, als unglaubhaft und allein mit dem Ziel getätigt, den versäumten
unverzüglichen Rücktritt zu entschuldigen.
Das Gericht ist danach davon überzeugt, dass der Kläger sehr wohl seine
Prüfungsunfähigkeit erkannte, aber davor zurückschreckte, wie geboten und ihm bekannt,
unverzüglich, d. h. vor dem Prüfungstag, den Amtsarzt aufzusuchen und den Rücktritt von
der Prüfung zu erklären. Stattdessen ließ er den zweiten Prüfungstag anbrechen und begab
sich zum Hausarzt und zum Amtsarzt. Bei diesem Geschehensablauf ist dem Kläger
entgegenzuhalten, dass er die Augen vor dem Verschloss, was jedem hätte einleuchten
müssen: dass es ihm zumutbar war, bereits vor dem ersten Prüfungstag seine
Prüfungsfähigkeit ärztlich und amtsärztlich abzuklären und den Rücktritt vor der Prüfung zu
erklären.
Dies entspricht einer vorwerfbaren Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Prüflings zur
unverzüglichen Mitteilung im Sinne eines „Verschuldens gegen sich selbst“. Anhaltspunkte
dafür, dass das vom Kläger entwickelte doch planvolle Vorgehen im Zustand einer die
Willensbildung völlig ausschließenden Beeinträchtigung erfolgte, bestehen nicht. Daher
bedurfte es keiner Beweiserhebung zur Frage der Steuerungsfähigkeit des Klägers bis zur
Erklärung des Rücktritts.
vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.06.1998 - 8 R 40/95 -
Dieser Bewertung als „Verschulden gegen sich selbst“ steht nicht entgegen, dass der
Beklagte entsprechende vorgehende Versäumnisse, etwa in den Jahren 2008 und 2007,
aus wichtigem Grund und als unverzüglich mitgeteilt genehmigte. Mit den die jeweiligen
vergleichbaren Rücktritte von den Prüfungen im Frühjahr und Herbst 2008 genehmigenden
Bescheiden vom 10.08.2008 und 28.01.2009 wurde der Kläger in einer beigefügten
„Information“ abschließend darüber belehrt, dass aus den bereits erteilten Genehmigungen
bei gleichem Sachverhalt kein Rechtsanspruch hergeleitet werden könne, die
Entscheidungen ergingen im Einzelfall. Mit der Ladung zur streitigen Prüfung hat der
Beklagte ausdrücklich auf das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Mitteilung des wichtigen
Grundes und des Rücktritts vor der Prüfung hingewiesen. Dem Kläger kommt danach kein
schutzwürdiges Vertrauen dahingehend zu, blind darauf zu vertrauen, dass eine
Entschuldigung am Prüfungstag ausreichend sei.
Die Versäumnis des schriftlichen Teils der Prüfung zum Ersten Abschnitt der ärztlichen
Prüfung im Frühjahr 2009 (10./11.03.2009) ist daher nicht unverzüglich erfolgt und damit
nicht aus wichtigem Grund anzuerkennen. Damit ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nicht gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da die Voraussetzungen
des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG und orien-tiert sich
an der Empfehlung in Ziffer 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwal-tungsgerichtsbarkeit
in der Fassung vom Juli 2004, NVwZ 2004, 1327, wonach für die ärztliche Prüfung ein
Streitwert in Höhe von 7.500 EUR vorgesehen ist.
vgl. OVG Niedersachsen Beschluss vom 03.03.2010 - 2 ME 343/09 -
, juris