Urteil des VG Saarlouis vom 21.12.2010
VG Saarlouis: diabetes mellitus, beihilfe, ärztliche behandlung, test, therapie, fürsorgepflicht, verfügung, medizin, gutachter, stadt
VG Saarlouis Urteil vom 21.12.2010, 3 K 735/09
Beamtenrecht, Beihilfe (Proimmuntest, Oxyvenierung nach Dr. Regelsberger, Gabe von
Chelatbildnern und Biomorphometrie der Augen ("talking eyes & more")
Leitsätze
Zur Beihilfefähigkeit der Aufwendungen eines Beamten für Proimmuntest, Oxyvenierung
nach Dr. Regelsberger, Gabe von Chelatbildnern und Biomorphometrie der Augen ("talking
eyes & mores")
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der am ...1943 geborene, als Ruhestandsbeamter für sich selbst und seine Ehefrau jeweils
mit einem Bemessungssatz von 70 vom Hundert beihilfeberechtigte Kläger begehrt Beihilfe
zu den Aufwendungen für die ärztliche Behandlung seiner am 22.01.1946 geborenen
Ehefrau mittels „Oxyvenierung nach Dr. Regelsberger“, ihre Untersuchung durch einen
„Proimmun-Test“ und eine Biomorphometrie der Augen sowie für die Gabe so genannter
Chelat-Bildner (Ca Na EDTA und DMSA) zur Ausleitung von Schwermetallen.
Entsprechende Belege (Nrn. 8 und 10) legte der Kläger mit Beihilfeantrag vom 22.04.2009
vor. Beleg Nr. 8 über einen Rechnungsbetrag von 359,06 Euro betrifft eine
Laboruntersuchung zur Bestimmung von allergenspezifischem Immunglobulin, Beleg Nr. 10
über einen Gesamtrechnungsbetrag von 1.629,15 Euro beinhaltet unter anderem
Rechnungspositionen für Oxyvenierung sowie Injektionen von Ca Na EDTA und DMSA sowie
die Rechnungsposition Analogziffer A 7011 Biomorphometrie hinterer Augenpol, 67,03
Euro.
Mit Beihilfebescheid vom 05.05.2009 wurden die Aufwendungen gemäß Beleg Nr. 8
überhaupt nicht und die Aufwendungen gemäß Beleg Nr. 10 nur mit einem Betrag von
726,70 Euro als beihilfefähig anerkannt. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, bei
dem ImmoProTest handele es sich um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte
Methode, die nicht beihilfefähig sei. Dasselbe gelte für die Behandlung durch Oxyvenierung.
Ca Na EDTA und DMSA Ampullen seien keine Arzneimittel und die Aufwendungen hierfür
schon deshalb nicht beihilfefähig. Die Analogziffer 7011 könne nicht anerkannt werden, weil
es an diesbezüglichen nachvollziehbaren Angaben zur Analogbewertung fehle.
Zur Begründung seines gegen den Beihilfebescheid erhobenen Widerspruchs legte der
Kläger eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes seiner Ehefrau, A. K., A-
Stadt, vom 14.05.2009 vor, der zur Begründung der berechneten Analogziffer 7011 eine
Patienteninformation zu „talking eyes & more“ – Interdisziplinäres Gesundheitsprogramm
& more zur Prävention und Früherkennung von hypertonie- und
diabetesbedingten Gefäßschäden in Gehirn, Auge, Herz und Niere – beigefügt war und in
der des Weiteren die Behandlungsmethode „Oxyvenierung“, die Untersuchung der Ehefrau
des Klägers auf Nahrungsmittelallergien mittels Proimmun-Test sowie die Gabe der Chelat-
Bildner Ca Na EDTA und DMSA zur vollständigen Ausleitung von Schwermetallen verteidigt
wird.
In einer Stellungnahme des von der Beigeladenen im Widerspruchsverfahren angehörten
Amtsarztes heißt es, die vom behandelnden Arzt der Ehefrau des Klägers angewandte
Behandlungsmethode sei wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt.
Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 03.08.2009 wurde der Widerspruch des
Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 03.08.2009 wurde der Widerspruch des
Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung ist (soweit im vorliegenden Rechtsstreit von
Belang) im Wesentlichen ausgeführt, der ImmuProTest und die Oxyvenierung seien
wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden, für die Anlage 2 zu § 5
Abs. 2 BhVO eine Beihilfegewährung ausschließe. Die bei der Ehefrau des Klägers
angewandten Mittel Ca Na EDTA und DMSA Ampullen seien keine Arzneimittel im
arzneimittelrechtlichen Sinne und auch nicht in der so genannten ROTEN LISTE als
Arzneimittel aufgeführt, weshalb hierfür nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 BhVO keine Beihilfe
gewährt werden könne. Zu der Analogziffer 7011 verhält sich der Widerspruchsbescheid
nicht.
Mit am 19.08.2009 bei Gericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger Klage erhoben,
mit der er die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen gemäß Belegen 8 und 10
unter vollständiger Anerkennung ihrer Beihilfefähigkeit begehrt.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der behandelnde Arzt seiner Ehefrau sei im
Widerspruchsverfahren im Nachgang zu seiner Rechnung auf die bestehenden Diagnosen
und die notwendige Behandlungsbedürftigkeit gemäß Analogziffer 7011 eingegangen.
Demgegenüber erschöpfe sich die von der Beklagten in Bezug genommene Stellungnahme
des Amtsarztes, wonach die Behandlung nicht nach einer wissenschaftlich allgemein
anerkannten Behandlungsmethode erfolgt sei, in einem Satz. Auf die eingehende
fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes gehe der Amtsarzt mit keinem Wort
ein und habe auch keinen Kontakt zu ihm aufgenommen. Bei seiner Ehefrau gehe es um
Diabetes mellitus Typ 2, Ausschluss diabetische Retinopathie, Störung der Mikrozirkulation
(bislang 5 Hörstürze), arterielle Hypertonie, enterale Dysbiose, intestinale Barrierestörung,
Ausschluss entzündliche Darmentzündung, Schwermetallinkorporation mit Arsen und Blei,
gluteninduzierte Enteropathie sowie stark erhöhten Bedarf an Mikronährstoffen. Die
Stellungnahme eines Amtsarztes sollte doch auch eine Begutachtung in einem Einzelfall
darstellen und als Ergebnis unter Einbeziehung aller Erkrankungen die notwendige, optimale
Behandlungbedürftigkeit des Patienten ausweisen. Dies sei hier nicht geschehen. Die
Behandlungskosten seien durch die DEBEKA-Krankenversicherung nach den bestehenden
Tarifen anteilig -also ohne Abzüge- übernommen worden. Die Mikrozirkulation und vor allem
der Stoffwechsel seiner Ehefrau hätten sich im Verlauf der von Herrn K. durchgeführten
Behandlung nachweislich verbessert. Dies spiele nach Auffassung der Beklagten überhaupt
keine Rolle. Zudem leide seine Frau seit längerer Zeit an spasmischen
Oberbauchbeschwerden infolge einer Entzündung des Dünn- und Dickdarmes mit
erheblichem Eisenmangel und einer schweren enteralen Barrierestörung. Eine
umfangreiche Ernährungsumstellung sei für die Stabilisierung der Darmfunktion
unumgänglich gewesen. Aus diesem Grund sei auch der "Proimmun-Test" erforderlich
gewesen, damit überhaupt eine zielgerechte Therapie habe erfolgen können. Nach
erfolgter Einstellung und bei völliger glutenfreier Ernährung sei eine leichte Besserung der
Darmfunktion zu verzeichnen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom
05.05.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 zu
verpflichten, ihm auf seinen Beihilfeantrag vom 22.04.2009 eine
weitere Beihilfe in Höhe von 883,06 Euro nebst Verzugszinsen seit
dem 17.05.2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an den ergangenen Bescheiden aus den darin aufgeführten Gründen fest.
Ergänzend trägt sie vor, die Einschätzung des Amtsarztes, es lägen keine wissenschaftlich
allgemein anerkannten Behandlungsmethoden vor, werde durch andere Quellen gestützt.
So habe sich das Verwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 26.5.2004,
Aktenzeichen 1 A 219/02, gegen die Beihilfefähigkeit eines Lebensmittelallergietests
ausgesprochen. Das Landgericht Darmstadt habe mit Urteil vom 15.2.2005, Aktenzeichen
18 O 6/05, festgestellt, dass die Werbung für den Antikörpertest „Imu Pro 300" mit der
Behauptung, damit könnten krankmachende Lebensmittelunverträglichkeiten für exakt
definierte Lebensmittel und Zusatzstoffe identifiziert werden und dessen
Untersuchungsergebnisse ermöglichten eine Heilung chronischer Krankheiten durch
Nahrungsumstellung, bereits deshalb irreführend sei, weil dem Verfahren eine Wirkung
zugeschrieben werde, die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sei. Diese
Entscheidung sei zwar im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Regelungen
ergangen, fuße aber auf dem auch vorliegend relevanten Umstand, dass die
Untersuchungsmethode mit einem Lebensmittelallergietest wissenschaftlich nicht belegt
sei. Das Landessozialgericht Berlin sei in seinem Urteil vom 22.9.1998, Aktenzeichen L 9
Kr 30/98, davon ausgegangen, dass die Oxyvenierungstherapie gerade nicht die
Anforderungen erfülle, die im Sinne eines wissenschaftlichen Statistiknachweises an den
Wirksamkeitsnachweis einer neuen Behandlungsmethode zu stellen seien. Diese
Entscheidung, die zur Frage der Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung
getroffen worden sei, werde auch durch einen aktuelleren Bericht des Arbeitsausschusses
"ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom
30.3.2001 gestützt (http://www.g-ba.de/downloads/40-268-247/HTA-
Oxyvenierungstherapie.pdf). Dort würden auf S. 28 sowohl Nutzen, Wirksamkeit als auch
medizinische Notwendigkeit der Oxyvenierungstherapie eindeutig verneint. Die Auffassung
des Bundesausschusses sei auch hier von Interesse, weil sie zugleich die im Rahmen des
Beihilferechts relevante Frage nach der wissenschaftlichen Anerkennung der
Behandlungsmethode negativ beantworte. Abschließend sei noch auf das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27.6.2003, Aktenzeichen
6 A 1179/02, hinzuweisen. Dort sei die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine
Infusionsbehandlung im Rahmen einer Chelat-Therapie mit EDTA- Lösung verneint worden.
Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag stellt, schließt sich den Ausführungen der
Beklagten an.
Die Kammer hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 08.12.2009 beschlossen, durch
Einholung eines auf der Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Ehefrau des
Klägers zu erstellenden medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben
über folgende Fragen:
1.) Handelt es sich bei den im Falle der Ehefrau des Klägers durch
den A. K., A-Stadt, durchgeführten Maßnahmen (Belege 8 und
10 zum Beihilfeantrag vom 22.04.2009), namentlich:
a. Oxyvenierung nach Dr. Regelsberger,
b. Verabreichung so genannter Chelat-Bildner (CaNa EDTA und
DMSA) zur Ausleitung von Schwermetallen,
c. Proimmuntest im Zusammenhang mit Nahrungsmittelallergien und
d. Biomorphometrie der Augen <„talking eyes & more“>(3 K
735/09),
allgemein
Patientin im Hinblick auf die bei ihr vorliegenden Krankheiten aus
ärztlicher Sicht notwendige und angemessene Methoden zur
Behandlung bzw. Feststellung oder Früherkennung von Krankheiten?
2.) Soweit die Frage zu 1.) verneint wird:
Besteht nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft Aussicht auf
Anerkennung der unter 1.) genannten Methoden als in Fällen der
vorliegenden Art indiziert, was voraussetzt, dass bereits
wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse
vorliegen, die attestieren, dass die Methode zur Heilung der Krankheit
oder zur Linderung der Leidensfolgen geeignet ist und wirksam
eingesetzt werden kann, und sind gegebenenfalls die Möglichkeiten
einer Behandlung mittels wissenschaftlich allgemein anerkannten
Methoden ohne Erfolg ausgeschöpft?
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten des
Prof. Dr. med. M. S. vom 25.07.2010 Bezug genommen.
Die Beteiligten, die Gelegenheit hatten, sich zu dem Sachverständigengutachten zu äußern,
haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den
Berichterstatter nach § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO erklärt und auf weitere mündliche
Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten (1 Hefter), der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2009 und der Entscheidungsfindung war, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne
weitere mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter. § 6
Abs. 2 VwGO steht der Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 87 a Abs. 2 und 3
VwGO angesichts der Wesensverschiedenheit beider Verfahrensvorschriften, insbesondere
mit Blick auf das in § 87 a Abs. 2 VwGO vorausgesetzte und hier ausdrücklich erklärte
Einverständnis der Beteiligten, nicht entgegen.
Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 2 VwGO statthafte und auch im
Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten
weiteren Beihilfeleistungen. Er ist daher durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen
Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung eines in Anwendung der Beihilfevorschriften
erlassenen Verwaltungsaktes erstreckt sich allein darauf, ob dieser mit den Vorschriften
selbst in Einklang steht und ob sich die Beihilfevorschriften in ihrer Anwendung auf den
konkreten Einzelfall in den Grenzen des dem Dienstherrn eingeräumten
Konkretisierungsermessens halten, insbesondere ob eine Beschränkung der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist
(vgl . etwa BVerwG, Urteil vom 20.08.1969 – VI C 130.67 –,
BVerwGE 32, 352).
Beides ist hier der Fall.
Nach den maßgeblichen Beihilfevorschriften steht dem Kläger die begehrte Beihilfe nicht zu.
Abzustellen ist insoweit beihilferechtlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des
Entstehens der Aufwendungen, für die eine Beihilfe begehrt wird
(vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 2 C 35.04 –, ZBR 2006,
195; stdg. Rspr. der Kammer, s. z.B. Urteil der Kammer vom
10.06.2008 – 3 K 31/08 – und zuletzt Urteil der Kammer vom
02.11.2010 – 3 K 478/10 –),
im vorliegenden Fall also auf § 67 SBG F. 2009 i.V.m. der saarländischen
Beihilfeverordnung – BhVO – in der seit dem 01.01.2009 gültigen Fassung.
Nach den demnach anzuwendenden beihilferechtlichen Vorschriften ist der geltend
gemachte Beihilfeanspruch nicht gegeben. Auszugehen ist von § 4 Abs. 1 BhVO, wonach
nur die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang beihilfefähig sind. Nach § 5
Abs. 2 BhVO bestimmen sich Voraussetzungen und Umfang der Beihilfefähigkeit von
Aufwendungen für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchuns- und
Behandlungsmethoden sowie Materialien, Arznei- und Verbandmittel (Buchstabe a) bzw.
Heilbehandlungen nach Absatz 1 Nr. 8, Hilfsmittel nach Absatz 1 Nr. 9 und Behandlungen
von Heilpraktikern (Buchstabe b) nach den Anlagen 2 bis 5 der BhVO. Die in diesen Anlagen
getroffenen Regelungen, die zuvor Gegenstand von Richtlinien waren, sind nunmehr selbst
Teil der BhVO in der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung. In der im vorliegenden Fall
einschlägigen Anlage 2 zu § 5 Abs. 2 Buchstabe a BhVO betreffend die Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden und Mittel
heißt es zunächst unter Nr. 1 allgemein: „Die Gewährung einer Beihilfe zu Aufwendungen
für eine Behandlung oder ein Mittel setzt voraus, dass die Wirksamkeit der Behandlung
oder des Mittels aus therapeutischer Sicht von der medizinischen Wissenschaft allgemein
anerkannt und durch Erfahrung erprobt ist. Diese Voraussetzungen liegen nach dem
neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei in der Praxis verschiedentlich
angewandten Behandlungen und Mitteln nicht vor. Für solche Behandlungsmethoden und
Mittel kann daher eine Beihilfe nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt
werden.“
Für die im Falle der Ehefrau des Klägers durchgeführte Chelat-Infusionstherapie wird eine
Beihilfegewährung bereits durch Nr. 1 Buchstabe C der Anlage 2 zu § 5 Abs. 2 Buchstabe a
BhVO ausdrücklich ausgeschlossen.
Im Übrigen hat die Kammer zu der Frage, ob die bei der Ehefrau des Klägers
durchgeführten streitgegenständlichen Behandlungen wissenschaftlich allgemein
anerkannte und im konkreten Fall der Patientin im Hinblick auf die bei ihr vorliegenden
Krankheiten aus ärztlicher Sicht notwendige und angemessene Methoden zur Behandlung
bzw. Feststellung oder Früherkennung von Krankheiten darstellen, Beweis erhoben durch
Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Das hierzu ergangene
Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. M. S. vom 25.07.2010 besagt eindeutig,
dass die beihilferechtlichen Voraussetzungen einer allgemeinen wissenschaftlichen
Anerkennung der durchgeführten Behandlungsmethoden bzw. der wirtschaftlichen
Angemessenheit der Behandlung nicht gegeben sind. In dem aufgrund einer persönlichen
Untersuchung der Ehefrau des Klägers erstellten Gutachten heißt es insoweit:
Den zitierten Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen lässt sich zur
Überzeugung des erkennenden Gerichts zweifelsfrei entnehmen, dass die
streitgegenständlichen Aufwendungen nicht auf wissenschaftlich allgemein anerkannten
Behandlungsmethoden beruhen (Oxyvenierung, Chelattherapie, Proimmuntest) bzw.
wirtschaftlich nicht angemessen waren („talking eyes & more“), so dass die
Aufwendungen vom Beklagten aus beihilferechtlicher Sicht mit Recht nicht als beihilfefähig
anerkannt wurden. Dabei ist das Gutachten nachvollziehbar und in sich frei von
Widersprüchen. Der Kläger hat auch nichts Substantiiertes vorgetragen, was dieser
Würdigung entgegenstünde. Eine Beihilfegewährung zu den in Rechnung gestellten
Aufwendungen kommt daher nach den beihilferechtlichen Vorschriften mangels
medizinischer Notwendigkeit bzw. Angemessenheit nicht in Betracht.
Die Anwendung der als maßgeblich zitierten Beihilfevorschriften hält sich auch innerhalb der
Grenzen des dem Dienstherrn eingeräumten Konkretisierungsermessens und ist
insbesondere mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar. Der Ausschluss der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte
Behandlungsmethoden ist grundsätzlich - von Sonderfällen abgesehen - mit der durch Art.
33 Abs. 5 GG gewährleisteten Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wie sie für den Bereich der
Krankenvorsorge durch die Beihilferegelungen konkretisiert werden, vereinbar. Hinsichtlich
der Beihilferegelungen im Einzelnen steht dem Normgeber bzw. Dienstherrn in Bund und
Ländern ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung, innerhalb dessen er die
Voraussetzungen, den Umfang sowie die Art und Weise dieser speziellen Fürsorge
bestimmen kann. Von Verfassungs wegen fordert die Fürsorgepflicht nicht den Ausgleich
jeglicher aus Anlass von Krankheits-, Geburts- und Todesfällen entstandener Aufwendungen
und auch nicht deren Erstattung in jeweils vollem Umfang
(Urteil der Kammer vom 20.04.2010 – 3 K 2/09 –, ständige
Rechtsprechung: vgl. BVerfGE 83, 89 <101>; BVerwGE 60, 212
<219> = DÖV 1981, S. 101; BVerwG, Beschluss vom 03.03.1989
- 2 NB 1.88 -, Buchholz 271 Nr. 6; OVG Saarlouis, Urteil vom
16.01.1996 - 1 R 19/93 -).
Insbesondere ist die Fürsorgepflicht nicht durch die vorgesehene Begrenzung der Beihilfe
auf Aufwendungen verletzt, die dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach
angemessen sind. Zwar wird bei der Prüfung der Notwendigkeit regelmäßig der Beurteilung
des Arztes zu folgen sein
(Urteil der Kammer vom 20.04.2010 – 3 K 2/09 –, BVerwG, Urteil
vom 28.11.1963 - 8 C 72.63 -, Buchholz 238.91 Nr. 2).
Eine Ausnahme hierfür gilt jedoch für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden. Die
Gewährung von Beihilfen, die aus allgemeinen Steuergeldern finanziert werden, gründet
nämlich auf der Erwartung, dass die Heilbehandlung zweckmäßig ist und hinreichende
Gewähr für eine möglichst rasche und sichere Therapie bietet. Aus der Sicht des
Dienstherrn ist es deshalb nicht ohne Belang, ob die von ihm (mit-)finanzierte Behandlung
Erfolg verspricht oder nicht. Dass das öffentliche Interesse an einer effektiven und
sparsamen Verwendung von Steuergeldern eine Begrenzung der Beihilfe auf
erfolgversprechende Behandlung zulässt, ist schon frühzeitig von der Rechtsprechung
anerkannt worden
(vgl. BAG, Urteil vom 24.11.1960, Autovaccine-Behandlung, 1961
BeihilfeGr Nr. 4; BVerwG, Urteil vom 28.11.1963 - 8 C 72.63 -,
Buchholz 238.91 Nr. 2).
Allerdings kann das von der Fürsorgepflicht getragene Gebot, eine Beihilfe zu "dem Grunde
nach" notwendigen Aufwendungen zu leisten, den Dienstherrn in Ausnahmefällen auch
dazu verpflichten, die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten
Behandlungsmethode nach den jeweiligen Bemessungssätzen zu erstatten. Diese
Verpflichtung besteht dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode
für die Behandlung einer bestimmten Krankheit - z.B. unbekannter Genese - noch nicht
herausgebildet hat, wenn im Einzelfall - z.B. wegen einer Gegenindikation - das anerkannte
Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg
eingesetzt worden ist. Unter diesen Voraussetzungen wird ein verantwortungsbewusster
Arzt auch solche Behandlungsmethoden in Erwägung ziehen, die nicht dem allgemeinen
Standard der medizinischen Wissenschaft entsprechen, aber nach ernst zu nehmender
Auffassung noch Aussicht auf Erfolg bieten.
Stehen wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden zur Behandlung einer Erkrankung
oder zur Linderung von Leidensfolgen nicht zur Verfügung, können auch Aufwendungen für
so genannte "Außenseitermethoden" notwendig und angemessen und damit beihilfefähig
sein, wenn die Aussicht besteht, dass eine solche Behandlungsmethode nach einer
medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft
noch wissenschaftlich anerkannt werden kann. Dafür ist es erforderlich, dass bereits
wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren,
dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von
Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann
(BVerwG, Urteil vom 18.06.1998, a.a.O.; ähnlich bereits OVG
Saarlouis, Urteil vom 16.01.1996, a.a.O.).
In derartigen Ausnahmefällen ist es einerseits unerheblich, ob die angewandte
Behandlungsmethode - für den Regelfall zu Recht - durch allgemeine ministerielle
Bestimmungen als "wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt" von der Beihilfefähigkeit
ausgeschlossen worden ist. Andererseits kommt es auch nicht darauf an, ob die
wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode im konkreten Einzelfall -
wie angeblich auch hier - zu einem therapeutischen Erfolg geführt hat; eine solche
"Erfolgsabhängigkeit" ist dem Beihilferecht fremd
(vgl. Urteil der Kammer vom 20.04.2010 – 3 K 2/09 –; Urteil der
Kammer vom 19.05.1998, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteil
vom 29.06.1996 - 2 C 15.94 -, DÖV 1996, 36 f.; OVG Saarlouis,
Urteil vom 16.01.1996, a.a.O.; zuletzt Urteile der Kammer vom
02.02.1999 - 3 K 474/96 - (Heileurhythmie), 02.03.1999 - 3 K
202/98 - (Vitamin E als Reinfarkt-Prophylaxe) und 28.04.1999 - 3 K
125/94 - (Akupunktmassage)).
Ebenso unerheblich ist der (in anderen Fällen immer wieder ins Feld geführte)
Kostengesichtspunkt: Den dortigen Klägern leuchtete nicht ein, dass teure aber erfolglose
schulmedizinische Behandlungen beihilfefähig sind, nicht aber vergleichsweise
kostengünstige und erfolgreiche aber schulmedizinisch nicht anerkannte Methoden. Diese
Betrachtungsweise lässt sowohl die eben angesprochene Erfolgsunabhängigkeit des
Beihilferechts außer acht wie den ebenfalls erwähnten Grundsatz der effektiven und
sparsamen Verwendung von Steuergeldern, dem prinzipiell nur dadurch Rechnung
getragen wird, dass "notwendig" und "angemessen" nur solche Methoden sind, die von
ihrer Konzeption her anerkanntermaßen Erfolg versprechend sind.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht dem Kläger kein Beihilfeanspruch zu den
Aufwendungen für die bei seiner Ehefrau angewandten Behandlungsmethoden zu. Der
Sachverständige, Prof. Dr. med. S., gelangt in seinem Gutachten vom 25.07.2010 nämlich
zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die von ihm als wissenschaftlich nicht allgemein
anerkannten Behandlungsmethoden keine Aussicht bieten, in absehbarer Zeit noch
anerkannt zu werden (Oxyvenierung, Chelattherapie, Pro Immun Test), und die Ehefrau
des Klägers die zur Verfügung stehenden wissenschaftlich anerkannten
Behandlungsmethoden im Übrigen nicht ausgeschöpft hat.
Die Versagung von Beihilfe erscheint auch mit Blick auf die Höhe der streitgegenständlichen
Aufwendungen nicht fürsorgepflichtwidrig. Die Beihilfe ist ihrem Wesen nach eine
Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem
Umfang hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht
entsprechenden Weise durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern. Dabei
ergänzt die Beihilfe nach der ihr zugrunde liegenden Konzeption lediglich die Alimentation
des Beamten. Die Beihilfe muss allein sicherstellen, dass der Beamte in den genannten
Fällen nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die für ihn unabwendbar sind
und denen er sich nicht entziehen kann
(BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89
<100f.> = NJW 1991, 743; Beschluss vom 16.09.1992 - 2 BvR
1161/89 u.a. - NVwZ 1993, 560 = DÖD 1993, 233; Urteil der
Kammer vom 20.04.2010 – 3 K 2/09 – m.w.Nw).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil es sich bei den geltend gemachten
Aufwendungen angesichts der Verfügbarkeit wissenschaftlich anerkannter
Behandlungsmethoden nicht um solche handelt, die für den Kläger und seine Ehefrau
unabwendbar waren und denen sie sich nicht entziehen konnten.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO; die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 ZPO.
Für eine Zulassung der Berufung besteht kein Anlass (vgl. § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §
124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO).
Beschluss
883,06 Euro