Urteil des VG Saarlouis vom 02.09.2009

VG Saarlouis: vorläufiger rechtsschutz, bundesamt für migration, aufenthaltserlaubnis, rechtskraft, asylverfahren, emrk, zukunft, verschulden, hauptsache, abschiebung

VG Saarlouis Beschluß vom 2.9.2009, 10 L 576/09
Abänderbarkeit ausländerrechtlicher Entscheidungen nach vorheriger Entscheidung im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren
Leitsätze
Der Änderungsbefugnis des Verwaltungsgerichtsgerichts im Verfahren gemäß § 80 Abs. 7
VwGO analog steht die vom Oberverwaltungsgericht im vorgängigen
Eilrechtsschutzverfahren getroffene Entscheidung nicht entgegen, da Beschlüsse nach §
123 VwGO nur im eingeschränkten Umfang, und zwar vorbehaltlich ihrer Abänderbarkeit
nach Maßgabe des § 80 Abs. 7 VwGO analog, informeller und materieller Rechtskraft
erwachsen, und es im Abänderungsverfahren um den Fortbestand einer Entscheidung für
die Zukunft und nicht um die Überprüfung deren (ursprünglicher) Rechtmäßigkeit geht.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Der im vorliegenden Verfahren gestellte Antrag, "den Antragsgegner im Wege des Erlasses
einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO zu verpflichten, von
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
abzusehen", wird dahingehend aufgefasst (§ 88 VwGO), dass der Antragsteller in
Abänderung der ablehnenden Entscheidung über sein vorgängiges Gesuch um einstweiligen
Rechtsschutz gegenüber der ihm drohenden Abschiebung in das Kosovo die in seinem
Antrag bezeichnete einstweilige Anordnung begehrt.
Der so ausgelegte Antrag ist analog § 80 Abs. 7 VwGO statthaft, nachdem sowohl das
Verwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 2.4.2009 (L …) als auch das
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 27.5.2009 (B ...) ein erstes
Gesuch des Antragstellers auf Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit seiner
Ausreisepflicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO als unzulässig und dessen weiteren Antrag auf
den Erlass einer aufenthaltsbeendende Maßnahmen untersagenden einstweiligen
Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO als unbegründet zurückgewiesen haben.
Der Antrag auf Abänderung dieser gerichtlichen Entscheidung leitet ein eigenständiges
Verfahren ein, in dem geprüft wird, ob im jetzigen Zeitpunkt die ursprüngliche
Eilentscheidung noch aufrechtzuerhalten oder aber zu ändern ist. Dabei ist die
ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Abänderungsverfahren gemäß § 80 Abs. 7 VwGO
(für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO) auf einstweilige Anordnungen nach § 123 Abs.
1 VwGO entsprechend anwendbar. Zuständig für die Entscheidung über den
Abänderungsantrag ist nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO das Gericht der Hauptsache, mithin
vorliegend gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 VwGO das Gericht des ersten Rechtszuges bzw.
das Verwaltungsgericht des Saarlandes, bei welchem das dazugehörige Klageverfahren (K
...) anhängig ist. Der Änderungsbefugnis des Verwaltungsgerichts steht die vom
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes getroffene Entscheidung im Beschluss vom
27.5.2009 nicht entgegen, da Beschlüsse nach § 123 VwGO nur in eingeschränktem
Umfang, und zwar vorbehaltlich ihrer Abänderbarkeit nach Maßgabe des § 80 Abs. 7
VwGO analog, in formeller und materieller Rechtskraft erwachsen, und - wie bereits
erwähnt - es im Abänderungsverfahren um den Fortbestand einer Entscheidung des
Eilrechtsschutzes für die Zukunft und nicht um die Überprüfung von deren (ursprünglicher)
Rechtmäßigkeit geht.
Vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom
20.4.1983, 2 W 14/83, DÖV 1983,989; VG des
Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008, 2 L 730/08, jeweils
zitiert nach juris; ferner: Finkenburg/Dombert/Külpmann,
Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren,
5. Aufl. 2008, Rdnrn. 486 ff.; Kopp/Schenke, VwGO,
Kommentar, 15. Aufl. 2007 § 80 Rdnrn. 190 ff. sowie §
123 Rdnr. 41
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (analog) kann jeder Beteiligte die Änderung oder
Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht
geltend gemachter Umstände beantragen. Diese Voraussetzungen sind indes vorliegend
nicht erfüllt. Vielmehr erörtert der Antragsteller in seiner Antragsschrift im Wesentlichen
vertiefend seine Rechtsansicht, wonach ihm ein Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zusteht. Dabei trägt er unter Vorlage
ärztlicher Atteste zwar erstmals vor, dass er dauerhaft schwer erkrankt und ihm ein
Aufenthalt in seinem Heimatland nicht zumutbar sei, weil er dort weder alle von ihm
benötigten Medikamente in adäquater Qualität erhalten, noch die monatlichen Kosten für
diese in Höhe von circa 208 EUR aufbringen könne. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um
veränderte Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, denn ausweislich der vom
Antragsteller zu den Akten des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes im Verfahren über
eine Gehörsrüge gemäß § 152 a VwGO (B ...) eingereichten ärztlichen Atteste leidet er
bereits seit längerer Zeit an den betreffenden Erkrankungen. Auch hat der Antragsteller in
seiner Antragsschrift nicht dargelegt, dass er im ursprünglichen Verfahren ohne
Verschulden gehindert war, seine Erkrankung(en) bzw. daraus herzuleitende rechtliche
Folgerungen vorzubringen.
Erweist sich der Antrag somit nach Maßgabe des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO als unzulässig,
ist er indes insoweit zulässig, als er darüber hinaus als Anregung an das Gericht aufgefasst
werden kann, gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog die bisherige Entscheidung zu
überdenken und antragsgemäß abzuändern. Nach der genannten Vorschrift kann das
Gericht Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 bzw. § 123 VwGO - von Amts wegen -
jederzeit ändern oder aufheben. Damit ist eine Abänderung indes nicht in das Belieben des
Gerichts gestellt. Vielmehr setzt eine Änderung stets voraus, dass die Rechtslage jetzt
anders beurteilt wird oder die Interessenabwägung korrekturbedürftig erscheint.
Vgl. dazu Finkenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl.
2008, Rdnr. 494; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15.
Aufl. 2007 § 80 Rdnrn. 192 f.
Einen Grund zur Abänderung der bisherigen Entscheidung sieht die Kammer jedoch nicht.
Vielmehr ist der neue Sachvortrag des Antragstellers für die Beurteilung der Rechtslage im
Ergebnis irrelevant, so dass es bei der bisherigen ablehnenden Beschlussfassung im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu verbleiben hat.
Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat in seinem Beschluss vom 27.5.2009 (B
...) die Sach- und Rechtslage überzeugend und umfassend dargelegt. Die hiergegen
gerichtete Argumentation des Antragstellers vermag nicht zu überzeugen. So führt es im
Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage, wenn der Antragsteller darzulegen
versucht, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG zustehe, weil der Antragsgegner aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null
gezwungen sei, gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den allgemeinen Voraussetzungen
für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (kein
Ausweisungsgrund) und § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG (Einreise mit dem
erforderlichen Visum) abzusehen. Insoweit hat nämlich das Oberverwaltungsgericht des
Saarlandes in seinem Beschluss vom 27.5.2009 im Ergebnis nach wie vor zutreffend
ausgeführt, dass aufgrund des Vorbringens des Antragstellers "ferner", das heißt
abgesehen vom Fehlen der genannten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, "... nicht
davon ausgegangen werden kann, dass seine Ausreise (§ 25 Abs. 5 AufenthG) bzw. seine
Abschiebung (§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
unmöglich ist und ihm aus diesem Grund ein Anspruch auf vorläufiges Unterbleiben
aufenthaltsbeendender Maßnahmen zusteht (oder gar eine Aufenthaltserlaubnis auf der
Grundlage von § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden könnte)". Wie die weiteren
Darlegungen des Oberverwaltungsgerichts zu Art. 6 GG wegen der Ehe des Antragstellers
mit einer deutschen Staatsangehörigen sowie zu Art. 8 EMRK im Hinblick auf den vom
Antragsteller geltend gemachten Status eines so genannten faktischen Inländers zeigen, ist
insoweit bereits der Tatbestand des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht erfüllt, so dass das
aufgrund dieser Vorschrift bzw. nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgesehene behördliche
Ermessen nicht eröffnet ist.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller nunmehr geltend macht, es
sei ihm wegen seiner Erkrankung nicht zuzumuten, auch nur vorübergehend in sein
Heimatland zurückzukehren, um die Formalitäten für eine ordnungsgemäße Wiedereinreise
zu erledigen. Diesbezüglich kann im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden, ob
ein Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Der Antragsgegner ist
nämlich daran gehindert, ein darin eventuell liegendes Abschiebungsverbot gemäß § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen, weil im früheren (erfolglosen) Asylverfahren des
Antragstellers hierzu eine negative, den Antragsgegner rechtlich bindende Entscheidung
(vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG) getroffen worden ist.
Vgl. dazu nur das u.a. den Antragsteller betreffende Urteil
des OVG des Saarlandes vom 4.8.2000, 3 R 116/99 (VG:
10 K 174/98.A), rechtskräftig sei dem 23.10.2000
Mit anderen Worten könnte das hier vom Antragsteller gemachte zielstaatsbezogene
Abschiebungsverbot hinsichtlich des Kosovo alleine das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in einem weiteren, bei diesem zu betreibenden Verfahren feststellen mit der
Folge, dass gegebenenfalls sowohl ein Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1
AufenthG bestünde, als auch bei der Erteilung des entsprechenden Aufenthaltstitels nach §
25 Abs. 3 AufenthG von den allgemeinen Voraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 und 2
AufenthG nach Maßgabe des § 5 Abs. 3 Satz 1 (zwingend) abzusehen wäre. Aus diesen
Gründen ist die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts
Stuttgart
vgl. dessen Urteil vom 4.12.2008, 2 K 3190/08, bestätigt
durch den Beschluss des VGH Mannheim vom 31.3.2009,
13 S 44/09, jeweils zitiert nach juris
hier nicht einschlägig; in dem bezeichneten Urteil ging es nämlich um den Fall eines
kongolesischen Staatsangehörigen, bei welchem - anders als vorliegend - unstreitig ein
Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorlag und eine
Ermessensreduzierung auf Null (im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) im Hinblick
auf das Absehen von der Einhaltung des Visumszwangs angenommen wurde, weil nach
den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart dem betreffenden Kläger aufgrund
allgemeiner Gesundheitsgefahren im Heimatland, welche im Asylverfahren nicht zur
Feststellung eines Abschiebungshindernisses geführt hätten, die Rückkehr nicht zumutbar
war.
Schließlich lassen sich die umfänglichen Ausführungen des Antragstellers zur
Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf den Schutz des Art. 8 EMRK für die
Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht fruchtbar machen, da es sich hier gerade
nicht um den Fall einer dauerhaften Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland mit
langfristigen Folgen für die private Lebensgestaltung des Betroffenen handelt und daher die
in der diesbezüglichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entgegen der Ansicht des
Antragstellers auf seinen Fall nicht übertragbar sind bzw. keine abweichende rechtliche
Beurteilung gebieten.
Insgesamt gesehen muss es somit bei der bisherigen Entscheidung über das
Rechtsschutzbegehren des Antragstellers verbleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG
und übernimmt die im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahre
2004 enthaltene Empfehlung zu Ziffer 8.3 (halber Auffangwert).