Urteil des VG Saarlouis vom 07.09.2010

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VG Saarlouis Beschluß vom 7.9.2010, 10 L 737/10
Zur Frage der Aberkennung einer österreichischen Fahrerlaubnis nach Ablauf einer
inländischen Sperrfrist und Teilnahme am Straßenverkehr bei Vorliegen eines
Tetracanabinolgehaltes von 0,1 mg/ml im Blut unter Berücksichtigung früherer
einschlägiger Verurteilungen.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert beträgt 2.500.- Euro.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des
Antragsstellers vom 03.08.2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
21.07.2010 ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 i.V. m. § 80 Abs. 2 S.
1 Nr. 4 VwGO, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Zunächst hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den
Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügenden Weise damit begründet, dass
das herausragende Vollzugsinteresse der Allgemeinheit, ungeeignete Kraftfahrer vom
Straßenverkehr fernzuhalten, Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen
habe, bis zur Bestandskraft der Entziehungsverfügung von Vollstreckungsmaßnahmen
verschont zu bleiben.
Die vom Gericht in der Sache zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet
sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung und der
angegriffenen behördlichen Entscheidung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an
der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs
schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO). Im Rahmen dieser vom Gericht
vorzunehmenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu
berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in
der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem zum Entscheidungszeitpunkt
gegebenen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Bei
offensichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs überwiegt demgegenüber regelmäßig
das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Hiervon ausgehend kann der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs nicht beanspruchen, da die Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Verfügung im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen
summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Ergebnis keinen durchgreifenden
Zweifeln unterliegt.
Maßgebliche innerstaatliche Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Bescheid
angeordnete Aberkennung des Rechts, von der vom Antragsteller erworbenen
österreichischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, ist § 3 Abs. 1 Satz
2 StVG, weil die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1
S. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV vorliegen. Danach ist die Fahrerlaubnis zu
entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5
oder 6 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen
verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.
Im vorliegenden Fall wurde der Antragsteller zuletzt durch rechtskräftiges Urteil des
Amtsgerichts Ottweiler vom 09.01.2004 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit
mit fahrlässiger drogenbedingter Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt und ihm unter
Auferlegung einer Sperrfrist von zwölf Monaten die Fahrerlaubnis entzogen, weil er zum
Tatzeitpunkt u.a. unter dem Einfluss von harten Drogen und Cannabis ein Fahrzeug geführt
hat. Zum Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, etwa im Rahmen eines
Verfahrens auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis, hätte es daher gemäß § 14 Abs. 2 FeV
zwingend der Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens bedurft. Da
der Antragsteller ein solches Gutachten nicht beigebracht hat, ist nach wie vor von seiner
fehlenden Fahreignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr auszugehen.
Allein der Umstand, dass ihm am 13.02.2008 in Österreich eine Fahrerlaubnis erteilt
worden ist, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass, da dieser Erteilung eine medizinisch-
psychologischen Untersuchung in der Qualität eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens nach Aktenlage nicht vorausgegangen ist. Der in Zusammenhang mit dieser
Frage erfolgte Hinweis des Antragstellers im Schriftsatz vom 03.09.2010, die
österreichischen Behörden hätten ihm die Fahrerlaubnis sicherlich nicht erteilt, wenn die
dort notwendigen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten, rechtfertigt keine andere
Bewertung. Dass der Antragsteller es hierzu bei einer bloßen Mutmaßung bewenden lässt,
spricht vielmehr dafür, dass er den Fahrerlaubnisbehörden in Österreich die in Deutschland
der Erteilung der Fahrerlaubnis entgegenstehenden Gründe verschwiegen hat.
Die Entscheidung des Antragsgegners ist auch mit den europarechtlichen Regelungen über
den Führerschein vereinbar. Dazu sind die Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom
29.07.1991 in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 02.06.1997 bzw. die
Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006
einschließlich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EUGH
vgl. etwa: Beschluss vom 06.04.2006, 750367, -
Halbritter- sowie Urteil vom 29.04.2004, C-476/01, -
Kapper-
zu berücksichtigen. Der EuGH hat zu Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG entschieden,
dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Befugnis nach dieser Bestimmung, ihre
innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der
Fahrerlaubnis auf den Inhaber einer in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft
ausgestellten Fahrerlaubnis, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Deutschland genommen
hat, anzuwenden, nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb der
Fahrerlaubnis in dem Mitgliedsstaat ausüben darf.
Vgl. EuGH, Beschluss vom 06.04.2006, wie vor, Rdnr. 38
Da der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG in dem seit dem 19.01.2007
geltenden Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2006/126/EG wortgetreu übernommen wurde, spricht
alles dafür, dass die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs unverändert fortgilt. Damit besteht aufgrund des europarechtlichen
Anwendungsvorrangs des Anerkennungsprinzips des Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG
für die deutschen Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich keine Handhabe, einer nach Ablauf
einer in Deutschland wegen bestehender Eignungszweifel angeordneten Sperrfrist die in
einem anderen Mitgliedstaat erteilte EU-Fahrerlaubnis allein wegen des Fortbestehens bzw.
des Wiederauflebens dieser Zweifel die Berechtigungswirkung abzusprechen. Eine andere
Beurteilung wird aber für den Fall angenommen, dass der Betreffende nach der Erteilung
der ausländischen Fahrerlaubnis erneut verkehrsrechtlich relevant aufgefallen ist, wobei
jedoch dieser Anlassfall von einem selbständigen Gewicht für die Eignungszweifel sein
muss. Ist dies der Fall, kann auch die vorhandene Vorgeschichte erläuternd herangezogen
werden.
Vgl. dazu etwa den Beschluss der Kammer vom
18.12.2007, 10 L 1518/07, m. w. N., und ausführlich:
BVerwG, Urteil vom 28.04.2010, 3 C 2/10, juris
Praxisreport-BVerwG17/2010, Nr. 5, mit Anm. von Liebler
Danach erfordert ein in diesem Sinne nach Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis durch
einen EU-Mitgliedsstaat nachträgliches Verhalten keinen weiteren Verkehrsverstoß, sondern
nur das Vorliegen von nach der Erteilung eingetretenen Umständen, die für sich genommen
oder in der Zusammenschau mit dem früheren Verhalten des Betroffenen dessen fehlende
Eignung belegen.
Ein in diesem Sinne relevantes nachträgliches Verhalten hat der Antragsgegner dem
angefochtenen Bescheid zutreffend zugrunde gelegt, wobei er zugleich auf das
aktenkundige frühere Verhalten des Antragstellers bei der Teilnahme im Straßenverkehr
unter Drogeneinfluss ergänzend zurückgreifen durfte. Maßgebend ist insoweit, dass der
Antragsteller nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des
Saarlandes vom 12.05.2010 am 15.04.2010 bei der Untersuchung der im Verlaufe der
Unfallaufnahme durch Beamte der Polizeibezirksinspektion Homburg entnommene
Blutprobe Werte von 0,001 mg/l (= 1 ng/ml) Tetrahydrocannabinol, 0,0006 mg/l Hydroxy-
THC und 0,030 mg/l (= 30 ng/nl) Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure festgestellt hat und
die Gutachter unter Berücksichtigung der Feststellungen im Blutentnahmeprotokoll vom
15.04.2010 sowie der analytischen Ergebnisse aus rechtsmedizinischer Sicht attestiert
haben, dass Fahruntüchtigkeit zum Vorfallszeitpunkt in Betracht kommt. Hiervon
ausgehend ist ungeachtet des Umstandes, dass dem Blutentnahmeprotokoll des Dr. med.
M., vom 15.04.2010 zu entnehmen ist, dass der Antragsteller nach dem
Beeinflussungseindruck in geringer Weise durch „Drogen/Medikamente“ als beeinflusst
angesehen worden ist und als Krankheit ein Infekt angegeben wird, von Bedeutung, dass
aus demselben ärztlichen Untersuchungsbericht die Einnahme von THC vor vier Tagen vom
Antragsteller als zugestanden bezeichnet wird. Weiter ist von Bedeutung, dass aus den
Berichten der Polizeibeamten S. vom 15.04.2010, F. vom 19.04.2010 und Sc. vom
22.05.2010 (Bl. 83 f. VA) übereinstimmend hervorgeht, dass der Antragsteller einen
regelmäßigen Konsum von Cannabis zugegeben hat.
Selbst wenn dem Antragsteller darin gefolgt wird, dass er mit seiner Angabe, regelmäßig
Cannabis zu konsumieren, nur einen gelegentlichen Konsum hat zugestehen wollen, und
darauf abstellt, dass der festgestellte Wert von 30 ng/ml Tetrahydrocannabinol-
Carbonsäure nach dem o. a. Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin vom 12.05.2010
„in dem Bereich, der üblicherweise bei einmaligem oder gelegentlichem Konsum
vorgefunden wird“, liegt, rechtfertigt dies keine andere Bewertung.
Nach der Rechtsprechung der Kammer ist ein für die Einnahme von Cannabis und die
Teilnahme am Straßenverkehr ausreichendes Trennungsvermögen, welchen eine
gelegentliche Einnahme von Cannabis im Hinblick auf die Verkehrssicherheit hinnehmbar
erscheinen lässt, nur gegeben, wenn der Konsument Fahren und Konsum in jedem Fall
derart zu trennen vermag, dass eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten
Eigenschaften durch die Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen eintreten kann.
Weiter hat die Kammer entschieden, dass insoweit vieles dafür spricht, bei gelegentlichem
Konsum von Cannabis bereits bei einer THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml im
Blutserum, wie dies beim Antragsteller festgestellt worden ist, ein fehlendes
Trennungsvermögen im Sinne der Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und damit eine
Fahrungeeignetheit des Konsumenten anzunehmen geeignet ist.
Vgl. den Beschluss der Kammer vom 30.07.2009, 10 L
590/09
Weiter geht die Kammer davon aus, dass vor dem Hintergrund eines Zugeständnisses,
gelegentlich Cannabis zu konsumieren, die Behörde bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der bei
zwei Fällen der Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss und einer THC-
Konzentration von jeweils 1,0 ng/ml im Blut angetroffen worden ist, darauf schließen darf,
dass ein fehlendes Trennungsvermögen, das die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis
rechtfertigt, anzunehmen ist.
Vgl. dazu den Beschluss der Kammer vom 08.07.2008,
10 L 518/08
Wird - dies berücksichtigend – vorliegend von gelegentlichem Konsum ausgegangen, ist die
dem Verfahren zugrundeliegende Maßnahme der Aberkennung der ausländischen
Fahrerlaubnis für das Bundesgebiet ohne vorherige medizinisch-psychologische
Untersuchung des Konsumverhaltens des Antragsgegners dennoch gerechtfertigt. Der
Antragsgegner hat im angefochtenen Bescheid nämlich zu Recht darauf hingewiesen, dass
der Antragsteller seit dem Jahre 2000 mehrfach auch durch Verkehrsdelikte im
Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen aufgefallen ist und er in insgesamt drei
Fällen, am 31.10.2000, 17.09.2002 und 09.01.2004, jedenfalls im Zusammenhang mit
Betäubungsmitteldelikten rechtskräftig verurteilt worden ist und ihm am 31.10. 2000 und
09.01.2004 jeweils Fahrerlaubnissperren auferlegt worden sind. Diese hinsichtlich des
Antragstellers vorliegenden führerscheinrechtlich relevanten Umstände lassen in
Verbindung mit dem aktuellen Vorfall und dem Vorhandensein von 1 ng/ml THC zu diesem
Zeitpunkt beim Antragsteller als Kraftfahrzeugführer den Schluss zu, dass beim
Antragsteller von einem fehlenden Trennungsvermögen auszugehen ist mit der Folge, dass
sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als gerechtfertigt darstellt, wobei insbesondere zu
berücksichtigen war, dass die hier zulässigerweise einbezogene „Drogenkarriere“ des
Antragstellers, wie der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid unbestritten dargelegt
hat, in der Vergangenheit von der Einnahme härterer Drogen als Cannabis geprägt war und
jeglicher Nachweis für eine entsprechende Aufarbeitung der Problematik fehlt. Insoweit wird
ergänzend auf die Gründe des angefochtenen Bescheides verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO
– entspr.).
Die Verpflichtung des Antragstellers zur Vorlage der ausländischen Fahrerlaubnis zwecks
Eintragung des Aberkennungsvermerks ergibt sich aus § 47 Abs. 1 FeV.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Der Streitwert wird gemäß den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen zu
den Ziffern 46.1 bzw. 46.3 im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2004)
hauptsachebezogen mit 5.000.- Euro angenommen und für das Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes in Höhe der Hälfte dieses Wertes festgesetzt.