Urteil des VG Saarlouis vom 03.08.2009

VG Saarlouis: Erhöhung der Abfallentsorgungsgebühr, unechte rückwirkung, abgabe, verkündung, vollstreckung, satzung, rechtsnorm, verfassung, vollstreckbarkeit, rechtsgrundlage

VG Saarlouis Urteil vom 3.8.2009, 11 K 358/09
Rückwirkende Erhöhung der Abfallentsorgungsgebühr
Leitsätze
Es ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass aus dem Grundsatz der Jahresbezogenheit
einer Abgabe zu folgern ist, dass die Abgabenpflichtigen noch bis zum Ablauf des
Veranlagungszeitraums mit nachteiligen Änderungen rechnen müssen. Insofern kann sich
kein schutzwürdiges Vertrauen bilden, dass man in dem laufenden Heranziehungszeitraum
nicht zu einer höheren Gebühr herangezogen würde.
Tenor
I. Zu dem Verfahren wird der Entsorgungsverband Saar beigeladen.
II. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen - trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren
(Widerspruchsbescheid vom 26.03.2009, dem Kläger am 15.04.2009 zugestellt) mit
seiner am 23.04.2009 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage gegen einen
Abgabenänderungsbescheid des Beklagten vom 09.07.2008, mit dem er für das
Kalenderjahr 2008 zu einer weiteren Abfallentsorgungsgebühr in Höhe von 14,88 EUR
herangezogen wurde.
Der Kläger trägt vor, die Erhöhung der Müllgebühren für das laufende Jahr sei rechtswidrig.
Es liege eine echte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich unzulässig sei, wozu er näher
ausführt.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Abgabenänderungsbescheid des Beklagten vom
09.07.2008 und den Widerspruchsbescheid aufzuheben.
Der Beklagte, der die Berechnung der Müllgebühren für rechtmäßig hält, hat keinen Antrag
gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsunterlagen und der Widerspruchsakte, der
Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne
mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter (vgl. § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO)
entschieden werden kann, ist als Anfechtungsklage gegen den Abgabenänderungsbescheid
des Beklagten vom 09.07.2008 gem. §§ 40, 42 Abs. 1, 68 ff. VwGO zulässig, aber
unbegründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger schon von daher nicht in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der hier in Rede stehenden Abfallentsorgungsgebühren sind die §§ 1, 2
und 6 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) sowie § 21 der Satzung über das
Einsammeln und Befördern von Abfällen im Verbandsgebiet des Entsorgungsverbandes
Saar - Hausabfallentsorgungssatzung - vom 06.12.2005 i. d. F. der 1. Änderungssatzung
vom 29.04.2008.
Die zwischen den Beteiligten allein in Streit stehende Frage, ob die rückwirkende
Erhöhung der Abfallentsorgungsgebühren durch das Inkrafttreten dieser Satzung
zum 01.01.2008 rechtlich zulässig ist, ist zu bejahen. Es liegt entgegen der
klägerischen Auffassung keine echte Rückwirkung vor.
Eine Rechtsnorm entfaltet Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen
Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt
liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich
einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen ihrer Regelung
eintreten sollen. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes
Gesetz, dessen Rechtsfolgen für einen frühestens mit der Verkündung
beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon
für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum
eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sog. echte Rückwirkung) ist
grundsätzlich unzulässig und ist dadurch gekennzeichnet, dass das neue Gesetz
nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende und
abgeschlossene
(oder tatbestandliche Rückanknüpfung), die grundsätzlich zulässig ist,
anzunehmen, in denen Sachverhalte, die in der Vergangenheit bereits
verwirklicht, aber in der Gegenwart noch nicht abgeschlossen sind, anders
geregelt werden
vgl. nur Urteil der Kammer vom 22.09.2006 -11 K 10/06- m.w.N.
sowie BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE
72, 200 = DVBl 1986, 814 = NJW 1987, 1749 und vom
03.12.1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67 = DVBl 1998, 465 =
NJW 1998, 1547 = DÖV 1998, 465; BVerwG, Urteil vom
13.09.2006 - 6 C 10.06 - NVwZ-RR 2007, 192 = Buchholz 451.61
KWG Nr. 20.
Vorliegend ist mit Blick auf das Jahr 2008 keine echte Rückwirkung gegeben. Denn es ist
grundsätzlich zulässig, während eines laufenden Veranlagungszeitraumes (hier des
streitgegenständlichen Heranziehungsjahres 2008) Änderungen an der Erhebung der
Steuern bzw. Gebühren vorzunehmen
vgl. nur OVG des Saarlandes, (Teil)Urteil vom 05.09.2007 -1 A
44/07-, S. 52 des Urteilsabdrucks (I.4.) m.w.N..
Da nach § 21 Abs. 6 Hausabfallentsorgungssatzung die "Müllgebühr" in einem festen
Jahresbetrag für das jeweilige laufende Kalenderjahr erhoben wird, konnte sich hinsichtlich
der Frage einer Änderung der Gebührensatzung während des laufenden Jahres ein
schutzwürdiges Vertrauen grundsätzlich nicht bilden, da insoweit kein abgeschlossener
Gebührenzeitraum vorlag. Denn jeder muss damit rechnen, dass bis zum Ablauf des
Kalenderjahres und damit des Veranlagungszeitraumes Änderungen in der
Gebührenerhebung vorgenommen werden (so ausdrücklich OVG des Saarlandes, a.a.O.;
diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, in der anerkannt ist, dass
aus dem Grundsatz der Jahresbezogenheit einer Abgabe gefolgert wird, dass die
Abgabenpflichtigen noch bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums mit nachteiligen
Änderungen rechnen müssen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986 -2 BvL 2/83-
a.a.O., S. 252 ff. und BVerwG, Urteil vom 26.02.2003 -9 CN 2.02-, S. 7 des amtl.
Umdrucks.). Insofern konnte sich bei dem Kläger für das Jahr 2008 kein schutzwürdiges
Vertrauen bilden, dass er in diesem Jahr nicht zu einer höheren Gebühr herangezogen
würde.
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen; für eine Kostenentscheidung zu Gunsten (§ 162 Abs. 3 VwGO)
oder zu Lasten (§ 154 Abs. 3 VwGO) des Beigeladenen bestand keine
Veranlassung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus
den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.