Urteil des VG Saarlouis vom 27.10.2009

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VG Saarlouis Beschluß vom 27.10.2009, 2 L 1443/09
Zur ausnahmsweisen Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der
Abschiebung nach Griechenland
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage (AZ: 2 K 1442/09) gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 12.06.2009 wird angeordnet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Kosten des Verfahrens im Übrigen trägt die Antrags-gegnerin.
Gründe
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, die der Antragsteller
gegen den ihm am 12.10.2009 zugestellten Bescheid der Antragsgegnerin erhoben hat,
mit dem festgestellt wurde, dass ihm in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht
zusteht und die Abschiebung nach Griechenland angeordnet wurde, ist zulässig und hat in
der Sache Erfolg.
Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis ungeachtet dessen, dass die für den
13.10.2009 vorgesehene Überführung des Antragstellers nach Griechenland daran
gescheitert ist, dass er unter der vorgenannten Anschrift nicht angetroffen werden konnte.
Zwar konnte die Überstellung damit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr.
343/2003 des Rates vom 18.02.2003 nicht binnen sechs Monaten durchgeführt werden.
Die Antragsgegnerin hat allerdings mit Schreiben vom 13.10.2009 der griechischen Seite
mitgeteilt, eine Überstellung des Antragstellers sei derzeit nicht möglich, weil er
untergetaucht sei. Auszugehen ist deshalb von der Regelung des Art. 19 Abs. 4 Satz 2 der
Richtlinie, wonach sich die Frist auf höchstens achtzehn Monate verlängert, wenn der
Asylbewerber flüchtig ist (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin vom 22.10.2009).
Einer gerichtlichen Eilentscheidung in dem von dem Antragsteller begehrten Sinn steht
vorliegend –ausnahmsweise- auch nicht die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen,
wonach die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen
sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.
In verfassungskonformer Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG kommt nämlich
ausnahmsweise die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO (in Fällen,
in denen dem Asylbewerber noch keine Abschiebungsanordnung zugestellt ist) oder wie
hier die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage dann in Betracht, wenn der
Asylbewerber eine Sondersituation darlegt und glaubhaft macht, dass diese vom Konzept
der normativen Vergewisserung nicht erfasst wird. Dabei kann es sich zum einen um
Sachlagen handeln, die die Verhältnisse im (angeblich) sicheren Drittstaat betreffen, mithin
zielstaatsbezogener Natur sind. Zum anderen fallen hierunter sämtliche Umstände, die
einer Abschiebung aus Deutschland heraus –in welchen Staat auch immer- aus
(verfassungs-) rechtlichen Gründen oder aus humanitären Erwägungen entgegenstehen,
mithin die innerstaatlichen Abschiebungshindernisse
vgl. Beschluss der Kammer vom 21.10.2008 - 2 L 1558/08 -; BVerfG, Urteil
vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, NVwZ 1996, 700 sowie
Hailbronner, Kommentar zum Asyl- und Ausländerrecht, § 34 a AsylVfG Rdnr 43
ff..
Eine Sondersituation in dem vorbezeichneten Sinne ist derzeit schon deshalb gegeben, weil
das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.09.2009 -2 BvQ 56/09- vorläufig die
Abschiebung eines irakischen Asylbewerbers nach Griechenland im Überstellungsverfahren
nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG bei angenommenen
offenen Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens untersagt hat. Für die Annahme
einer Sondersituation ist dabei aus Sicht des Gerichts entscheidend, dass die
Verfassungsbeschwerde ausweislich der Gründe des Beschlusses Anlass zur Untersuchung
gebe, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1
GG und Art. 16 a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen
des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34 a Abs. 2
AsylVfG treffe, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrages eine beabsichtigte
Abschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft sei. Bezogen auf den Zielstaat Griechenland
hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der von ihm angestellten Folgenabwägung
zudem ausgeführt, bliebe dem –dortigen- Antragsteller der begehrte Erlass der
einstweiligen Anordnung versagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten
möglicherweise bereits eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder
rückgängig gemacht werden. So wäre bereits die Erreichbarkeit des dortigen Antragstellers
in Griechenland für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens nicht sichergestellt, sollte,
wie von ihm, gestützt auf ernst zu nehmende Quellen befürchtet, ihm in Griechenland eine
Registrierung faktisch unmöglich sein und ihm die Obdachlosigkeit drohen. Mit Blick auf
diese Ausführungen steht das Konzept der normativen Vergewisserung – die
Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind durch den verfassungsändernden
Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden, die Vergewisserung
hinsichtlich der Schutzgewährung ist damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber
selbst erfolgt- derzeit insoweit auf dem Prüfstand, als die Frage zu klären ist, in welchen
Fällen einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebungen nach Griechenland im
Überstellungsverfahren angesichts der bekannten Missstände bei der Durchführung von
Asylverfahren in Griechenland (ausnahmsweise) gewährt werden kann. Vor diesem
Hintergrund ist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine über den Einzelfall
hinausgehende Tragweite beizumessen
vgl. bereits Beschluss der Kammer vom 15.09.2009 - 2 L 876/09 -; ebenso VG
Minden, Beschluss vom 10.09.2009 - 9 L 474/09.A -; anderer Ansicht VG
Ansbach, Beschluss vom 21.09.2009 –AN 19 E 09.01749 - sowie Beschluss
der 5. Kammer des VG Saarlouis vom 28.09.2009 - 5 L 941/09 -.
Nach allem ist in dem Hauptsacheverfahren 2 K 1442/09 zu prüfen, ob und gegebenenfalls
welche Vorgaben das Grundgesetz für die fachgerichtliche Prüfung des Konzepts der
normativen Vergewisserung macht und ob die Antragsgegnerin von daher zu Recht die
Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland angeordnet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.