Urteil des VG Saarlouis vom 24.11.2006

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VG Saarlouis Urteil vom 24.11.2006, 5 K 97/05.A
Asylverfahren eines staatenlosen Palästinensers aus der Westbank
Leitsätze
1. Von einer Einreise auf dem Luftwege ist auszugehen, wenn das
Luftverkehrsunternehmen bereit ist, den Betreffenden auf seine Kosten wieder außer
Landes zu bringen.
2. Zum Anknüpfungspunkt für die rechtliche Prüfung von Asylanträgen von staatenlosen
Palästinensern aus der Westbank.
3. Palästinensischen Volkszugehörigen aus der Westbank droht weder eine Aussperrung
noch eine gruppengerichtete Verfolgung.
4. Zur Annahme von Sippenhaft, wenn ein Palästinenser noch knapp zwei Jahre nachdem
sein 13jähriger Bruder beim Steinewerfen auf eine israelische Patrouille erschossen wurde,
unverfolgt in der Westbank gelebt hat.
5. Palästinensische Flüchtlinge aus dem palästinensischen Autonomiegebiet fallen nicht
nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Artikel 1 Abschnitt D der GK bzw. Art. 12 Abs. 1
der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ipso facto unter die Genfer Konvention (wie
BVerwGE 89, 296).
6. Zum Bestehen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage im Verständnis von § 60 Abs.
7 AufenthG in der Westbank (Zusammenfassung der Rechtsprechung, Bedeutung der
Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, qualitativer Maßstab).
7. Zur Rechtmäßigkeit und Rechtsverletzung der Zielstaatsbezeichnung Israel in einer
Abschiebungsandrohung für einen staatenlosen Palästinenser aus der Westbank.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt
der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung des
Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise des § 60 Abs. 2 - 7
AufenthG.
Der Kläger ist nach seinen Angaben Palästinenser aus dem Westjordanland und beantragte
am 13.02.2005 beim Grenzschutzamt Flughafen Frankfurt am Main Asyl.
Dort erklärte er bei der Pass-Ticket-Befragung am 13.02.2005, er sei am 10.02.2005
gegen 2.00 Uhr nachts in Frankfurt am Main angekommen. Er denke es sei eine Maschine
der Türkish-Airlines gewesen. Als er ausgestiegen sei, habe er am Rumpf der Maschine die
rote Fahne mit Sichel und Sternen gesehen. Das Flugpersonal habe orientalisches
Aussehen gehabt. Der Flug habe etwa 3 bis 3 ½ Stunden gedauert. Der letzte Flughafen
vor Frankfurt am Main sei Istanbul gewesen. Das Check-In habe er selbst vorgenommen. Er
habe einen verfälschen ukrainischen Reisepass vorgezeigt. Ein Visum habe der Pass nicht
enthalten. Beim Aussteigen aus dem LFZ habe er den Polizeibeamten gegenüber nicht
erklärt, dass er Asyl suche, weil er Angst gehabt habe, gleich wieder auf die Maschine
gesetzt zu werden. Seinen ukrainischen Reisepass habe er vorgezeigt. Den Pass und das
Flugticket habe er auf der Toilette im Flughafen vernichtet. Seinen eigenen echten
palästinensischen Reisepass habe er schon auf dem Flug nach Deutschland vernichtet. Der
Pass sei von der Autonomiebehörde in Al - Kalil (Hebron) ausgestellt worden. Er habe einen
grünen Umschlag gehabt auf dem Palästinensische Autonomiebehörde gestanden habe.
Beim Aufschlagen des Passes sehe man einen Adler und die Palästinensische Fahne. Er
habe den Pass vernichtet, weil er Angst gehabt habe, sofort zurückgeschickt zu werden.
Die ID-CARD, die man bei seiner Durchsuchung gefunden habe sei echt und von den
israelischen Behörden ausgestellt worden. Mittlerweile stelle die Autonomiebehörde
derartige Karten aus. Sein Schleuser habe den Namen A. A. gehabt. Er sei Palästinenser
und etwa 1,80 m groß gewesen. Er sei von schlanker Statur gewesen und habe
schwarzes kurzes lockiges Haar gehabt. Er sei etwa 30 Jahr alt. Der Schleuser habe ihm
den Pass und das Ticket besucht. Er selbst habe dem Schleuser vier Lichtbilder
ausgehändigt. Er habe ihm die Unterlagen in Istanbul besorgt und ihn nicht weiter begleitet.
Für die Reise habe er 2.000 Euro bezahlt; 700 Euro habe er gespart gehabt, 500 Euro
geliehen und den Rest durch den Schmuckverkauf seiner Mutter bekommen.
Im Rahmen der Fragen an den Einreisebegehrenden trug er beim Grenzschutzamt vor, er
habe das Westjordanland am 08.02.2005 verlassen sei nach Jordanien gegangen. Im
Besitze seines eigenen echten palästinensischen Reisepasses sei er weiter nach Istanbul
gelangt und von dort aus am 13.02.2005 nach Frankfurt am Main geflogen. Aus dem
Westjordanland sei er ausgereist, weil die Lage der Palästinenser im Gazastreifen und der
Westbank seit der zweiten Intifada vor fünf Jahren kaum noch auszuhalten sei. Die Israelis
seien in die Autonomiegebiete eingedrungen und hätten fast die ganze Infrastruktur
zerstört. Sie hätten ihnen jede Grundlage zum Leben genommen. Durch zahlreiche
Checkpoints sei das ganze Land zerstückelt worden und erlaube kaum noch
Bewegungsfreiheit. Inhaftierungen und grundlose Erschießungen durch die Israelis gehörten
zur Tagesordnung. Nach dem Beginn des Mauerbaus habe sich die Lage noch dramatisch
verschlechtert. Sie könnten noch nicht einmal arbeiten um ihre Familien zu versorgen. Ihre
Situation gleiche einem großen Gefängnis. Er habe nach dem Abschluss seines Studiums
der Betriebswirtschaftlehre keine Arbeit gefunden. Seinen jüngeren Bruder, der Mitglied der
Hamas gewesen sei, habe er vor zwei Jahren verloren. Danach sei ihr Haus oft von den
Israelis durchsucht und die Familie bedroht worden. Sein Vater sei mehrere Male von den
Israelis mitgenommen worden. Er habe persönlich keine andere Möglichkeit gesehen, als
von der Westbank zu flüchten. Wenn er geblieben wäre, hätte er aus wirtschaftlichen
Gründen mit der Hamas zusammen arbeiten müssen, da diese ihre Mitglieder gut bezahle.
Er hätte nicht gewusst, wie er sonst seine Familie und sich selbst hätte versorgen sollen.
Nach Deutschland gekommen sei er nicht, um Geld zu verdienen, sondern um der
bedrohlichen Lage in seinem Heimatland zu entkommen. Er würde jede Arbeit annehmen
um seine Familie zu ernähren. In Jordanien dürften sie weder arbeiten noch leben. Er selbst
sei von den israelischen Soldaten, der Hamas oder anderen Bewegungen nicht bedroht
oder verfolgt worden. Zu seinem Reiseweg und der Verweildauer in Drittländern erklärte
er, er sei allein von der Westbank nach Jordanien gegangen und dann weiter nach Syrien.
Er sei legal mit seinem palästinensischen Pass gereist. Um in die Türkei einreisen zu
können, habe er an der Grenze Schmiergeld zahlen müssen. Den Namen des syrisch-
türkischen Grenzübergangs wisse er nicht. Er sei von Aleppo aus mit einem Bus zur Grenze
gefahren. Dort sei er in einen anderen Bus gestiegen und nach Istanbul gefahren. Die Fahrt
habe etwa 7 Stunden gedauert. Auf Vorhalt, man könne nicht in 7 Stunden mit dem Bus
von Aleppo nach Istanbul fahren erklärte er, er habe unterwegs geschlafen, Istanbul liege
am Meer. Auf den Vorhalt, die Strecke von Aleppo nach Istanbul betrage mindestens 2.500
km, die in 7 Stunden Busfahrt nicht zu bewältigen seien, erklärte er, er sei in 8 Stunden
mit dem Bus dort gewesen. Auf den Vorhalt, nach Überprüfung seiner Angaben aus der
Pass-Ticketbefragung sei ein Flug mit der Türkish-Airlines von Istanbul nach Frankfurt am
Main nicht möglich und ebenso wenig eine Busfahrt in der von ihm angegebenen Zeit von
Aleppo nach Istanbul, erklärte er, der Schleuser habe ihn angewiesen, diese Angaben zu
machen. In Wirklichkeit sei er mit der Lufthansa direkt von Amman nach Frankfurt am Main
geflogen. Er habe auf Platz 18 D gesessen. Seine persönliche Situation im Heimatland sei
sehr schlecht gewesen. Er sei weder Mitglied einer politischen Partei, Organisation oder
sonstigen Gruppierung noch sei er deswegen von staatlichen Stellen verfolgt worden. Nach
Deutschland zu reisen sei sein eigener Entschluss gewesen. Bei der Ausreise habe ihm ein
Schleuser geholfen. Finanziert habe er die Reise, indem er sich Geld geliehen und Schmuck
verkauft habe. Auch habe er noch Erspartes gehabt. Verwandte oder Bekannte habe er in
Deutschland nicht. Er habe hier auch noch nicht Asyl beantragt und sei auch noch nicht aus
Deutschland ausgewiesen oder abgeschoben worden. Im Falle seiner Rückkehr befürchte
er, von den Israelis festgenommen zu werden, weil sein Bruder ein aktives Mitglied der
Hamas gewesen sei. Für die falsche Schilderung des Reiseweges entschuldige er sich, der
Schleuser habe ihn bedroht diesen Reiseweg anzugeben.
Am 14.02.2005 wurde der Kläger im Rahmen des Flughafenverfahrens in der Außenstelle
des Bundesamtes Flughafen Frankfurt-Main in arabischer Sprache persönlich angehört.
Dort erklärte er, ihm seien seine Angaben beim Bundesgrenzschutz noch bekannt, er
werde anwaltlich nicht vertreten, ihm gehe es gesundheitlich gut und er sei in der Lage die
entsprechenden Angaben zu machen. Der in Kopie vorhandene palästinensische
Personalausweis, dessen Original sich beim Bundesgrenzschutz befinde, sei ihm im Jahre
1994 von der Zivilverwaltung in Hebron ausgestellt worden. Er sei am 08.02.2005 vom
Westjordanland aus mit einem Bus nach Amman gefahren und habe sich dort zwei Tage
aufgehalten. Am Morgen des 10.02.2005 sei er mit der Lufthansa von Amman nach
Frankfurt am Main geflogen. In Hebron habe ihm ein Schleuser einen ukrainischen Pass
besorgt, mit dem er nach Frankfurt geflogen sei. Seinen eigenen palästinensischen Pass
habe er auf dem Flugzeug in der Toilette vernichtet. Das habe ihm jeweils der Schleuser
gesagt. Er habe in Hebron im Dorf Tarqumia das Abitur absolviert und danach in Hebron an
der Jerusalem Open University BWL studiert. In seinem Beruf habe er später nicht
gearbeitet, sei vielmehr von seinen Eltern unterstützt worden. Sie seien insgesamt 9
Geschwister gewesen, von denen ein Bruder verstorben sei. Er habe mit seinen Eltern bis
zuletzt in Tarqumia gelegt. Seine Probleme hätten vor 5 Jahren mit dem Ausbruch der
Intifada begonnen. Dadurch seien sein Volk und die gesamte Infrastruktur vernichtet
worden. Man sei vielen Gefahren ausgesetzt gewesen und habe jeden Tag damit rechnen
müssen getötet zu werden. Von Seiten der Israelis gebe es viele Verhaftungen und
willkürliche Tötungen und Hauszerstörungen. Viele Straßen seien gesperrt worden. Nach
dem Mauerbau durch die Israelis hätten sich die Lage und die Qualität des Lebens
verschlechtert. Das palästinensische Volk lebe wie in einem großen Gefängnis. Um nach
Israel fahren zu dürfen, müsse man mindestens 35 Jahre alt und dürfe nicht vorbestraft
sein. Sein Bruder sei am 01. April 2003 als aktives Mitglied der Hamas den Märtyrertod
gestorben. Danach seien die Israelis oft zu ihnen gekommen und hätten Razzien
durchgeführt. Sein Vater sei mehrmals für zwei Tage mitgenommen worden. Es habe viele
Provokationen gegeben. Man habe sich nur entweder mit der Situation abfinden oder der
Hamas oder dem Djihat anschließen können. Im letzteren Falle bekomme man finanzielle
Hilfe. Er sei jedoch ein junger Mann und wolle sich eine Zukunft aufbauen, eine Familie
gründen und seiner Familie zu Hause helfen. Nach dem Tod seines Bruders habe sein Vater
keine Arbeitserlaubnis für Israel mehr bekommen. Das habe die Lebenssituation
verschlechtert. Sein Vater habe das Angebot der Israelis, für sie zu arbeiten, abgelehnt.
Daraufhin hätten sie seinen Vater mitgenommen, weil der der Alleinernährer der Familie
gewesen sei. Sie hätten ihn damit provozieren und in die Knie zwingen wollen. Er selbst
habe keine Probleme mit den Israelis gehabt. Nach dem Tod seines Bruders hätten sie
natürlich im Blicklicht der Israelis gestanden und ständig Angst gehabt, umgebracht zu
werden. Sein kleiner Bruder habe als seinerzeit 13jähriger eine vorbeifahrende israelische
Patrouille mit Steinen beworfen. Daraufhin hätten die Israelis das Feuer eröffnet und seinen
Bruder getötet. Sie hätten den Leichnam seines Bruders in ihr Haus gebracht. Er selbst
habe auch wie viele Jugendliche zu einer anderen Zeit spontan einmal israelische Fahrzeuge
mit Steinen beworfen. Als sein Bruder das an jenem Tage getan habe, sei er aber zu
Hause gewesen und habe geschlafen. Wenn die Israelis zu ihnen gekommen seien und eine
Razzia durchgeführt hätten, hätten sie im Haus alles durchwühlt. Die Israelis hätten sie
dann in einen Raum eingesperrt und seien auf das Flachdach ihres Hauses gegangen und
hätten sich dort positioniert. Manchmal seien sie auch von einem Polizeioffizier zwei bis drei
Stunden verhört worden. Solche Razzien hätten manchmal wöchentlich und manchmal nur
alle 14 Tage stattgefunden. Die letzte Razzia sei 2 oder 3 Wochen vor seiner Ausreise
gewesen. Bei den Razzien hätten die Israelis gewusst, dass sein Bruder bei der Hamas
gewesen sei. Sie seien deshalb beschimpft worden und hätten ständig Probleme gehabt.
Die Israelis seien in ihrer Sichtweite gewesen, weil es gegenüber von ihrem Dorf Tarqumia
militärische Sperren gegeben habe. Diese seien etwa 2 km vom Dorf entfernt gewesen.
Außer das er aus Wut bzw. aus Spontaneität heraus als Jugendlicher Steine gegen die
Israelis geworfen habe, habe er nichts gegen sie unternommen. Die Hamas sei auch nicht
an ihn herangetreten, damit er für sie kämpfe. Er habe sich auch nicht politisch betätigt
und keiner Organisation oder Partei angehört. Er habe zeitweise gearbeitet, das Geld habe
aber nie gereicht, um die Familie zu unterstützen. Als sein Vater noch in Israel gearbeitet
habe, sei er Schreiner gewesen und habe Holzpaneele gefertigt, in die später Beton gefüllt
worden sei. Sein Vater habe u.a. in Eilat und in Tel Aviv gearbeitet. Sein Vater habe ihn
damals nicht mitgenommen, weil er zu dieser Zeit studiert habe und sein Vater ihm gesagt
habe er solle zunächst das Studium beenden. Nachdem sein Vater nicht mehr in Israel
habe arbeiten dürfen, habe er Gelegenheitsjobs angenommen. Ab und zu habe ihm auch
die Stadtverwaltung Arbeit angeboten und dann habe er auch Lebensmittelkarten
bekommen. Seine anderen Geschwister hätten auch nicht gearbeitet oder gejobbt. Nach
Deutschland gekommen sei er primär wegen der Sicherheit, aber auch, um zu arbeiten. Er
sei bereit, jede Art von Arbeit aufzunehmen. Im Falle der Rückkehr müsse er damit
rechnen, jederzeit von den israelischen Soldaten verfolgt und irgendwann umgebracht zu
werden.
Mit Bescheid vom 31.05.2005 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als
Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und
auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorlägen und drohte dem
Kläger unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einem Monat nach Unanfechtbarkeit des
Bescheides die Abschiebung primär nach Israel an. Zur Begründung ist in dem Bescheid
ausgeführt, der Kläger habe sein Heimatland während der schlimmen und unsicheren
allgemeinen Lage sowie persönlicher Perspektivlosigkeit verlassen. Diese Situation sei eine
typische Auswirkung der derzeitigen Auseinandersetzungen dort; eine staatliche
Maßnahme in Anknüpfung an ein asylrechtlich erhebliches Merkmal liege nicht vor. Auch
lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor. Soweit diese Bestimmung
ein Abschiebungsverbot auch dann gewähre, wenn eine landesweite Verfolgung durch nicht
staatliche Akteure erfolge, sei auch insoweit erforderlich, dass diese im Hinblick auf
asylrelevantes Merkmal drohe und weder der Staat noch quasistaatliche Akteure im Sinne
von § 60 Abs. 1 Satz 4 b AufenthG in der Lage oder willens wären, effektiven Schutz zu
bieten. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Es liege auch kein Abschiebungsverbot
nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vor. Der Bescheid wurde dem Kläger am 13.06.2005
zugestellt.
Mit der am 27.06.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur
Begründung trägt er vor, er sei staatenloser Palästinenser aus dem Westjordanland. Einer
seiner Brüder sei am 01. April 2003 im Zusammenhang mit der Intifada ums Leben
gekommen. Seinem Vater sei daraufhin die Erlaubnis entzogen worden in Israel zu arbeiten
und er sei von den Israelis mehrfach zu Verhören mitgenommen. Dass er selbst mit den
Israelis noch keine Probleme gehabt habe, liege daran, dass sein Vater als
Familienoberhaupt und ältestes Mitglied der Familie von den Israelis stellvertretend in
Anspruch genommen worden sei. Entgegen der Einschätzung des Bundesamtes sei dem
Urteil des VG Ansbach vom 13.02.2003 - AN 12 K 01.31195 - zu folgen, mit dem ein
Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG (1990) i.V.m. Art. 3 EMRK angenommen
wurde. Die israelische Armee versuche sehr präzise militärische Schläge zu führen, was ihr
jedoch nicht immer gelinge. Die israelische Armee versuche auch nicht die palästinensische
Zivilbevölkerung zu schonen. Gerade gegen Familien, bei denen von einer Zugehörigkeit zur
Zivilbevölkerung zu schonen. Gerade gegen Familien, bei denen von einer Zugehörigkeit zur
Hamas ausgegangen werde, führe die israelische Armee Vergeltungsschläge durch, die die
gesamte Familie treffen solle. Insoweit werde somit Sippenhaft praktiziert. Das gelte auch
dann, wenn das Familienmitglied, das mit der Hamas zusammengearbeitet habe, bereits
tot sei. Die Israelis gingen davon aus, dass auch dann die Familie des verstorbenen
Sympathien für die Hamas hege und sie unterstützte. Soweit das Bundesamt und die
Ausländerbehörde ihn im Hinblick auf seinen im Jahre 1994 ausgestellten Personalausweis
als israelischen Staatsangehörigen behandelten, sei diese Behandlung unzutreffend. Er
stamme aus dem Distrikt Judäa und Samaria in der Westbank. Israel habe in der Zeit der
Besetzung für die dort lebenden Menschen Personalausweise ausgestellt. Mit der
Übernahme der Administration durch die palästinensischen Behörden sei das Verhältnis zu
Israel beendet worden. Außerdem sei auf Art. 1 D der GFK zu verweisen. Danach finde die
GFK keine Anwendung auf Personen, die zur Zeit den Schutz oder Bestand einer
Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des hohen
Kommissars der vereinten Nationen für Flüchtlinge genössen. Als Palästinenser habe er
den Schutz der UNRWA genossen, diesen Schutz habe er durch seinen Weggang verloren.
Deshalb sei er nach Art. 1 D Satz 2 GFK ipso facto Flüchtling nach der GFK und genieße
folglich den Schutz des Art. 60 Abs. 1 AufenthG. Insoweit werde auf § 60 Abs.1 Satz 2
AufenthG verwiesen. Zum Beweis für seine Staatsangehörigkeit hat er seine am
15.01.2006 vom Innenministerium der palästinensischen Behörde, Abteilung für zivile
Angelegenheiten, ausgestellte Geburtsurkunde sowie sein vom Erziehungs- und
Kultusministerium der Palästinensischen Nationalbehörde ausgestelltes Zeugnis der
Allgemeinen Hochschulreife vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2005
zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass
die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
hilfsweise,
festzustellen, dass einer Abschiebung nach Israel bzw. der Westbank ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entgegensteht.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung und weist darauf hin,
dass Bundesverwaltungsamt habe die Staatsangehörigkeit des Klägers am 28.06.2005
auf „Israel“ geändert.
Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch befragt; wegen
der Einzelheiten wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und des
Landesamtes für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten Saarland - Gemeinsame
Ausländerbehörde -, der ebenso wie die in der Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile der
Dokumentation Israel/Palästina/Gaza Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Da die Beklagte ordnungsgemäß und mit einem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102
Abs. 2 VwGO geladen wurde, konnte trotz ihres Nichterscheinens in der mündlichen
Verhandlung über die Klage verhandelt und entschieden werden.
Die Klage ist zulässig, aber in vollem Umfang unbegründet.
A.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter steht dem Kläger nicht zu.
I.
Er ist allerdings nicht gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26 a AsylVfG vom
persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts ausgeschlossen.
Nach Art. 16 a Abs. 2 GG kann sich auf das Asylgrundrecht nicht berufen, wer aus einem
Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat
einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
und die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt
ist. Art. 16 a Abs. 2 GG beschränkt nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts den persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts; wer
aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG einreist, bedarf in
der Bundesrepublik Deutschland nicht des Schutzes des Art. 16 a Abs. 1 GG, weil er in
dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können (BVerfG, Urteil vom
14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 = DVBl 1996, 753 ). Der
Ausschluss des Asylanspruchs ist unabhängig davon, ob der Ausländer in den Drittstaat
zurückgeführt werden kann oder soll. Er greift immer dann ein, wenn feststeht, dass der
Ausländer über (irgend-) einen sicheren Drittstaat nach Deutschland gekommen ist. Dies ist
immer dann der Fall, wenn der Ausländer auf dem Landweg in die Bundesrepublik
Deutschland gelangt ist. Des Nachweises, aus welchem sicheren Drittstaat die Einreise
erfolgt ist, bedarf es nicht (BVerwG, Urteil vom 07.11.1995 - 9 C 73.95 -, InfAuslR 1996,
152 = DVBl 1996, 207 ).Behauptet der Asylbewerber, auf dem Luftweg eingereist zu sein,
alle schriftlichen Unterlagen aber weggeworfen zu haben, so führen zwar weder die damit
verbundene Selbstbezichtigung einer Verletzung der asylverfahrensrechtlichen
Mitwirkungspflichten noch der fehlende urkundliche Nachweis der Luftwegeinreise zum
Verlust des Asylrechts; den Asylbewerber trifft insoweit keine Beweisführungspflicht. Es ist
und bleibt Aufgabe des Gerichts, von sich aus den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln,
dazu die erforderlichen Sachverhaltsaufklärungen zu betreiben und sich seine eigene
Überzeugung zu bilden (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Rahmen der
Überzeugungsbildung ist das Gericht aus Rechtsgründen nicht gehindert, die Angaben eines
Asylbewerbers auch ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen (BVerwGE 71, 180
<182> unter Hinweis auf BGH LM § 286 ZPO Nr. 64). Das Gericht kann aber bei der
Feststellung des Reiseweges die behauptete Weggabe wichtiger Beweismittel wie bei einer
Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Einen allgemeinen
Erfahrungssatz des Inhalts, dass niemand eine illegale Einreise mit gefälschten
Ausweispapieren unternimmt, ohne sich „zumindest Name, Anschrift, Geburtsort und
Geburtsdatum“ der Person einzuprägen, als die er einreisen will, gibt es allerdings nicht. Bei
nicht ausräumbaren Zweifeln an der behaupteten Einreise auf dem Luftweg muss das
Tatsachengericht sich schlüssig werden, ob der Asylbewerber nur über die angegebene
konkrete Flugverbindung falsche Angaben macht oder ob er überhaupt nicht auf dem
Luftweg, sondern auf dem Landweg nach Deutschland eingereist ist. Bleibt die Einreise
unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne
Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG auf dem
Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein (BVerwG, Urteil vom 29.06.1999 -
9 C 36.98 -, InfAuslR 1999, 526).
Der Kläger hat bei der Anhörung beim Bundesgrenzschutz am Flughafen Frankfurt/Main
zunächst einen Direktflug mit der Türkisch Airlines von Istanbul nach Frankfurt am Main
behauptet und später im Rahmen der Fragen zum Einreisebegehren sich auf einen
Direktflug mit der Lufthansa von Amman (Jordanien) nach Frankfurt korrigiert; er habe dort
auf Platz 18 A gesessen. In Hebron habe ihm ein Schleuser einen ukrainischen Reisepass
besorgt, mit dem er alleine geflogen sei. Seinen eigenen palästinensischen Reisepass habe
er während des Fluges auf der Flugzeugtoilette vernichtet, den ukrainischen später auf der
Toilette am Flughafen in Frankfurt, um nicht zurückgeschickt zu werden. Die Deutsche
Lufthansa AG hat dem Bundesgrenzschutz gegenüber erklärt, sie werde den am
10.02.2005 mit dem Flug LH 3511 von Amman nach Frankfurt/Main eingereisten Kläger
auf ihre Kosten wieder außer Landes bringen (Die unterschriebene Garantieerklärung
befindet sich ausweislich der Ausländerakte beim Bundespolizeiamt Flughafen
Frankfurt/Main).
Aufgrund dessen ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger auf dem
Luftweg ins Bundesgebiet eingereist und damit nicht vom persönlichen Geltungsbereich des
Asylgrundrechts ausgeschlossen ist.
II.
Dem Kläger steht jedoch kein materieller Asylanspruch gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG zu.
Das Asylrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG beruht auf dem Zufluchtsgedanken, mithin auf dem
Kausalzusammenhang Verfolgung - Flucht - Asyl (vgl. BVerfGE 74, 51 <60>). Deshalb ist
typischerweise asylberechtigt, wer aufgrund politischer Verfolgung gezwungen ist, sein
Land zu verlassen und im Ausland Schutz und Zuflucht zu suchen, und deshalb in die
Bundesrepublik Deutschland kommt. Atypisch, wenn auch häufig, ist der Fall des unverfolgt
Eingereisten, der hier gleichwohl Asyl begehrt und dafür auf Umstände verweist, die erst
während seines Hierseins entstanden sind oder deren erst künftiges Entstehen er besorgt
(sog. Nachfluchttatbestände) (BVerfGE 80, 315 (344) unter Hinweis auf BVerfGE 74, 51
<64 ff.>).
Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine
politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen.
Das Maß dieser Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben. Es muss der humanitären
Intention entnommen werden, die das Asylrecht trägt, demjenigen Aufnahme und Schutz
zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (vgl. BVerfGE 74, 51
<64>; 80, 315 <335>; und BVerfGE 54, 341 <357>; 76, 143 <158 ff., 163 f.>).
Dies ist in der Regel erst bei Eingriffen oder Beeinträchtigungen anzunehmen, die von einer
Schwere und Intensität sind, die die Menschenwürde verletzen (vgl. BVerfGE 76, 143).
In diesem Zusammenhang ist es von wesentlicher Bedeutung, ob der Asylsuchende
verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist er im Zustand der Verfolgung ausgereist, ist er
als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn die fluchtbegründenden Umstände zum Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung fortbestehen. Er ist weiter anzuerkennen, wenn diese zwar
entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer
Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel bestehen, wenn also Anhaltspunkte
vorliegen, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt
erscheinen lassen (BVerfGE 70, 169 ff.).
Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt einen Staat voraus, in den der in Deutschland
Schutzsuchende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren kann. Das ist bei Personen, die
eine Staatsangehörigkeit besitzen, das Land ihrer Staatsangehörigkeit, bei Staatenlosen
das Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes.
Das Bestehen eines Asylanspruchs kann grundsätzlich nur einheitlich und nicht isoliert auf
einen einzelnen Abschiebestaat bezogen geprüft und beurteilt werden. Asylrecht ist
einheitlich zu gewähren, wenn das Vorliegen von dessen Voraussetzungen hinsichtlich
sämtlicher als Staat der Staatsangehörigkeit des Ausländers in Betracht kommenden
Staaten bejaht werden kann. In die Prüfung sind alle Staaten einzubeziehen, deren
Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als
Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (BVerwG, Urteile vom 12.07.2005 – 1
C 12.04 und 1 C 22.04 –, NVwZ 2006, 99 zum Anspruch nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990).
Ein Staat verliert dann seine Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthaltes, wenn es
einen Staatenlosen aus asylrechtlich nicht bedeutenden Gründen ausweist oder aber ihm
nach seiner Ausreise die Wiedereinreise aus asylfremden Gründen verweigert. Ein solcher
Staatenloser kann auch dann in Deutschland kein Asylrecht erhalten, wenn ihm in dem
früheren Aufenthaltsstaat politische Verfolgung gedroht hat. Der Status solcher Personen
bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesetz vom 12.04.1976 zu dem Übereinkommen
vom 28.09.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen.
Das Gericht geht für das vorliegende Asylverfahren davon aus, dass der in Hebron
geborene Kläger im Dorf Tarqumia bei Hebron gelebt hat, damit aus dem palästinensischen
Autonomiegebiet stammt und die israelische Staatsangehörigkeit nicht besitzt. Zwar hat er
beim Bundesgrenzschutz bzw. Bundesamt einen vom israelischen Amt für
Personenstandswesen (Standesamt) des Distrikts Judäa und Samaria am 06.06.1994
ausgestellten Personalausweis mit der Nummer 9 0267951 3 vorgelegt. Zu diesem
Ausweis hat der Kläger indes zutreffend vorgetragen, dass sich der Distrikt Judäa und
Samaria in der Westbank befindet, zeitweise von Israel besetzt war, und dass Israel
während der Zeit der Besetzung den dort lebenden Menschen Personalausweise
ausgestellt habe.
Die Westbank, die auch als Westjordanland bezeichnet wird, ist nicht Teil des
Staatsgebietes von Israel. Sie war von 1920 bis zur Besetzung durch Jordanien im Jahre
1949 Teil des britischen Mandatsgebiets; im Jahre 1967 annektierte Israel das
Westjordanland. Im Mai 1994 unterzeichneten die israelische Regierung von Jitzhak Rabin
und die PLO ein Abkommen über eine palästinensische Teilautonomie im Gazastreifen und
im Gebiet von Jericho. Die Verwaltung der Autonomiegebiete wurde der Palästinensischen
Behörde übertragen. Im Juli 1994 kehrte PLO-Chef Jassir Arafat in den Gazastreifen zurück
und übernahm die Führung der Palästinensischen Behörde (Amnesty international,
Jahresbericht 1995, S. 260). Seit 1994/95 stehen Teile des Westjordanlandes unter
palästinensischer Selbstverwaltung (Deutsches Orientinstitut an VG Ansbach vom
06.05.2002; Auswärtiges Amt an VG Braunschweig vom 26.03.2001). Der Staat Israel,
der die Außengrenzen der palästinensischen Autonomiegebiete kontrolliert, ist aber
weiterhin als Staatsmacht auch im Westjordanland präsent (Deutsches Orientinstitut,
a.a.O.; Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 04.03.2002). Es existiert weder ein Staat
Palästina noch gibt es eine palästinensische Staatsangehörigkeit (Nieders. OVG, Beschluss
vom 21.04.2004 – 11 LA 61/04 – unter Hinweis auf VG Aachen, Urteil vom 01.03.2001,
InfAuslR 2001, 338; Schl.-Holst. OVG, Urteil vom 18.11.1999, InfAuslR 1999, 285; OVG
Berlin, Urteil vom 18.04.1991, InfAuslR 1991, 228). Deshalb kann das Westjordanland
weder im Zusammenhang mit Israel noch allein als eigenstaatliches Gebilde angesehen
werden. Während das Deutsche Orientinstitut der Ansicht ist, dass ein Palästinenser, der
ohne die entsprechende Genehmigung und ohne einen für längere Abwesenheit plausiblen
Grund die besetzten Gebiete für mehr als zwei Jahre verlasse, sein Rückkehrrecht verwirke
(Gutachten für das VG Ansbach vom 03.01.2001), hält das Auswärtige Amt eine
Rückkehrmöglichkeit in die palästinensischen Autonomiegebiete in der Regel für möglich
(Auskunft an das VG Ansbach vom 04.03.2002). Damit scheitert eine Asylgewährung nicht
bereits daran, dass dem Kläger mit Sicherheit die Wiedereinreise nach Israel und
anschließend in die palästinensischen Autonomiegebiete aus asylfremden Gründen
verweigert wird.
Zur Überzeugung des Gerichts war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem
Westjordanland Anfang Februar 2005 weder wegen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale,
die sein Anderssein prägen, mit gezielten Rechtsverletzungen bedroht, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzten.
Zutreffend hat das Bundesamt insoweit im angegriffenen Bescheid ausgeführt, der Kläger
habe sein Heimatland wegen der schlimmen und unsicheren allgemeinen Lage sowie der
persönlichen Perspektivlosigkeit verlassen, diese Situation sei eine typische Auswirkung der
derzeitigen Auseinandersetzungen dort und keine staatliche Maßnahme in Anknüpfung an
ein asylrechtlich erhebliches Merkmal.
Die Klagebegründung stellt diese Einschätzung nicht in Frage. Mit dieser wiederholt der
Kläger, dass sein seinerzeit 13 Jahre alter jüngerer Bruder im Zusammenhang mit der
Intifada am 01. April 2003 nachdem er, wie viele andere Jugendliche auch, eine
vorbeifahrende israelische Patrouille mit Steinen beworfen habe, von den Israelis
erschossen worden und seinem Vater daraufhin die Erlaubnis entzogen worden sei, in Israel
zu arbeiten; sein Vater sei von den Israelis mehrfach zu Verhören mitgenommen worden.
Dass er selbst mit den Israelis noch keine Probleme gehabt habe, liege daran, dass sein
Vater als Familienoberhaupt und ältestes Mitglied der Familie von den Israelis
stellvertretend in Anspruch genommen worden sei. Dieses Vorbringen ändert nichts an der
Einschätzung, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise keine
Verfolgungsmaßnahmen erlitten hat und solche auch nicht unmittelbar bevorstanden.
Denn der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem palästinensischen
Autonomiegebiet Anfang Februar 2005 weder wegen seiner politischen Überzeugung noch
wegen eines anderen asylerheblichen Merkmals in seiner körperlichen Unversehrtheit
und/oder persönlichen Freiheit durch den israelischen Staat oder die palästinensische
Autonomiebehörde konkret bedroht.
Insbesondere drohte und droht ihm im Hinblick auf seine palästinensische
Volkszugehörigkeit weder eine „Aussperrung“ noch eine gruppengerichtete Verfolgung.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer dauerhaften Einreiseverweigerung
durch den Heimatstaat eine politische Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der
Aussperrung oder Ausgrenzung vorliegen kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2005 – 1 C
17.03 -, NVwZ 2005, 1191; zu Palästinensern: OVG Schleswig, Urteil vom 18.11.1998 –
2 L 9/96 -, InfAuslR 1999, 285). Handelt es sich um Staatenlose, scheidet in diesem Falle
eine politische Verfolgung allerdings von vornherein aus. Vielmehr kommt es dann darauf
an, ob einem Staatenlosen mit früherem gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staatsgebiet die
Wiedereinreise aus „nichtpolitischen Gründen“ verweigert, ob die Verweigerung also auf ein
asylerhebliches Merkmal zielt. Dass die Staatenlosigkeit eines Palästinensers aus der
Westbank politische Verfolgung wegen Rückkehrverbots nicht von vornherein ausschließt,
ergibt sich auch daraus, dass Israel das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem
annektiert hat und insofern zu der dort ansässigen palästinensischen Bevölkerung in einer
rechtlichen Beziehung steht, die aus asylrechtlicher Sicht – und ebenso aus der Sicht des §
60 Abs. 1 AufenthG – der Beziehung zwischen einem Staat und seinen Bürgern
gleichkommt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.04.2006 – A 13 S 302/05 -, S. 14
).
Es kann allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen
werden, Israel werde den Kläger allein wegen seiner palästinensischen Volkszugehörigkeit
nicht mehr in das Westjordanland einreisen lassen. Die Außengrenzen der besetzten
Gebiete – jedenfalls des Westjordanlandes – sind seit langem der israelischen Verwaltung
unterstellt; eine Ein- bzw. Ausreise ohne israelische Kontrolle ist nicht möglich. Auch wenn
Israel noch immer „viel daran setzt“, möglichst viele Palästinenser zum dauerhaften
Verlassen der besetzten Gebiete zu veranlassen, hat das Auswärtige Amt dem VGH
Baden-Württemberg gegenüber unter dem 10.11.2005 mitgeteilt, dass im
Bevölkerungsregister verzeichnete palästinensische Volkszugehörige mit palästinensischer
Personenkennziffer von den zuständigen Behörden ein Reisepass ausgestellt werde und
damit ein Rückkehrrecht in die palästinensischen Gebiete bestehe. Das trifft auf den Kläger
zu, der selbst erklärt hat, er sei im Besitze eines solchen Reisepasses gewesen, bis er ihn
auf der Toilette im Flugzeug vernichtet habe.
Zwar habe die Auslandsvertretung der Palästinenser in der Bundesrepublik Deutschland,
die Generaldirektion Palästinas, auf Anfrage mitgeteilt, sie könne „zur Zeit“ kein
Reisedokument ausstellen, weil das bisherige Abkommen zwischen der PLO und Israel nur
Palästinenser, die in den Selbstverwaltungsgebieten lebten, zum Erhalt palästinensischer
Reisedokumente berechtige; die Pässe müssten bei den zuständigen Behörden beantragt
werden. In demselben Schreiben habe die Generaldelegation Palästinas jedoch auch
mitgeteilt, die Frage des zukünftigen Status der im Ausland lebenden Palästinenser und die
Regelung ihrer Rückkehr werde verhandelt, sei aber noch nicht geklärt. Selbst wenn man
davon ausgehen sollte, dass jedenfalls zur Zeit ohne den Besitz entsprechender
Passdokumente eine Überwindung der von Israel kontrollierten Außengrenzen und damit
eine Rückkehr in das Westjordanland nur schwer möglich ist – zumal die Aufnahme von
Verhandlungen zwischen Israel und der eine palästinensische „Regierung“ bildenden Hamas
ungewiss ist – ist es höchst fraglich, ob bereits jetzt von einer auf Dauer bestehenden
„Aussperrung“ ausgegangen werden kann. Die Praxis des Staates Israel scheint insofern
seit jeher „flexibel“ zu sein (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.04.2006 – A 13 S
302/05 -, S. 15 unter Hinweis auf VG Braunschweig, Urteil vom 11.10.2001 – 3 A 42/00 -,
bei juris, und BayVGH, Urteil vom 01.02.1993 – 24 B 90.30632 -, bei juris). Selbst wenn
man aber im Hinblick auf die Prognosekriterien im Asylrecht über eine bloße
„Momentaufnahme“ hinaus auf die Prognose für „absehbare Zeit“ abstellt (vgl. BVerwG,
Urteile vom 31.03.1981 – 9 C 237.80 -, und vom 27.04.1982 – 9 C 308.81 -, Buchholz
402.24 § 28 AuslG Nrn. 27 und 37), würde es an der für die Verfolgungsrelevanz der
Einreiseverweigerung notwendigen „Gerichtetheit“ (BVerwG, Beschluss vom 01.08.2002 –
1 B 6.02 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 263) fehlen, da Palästinensern, die im Besitze
entsprechender Identitätspapiere sind, ohne weiteres die Einreise gestattet wird. Eine
Einreiseverweigerung knüpft also nicht an die Volkszugehörigkeit, sondern an die ungeklärte
Identität bzw. Herkunft des Betreffenden an – eine bei vielen Staaten übliche und jedenfalls
nicht von vornherein illegitime Praxis. Hiervon abgesehen steht durchaus nicht fest, dass
die Behörden Israels bei der Passbeschaffung (u.U. durch Beauftragte) nicht mitwirken
würden. Allerdings würde den Kläger insofern auch eine Mitwirkungspflicht treffen, der er –
wie seine Passvernichtung zeigt – bisher nicht ohne weiteres nachgekommen ist.
Dem Kläger droht auch keine gruppengerichtete Verfolgung wegen seiner
palästinensischen Volkszugehörigkeit.
Voraussetzung dafür wäre, dass die zu befürchtenden oder bereits festgestellten
Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die
verfolgte Gruppe kennzeichnende Merkmal – etwa die Volkszugehörigkeit – treffen;
außerdem ist eine gewisse Verfolgungsdichte oder aber sind sichere Anhaltspunkte für das
Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsprogramms erforderlich. In diesem Zusammenhang
muss es sich um die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in geschützte
Rechtsgüter handeln, dass nicht mehr nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder
eine Vielzahl einzelner Übergriffe vorliegen. Die Verfolgungshandlungen müssen im
Verfolgungszeitraum und im Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten,
wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die
Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Dabei müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der
Gruppe in Beziehung gesetzt werden; allein die Feststellung zahlreicher oder häufiger
Eingriffe reicht nicht aus. Als „Akteur“ einer solchen Gruppenverfolgung im Sinne von § 60
Abs. 1 AufenthG kommt vorliegend der Staat Israel in Betracht; auch unter Einbeziehung
der jüngsten Entwicklung in den Palästinensergebieten („Freigabe“ des Gazastreifen,
Wahlen, Bildung einer „Regierung“ durch die Hamas) ist Israel nach wie vor als
Staatsmacht auch im Westjordanland präsent und ein Staat „Palästina“ nicht existent
(VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.04.2006 – A 13 S 302/05 -, S. 17 unter Hinweis
auf Nieders. OVG, Beschluss vom 21.04.2004 – 11 LA 61/04 -, NVwZ-RR 2004, 788
m.w.N. und BVerwG, Beschluss vom 25.05.1993 – 1 B 21.93 -, InfAuslR 1993, 298 ).
Auf dieser Grundlage werden palästinensische Volkszugehörige im Westjordanland in
Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung (VGH Baden-Württemberg, Urteil
vom 05.04.2006 – A 13 S 302/05 -, S. 17 f.; Beschlüsse vom 13.08.2003 – 13 S 283/02
– und vom 18.06.2002 – A 13 S 430/02 -; VG Arnsberg, Urteil vom 21.11.2005 – 13 K
3577/04.A -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12.05.2005 – 14a K 4970/04.A -; VG Aachen,
Urteil vom 07.09.2004 – 3 K 1655/04.A -, VG Düsseldorf, Urteil vom 07.02.2003 – 21 K
3794/00.A -; VG Braunschweig, Urteil vom 11.10.2001 – 3 A 42/00 -; VG Berlin,
Beschluss vom 10.03.2005 – 34 X 52.04 -; alle bei juris) nicht gruppengerichtet verfolgt.
Seit Mitte 2004 ist die Sicherheitslage im Westjordanland von massiven Terror- und
Gegenterrormaßnahmen geprägt; die Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Armee in
den Autonomiegebieten treffen aufgrund des rigorosen Vorgehens der Armee immer
wieder auch völlig unbeteiligte Personen, bei denen nicht einmal der Verdacht einer
terroristischen Betätigung besteht, wie etwa Verwandte oder Nachbarn oder sich zufällig in
der Nähe gesuchter Personen Aufhaltende. In den Orten entlang der Grenzlinie zum
Westjordanland besteht die Gefahr von Anschlägen, insbesondere Selbstmordattentaten.
Große Teile des Westjordanlandes sind durch Israel praktisch dauerhaft besetzt und zum
Teil gesperrt. Es kommt immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der
israelischen Armee und der palästinensischen Bevölkerung. Das Autonomiegebiet ist
zerstückelt. Der Bau des „Sperrwalls“ deutet auf eine Zerstörung der sozialen,
technologischen, medizinischen und wirtschaftlichen Infrastruktur hin. Nahezu jede
palästinensische Familie hat inzwischen Opfer von Verhaftungen, Misshandlungen,
schweren Verletzungen oder Tötungen zu beklagen. Daraus ergibt sich ein starker Druck
auf die palästinensische Bevölkerung, das Land zu verlassen.
Diese Situation hat sich seit Mitte 2004 nicht wesentlich geändert. Die „Freigabe“ des
Gazastreifens durch den Staat Israel, die durch die Palästinenser-Organisation als „Sieg“
ihrer bisherigen Politik empfunden wurde, hat einerseits eine entsprechende Dynamik auch
für die Entwicklung im Westjordanland ausgelöst. Die erklärte Absicht der neuen
israelischen Regierung, weitere Siedlungen im Westjordanland trotz erheblichen
Widerstands in Israel und bei der Siedlerbewegung selbst aufzugeben, kann diese Dynamik
u.U. verstärken. In die gleiche Richtung geht die Absicht der neuen Regierung, den
Grenzwall zu verlegen und auf diese Weise zur Schaffung klarer Grenzen zwischen Israel
und den Palästinensergebieten beizutragen und die bestehende Zersplitterung zu
vermindern. Andererseits ist die die jetzige Regierung bildende Hamas, deren erklärtes Ziel
es bisher war, den Staat Israel zu zerstören und durch einen moslemischen Staat zu
ersetzen, und die bisher Friedensinitiativen und friedlichen Lösungen als ihren
Überzeugungen zuwiderlaufend abgelehnt hat (Siehe Art. 13 der sog. Hamas-Charta),
durch ihren Wahlerfolg in eine schwierige Situation geraten: Von ihr werden international
Zugeständnisse hinsichtlich des Existenzrechts Israels erwartet, obwohl aus ihrer Sicht nur
geringe „Gegenleistungen“ Israels angeboten werden. Die im Programm bei der bei den
israelischen Wahlen siegreichen Kadima-Partei vorgesehene teilweise Räumung von
Siedlungen bleibt zahlenmäßig begrenzt, und nach wie vor soll das Westjordanland durch
lange und breite Siedlungsstreifen zerstückelt bleiben (Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung vom 02.04.2006, Seite 10). Immerhin bestehen noch weit über 100
jüdische Siedlungen im Westjordanland (FR vom 24.08.2005, Seite 6), und mehrere große
jüdische Siedlungsblöcke, die die israelische Regierung bis zu der von ihr für das Jahr 2010
prognostizierten endgültigen Schaffung von Staatsgrenzen zwischen Israel und den
palästinensischen Gebieten vorsieht, machen die bisherigen Hoffnungen der
palästinensischen Organisationen auf Jerusalem als Hauptstadt eines künftigen
palästinensischen Staates zunichte (Die Welt vom 10.03.2006). Auch Israel führt seine
bisherige Praxis der Terrorismusbekämpfung u.a. mit gezielten Tötungen fort; dass dabei
auch Unschuldige ums Leben kommen, wird nach wie vor in Kauf genommen (FAZ vom
08.03.2006). Was angesichts dieser Situation die zukünftige Politik der Hamas angeht,
sind Voraussagen mit asylrechtlicher Relevanz gegenwärtig nach allgemeiner Einschätzung
so gut wie unmöglich. Auch ihre Gegner gestehen der Hamas allerdings eine gewisse
Flexibilität zu, wenn sie nur akzeptable Gegenleistungen erhält (Jüdische Allgemeine vom
09.02.2006). Verhandlungen mit Israel über das weitere Schicksal des Westjordanlandes
sind zur Zeit zwar ausgesetzt, andererseits aber – vor allem unter Berücksichtigung der
finanziellen Situation und der Rolle Europas in diesem Zusammenhang – auch nicht
ausgeschlossen. Im Wesentlichen wird es um Detailfragen der Grenzziehung und die Rolle
Jerusalems gehen (siehe das Interview mit einem Hamasführer im SPIEGEL vom
06.02.2006). Bereits am Tag nach den israelischen Wahlen haben führende Vertreter der
Hamas erklärt, eine Hamas-Regierung könne eine Lösung des schwierigen Nahost-Konflikts
erzielen, wenn auch Israel daran interessiert sei (Stuttgarter Zeitung vom 31.03.2006,
Seite 5). Die Hamas wird möglicherweise auch deswegen für israelische Politiker als
Gesprächspartner in Betracht kommen, weil andere palästinensische Gruppen, wie etwa
der islamische Djihad, sich weitaus militanter zeigen und bereits gewalttätige
Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Palästinenserorganisationen zu
verzeichnen sind. Im Übrigen kommt es insofern auch auf die Politik der EU an, die mit der
sog. Tullamore-Erklärung im März 2004 die Unterstützung für den israelischen Teilabzug
unter bestimmten Bedingungen formuliert hat und in ihre Planungen auch den nördlichen
Teil des Westjordanlandes mit einbezieht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
05.04.2006 – A 13 S 302/05 -, S. 19 f.).
Der Country-Report of Human Rights des amerikanischen Außenministeriums – im
Folgenden: cr – listet für das Jahr 2005 für die palästinensischen Gebiete Übergriffe und
Machtmissbrauch durch israelische Sicherheitskräfte auf und stellt eine allgemeine
institutionelle, rechtliche und soziale Diskriminierung der Bewohner arabischer Siedlungen
fest; im Jahre 2005 waren nicht nur zahlreiche Opfer aufgrund palästinensischer Aktionen
und Selbstmordanschläge, sondern (auf der palästinensischen Seite) auch aufgrund
israelischer Aktionen zu beklagen. Durch israelische Militäraktionen wurden ca. 900
Palästinenser getötet und es gab zahlreiche ernsthafte Übergriffe auf Zivilisten, die durch
die israelischen Sicherheitskräfte nicht untersucht worden sind (cr S. 23). Zahlreiche
derartige Einzelfälle aus dem vergangenen Jahr werden in diesem Bericht aufgelistet (cr S.
23 – 32). Auch sonst gehen die mit der Situation in den Palästinensergebieten befassten
Gerichte davon aus, dass durch die „zuweilen bürgerkriegsähnlichen“
Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und den Palästinensern (VG
Düsseldorf, Urteil vom 07.02.2003 – 21 K 3794/00.A -, bei juris) und durch die schlechte
wirtschaftliche Lage und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen an der
palästinensischen Zivilbevölkerung (VG Berlin, Beschluss vom 10.03.2005 – 34 X 52.04 -,
bei juris) eine Situation entstanden ist, die die Palästinenser als „unterdrücktes“ Volk
erscheinen lässt und einer Rückkehr dorthin entgegenstehen kann. Die vorliegenden
Auskünfte bestätigen andererseits, dass Israel den einzelnen (nicht als Aktivist
hervorgetretenen) Palästinenser nicht asylrelevant verfolgt (Deutsches Orientinstitut vom
06.04.2005 und vom 22.03.2004; siehe auch Auswärtiges Amt, Auskunft an VG
Hannover vom 12.02.2004).
Gegen die Annahme einer auf die palästinensische Volkszugehörigkeit zielenden
Gruppenverfolgung spricht auch, dass innerhalb der Grenzen des Staates Israel eine große
Anzahl von Palästinensern – zum großen Teil mit israelischer Staatsbürgerschaft – lebt und
dass auch israelische Staatsbürger – was terroristische Aktionen angeht – einem
entsprechenden Gefahrenpotential ausgesetzt sind. Mit der Besetzung der
palästinensischen Gebiete, insbesondere des Westjordanlandes, und den Maßnahmen, die
Israel weiterhin die Dominanz in diesem umstrittenen Gebiet sichern sollen, verfolgt Israel
kein die Palästinenser als Volksgruppe treffendes Verfolgungsprogramm, sondern diese
Maßnahmen werden aus militärisch-territorialen Gründen und aus dem existentiellen
Sicherheitsbedürfnis des eigenen Staates abgeleitet. Insofern ist die Situation eher mit der
klassischen Besetzung militärisch relevanter Gebiete von Drittländern oder deren
völkerrechtlich durchaus fragwürdige Eingliederung zu vergleichen (vgl. zu China und Tibet:
BVerwG, Beschluss vom 05.05.2003 – 1 B 234.02 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
271). Was das Kriterium der „Dichte der Verfolgungshandlungen“ angeht, sprechen bereits
die Zahlenverhältnisse gegen eine Gruppenverfolgung: Im Bereich des Westjordanlandes
leben etwa 2,4 Millionen Palästinenser; zu dieser Zahl sind die oben mitgeteilten – und dem
Staat Israel zuzurechnenden – „Opferzahlen“ auf palästinensischer Seite in Bezug zu
setzen. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung kann damit – was das Risiko einer dem
Staat Israel als verfolgungsbegründend zuzurechnenden und dem Bereich der legitimen
Terrorismusabwehr überschreitenden Lebens- und Leibesgefährdung angeht – nicht von
einer ausreichenden „Verfolgungsdichte“ oder gar von einem staatlichen
Verfolgungsprogramm gesprochen werden. Zu diesem Ergebnis führt auch nicht die –
rechtlich gebotene – kumulative Einbeziehung der sonstigen Lebensbedingungen und
Risiken, die im Kern daraus resultieren, dass Israel die Palästinenser, wenn es sie nicht
vertreiben, dann doch wenigsten „klein“ halten will. Die in diesem Zusammenhang
einzubeziehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit insbesondere durch den
Trennungswall im Westjordanland mit mehreren hundert „Checkpoints“ trifft jeden, der sich
im Westjordanland bewegen will. Der Kläger gehört jedoch nicht zu denjenigen Betroffenen,
bei denen entsprechende Absperrmaßnahmen (z.B. betreffend landwirtschaftliche Flächen)
existenzbedrohend wirken. Hierbei geht es nicht um die Frage der Völkerrechtswidrigkeit
der Absperrmaßnahmen oder der Siedlungspolitik, die der „Economic and Social Council“
der Vereinten Nationen Ende 2004 als „now clear“ beantwortet hat, sondern um die
konkrete Gefährdungssituation des Klägers als eines nicht exponierten, aus der Umgebung
von Hebron stammenden „einfachen“ Palästinensers.
Entgegen der Einschätzung des Klägers droht ihm zur Überzeugung des Gerichts auch
nicht unter dem Gesichtspunkt der „Sippenhaft“ eine eigene politische Verfolgung, weil sein
kleiner Bruder im Alter von seinerzeit 13 Jahren beim Werfen von Steinen auf eine
israelische Patrouille am 01.04.2003 erschossen wurde. Bei einem 13jährigen (nicht nur
von einem jugendlichen Unterstützer, sondern) von einem „aktiven Mitglied der Hamas“ zu
sprechen, wie es der Kläger beim Bundesamt getan hat (Seite 3 unten des
Anhörungsprotokolls beim Bundesamt), und der dazu als solches von den Israelis erkannt
worden sei, fällt in diesem Zusammenhang schwer. Vielmehr spricht alles dafür, dass die
Verweigerung der Israelis, den Vater des Klägers in Israel arbeiten zu lassen ebenso wie die
Razzien, weniger auf das Steinewerfen des erschossenen 13jährigen Bruders des Klägers
gerichtet, sondern allgemeine Reaktionen auf die Intifada und deshalb keine speziell auf die
Familie des Klägers gerichtete Repression waren. Denn wenn die Familie im Verdacht der
aktiven Unterstützung der Hamas gestanden hätte, hätte es weitaus mehr Sinn gemacht,
den im Jahre 2003 24 Jahre alten Kläger mitzunehmen, als dessen Vater als
den im Jahre 2003 24 Jahre alten Kläger mitzunehmen, als dessen Vater als
Familienoberhaupt.
Auch die in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vorgetragenen Festnahmen seiner
anderen beiden Brüder geben keinen hinreichenden Hinweis auf eine dem Kläger unter dem
Gesichtspunkt der Sippenhaft drohende politische Verfolgung. Insoweit hat er angegeben,
einer seiner Brüder sitze im Gefängnis in Nekeb; dem werde vorgeworfen, in Israel illegalen
Handel getrieben zu haben. Er habe in Israel Handel getrieben und die dafür erforderliche
Genehmigung nicht gehabt. Das Vorgehen gegen diesen Bruder lässt keinen ernsthaften
Hinweis auf eine dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft drohe konkrete
Gefahr der Inhaftierung wegen eines asylerheblichen Merkmals erkennen.
Nichts anderes gilt für den anderen Bruder, der vor etwa 2 Monaten und damit etwa im
September 2006 im Anschluss an eine zum Zwecke des angeblichen Auffindens einer
Waffe dieses Bruders erfolglos durchgeführte Hausdurchsuchung festgenommen und ins
Gefängnis nach Majido in Israel gebracht worden sei. Diese Festnahme lässt, zumal nähere
Umstände nicht bekannt sind, einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Tod des
13jährigen Bruders fast dreieinhalb Jahre zuvor nicht erkennen. Sie bestätigt allein die oben
bereits getroffene Feststellung, dass nahezu jede palästinensische Familie inzwischen
Opfer von Verhaftungen, Misshandlungen, schweren Verletzungen oder Tötungen zu
beklagen hat, woraus sich ein allgemein starker Druck auf die palästinensische Bevölkerung
ergibt, das Land zu verlassen.
B.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. I 953 II S. 559) nicht in einen
Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse,
Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt nach Satz 2 auch für
Ausländer, die im Bundesgebiet die Rechtstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder
die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge im Sinne des Abkommens
über die Rechtstellung der Flüchtlinge anerkannt sind.
Die Voraussetzungen für einen Feststellungsanspruch nach der Vorgängerregelung des §
60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (§ 51 Abs. 1 AuslG 1990) und des Anerkennungsbegehrens
nach Art. 16 a Abs. 1 GG waren deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das
geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft (BVerwG, Urteil
vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843 = DÖV 1992, 582). Die aktuelle
Regelung erweitert die Voraussetzungen für das Vorliegen des Abschiebungsverbots um
die im Weiteren genannten Fälle.
Der Kläger fällt – entgegen seiner eigenen Ansicht - nicht allein wegen seiner Herkunft aus
dem palästinensischen Autonomiegebiet auf der Grundlage von § 60 Abs. 1 Satz 2
AufenthG ipso facto unter das Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (=
Genfer Konvention) und zwar auch nicht unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 a der
seit dem 10.10.2006, dem Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist, in Deutschland
unmittelbar anzuwendenden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 04.07.2006 – C-212/04 -, NJW
2006, 2465) Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung
und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als
Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304/12) (abgedruckt im GK unter IV -
1.23).
Vom Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfasst werden zunächst alle
anerkannten Asylberechtigten und Konventionsflüchtlinge, die das Bundesamt als
Flüchtlinge anerkannt hat. Unter den Begriff „sonstige Ausländer, die im Bundesgebiet die
Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen“ fallen insbesondere die nach dem
mittlerweile aufgehobenen Kontingentflüchtlingsgesetz aufgenommenen Ausländer, im
Ausland als solche anerkannte Flüchtlinge, die durch Ausstellung eines deutschen
Reiseausweises für Flüchtlinge in die deutsche Zuständigkeit übernommen wurden, und
sonstige im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannte Personen
(Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG Rdnr. 28). Zu Letzteren gehören die statutarischen
Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 A Nr. 1 GK und die nach Art. 1 D Abs. 2 GK (Hailbronner,
AuslR, § 60 AufenthG Rdnr. 29).
Nach Art. 12 Abs. 1 der genannten Qualifikationsrichtlinie ist ein Drittstaatenloser oder ein
Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er den Schutz oder
Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme
des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art. 1 Abschnitt D
der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus
irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage der Betroffenen gemäß den
einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig
geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.
Diese Regelung entspricht der in Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention
(abgedruckt u.a. im GK unter IV – 1.1):
Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zur Zeit den
Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten
Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für
Flüchtlinge genießen.
Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde
weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person gemäß den hierauf
bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen
geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen
dieses Abkommens.
Diese Klausel ist vor allem auf Palästina-Flüchtlinge anwendbar, die nicht mehr unter den
Schutz der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the
Near East) fallen, sei es, weil sich die Tätigkeit dieser UN-Hilfsorganisation für bestimmte
Flüchtlinge nur auf bestimmte Länder im Nahen Osten erstreckt, sei es, weil sich die
Tätigkeit dieser UN-Hilfsorganisation für bestimmte Flüchtlinge nur auf bestimmte Länder
im Nahen Osten erstreckt, sei es, weil einem UNRWA-betreuten Palästina-Flüchtling die
Berechtigung zur Rückkehr und zum Aufenthalt in dem Aufnahmestaat entzogen wurde
(vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1991 – 1 C 42.88 -, BVerwGE 88, 254 = InfAuslR 1991,
305). Wegen des auf die Versorgung der Flüchtlinge beschränkten Mandats der UNRWA ist
deren Schutz nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Vgl. BVerwG,
Urteil vom 21.01.1992 – 1 C 21.87 -, BVerwGE 89, 296 = InfAuslR 1992, 205) nicht
schon deshalb entfallen und die Genfer Konvention anwendbar geworden, weil der
Betroffene Zugriffen von dritter Seite oder sonstigen Gefahren aufgrund einer
bürgerkriegsähnlichen Situation ausgesetzt ist:
Art. 1 D GK stellt auf Personen ab, die den „Schutz“ oder „Beistand“ einer Organisation
oder Institution der Vereinten Nationen wie der INRWA „genießen“ („receiving … protection
or assistance/qui beneficent … d’une protextion ou d’une assistance” ). Die konkrete
Bedeutung der alternativen Betreuungsformen bestimmt sich nach der im Rahmen ihres
Auftrags wahrgenommenen Aufgaben der UNRWA. Diese Tätigkeit betrifft die Versorgung
der hilfsbedürftigen palästinensischen Flüchtlinge, namentlich durch die Bereitstellung von
Unterkunft in Lagern und Verpflegung mit Lebensmitteln. Dagegen hat die UNRWA weder
die Aufgabe noch die Möglichkeit, den von ihr betreuten palästinensischen Flüchtlingen
einen allgemeinen Schutz zu gewähren (Nicolaus/Saramo, ZAR 1989, 67 (70)). Sie ist
insbesondere weder legitimiert noch dafür gerüstet, politische Verfolgung oder nicht
politisch motivierte Zwangsmaßnahmen des Aufnahmestaates oder von dritter Seite,
Einwirkungen infolge eines Krieges oder sonstige Gefahren abzuwehren. Um einen so
verstandenen Schutz oder Beistand geht es im Rahmen des Art. 1 D GK nicht.
Schutz und Beistand setzen nicht voraus, dass der einzelne Flüchtling im Zeitpunkt der
Entscheidung von der UNRWA tatsächlich Hilfsleistungen erhält. Maßgeblich für den Schutz
und den Beistand ist vielmehr, ob der Betroffene (noch) der Personengruppe angehört,
deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Solange
daher die Betreuung dieser Personengruppe durch die UNRWA andauert und der einzelne
daher die Betreuung dieser Personengruppe durch die UNRWA andauert und der einzelne
dieser Personengruppe angehört, besteht der Schutz oder Beistand der UNRWA
grundsätzlich fort.
Andererseits besteht der Schutz oder Beistand der UNRWA nicht weltweit. Dies ergibt sich
schon aus der Bezeichnung UNRWA „for Palestine Refugees in the Near East“. Die Tätigkeit
der UNRWA erstreckt sich nur auf bestimmte Länder im Nahen Osten. Palästina-Flüchtlinge
außerhalb dieser Gebiete werden von der UNRWA nicht betreut. Die Ausschlussklausel des
Art. 1 D Abs. 2 GK gilt nur, solange die von ihr erfassten Personen den oben näher
beschriebenen Schutz oder Beistand der UNRWA genießen. Ist dieser Schutz weggefallen,
findet die Konvention Anwendung.
Vorübergehende Unterbrechungen des Schutzes oder Beistandes der UNRWA, z.B. bei
zeitweiligem Ausbleiben der materiellen Hilfeleistungen aufgrund von
Transportschwierigkeiten, lassen die UNRWA-Betreuung im Sinne des Übereinkommens
fortbestehen. Sinn und Zweck der Ausschlussklausel gebieten, dass nicht bereits
vorübergehende Vorkommnisse einen Wegfall des Schutzes oder Beistandes bewirken,
sondern nur solche, denen Dauerhaftigkeit zukommt.
Wegen des auf die Versorgung beschränkten Mandats der UNRWA ist deren Schutz oder
Beistand nicht deshalb weggefallen, weil der Betroffene Zugriffen von dritter Seite oder
sonstigen Gefahren ausgesetzt ist. Die Genfer Konvention ist daher nicht schon deshalb
auf den Kläger anwendbar, weil dessen Schutz seitens der UNRWA durch die
bürgerkriegsähnliche Situation … nicht oder nur unzureichend gewährleistet ist.
Der Betroffene genießt nicht mehr den Schutz oder Beistand der UNRWA, wenn die
Unterstützung der gesamten Personengruppe oder einzelner Personen, für die sie bisher
tätig geworden ist, endet. Das ist, weil es nach Art. 1 D Abs. 2 GK nicht auf die Gründe für
den Wegfall des Schutzes oder Beistandes ankommt, dann der Fall, wenn die UNRWA ihre
Tätigkeit einstellt oder ihre Schutz- oder Beistandsleistung nicht nur vorübergehend
verhindert wird.
Der Schutz oder Beistand der UNRWA ist demgegenüber nicht im Sinne der Genfer
Konvention weggefallen, wenn der Betroffene das Tätigkeitsgebiet der UNRWA verlässt und
an Stelle dieses Schutzes oder Beistandes die Vergünstigungen der Konvention für sich
beansprucht.
Das ergibt sich, wie der erkennende Senat ebenfalls in seinem Urteil vom 04.06.1991 – 1
C 42.88 – ausgeführt hat, aus dem Zweck der Ausschlussklausel: Wie bereits erwähnt, soll
die Vertragsvorschrift gewährleisten, dass sich in erster Linie die UNRWA der
palästinensischen Flüchtlinge annimmt, nicht aber die Vertragsstaaten, insbesondere nicht
die arabischen Staaten. Die palästinensischen Flüchtlinge werden also primär auf den
Schutz oder Beistand der UNRWA verwiesen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die
Betroffenen es weitgehend in der Hand hätten, ob sie den Schutz oder Beistand der
UNRWA oder allgemein die Vergünstigungen der Konvention in Anspruch nehmen. Das ist
offenkundig für solche Personen, die in dem bisherigen Aufnahmestaat verbleiben und dort,
sofern es sich um einen Signatarstaat der Genfer Konvention handelt, die Vergünstigungen
dieses Abkommens für sich beanspruchen. Dieser Staat darf unter Hinweis auf die
Vorrangigkeit der UNRWA-Betreuung die Vergünstigungen des Abkommens versagen.
Ebenso darf jeder andere Vertragsstaat verfahren, in den der Betroffene einreist.
Dabei kommt es nicht auf die Gründe an, die den Betroffenen zur Preisgabe der UNRWA-
Betreuung und zum Verlassen des Tätigkeitsgebiets der UNRWA veranlasst haben. Ebenso
wenig kommt es darauf an, ob dem Betroffenen eine weitere Inanspruchnahme des
UNRWA-Schutzes oder –Beistandes zumutbar ist oder ihm deren Verlust vorgeworfen
werden kann. Auch wenn ein Verbleiben im Tätigkeitsgebiet der UNRWA unzumutbar ist,
bedeutet das nicht, dass die UNRWA ihre Tätigkeit eingestellt hat oder die Ausreise einer
Einstellung der Tätigkeit gleichstünde. Die allgemeinen oder besonderen
Lebensbedingungen, denen der einzelne in den Aufnahmestaaten ausgesetzt ist, mögen es
im Einzelfall nicht nur verständlich, sondern sogar zwingend erscheinen lassen, dass er das
Land verlässt. Soweit die UNRWA in dem betreffenden Land weiterhin tätig ist, soll aber
den Vertragsstaaten nicht schon deswegen die Verantwortung für den Betroffenen
zuwachsen.
Damit kann der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen, dass er wegen seiner Ausreise
aus den palästinensischen Autonomiegebieten des Schutzes der UNRWA verlustig
gegangen sei und deshalb nach Art. 1 D Abs. 2 GK ipso facto Flüchtling nach der GK
geworden sei. Palästinensische, bei der UNRWA registrierte Flüchtlinge haben nicht das
Recht, das Tätigkeitsgebiet der UNRWA zu verlassen und anstelle dieses Schutzes die
Vergünstigungen der GK für sich zu beanspruchen (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG
Rdnr. 30).
Hat ein von Art. 1 D Abs. 1 GK betroffener Palästinenser den bisherigen Aufenthaltsort
indes aus berechtigter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen, so begründet dieser
Umstand seine Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 A Nr. 2 GK und führt in der
Bundesrepublik Deutschland zu seiner die Rechtsstellung nach der GK vermittelnden
Anerkennung als Asylberechtigter in dem
dafür vorgesehenen Verfahren (BVerwG, Urteil vom 21.01.1992 – 1 C 21.87 -, BVerwGE
89, 296 = InfAuslR 1992, 205 (209)).
Zur Überzeugung des Gerichts war der Kläger indes aus den oben bereits breit
ausgeführten Gründen zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem palästinensischen
Autonomiegebiet Anfang Februar 2005 weder wegen seiner politischen Überzeugung noch
wegen eines anderen asylerheblichen Merkmals in seiner körperlichen Unversehrtheit
und/oder persönlichen Freiheit durch den israelischen Staat oder die palästinensische
Autonomiebehörde bedroht und ist dies auch heute nicht.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor.
C.
Auch die Feststellung des Bundesamtes nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, ist bezogen auf die
Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG rechtlich nicht zu beanstanden. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung. Er wird in Israel und/oder
dem autonomen Palästinensergebiet nicht wegen einer Straftat gesucht, auf die die
Todesstrafe steht (§ 60 Abs. 2). Ein förmliches Auslieferungsersuchen liegt ebenfalls nicht
vor (§ 60 Abs. 4).
Für ihn besteht auch nicht die konkrete Gefahr, der Folter unterworfen zu werden (§ 60
Abs. 2). Wenn das der Fall wäre, hätte er zugleich im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG in
Verbindung mit Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. 1952 II S. 686) einen Anspruch auf Feststellung
dieses Abschiebungsverbotes.
Der Begriff der Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und damit auch von § 60 Abs.
2 AufenthG und von Art. 3 EMRK ist kein anderer als der im asylrechtlichen
Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte. Allerdings statuiert das
Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis
einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation
(BVerfG, Beschluss vom 24.06.2003 - 2 BvR 685/03 -, EuGRZ 2003, 518 = EzAR 050 Nr.
8 = DVBl. 2003, 1262; BVerwG, Urteil vom 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, DVBl. 1996,
1257; Beschlüsse vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46
und vom 20.12.2001 1 B 280.01 -, Buchholz 140 Art. 3 EMRK Nr. 12 ). Allein die Gefahr
willkürlicher Behandlung - ohne besondere individuelle, die Gefahren erhöhende Momente -
genügt nicht, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer gezielten Misshandlung im Sinne
von Art. 3 EMRK annehmen zu können (BVerwG, Beschluss vom 01.12.2000 - 9 B 549.00
-, Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 60). Die Gefahr einer individuellen gezielten
Misshandlung besteht nicht erst, wenn ein eindeutiger Beweis für eine zu erwartende
Misshandlung des Betroffenen vorhanden ist. Andererseits genügt aber die Feststellung
nicht, in dem Zielstaat der Abschiebung herrschten rechtsstaatswidrige oder ganz
allgemein nachteilige politische oder wirtschaftliche Verhältnisse (VG Stuttgart, Urteil vom
07.06.2004 – A 10 K 10342/03 -, bei juris, unter Hinweis auf VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 22.11.2000 – A 13 S 1205/97 -, VGHBW-Ls 2001, Beilage 2, B 2).
Diese Voraussetzung liegt für den Kläger nicht vor, der insoweit selbst vorgetragen hat,
dass ihm persönlich im Zeitraum vom 01. April 2003, dem Tage des Märtyrertodes seines
Bruders, bis zu seiner Ausreise am 08.02.2005 nichts zugestoßen sei, weil sich die Israelis
an seinen Vater als Familienoberhaupt und ältestes Mitglied der Familie gehalten habe.
Wenn er – der Kläger – allerdings auch nur ansatzweise im Verdacht der Zusammenarbeit
mit der Hamas gestanden hätte, wäre das zur Überzeugung des Gerichts so nicht
abgelaufen. Damit gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem
Kläger über die Gefahr, im Zusammenhang mit einer israelischen Vergeltungsmaßnahme
rechtserhebliche Beeinträchtigungen zu erleiden, der jeder Bewohner der
Autonomiegebiete unterliegt, hinausgehend einer individuellen, in seiner Person
begründeten Gefahr unterliegt. Deshalb bleibt es auch insoweit dabei, dass für den Kläger
kein die Gefahr erhöhendes Moment feststellbar ist.
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung des Abschiebungsverbotes
nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). Nach dieser
Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen
werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben
oder Freiheit besteht. Allerdings werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (früher: § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990) Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die
Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei
Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (früher: § 54 AuslG 1990)
berücksichtigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt der zitierte Satz 2
grundsätzlich zu einer Sperrwirkung bezüglich der Anwendung des Satzes 1 auf derartige
Fälle (Urteil vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 = InfAuslR 1996, 149). Eine
solche Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60 a AufenthG liegt für Israel und
die autonomen Palästinensergebiete nicht vor.
Dieser Grundsatz der Sperrwirkung des Satzes 2 erfährt allerdings eine Ausnahme, wenn
auf der Basis von Satz 1 in Verbindung mit den Art. 1 und 2 GG bei einer entsprechenden
Gefahrendichte Abschiebungsschutz zwingend geboten ist. Wenn dem einzelnen Ausländer
keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zustehen,
er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben
werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7
Satz 2 AufenthG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz
einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner
Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung keinen Gebrauch gemacht haben,
einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1
Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer
Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz zu
gewähren (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 (328) =
InfAuslR 1996, 149). Voraussetzung hierfür ist, dass in dem betreffenden Gebiet nahezu
jedermann jederzeit Opfer werden kann. Es bedarf hierzu in der Regel der Feststellung von
Verletzungssituationen, die nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit dicht und eng
gestreut auftreten, sich ausweiten, wiederholen und um sich greifen. Der Betroffene
müsste durch die Abschiebung gleichsam in einen „Hexenkessel“ oder ein „Stahlgewitter“
allgegenwärtiger Todes- und Leibesgefahren geraten. Diese Verletzungsgefahr muss
nahezu jedem aktuell drohen (VG Würzburg, Urteil vom 08.07.2005 – W 2 K 04.30280 -,
bei juris, unter Hinweis auf GK-AuslR, § 53 AuslG (1990) Rdnr. 208.1 m.w.N.).
Weder die Feststellung des Bestehens eines Bürgerkriegs noch eines Untergrundkriegs
begründen automatisch eine Extremgefahr. In den beurteilten Bürgerkriegsfällen hat das
Bundesverwaltungsgericht die Extremgefahr konkret dann bejaht, wenn die
Bürgerkriegskämpfe bereits am Ankunftsort stattfinden und sich der Ausländer ihnen durch
Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes mithin nicht entziehen kann
(BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -; BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 -
BVerwG 9 C 40.96 -). So hat das Bundesverwaltungsgericht die konkrete
Bürgerkriegssituation in Afghanistan im Jahr 1995 als Extremgefahr für Rückkehrer
anerkannt. Dort war eine Abschiebung nur über den Flughafen Kabul möglich, der
Bürgerkrieg tobte aber nach den seinerzeitigen Tatsachenfeststellungen hauptsächlich im
Bereich dieser Stadt, die größere Teile der Bevölkerung bereits wegen der unerträglichen
Lebensverhältnisse verlassen hatten (BVerwG, Urteil vom 17.1.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -,
BVerwGE 99, 324 - 330). Eine Extremgefahr hat das Bundesverwaltungsgericht weiter für
die konkrete Bürgerkriegssituation 1997 in Somalia bejaht. Dort kam nur eine Abschiebung
über den Flughafen in Mogadischu in Betracht. Nach den zugrunde liegenden
Tatsachenfeststellungen wäre der dortige Kläger bei einer Abschiebung über den Flughafen
von Mogadischu in die dort besonders heftigen Kämpfe hineingeraten; er wäre sehenden
Auges der extremen Gefahr ausgesetzt worden, entweder am Flughafen sofort getötet
oder schwer verletzt zu werden oder in Mogadischu an Hunger oder Krankheit zu sterben,
ohne überhaupt noch sichere Landesteile erreichen zu können (BVerwG, Urteil vom
2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -). Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht ergänzend
zu der Bürgerkriegsrechtsprechung in zwei Afghanistan betreffenden Fällen eine
Extremgefahr bejaht, da der Ausländer dort dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert
worden wäre (BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - BVerwG 9 B 617.98 - sowie Urteil
vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, wobei im letzteren Fall die Gefahr eines sicheren
Hungertodes zwar bejaht wurde, die dortige Klägerin aber anderweitigen
Abschiebungsschutz besaß). Bezogen auf Armenien hat das Bundesverwaltungsgericht
eine Extremgefahr verneint, wenn eine katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation
mit Obdachlosigkeit, Unterernährung und unzureichender medizinischer Versorgung
vorliegt, den Rückkehrer aber nicht der sichere Tod oder schwerste Beeinträchtigungen
alsbald nach seiner Ankunft erwarten (BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -
). Auch desolate hygienische Verhältnisse und ein praktisch kaum leistungsfähiges
Gesundheitssystem in Angola mit hoher statistischer Kindersterblichkeit reichen als
Extremgefahr nicht aus, soweit die betroffenen Rückkehrer nicht nach tragfähiger
Feststellung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausgeliefert werden (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -). Weiterhin
begründeten besondere existenzielle Schwierigkeiten in Nigeria für eine allein stehende
Mutter keine Extremgefahr, solange die Klägerin nicht gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom
16.06.2004 - 1 C 27.03 -).
Auf dieser Grundlage hat das VG Würzburg im Urteil vom 02.10.2002 (– W 2 K 02.30657
-, bei juris) im Falle eines Palästinensers ungeklärter Staatsangehörigkeit mit gewöhnlichem
Aufenthalt in Israel das Bestehen dieses Abschiebungshindernisses verneint. Die zum
Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünfte bezögen sich zwar in erster Linie auf
den Gazastreifen, könnten aber auf das Westjordanland übertragen werden, weil es keine
Anhaltspunkte dafür gebe, dass die allgemeine Situation dort deutlich negativer zu
beurteilen wäre als im Gazastreifen:
Das Deutsche Orient-Institut berichtet in seiner Auskunft vom 03.01.2002 an das VG
Ansbach, dass sich der Gazastreifen derzeit auf dem wirtschaftlichen Stand ärmerer
Länder in Afrika befindet. Die Grundversorgung wird über die UNRWA sichergestellt, ebenso
ein bescheidenes Angebot an Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Das Ausbrechen von
Hungersnöten wird vom israelischen Staat verhindert. Die meisten Leute haben keinen
Zugang zu sauberem Wasser. Dennoch wird nicht von hierauf beruhenden Krankheiten
oder Epidemien berichtet. Monatelange Blockaden führen zu wirtschaftlichem Stillstand.
Tötungen im Rahmen der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und
Israelis sind an der Tagesordnung. Niemand kann sicher sein, nicht Opfer zu werden. In den
„besetzten Gebieten“ waren innerhalb eines Jahres etwa 1.000 Todesopfer zu beklagen.
Zu berücksichtigen sind nach dieser Auskunft auch palästinensische Auseinandersetzungen.
Zusammenfassend wird die Lage im Gazastreifen als „entsetzlich“ eingestuft.
Das Auswärtige Amt teilt in seiner Auskunft vom 04.03.2002 an das VG Ansbach mit,
dass die israelische Armee als Reaktion auf Attentate palästinensischer Terroristen
Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde und von Organisationen zerstört,
die Israel für terroristische Angriffe verantwortlich macht. Schusswechsel zwischen
Palästinensern und der israelischen Armee sind keine Seltenheit. Es lässt sich nicht gänzlich
verhindern, dass bei dieser Art der quasi-militärischen Auseinandersetzung auch
Unbeteiligte Opfer werden. Dennoch führt die israelische Armee diese Vergeltungsschläge
gezielt, mit hoher Präzision und modernen Waffen sowie zeitlich befristet durch, so dass
Unbeteiligte keiner besonderen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Hinzu kommt
die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Palästinenser innerhalb der Autonomiegebiete.
Der „Spiegel“ berichtet in der Ausgabe vom 25. Juli 2002, Seite 15, davon dass etwa 70 %
aller Palästinenser von weniger als 2 Euro pro Tag leben. Jedes fünfte Kind leidet an
Unterernährung. Grund hierfür sind die Ausgangssperren.
Eine Gesamtbetrachtung dieser Auskünfte führt … zu der Erkenntnis, dass die …
geforderte Feststellung, dass nahezu jedermann jederzeit Opfer werden kann, nicht
vorliegt. Zunächst sind die unmittelbar zwingenden Lebensvoraussetzungen wie Ernährung
und Wohnung zumindest insoweit gesichert, dass jedermann das Überleben möglich ist.
Eine sehr problematische wirtschaftliche Situation kann dem gegenüber hier nicht weiter
helfen. Gleiches gilt für die starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die
israelische Blockade-Politik, die die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
zumindest nicht soweit einschränkt, dass die vom BVerwG geforderte absolute
Ausnahmesituation vorläge. Eine andauernde unmittelbare Gefährdung durch die
bewaffneten Auseinandersetzungen liegt schon nach der Auskunft des Deutschen
Orientinstituts nicht vor, wonach allein der Gazastreifen etwa 1,2 Millionen Einwohner zählt,
dem etwa 1.000 Tote innerhalb eines Jahres bezogen auf Gazastreifen und Westjordanland
gegenüber stehen. Selbst wenn die Zahl der Verletzten deutlich höher liegt, kann bei
diesem Verhältnis nicht von einer „allgegenwärtigen“ Leibes- und Todesgefahr gesprochen
werden.
Ebenso hat das VG Düsseldorf im Urteil vom 07.02.2003 (- 21 K 3794/00.A -, bei juris) im
Falle eines in Jenin (Westjordanland) geborenen palästinensischen Volkszugehörigen
ausgeführt, es sei nicht feststellbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr sehenden Auges
dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde. Die
bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den israelischen Sicherheitskräften
und den palästinensischen Befreiungsbewegungen hätten weder im Gazastreifen noch im
Westjordanland bisher eine Situation entstehen lassen, die es gerechtfertigt erscheinen
ließe, für jeden dort aufenthaltigen Palästinenser vom Risiko einer sicheren Todes- oder
Verletzungsgefahr auszugehen. Das bestehende Risiko, als an den Kampfhandlungen
Unbeteiligter Opfer des militärischen Konflikts zu werden, sei nicht so gravierend, dass der
Kläger bei seiner Rückkehr in diese Gebiete gleichsam zwangsläufig zu Tode kommen oder
schwerste Verletzungen erleiden werde. Nach Auskunft des Deutschen Orient-Instituts
hätten die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis
innerhalb eines Jahres etwa 1.000 Todesopfer gefordert (Auskunft des DOI an das VG
Ansbach vom 03.01.2002). Berücksichtige man demgegenüber die Zahl der allein im
Gazastreifen lebenden Palästinenser, die in der gleichen Auskunft mit 1,2 Millionen beziffert
sei, verdeutliche dies, dass zwar ein Risiko bestehe, Opfer der bewaffneten
Auseinandersetzungen zu werden. Die erforderliche Schwelle eines „sicheren Todes“
werde damit aber nicht überschritten. Die Risiken für Leib und Leben, die aus der
angespannten Versorgungslage und gegebenenfalls auf Grund der Zerstörung von
Wohnhäusern durch die israelische Armee in der palästinensischen Gebieten herrührten,
seien ebenfalls nicht gravierend genug, um von einem generelle Abschiebungshindernis für
alle Palästinenser ausgehen zu können. Obwohl in den Medien täglich über die Situation in
Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten berichtet werde, gebe es keine
Erkenntnisse über Hungersnöte oder die Verbreitung von Seuchen mit der Folge
massenhafter Todesfälle unter der palästinensischen Bevölkerung.
Demgegenüber hat das VG Stuttgart im Urteil vom 07.06.2004 (– A 10 K 10342/03 -, bei
juris) im Falle eines aus dem Westjordanland stammenden Palästinensers die in Israel
bestehende Sicherheitslage, insbesondere im Gaza-Streifen, den Palästinensischen
Gebieten sowie im Westjordanland, als eine derart extreme Gefahr angesehen, die zu
einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG) führe und dazu ausgeführt:
Angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen
Autonomiegebieten bestehen von Amts wegen zu berücksichtigende Anhaltspunkte dafür,
dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegt. Denn die
Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten ist geprägt von Terror- und
Gegenterrorakten, die angesichts der bedrohten Rechtsgüter von Leben und körperlicher
Unversehrtheit zur Einschätzung als einer extremen Gefahrenlage für den Kläger führt, mit
der die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG überwunden werden kann. Bei einer
allgemeinen, der gesamten Bevölkerung in dem betroffenen Gebiet drohenden Gefahr ist
die Feststellung von Abschiebungshindernissen nur möglich, wenn sich die bestehende
Gefahr als extreme darstellt. Diese Voraussetzung ist bei der derzeit in Israel bestehenden
Sicherheitslage gegeben. Nach den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes
(www.auswaertiges-amt. de; Stand 17.12.2003) besteht in Israel derzeit und besonders
in Orten nahe der Grenzlinie zur Westbank und dem Gaza-Streifen sowie in Tel Aviv die
Gefahr von Anschlägen, insbesondere Selbstmordattentaten. Es wird bei Reisen zu
höchster Vorsicht aufgefordert. Aufgrund der bestehenden Gefahr schwerer Anschläge
wird für Reisen nach Jerusalem ebenfalls zu höchster Vorsicht geraten. Die Sicherheitslage
in den Palästinensischen Gebieten (Westbank und Gaza) wird als extrem angespannt
beschrieben, nachdem große Teile der Gebiete durch Israel praktisch dauerhaft besetzt und
zum Teil auch gesperrt seien, so dass von Reisen dorthin abgeraten wird. In den
Veröffentlichungen des israelischen Außenministeriums im Internet wird von 934 bei
Anschlägen getöteten Israelis in der Zeit seit Beginn der zweiten Intifada im September
2000 bis zum 01.02.2004 berichtet. Die Generaldelegation Palästinas in der
Bundesrepublik Deutschland berichtete auf ihrer Internetseite von 2.160 getöteten
Palästinensern im Zeitraum vom 28.09.2000 bis zum 22.01.2003. Der Friedensprozess
stagniert und hat durch den geplanten und zur Zeit schon im Bau befindlichen Sperrwall
zum Westjordanland einen erheblichen Rückschlag erlitten (StZ vom 20.12.2003 und MM
vom 20.12.2003). Selbstmordattentate sind in Israel nach wie vor an der Tagesordnung
und ziehen Vergeltungsaktionen von Seiten Israels nach sich (StZ vom 27.12.2003 und
MM vom 27.12.2003). Davon betroffen ist nicht nur der Gazastreifen, auch im
Westjordanland, aus dem der Kläger stammt, kommt es immer wieder zu gewalttätigen
Zusammenstößen zwischen der israelischen Armee und der palästinensischen Bevölkerung
(StZ vom 05.01.2004 und vom 12.01.2004). Auch Bundesaußenminister Fischer hat in
seiner Rede zur Nahostpolitik vor dem Deutschen Bundestag am 13.02.2004 festgehalten,
dass die gegenwärtige Situation von Verlusten unter der Bevölkerung auf beiden Seiten
gekennzeichnet sei (vgl. die auszugsweise Veröffentlichung der Rede unter
www.auswaertiges-amt.de). Vor diesem Hintergrund des Ausmaßes dieses gewalttätigen
Konflikts kann die Annahme einer extremen Gefahrenlage jedenfalls nicht ausgeschlossen
werden, was angesichts der hohen Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter zur
Gewährung von Abschiebungsschutz führen muss.
Diese Einschätzung hat das VG Stuttgart im Urteil vom 31.05.2005 (- A 10 K 13681/03 -,
InfAuslR 2005, 347) unter Wiederholung der Presseartikel und mit Hinweis auf die
seinerzeit aktuellen Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes (Stand: 23.02.2005)
beibehalten. Die gegenteilige Einschätzung der Gefahrenlage durch das VG Düsseldorf
(Urteil vom 07.02.2003 – 21 K 3794/00.A -, bei juris) und das VG Braunschweig (Urteil
vom 30.04.2004 – 3 K 273/03 -, bei juris) ändere daran nichts. Diese berücksichtigten
allein die Zahl der Todesopfer und ließen außer Acht, dass auch schwer Verletzte und
solche zu diesem Personenkreis zu zählen seien, die sich in einer solchen
Gefährdungssituation, d.h. Todesgefahr oder Gefahr von schwersten Verletzungen,
befunden hätten. Eine rein quantitative Betrachtung der Gefahrenlage sei angesichts der
betroffenen Rechtsgüter nicht angemessen, weil sich der rechtliche Maßstab für die
Unzulässigkeit der Abschiebung aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz
insbesondere des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ergebe. Die individuelle
Furcht eines Ausländers, von einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in erheblicher
Weise betroffen zu werden, sei dann begründet, wenn es ihm bei objektiver Beurteilung
und verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zumutbar sei, in
den betreffenden Staat abgeschoben zu werden. Eine rein quantitative oder statistische
Betrachtung verbiete sich (BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 C 6.95 -, BVerwGE 102,
249 = InfAuslR 1997, 193), eine Rückkehr könne auch dann unzumutbar sein, wenn eine
mathematische Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 % bestehe (BVerwG, Urteil vom
05.11.1991 – 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162).
Demgegenüber hat das VG Würzburg im Falle eines arabischstämmigen Juden aus Israel,
der eine vom israelischen Staat geduldete Drangsalierung durch orthodoxe Juden geltend
gemacht hatte, eine solche extreme Gefahr im Urteil vom 08.07.2005 unter Hinweis auf
das Verhältnis von 6,75 Millionen Israeli zu (lediglich) etwa 1.000 Todesopfern und 20.000
überlebenden Opfern von Anschlägen innerhalb der letzten vier Jahre abgelehnt.
überlebenden Opfern von Anschlägen innerhalb der letzten vier Jahre abgelehnt.
Auf der Grundlage der aktuellen Auskunftslage lässt sich ein Abschiebungsverbot für den
Kläger auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer extremen
Gefahrenlage nicht feststellen. Da der Kläger kein israelischer Staatsangehöriger ist,
kommt eine „Rückkehr“ in das Staatsgebiet Israels nicht ernsthaft in Betracht. Israel ist
allein insoweit von Bedeutung, als eine Rückkehr in die Westbank derzeit nur über Israel
möglich ist. Dass sich allerdings die Situation in Israel so darstellen würde, dass dem Kläger
nach der Landung auf einem internationalen Flughafen wegen einer dort vorhandenen
(bürger-)kriegsähnlichen Situation sogleich der sichere Tod oder schwerste Verletzungen
drohten, kann nicht ernsthaft behauptet werden. Das erkennende Gericht stellt deshalb
entscheidend auf die Situation im Falle der Rückkehr des Klägers in die Westbank ab, in der
der Kläger geboren wurde und wo er sich auch bis zu seiner Ausreise im Februar 2005
zeitlebens aufgehalten hat.
Nach den aktuellen Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes (Stand: 08.11.2006) ist
die Sicherheitslage in Israel, in den Palästinensischen Gebieten und im Grenzgebiet zum
Libanon weiterhin angespannt. Vor Ort befindliche Personen in Israel und den
Palästinensischen Gebieten werden daher zu erhöhter Vorsicht aufgerufen. Vor Reisen in
den Gazastreifen wird dringend gewarnt. Seit der Entführung eines israelischen Soldaten
am 26.06.2006 führt die israelische Armee im gesamten Gazastreifen Militäraktionen
durch. Der Gazastreifen ist seither bis auf kurzfristige Öffnungen vollständig abgeriegelt.
Wer dorthin reist, muss mit einer Gefährdung durch Militäraktionen, terroristische
Anschlägen und Entführungen rechnen. Auch von Reisen in die Westbank wird derzeit
grundsätzlich abgeraten. Die Städte Jenin, Nablus, Hebron und Tulkarem sollten völlig
gemieden werden. Auf Straßen in der Westbank ist es im Frühjahr vereinzelt zu Schüssen
auf vorbeifahrende Fahrzeuge gekommen. Geschäftsreisenden und anderen Reisenden, die
aus zwingenden Gründen in die Westbank reisen, wird empfohlen, sich vor Reiseantritt auf
jeden Fall bei ihrer Partnerorganisation vor Ort oder dem Deutschen Vertretungsbüro in
Ramallah zu erkundigen und sich nach Möglichkeit durch einen ortskundigen Vertreter der
Partnerorganisation begleiten zu lassen. Nachtfahrten außerhalb der Städte sollten
vermieden werden.
Diese Sicherheitshinweise geben keinen ausreichenden Anhaltspunkt für eine extreme
allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern
würde. Auch unter Anlegung eines qualitativen Maßstabs wird der Kläger im Falle seiner
Rückkehr in sein Dorf Tarqumia in der Nähe von Hebron im Westjordanland nicht dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden. Die Situation im
Westjordanland ist ersichtlich weniger gravierend als die im Gazastreifen, vor dessen
Betreten (vom Auswärtigen Amt) nicht „dringend gewarnt“, sondern von dem „nur“
„grundsätzlich abgeraten“ wird. Diese unterschiedliche Bezeichnung ist Ausdruck einer
deutlich geringer eingeschätzten Gefahrenlage. Darüber hinaus werden die vor Ort
befindlichen Personen nicht etwa gewarnt oder gar zur Ausreise aufgefordert, sondern
allein zu erhöhter Vorsicht aufgerufen.
Das OVG des Saarlandes hat im Übrigen zur Bedeutung der Reisewarnungen des
Auswärtigen Amtes im Urteil vom 29.09.2006 (- 3 R 6/06 – zur Situation im Irak)
ausgeführt, dass diese Reisewarnungen für Touristen und Geschäftsreisende keinen Ansatz
für einen Wertungswiderspruch bei der Verneinung einer Extremgefahr böten, weil die
Warnungen eine unverbindliche Information darstellen und keine verbindliche Regelung im
Sinne des Schutzes der Menschenwürde enthalten und ein Informationsbedürfnis schon
wesentlich früher besteht als erst bei einer Situation, in der Reisende sehenden Auges dem
sicheren Tod ausgeliefert werden. Da die Schwelle für eine Reisewarnung wesentlich
niedriger sei, gebe sie keinen hinreichenden Anhaltspunkt für eine Extremgefahr im
Verständnis von § 60 Abs. 7 AufenthG.
D.
Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist zwar rechtswidrig, weil sie Israel
als primären Zielstaat der Abschiebung bezeichnet; sie verletzt den Kläger aber nicht in
seinen Rechten.
Staat
werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll.
Da der Kläger eine Geburtsurkunde der Abteilung der zivilen Angelegenheiten des
Innenministeriums der Palästinensischen Behörde vom 15.01.2006 vorgelegt hat, aus der
sich ergibt, dass seine beiden Eltern palästinensische Staatsangehörige seien, er selbst
stets im Bereich von Hebron gelebt habe und im Besitze eines palästinensischen
Reisepasses aus der Westbank nach Jordanien ausgereist und von Amann nach Frankfurt
am Main geflogen sein will, spricht derzeit nichts für die Annahme, der Kläger könnte
israelischer Staatsangehöriger sein. Unter diesen Umständen ist die Zielstaatsbestimmung
Israel in der Abschiebungsandrohung fehlerhaft, weil die Westbank nicht Teil des
Staatsgebiets Israels ist, sondern unter palästinensischer Selbstverwaltung steht. Da es
aber völkerrechtlich derzeit keinen Staat Palästina und damit auch keine palästinensische
Staatsangehörigkeit gibt (Nieders. OVG, Beschluss vom 21.04.2004 – 11 LA 61/04 -,
NVwZ-RR 2004, 788 m.w.N.), und auch das Westjordanland nicht als eigenstaatliches
Gebilde angesehen werden kann, gibt es – mit Ausnahme von Israel, dessen
Staatsangehörigkeit der Kläger indes voraussichtlich nicht besitzt - derzeit keinen „Staat“
im Verständnis von § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, in den der Kläger (vorrangig)
abgeschoben werden kann.
Diese (an der fehlenden Staatseigenschaft der Palästinensischen Autonomiegebiete
scheiternde und damit) fehlerhafte Zielstaatsbezeichnung verletzt den Kläger allerdings
nicht im Verständnis von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „in seinen Rechten“. Denn bei der
Sollvorschrift des § 59 Abs. 2 AufenthG (früher: § 50 Abs. 2 AuslG 1990) handelt es sich
lediglich um eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer
Ordnungsvorschrift. Vor allem die Regelung in § 59 Abs. 3 AufenthG (früher: § 50 Abs. 3
AuslG 1990) zeigt, dass die Abschiebungsandrohung als solche selbst dann bestehen
bleibt, wenn in ihr (rechtswidrigerweise) ein Zielstaat benannt ist, für den ein zwingendes
Abschiebungsverbot besteht. Mit dieser gesetzlichen Wertung stünde es schwerlich in
Einklang, wenn aus dem Fehlen bzw. der Rechtswidrigkeit einer nach § 59 Abs. 2 Halbsatz
1 AufenthG (früher: § 50 Abs. 2 Halbs. 1 AuslG 1990) gebotenen Zielstaatsbezeichnung
auf die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt zu schließen (Nieders.
OVG, Beschluss vom 21.04.2004 – 11 LA 61/04 -, NVwZ 2004, 788 f. m.w.N. ). Die
Rechte des betroffenen Ausländers werden in einem solchen Falle ausreichend dadurch
gewahrt, dass ihm vor einer Abschiebung der konkrete Zielstaat bekannt gegeben werden
muss, damit er rechtzeitig gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.