Urteil des VG Saarlouis vom 27.01.2010

VG Saarlouis: grundsatz der gleichbehandlung, erschwerende umstände, psychologisches gutachten, straftat, besitz, unfallflucht, fahreignung, entziehung, gefahr, jugend

VG Saarlouis Urteil vom 27.1.2010, 10 K 1653/09
Anordnung medizinisch-psychologischer Untersuchung vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis
wegen fortbestehender Fahreignungszweifel nach Unfallflucht
Leitsätze
Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1
Nr. 4 FeV verpflichtet wegen seiner weitreichenden Anordnungsmöglichkeit speziell bei
einem nur einmaligen Fehlverhalten zu einer eingehenden Einzelfallprüfung.
Einzelfall einer zu Unrecht abgelehnten Neuerteilung der Fahrerlaubnis, weil die abgeurteilte
Unfallflucht des Antragstellers nicht die erforderliche gegenwärtige Feststellung
begründeter Eignungszweifel trägt.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.10.2009 verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom
21.07.2009 auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Führerscheinklassen A, B, L, M und S
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, B, L, M und S.
Dem am … 1985 geborenen Kläger wurde am 30.04.2003 die Fahrerlaubnis für die
Klassen A1, A, B, M und L erteilt.
Am 08.11.2008 gegen 04.00 Uhr streifte der Kläger beim Befahren der N. Straße im St.
W. Stadtteil O. zwei PKW der Marken Mercedes Benz und BMW und entfernte sich in
Kenntnis des Unfallgeschehens – der Fremdschaden betrug insgesamt ca. 4.000.- Euro –
von der Unfallstelle, ohne Feststellungen abzuwarten bzw. zu ermöglichen. Durch Urteil des
Amtsgerichts W. vom 11.03.2009, 11 Cs 68 Js 11/09, wurde der Kläger wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25.-
Euro verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und der Beklagte angewiesen, ihm
vor Ablauf von noch 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Mit am 21.07.2009 beim Beklagten eingegangenen Antrag begehrte der Kläger gemäß §
20 FeV die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Mit Schreiben gleichen Datums wies ihn der
Beklagte darauf hin, dass gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV die Vorlage eines Gutachtens der
medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle erforderlich sei, weil Zweifel an seiner
Eignung als Kraftfahrzeugführer aufgrund des gravierenden Verkehrsverstoßes vom
08.11.2008 (Unfallflucht mit 4.000.- Euro Fremdschaden) bestünden. Daraufhin erklärte
sich der Kläger noch am selben Tage mit einer Begutachtung durch die Medizinisch-
psychologische Untersuchungsstelle des TÜV Süd in Saarbrücken einverstanden. Der
Beklagte übersandte die Verwaltungsakte dem TÜV Life Service GmbH und bat um
Beantwortung der Frage, ob zu erwarten sei, dass der Kläger auch zukünftig erheblich
gegen die bestehenden Verkehrsbestimmungen verstoßen werde.
Mit Schreiben vom 12.08.2009 sandte das Medizinisch-psychologische Institut des TÜV
Süd Life Service die übersandten Fahrerlaubnisunterlagen zurück. Daraufhin forderte der
Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17.08.2009 auf, das Gutachten bis 11.09.2009
Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17.08.2009 auf, das Gutachten bis 11.09.2009
vorzulegen, damit abschließend über den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis
entschieden werden könne.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.08.2009 lehnte es der Kläger ab,
das geforderte MPU Gutachten „einzuholen und vorzulegen“. Zur Begründung wurde auf
die Entscheidung des OVG des Saarlandes vom 27.07.2006, 1 W 33/09, Bezug
genommen.
Durch Bescheid vom 24.08.2009, zugestellt am 26.08.2009, lehnte der Beklagte die
Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, B, L, M und S ab. In der Begründung wird
maßgeblich auf die Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers zum Fahren von
Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr aufgrund des dem Strafurteil des
Amtsgerichts W. zugrundeliegenden Sachverhaltes abgestellt. Unter Berücksichtigung des
erheblichen Fremdschadens offenbare das Verhalten des Klägers ein derart hohes Maß an
Rücksichtslosigkeit, Mangel an Verantwortungsgefühl und fehlendem Respekt gegenüber
fremdem Eigentum, dass auch zukünftig zu erwarten sei, dass er in ähnlicher Weise erneut
gegen die bestehenden Verkehrsbestimmungen verstoßen werde. Da die Zweifel an seiner
charakterlichen Eignung mangels Einreichung eines Gutachtens nach einer medizinisch-
psychologischen Untersuchung nicht ausgeräumt worden seien, dürfe die beantragte
Neuerteilung der Fahrerlaubnis zum jetzigen Zeitpunkt versagt werden.
Den hiergegen am 11.09.2009 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit,
dass es sich um einen einmaligen Verkehrsverstoß handele. Eine alkoholbedingte
Fahruntüchtigkeit habe nicht vorgelegen. Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren sei durch
das Amtsgericht W. mit Beschluss vom 11.03.2009 eingestellt worden.
Durch aufgrund der Sitzung vom 01.10.2009 ergangenen Widerspruchsbescheid,
zugestellt am 5.10.2009, wies der Kreisrechtsausschuss beim Landkreis W. den
Widerspruch zurück. In der Begründung heißt es, dass die Anordnung des Beklagten, vor
Neuerteilung der Fahrerlaubnis ein Gutachten nach einer medizinisch-psychologischen
Untersuchung vorzulegen, rechtmäßig erfolgt sei. Es könne offen bleiben, ob die
Maßnahme auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV oder auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV
beruhe. Das Verhalten des Klägers während des Unfalls im Januar 2009 begründe die
Besorgnis, dass er sich als Fahrer eines Kraftfahrzeuges auch künftig nicht verkehrsgerecht
und umsichtig verhalten werde. Zunächst habe der Fremdschaden mit ca. 4.000.- Euro
mehr als dreimal so hoch gelegen wie im Bereich des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB für
notwendig erachtet. Der Maßregel der Besserung und Sicherung des § 69 Abs. 2 StGB
komme auch präventive Wirkung zu, so dass sich eine Bezugnahme nicht verbiete. Die
Entscheidung nach § 69 StGB habe sich zwar lediglich auf den Zeitpunkt der
strafrechtlichen Entscheidung bezogen, hier sei jedoch zu berücksichtigen, dass im
Gegensatz zu dem vom OVG des Saarlandes in der Entscheidung vom 27.07.2006
gewürdigten Fall seit dem Unfallzeitpunkt lediglich ein Zeitraum von weniger als 10
Monaten verstrichen sei. Höhe und Art des Schadens ließen Rückschlüsse auf die
charakterliche Fahrzeugführungseignung zu. Je größer der Schaden sei, desto ausgeprägter
stelle sich der charakterliche Mangel des Fahrerlaubnisinhabers in den Punkten
Schuldbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein und allgemeine sittliche Reife dar, wenn
er sich im Anschluss unerlaubt vom Unfallort entferne. Im Rahmen der eingehenden
Einzelfallwürdigung seien weiterhin folgende Umstände zu berücksichtigen, die die
Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigten. Der Kläger
habe mit der Beschädigung von zwei Kraftfahrzeugen zwei Personen um ihre
zivilrechtlichen Ansprüche bringen wollen, was die Zweifel an seiner charakterlichen
Kraftfahrzeugführungseignung verstärke. Letztlich sei zu berücksichtigen, dass er mit
inzwischen 24 Jahren immer noch ein junger Fahrerlaubnisinhaber sei, der erst im Mai
2003 seine Fahrerlaubnis erworben habe. Die Zweifel an seiner psychischen
Kraftfahrzeugführungseignung könnten schon allein aus diesem Grund nicht durch eine
jahrzehntelange unauffällige Kraftfahrzeugführung im öffentlichen Straßenverkehr
aufgewogen werden, wie es in dem vom OVG des Saarlandes entschiedenen Fall gegeben
gewesen sei.
Mit am 20.10.2009 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der
Beklagte überspanne die Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Die
Frage der Eignung eines Kraftfahrzeugführers sei unabhängig davon zu beurteilen, wann
und in welcher Höhe bei einem Verkehrsunfall ein Fremdschaden entstanden sei. Zu
beurteilen sei allein der Sachverhalt, wie er in dem strafrechtlichen Verfahren zugrunde
gelegt und abgeurteilt worden sei. Die Frage, ob bei dem strafrechtlich relevanten
Verhalten – Entfernen vom Unfallort – ein oder mehrere Dritte beschädigt worden seien
und insoweit die Gefahr eingetreten sei, dass Dritte auf ihrem Schaden sitzen blieben, sei
der Grund der strafrechtlichen Ahndung, wie er sich auch in der strafrechtlichen
Entscheidung dokumentiere. Dies könne nicht neuerlich durch die Verwaltung zum Anlass
genommen werden, sich als zweite „Strafinstanz“ aufzuspielen. Der Beklagte verstoße
gegen seinen Ermessensspielraum und den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn er ihn
als „jungen Fahrerlaubnisinhaber“ schlechter behandele als einen erfahrenen langjährigen
Fahrerlaubnisinhaber, der sich unerlaubt vom Unfallort entferne. Während vorliegend noch
zu seinen Gunsten sein Fehlverhalten wegen seiner Jugend, Unerfahrenheit und geringeren
Verantwortungsreife eher verständlich und entschuldbar erscheine, gelte dies nicht für
einen Verkehrsteilnehmer, der schon seit Jahren am Straßenverkehr teilnehme und von
daher aus eigener langjähriger Erfahrung aus diesem Verkehrsbereich wisse, wie schädlich
für den geschädigten Dritten sich das Entfernen vom Unfallort darstellen könne. Seine
Jugend spreche daher nicht gegen sondern für ihn. Die angebliche Gefährdung durch die
Gefahr einer Wiederholung sei nicht nachvollziehbar, nachdem er nicht nur das
Strafverfahren mit den damit verbundenen unmittelbaren Tatfolgen – Verurteilung,
Geldstrafe, Führerscheinentzug, Sperrfrist – erlebt, sondern auch die aus dem Verlust der
Fahrerlaubnis folgenden Nachteile über viele Monate am eigenen Leib erfahren habe. Dies
seien zunächst Schwierigkeiten beim Erreichen des Ausbildungsplatzes in H. gewesen, was
mit erheblichen Fahrzeiten per Bahn verbunden gewesen sei. Der Verlust der Fahrerlaubnis
habe weiter erhebliche Schwierigkeiten in seiner Ausbildung zur Folge gehabt, weil er als
Auszubildender zum KFZ-Mechatroniker nicht in der Lage gewesen sei, ein Fahrzeug auch
nur auf dem Firmenhof seiner Arbeitgeberin zu bewegen, geschweige denn notwendige
Probefahrten durchzuführen. Die Nachteile hätten sich in den Schwierigkeiten bei der
Bewerbung nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung fortgesetzt, da er ohne
Fahrerlaubnis erhebliche Nachteile gegenüber Mitbewerbern gehabt habe. Nunmehr habe
er einen befristeten Anstellungsvertrag bei der Stadt ... erhalten, wobei aber
Voraussetzung einer Weiterbeschäftigung über die Befristung hinaus sei, dass er als
Mitarbeiter der Werkstatt im Besitz einer Fahrerlaubnis sei. All dies habe der Beklagte bei
seiner Entscheidung nicht gewürdigt, sondern rechtsfehlerhaft angenommen, dass es
wegen der Höhe des verursachten Schadens auf die Vorlage eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens als Voraussetzung für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis
ankomme. Nichts anderes gelte für dessen weitere Auffassung, dass es für die Würdigung
der charakterlichen Eignung darauf ankomme, ob eine oder mehrere Personen geschädigt
worden seien. Diese Auffassung decke sich nicht mit der genannten Rechtsprechung des
OVG des Saarlandes.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom
24.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01.10.2009 zu verpflichten, über seinen Antrag vom
21.07.2009 auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der
Führerscheinklassen A, B, L, M und S unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, dass die Anordnung einer medizinisch-psychologischen
Untersuchung zur Überprüfung der Geeignetheit des Klägers gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV
rechtmäßig sei. Unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidung des OVG des
Saarlandes vom 27.07.2006 sei eine eingehende Einzelfallprüfung erfolgt. Zwar könnten
alleine die Höhe des Schadens oder das Alter des Fahrerlaubnisinhabers nicht
ausschlaggebend für die Annahme von Eignungszweifeln sein. Allerdings ergäben sich aus
diesen Umständen sehr wohl gewisse Indizien, die in bedeutsamem Zusammenhang mit
der Fahreignung stünden. Die charakterliche Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers erscheine
sehr wohl in unterschiedlichem Licht, je nachdem ob er sich nach einem kleinen oder
großen Schaden unerlaubt vom Unfallort entfernt habe, und ob er wisse, es gebe einen
oder mehrere Geschädigte. Ebenso birge der Umstand des jahrzehntelangen
verkehrsgerechten Fahrens ein fahreignungsrelevantes Indiz. Ein Einzelfall vermöge dann
nämlich die Eignung denknotwendig weniger zu erschüttern, als bei einem jungen
Fahrerlaubnisinhaber. Es werde nicht in Frage gestellt, dass die gegen den Kläger
verhängte Strafe eine erzieherische Wirkung habe. Dies reiche jedoch nicht aus, jeden
Eignungszweifel auszuräumen und eine weitere Klärung entbehrlich zu machen. Die
beruflichen Erschwernisse des Klägers hätten im Rahmen der Anordnung einer medizinisch-
psychologischen Untersuchung gemäß § 11 Abs. 3 FeV nicht ausschlaggebend
berücksichtigt werden können. Gerade im ländlichen Raum sei die Entziehung der
Fahrerlaubnis immer mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden, die im Ergebnis aber
nichts daran änderten, dass jeder Fahrerlaubnisinhaber geeignet im Sinne der FeV sein
müsse.
Mit Schriftsätzen vom 23.11.2009 und 23.12.2009 haben der Kläger und der Beklagte auf
die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die Strafakte
des Amtsgerichts W., 11 Cs 68 Js 11/09 sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen
des Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der Beratung der Kammer war.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 24.08.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.10.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten, soweit er die Neuerteilung der Fahrerlaubnis für die begehrten
Führerscheinklassen von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
abhängig macht. Wegen der fehlenden Spruchreife hat der Kläger allerdings -nur- einen
Anspruch gegen den Beklagten, dass dieser über den Antrag vom 21.07.2009 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gericht neu entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2
VwGO).
Anspruchsgrundlage für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist § 2 Abs. 2 StVG. Danach ist
die Fahrerlaubnis für die jeweilige Klasse zu erteilen, wenn der Bewerber die in den Nrn. 1
bis 7 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, u. a. gemäß der Nr. 3 zum Führen von
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach
vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 FeV).
Die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für
Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann – soweit im vorliegenden Fall
relevant – zur Klärung von Eignungszweifeln bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis
angeordnet werden, wenn a) die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war oder b) der
Entzug der Fahrerlaubnis auf erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen
verkehrsrechtliche Vorschriften oder auf Straftaten beruhte, die im Zusammenhang mit
dem Straßenverkehr oder in Zusammenhang mit der Kraftfahreignung standen oder bei
denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestanden (§§ 20 Abs. 3, 11 Abs.
3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Nr. 4 FeV).
Vorliegend wurde dem Kläger durch Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 11.03.2009,
11 Cs 68 Js 11/09, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort die Fahrerlaubnis unter
Auferlegung einer Sperrfrist von noch 7 Monaten entzogen, weil er beim Führen eines
Kraftfahrzeuges zwei Fahrzeuge beschädigt und sich anschließend in Kenntnis des
Unfallgeschehens – der Fremdschaden betrug insgesamt ca. 4.000.- Euro – von der
Unfallstelle entfernt hatte, ohne Feststellungen abzuwarten oder zu ermöglichen. Damit
beruhte die Entziehung der Fahrerlaubnis auf einer Straftat im Zusammenhang mit dem
Straßenverkehr.
§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV verpflichtet allerdings wegen seiner weitreichenden
Anordnungsmöglichkeit speziell bei einem nur einmaligen Fehlverhalten zu einer
eingehenden Einzelfallprüfung. Nicht jeder sich aus einer einzelnen Straftat im
Zusammenhang mit dem Straßenverkehr ergebende noch so geringe Eignungszweifel ist
geeignet, das bei Durchführung der medizinisch-psychologischen Begutachtung tangierte
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu überwinden.
Vgl. Ebner in Ferner (Hrsg.), Straßenverkehrsrecht, 2.
Auflage, 2006, S. 861
Vielmehr steht die Anordnung, sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu
unterziehen, nur dann im Einklang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, wenn sie
Mängel betrifft, die auch bei lebensnaher Betrachtung die ernsthafte Besorgnis
verkehrswidrigen oder nicht umsichtigen Verhaltens rechtfertigen. Dazu reichen Umstände,
die nur auf die entfernte Möglichkeit fehlender Eignung hinweisen, nicht aus.
Vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40.
Auflage, 2009, § 11 FeV, Rdnr. 12, m.w.N.
Fallbezogen trägt allein die abgeurteilte Unfallflucht des Klägers nicht die erforderliche
gegenwärtige Feststellung begründeter Eignungszweifel. Aufgrund des Strafurteils des
Amtsgerichts St. Wendel vom 11.03.2009 steht lediglich bezogen auf den Zeitpunkt und
die Gründe der strafrechtlichen Entscheidung fest, dass der Kläger zum Führen von
Kraftfahrzeugen ungeeignet war. Dazu gibt § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, dass der
Unfallflüchtige in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist,
wenn er unter anderem weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen bedeutender
Schaden entstanden ist. Dies ist nach der Rechtsprechung angesichts der allgemeinen
Preis- und Kostenentwicklung ab 1.300.- Euro anzunehmen.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.07.2006, 1
W 33/06, m.w.N.
Inzwischen liegt die dem Verfahren zugrundeliegende Straftat indessen rund 14 Monate
zurück und ist die Eignungsfrage nunmehr neu und anders zu beantworten. Hierfür spricht
maßgeblich, dass sich die Straftat, wie auch die ausgeworfene Strafe deutlich macht, nicht
durch erschwerende Umstände ausgezeichnet hat. Insbesondere ist nicht belegt, dass der
Kläger zum Tatzeitpunkt alkoholbedingt fahruntauglich war. In der mündlichen Verhandlung
ist nämlich das Verfahren bezüglich des Vorwurfs der fahrlässigen
Straßenverkehrsgefährdung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 StPO
eingestellt worden. Auch die vom Beklagten angeführten Umstände, nämlich die
Schädigung zweier Personen, die Dauer des Besitzes der Fahrerlaubnis des Klägers sowie
die Höhe des Schadens, sind nicht geeignet, mehr als nur entfernt auf eine fehlende
Eignung hinzudeuten und reichen daher für die Anordnung der Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht aus. Soweit der Beklagte darauf hinweist,
dass der Kläger bei der Straftat zwei nacheinander am Straßenrand parkende Fahrzeuge
beschädigt hat und mit seiner Tat daher zwei Personen um ihre zivilrechtlichen Ansprüche
habe bringen wollen, muss gesehen werden, dass es sich rechtlich gesehen gleichwohl nur
um eine Tat gehandelt hat. Im Übrigen kann es für die Frage der Eignung des Klägers nicht
darauf ankommen, ob die beiden beschädigten Fahrzeuge zufällig zwei verschiedenen
Personen gehörten oder, was mit Blick auf die heutige Vermögensverhältnisse ohne
weiteres auch der Fall hätte sein können, im Eigentum nur einer Person standen. Ebenso
wenig überzeugt die Erwägung des Beklagten, dass das einmalige Fehlverhalten die
Fahreignung des Klägers als jungem Fahrerlaubnisinhaber eher erschüttere als bei einem
Fahrerlaubnisinhaber, der, wie in dem vom OVG im Beschluss vom 27.07.2006
entschiedenen Fall, seit mehreren Jahrzehnten im Besitz der Fahrerlaubnis ist. Insoweit
verkennt der Beklagte bereits, dass es nicht allein auf die Dauer des Besitzes der
Fahrerlaubnis ankommen kann, um die Relevanz eines einmaligen Fehlverhaltens zu
bewerten, vielmehr ist in diesem Zusammenhang zusätzlich auch die jährliche tatsächliche
Fahrleistung in den Blick zu nehmen. So kann ein einmaliges Fehlverhalten bei einem
Fahrerlaubnisinhaber, der zwar schon seit Jahrzehnten im Besitz einer Fahrerlaubnis ist,
aber nur eine geringe jährliche Fahrleistung hat, die Eignung eher in Frage stellen als bei
einem Fahrerlaubnisinhaber, der die Fahrerlaubnis noch nicht so lange besitzt, dafür aber
jährlich eine erhebliche Fahrleistung erbringt. Von daher ist allein die Dauer des Besitzes der
Fahrerlaubnis kein geeignetes Kriterium, um bei einem einmaligen Fehlverhalten
Schlussfolgerungen auf die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu ziehen. Im Übrigen muss
gesehen werden, dass der Kläger inzwischen seit nahezu sieben Jahren im Besitz der
Fahrerlaubnis ist und daher kein Fahranfänger mehr ist. Daher hat Gewicht, dass die
abgeurteilte Unfallflucht bislang das einzige Fehlverhalten des Klägers im Straßenverkehr
war. Schließlich vermag auch allein die Höhe des Schadens keine hinreichenden Zweifel an
der Eignung des Klägers zu begründen, zumal die genaue Höhe des angerichteten
Fremdschadens dem Kläger im Zeitpunkt der Straftat im Einzelnen gar nicht bekannt
gewesen sein dürfte.
Sind daher keine erschwerenden Umstände erkennbar, die mehr als nur auf die entfernte
Möglichkeit fehlender Eignung hinweisen, muss davon ausgegangen werden, dass die
verhängte Strafe und, wie nachvollziehbar dargelegt, insbesondere der Verlust der
Fahrerlaubnis für inzwischen zwölf Monate dem Kläger das Unrecht seiner Tat vor Augen
geführt hat und nicht ohne Wirkung auf sein künftiges Verhalten im Straßenverkehr bleiben
wird. Bei der anzustellenden Gesamtschau liegen daher bei der gebotenen lebensnahen
Betrachtung derzeit keine hinreichenden Tatsachen vor, die eine gesteigerte
Rückfallwahrscheinlichkeit des Klägers begründen könnten. Etwaige noch verbleibende
Eignungszweifel sind jedenfalls so gering, dass sie eine derart belastende Maßnahme wie
die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht rechtfertigen.
Es ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO wie erkannt zu entscheiden. Die
sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 46.3 des
Streitwertkatalogs2004 auf 5.000.- Euro festgesetzt.