Urteil des VG Saarlouis vom 19.07.2006

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VG Saarlouis Beschluß vom 19.7.2006, 5 F 17/06
Unzulässigkeit eines Carports an der Nachbargrenze; Berechnung der mittleren Wandhöhe
Leitsätze
Bei der Frage, ob ein auf der Grenze errichteten Carport gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 b) LBO
verfahrensfrei ist, ist für die Bemessung der Wandhöhe auf die natürliche an das Gebäude
angrenzende Geländeoberfläche abzustellen, sofern keine sich aus den Festsetzungen
einer städtebaulichen Satzung ergebende oder von der Bauaufsichtsbehörde festgelegte
Satzung ergebende oder von der Bauaufsichtsbehörde festgelegte Geländeoberfläche
besteht. Dies gilt auch für die Frage, ob der Carport nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m.
Satz 4 LBO in den Abstandsflächen privilegiert ist.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller wenden sich gegen eine baurechtliche Verfügung, mit der ihnen unter
Anordnung des Sofortvollzugs aufgegeben wurde, sämtliche weitere Bauarbeiten zur
Fertigstellung eines Carportes auf ihrem Grundstück in der Gemarkung D., Flur 03,
Flurstück .../7 einzustellen, und mit der für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in
Höhe von 250 Euro angedroht und aufschiebend bedingt festgesetzt wurde.
Hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages bestehen keine Bedenken. Der Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 09.06.2006 gegen
die im Bescheid des Antragsgegners vom 30.05.2006 enthaltene Baueinstellung ist nach §
80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO statthaft, da insoweit gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO der
Sofortvollzug angeordnet wurde.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Die vom Gericht zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich danach, ob
ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
Verfügung schriftlich hinreichend begründet wurde (§ 80 Abs. 3 VwGO) und ob es
gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seines Rechtsbehelfs schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Im Rahmen der
Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs zu berücksichtigen. Die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in der Regel
abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem derzeitigen Erkenntnisstand offensichtlich
aussichtslos ist; umgekehrt überwiegt bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht des
Widerspruchs das Aussetzungsinteresse des Antragstellers (vgl. Kopp, VwGO, 14. Aufl., §
80 Rz. 158).
Der vom Antragsgegner im Bescheid vom 30.05.2006 angeordnete Sofortvollzug genügt
den in § 80 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO geregelten formalen Anforderungen. In dem
angefochtenen Bescheid ist in ausreichendem Maße begründet, warum ein besonderes
öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Anordnung besteht. Der
Antragsgegner hat das aus seiner Sicht bestehende besondere öffentliche Interesse an
einer sofortigen Vollziehung der Verfügung ausreichend dargelegt, indem er mit Blick auf
die formelle Widerrechtlichkeit der Bauausführung das öffentliche Interesse an der
sofortigen Stillegung herausgestellt hat und darauf hinweist, dass für den Fall der weiteren
Ausführung ein Zustand entstünde, der mit den baurechtlichen Vorschriften unvereinbar
sei. Diese Ausführungen reichen zur Begründung aus, da es bei der Anordnung einer
Baueinstellung grundsätzlich ausreicht, wenn die Behörde zur Begründung des
Sofortvollzuges darauf verweist, dass im Fall der Fortsetzung der Bauarbeiten mit der
Schaffung vollendeter baurechtswidriger Zustände zu rechnen ist (vgl. OVG des
Saarlandes, Beschlüsse vom 18.09.1991 - 2 W 19/91 - m.w.N. und vom 08.12. 1994 - 2
W 40/94 -). Dabei bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung der saarländischen
Verwaltungsgerichtsbarkeit in derartigen Fällen keines besonderen Eingehens auf den
konkreten Einzelfall. Bei der Baueinstellungsverfügung ergibt sich das besondere Interesse
an ihrer sofortigen Vollziehung sozusagen aus ihrem "Wesen" (vgl. hierzu etwa: OVG des
Saarlandes, Beschluss vom 01.06.1990 - 2 W 39/90 - S. 4 f.; VG des Saarlandes,
Beschlüsse vom 07.09.1992 - 2 F 56/92 - m.w.N., vom 10.12.1992 - 2 F 86/92 - und
vom 22.10.1998 - 2 F 166/98 -). Die Durchsetzung der baurechtlichen
Genehmigungspflicht wäre im Übrigen generell nur schwer möglich, wenn im Schutze der
aufschiebenden Wirkung nach dem Willen des Gesetzgebers zulassungsbedürftige, aber
unter Umgehung des Genehmigungserfordernisses bereits aufgenommene Bauarbeiten
unter Umständen bis zur Fertigstellung fortgesetzt würden.
Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens ist davon auszugehen, dass der Widerspruch der Antragsteller
vom 09.06.2006 gegen die Baueinstellung keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Kammer hält
den angegriffenen Bescheid des Antragsgegners vom 30.05.2006 für offensichtlich
rechtmäßig.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Baueinstellungsverfügung liegen
ersichtlich vor. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 LBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung
von Bauarbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen
Vorschriften errichtet werden. Nach § 81 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO gilt dies insbesondere
dann, wenn mit der Ausführung von genehmigungsbedürftigen Bauarbeiten ohne die
erforderliche Genehmigung begonnen wurde.
Die Errichtung des von den Antragstellern bereits teilweise ausgeführten Carports unterliegt
nach § 60 Abs. 1 LBO der Genehmigungspflicht, da dieser weder nach § 61 LBO
verfahrensfrei noch nach § 63 LBO genehmigungsfrei ist. Daher konnte der Antragsgegner
- ungeachtet der hier bereits in der summarischen Überprüfung zu erkennenden wohl
fehlenden Genehmigungsfähigkeit der im Bau befindlichen Anlage aufgrund des Verstoßes
gegen die Grenzabstandsvorschriften der §§ 7, 8 LBO - die Baueinstellung allein schon auf
Grund des Fehlens der erforderlichen Baugenehmigung verfügen.
Zunächst ist festzustellen, dass das Vorhaben der Antragsteller nicht gemäß § 61 Abs. 1
Nr. 1 b) LBO verfahrensfrei ist. Nach dieser Vorschrift sind Garagen einschließlich
Abstellraum mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und bis zu 36 m² Bruttogrundfläche
verfahrensfrei. Diese Regelung kann jedoch auf das Vorhaben der Antragsteller nicht
angewandt werden, da dessen mittlere Wandhöhe tatsächlich mehr als 3 m beträgt.
Der von den Antragstellern bereits teilweise errichtete Carport weist nach den von
Mitarbeitern des Beklagten vor Ort getroffenen Feststellungen eine Höhe zwischen 3,80 m
und 4,00 m auf und übersteigt damit eine mittlere Wandhöhe von 3,00 m deutlich. Bei der
Zugrundelegung der maßgeblichen Höhe ist der Antragsgegner auch zutreffend vom
derzeit auf dem Grundstück der Antragsteller bestehenden natürlichen Gelände
ausgegangen. Bei der Bemessung der Wandhöhe nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 b) LBO ist ebenso
wie bei der Wandhöhe nach § 8 Abs. 2 Nr. 7 LBO gemäß § 2 Abs. 7 LBO entweder auf die
sich aus den Festsetzungen einer städtebaulichen Satzung ergebende oder von der
Bauaufsichtsbehörde festgelegte oder, falls derartige Festlegungen nicht bestehen, auf die
natürliche, an das Gebäude angrenzende Geländeoberfläche abzustellen (vgl. OVG des
Saarlandes, Urteil vom 23.04.2002 - 2 R 7/01 -, BauR 2003, 1865). Daher ist unerheblich,
ob sich Veränderungen der Höhe des geplanten Gebäudes dadurch ergeben, dass im
Verlaufe der Errichtung noch Aufschüttungen vorgenommen werden, so dass der Abstand
zwischen dem nach Fertigstellung des Gebäudes bestehenden Boden und dem Dach dann
möglicherweise weniger als 3 m beträgt. Das kann ohnehin nur im Rahmen eines
förmlichen Bauantrags anhand der darin enthaltenen verbindlichen Bauzeichnungen
beurteilt werden. Daran fehlt es bislang. Für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens
ist es weiter unerheblich, ob der Vortrag der Antragsteller überhaupt zutrifft, dass nach
Fertigstellung des Carportes der Abstand zwischen dessen Boden und dem bereits
vorhandenen Dach weniger als 3 m betragen würde. Das Gericht vermag nicht
nachzuvollziehen, warum die Antragsteller die Gründung der Stützen des Carportes, die
lediglich aus verzinkten, mit Abstand zum Untergrund einbetonierten Balkenschuhen
besteht, auf dem Niveau des natürlichen Boden vornimmt, um dann nachfolgend dort
aufzuschütten. Zum Einen ist eine solche Bauausführung handwerklich völlig unsinnig, da
beim Auffüllen des Niveaus um –wie hier erforderlich- nahezu 80 cm, die Balkenschuhe
überschüttet würden. Dadurch erhielten die Holzpfähle Bodenkontakt und ihr Wegfaulen
wäre vorprogrammiert.
Zum anderen liegt die Unterkante des den Carport nach hinten bereits abschließenden
Holzgattertores bzw. Zaunes auf dem Höhenniveau der Balkenschuhe. Wird der Boden des
Carports in dem erforderlichen Umfang höher gelegt, verschwände auch das Holzgatter
mit seiner unteren Hälfte im Erdreich.
Auch die Voraussetzungen für eine Genehmigungsfreiheit der ausgeführten baulichen
Anlage nach § 63 LBO liegen offensichtlich nicht vor.
Es ist außerdem davon auszugehen, dass das Vorhaben der Antragsteller auch nicht die
Abstandflächenvorschriften der §§ 7, 8 LBO einhält. Auf Grund des Umstandes, dass die
mittlere Wandhöhe des von den Antragstellern teilweise errichteten Carports 3 m
überschreitet, ist er nicht nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 4 LBO privilegiert, so
dass er nach § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 4 LBO eine Abstandsfläche von 3 m einhalten
muss. Daher ist das Bauwerk der Antragsteller auch materiell baurechtswidrig.
Die Frage, ob für den geplanten Carport eine Baugenehmigung unter Befreiung von den
Abstandsflächenvorschriften erteilt werden kann, muss im Rahmen eines
Baugenehmigungsverfahren geprüft werden.
Ein entsprechende Überprüfung der Genehmigungsfähigkeit des Carportes der
Antragsteller hat der Antragsgegner bereits in dem angegriffenen Bescheid in Aussicht
gestellt.
Die vom Antragsbegehren der Antragsteller mitumfasste Anordnung der nach §§ 80 Abs. 2
Satz 2 VwGO, 20 AGVwGO entfallenden aufschiebenden Wirkung gegen die Androhung
und bedingte Festsetzung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nichtbefolgung der
Nutzungsuntersagung hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Zwangsgeldandrohung entspricht
den Vorschriften der §§ 13 ff., 20 SVwVG. Insbesondere bedarf es beim Erlass einer
Baueinstellungsverfügung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. SVwVG ausdrücklich keiner
besonderen Fristsetzung.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1
GKG. Das vermögensmäßige Interesse der Antragsteller an der Aufhebung der
Einstellungsverfügung schätzt die Kammer dabei auf 1.000,-- Euro. Die
Zwangsgeldandrohung ist bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen (vgl. Ziffer
1.6.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. der am 07./08. Juli
2004 beschlossenen Änderungen). Dieser Betrag ist bei Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Ziffer 1.5 des o.g. Streitwertkataloges).