Urteil des VG Saarlouis vom 23.07.2008

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VG Saarlouis Beschluß vom 23.7.2008, 2 L 446/08
Durchführung des Asylverfahrens nach Dublin-II in Griechenland
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; die Kosten des Verfahrens im Übrigen trägt der
Antragsteller.
Gründe
I.
Der Antragsteller, angeblich irakischer Staatsangehöriger chaldäisch-katholischer
Religionszugehörigkeit, stellte am 09.04.2008 Asylantrag und gab bei seiner Anhörung am
16.04.2008 an, im März 2008 habe er Bagdad verlassen und sei über die Türkei auf dem
Landweg nach Deutschland gekommen. In einem anderen Staat habe er bislang noch
keinen Asylantrag gestellt, insbesondere sei er in Griechenland noch nie gewesen. Soweit
sich aus Unterlagen ergebe, dass er in Griechenland am 24.01.2005 erkennungsdienstlich
behandelt worden sei, müsse es sich um ein Versehen handeln.
Mit Anwaltsschreiben vom 05.05.2008 an die Antragsgegnerin machte der Antragsteller
demgegenüber geltend, er sei etwa im Oktober 2004 auf dem Landweg nach
Griechenland eingereist. Die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, habe er nicht gehabt.
Am 24.01.2005 sei er anlässlich einer Personenkontrolle verhaftet und für sechs Tage
inhaftiert worden. Nach Einschaltung eines Rechtsanwaltes, mit dem er keinen näheren
Kontakt gehabt habe, sei er zwar entlassen worden, habe aber gleichzeitig eine
Ausweisungsverfügung erhalten. Daraufhin habe er es gar nicht mehr gewagt, einen
Asylantrag zu stellen, da er befürchtet habe, in sein Heimatland zurückgeschoben zu
werden. Er habe in der Folgezeit in Athen bei verschiedenen christlichen Irakern und
manchmal auch bei Griechen gelebt und gearbeitet, um die Miete und die beabsichtigte
Reise nach Deutschland, wo er sich ein faires Asylverfahren erhofft habe, bezahlen zu
können. Für 3.000 EUR, die er sich erarbeitet habe, sei er von einem Schlepper auf dem
Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland gebracht worden.
Am 07.05.2008 ging der vorliegende Eilantrag bei Gericht ein.
Der Antragsteller trägt unter Darlegung im Einzelnen vor, bei einer Rücküberstellung im
Rahmen der Dublin II–Verordnung habe er keine Chance auf einen effektiven Zugang zu
einem fairen Asylverfahren. Deshalb habe er mit dem Anwaltsschreiben vom 05.05.2008
bei der Antragsgegnerin beantragt, dass diese von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch
machen solle; die Antragsgegnerin habe allerdings bereits bei den griechischen Behörden
einen Rückübernahmeantrag gestellt.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung
des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die
Dauer von sechs Monaten auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er sei mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig; ob der Asylantrag des
Antragstellers unter Verweis auf § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt werde und eine
Abschiebung nach Griechenland angeordnet werde, stehe noch nicht fest, weil der Antrag
derzeit noch geprüft werde. Davon abgesehen stehe dem Antrag die Regelung des § 34 a
AsylVfG entgegen; danach dürfe die Abschiebung in den für die Durchführung des
Asylverfahrens nach § 27 a AsylVfG zuständigen Staat nicht im Wege vorläufigen
Rechtsschutzes ausgesetzt werden. Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts Eilrechtsschutz gewährt werden könne, liege nicht vor.
Zwar sei der Antragsgegnerin bekannt, dass es in Griechenland in Einzelfällen zu Defiziten
bei der Anwendung des EG-Flüchtlingsrechts und zu persönlichen Härten für nach der
Dublin II-Verordnung überstellte Flüchtlinge und Asylbewerber kommen könne. Insoweit
erscheine es nicht ausgeschlossen, dass in Abhängigkeit von den persönlichen Umständen
eines Asylbewerbers – etwa seiner Wendigkeit, seinen Sprachkenntnissen, seinen
Kontakten – eine unterschiedliche Behandlung von Asylbewerbern in Asylverfahren erfolge.
Dem trage das Bundesamt Rechnung, indem es im Zweifel bei besonders
schutzbedürftigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland absehe. Dies gelte
insbesondere für Flüchtlinge hohen Alters, für Minderjährige sowie für Flüchtlinge, bei denen
eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder besondere
Hilfsbedürftigkeit vorliege. Dies sei bei dem Antragsteller nicht der Fall. Er habe sich über
einen Zeitraum von mehreren Jahren seit Oktober 2004 in Griechenland aufgehalten und
es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er dort keinen Asylantrag gestellt habe.
II.
Der von dem Antragsteller in der Form der Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz
1 VwGO gestellte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis ungeachtet dessen, dass in dem von
der Antragsgegnerin eingeleiteten Rückübernahmeverfahren noch keine
Abschiebungsanordnung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG ergangen ist. Nach fernmündlicher
Mitteilung der bei der Antragsgegnerin für die Bearbeitung zuständigen Außenstelle
Dortmund vom 17.07.2008 ist das Übernahmeersuchen von Griechenland zwar noch nicht
beantwortet worden, die Antragsgegnerin wolle aber von dem Übernahmeverfahren nicht
absehen. Von daher ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, mit einer Antragstellung
zuzuwarten, bis eine Abschiebungsanordnung ergangen ist, da ansonsten bei der dann
unmittelbar stattfindenden Abschiebung die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes i.
S. v. Art. 19 Abs. 4 GG ggf. unzumutbar erschwert wäre.
Einer gerichtlichen Eilentscheidung in dem von dem Antragsteller begehrten Sinne steht
aber die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach die Abschiebung in den für
die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) nicht nach § 80
oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.
In verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung kommt ausnahmsweise die
vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO dann in Betracht, wenn der
Ausländer Einwendungen zu einer individuellen Gefährdung im Drittstaat geltend macht,
wobei an die Darlegung solcher Sonderfälle strenge Anforderungen zu stellen sind
vgl. dazu im Rahmen der Prüfung der
Verfassungsgemäßheit der Drittstaatenregelung, BVerfG,
Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1938, 2315/93, NVwZ
1996, 700 und – bezogen auf eine
Abschiebungsanordnung nach Griechenland - Beschluss
der Kammer vom 19.03.2007 – 2 L 458/07 -.
Da es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d.
Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG handelt, ist schon aufgrund des diesen
Vorschriften zugrundeliegenden normativen Vergewisserungskonzeptes davon auszugehen,
dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist.
Zudem beruht die Dublin II-Verordnung auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung
der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist. Zwar mag ein zur
Unanwendbarkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG führender Ausnahmefall auch dann vorliegen,
wenn ein europäischer Drittstaat in feststellbarer Weise insbesondere weder die
Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung
der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005
einhält noch den Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den
Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 Rechnung
trägt
vgl. so VG Gießen, Beschluss vom 25.04.2008 – 2 L
201/08.GI.A -, den Beteiligten bekannt.
Dass ihm in den genannten EU-Richtlinien im Einzelnen verbürgte Verfahrensrechte bei
Rücküberstellung nach Griechenland in zudem irreversibler Weise
vgl. dazu VG Frankfurt, Beschluss vom 11.01.2008 – 7 G
391/07 – NVwZ – RR 2008, 354
vorenthalten würden, hat der Antragsteller aber nicht glaubhaft gemacht; der von ihm
unterbreitete Sachverhalt unterscheidet sich insbesondere von demjenigen, der dem
Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25.04.2008 a. a. O. zugrunde lag
vgl. dem VG Gießen folgend auch VG Schleswig vom
16.06.2008 – 6 B 18/08 – und VG Karlsruhe vom
23.06.2008 – A 3 K 1412/08 – den Beteiligten ebenfalls
bekannt -.
Den vorbezeichneten, stattgebenden gerichtlichen Entscheidungen liegt jeweils die
Erwägung zugrunde, dass auch bei einer Überstellung im Dublin-Verfahren von der
Bundesrepublik Deutschland aus nach Griechenland den Asylsuchenden Rechtsverletzungen
drohen, und zwar hinsichtlich
- der Aufnahme bzw. Registrierung des Asylantrags
- der Erteilung von Informationen zum Verfahren
- der Hinzuziehung eines Dolmetschers bzw. Rechtsbeistandes
- der Unterbringung
- der medizinischen und sozialen Versorgung.
Konkret sind die den „Dublin-Rückkehrern“ drohenden Schwierigkeiten in dem UNHCR-
Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland nach der „Dublin II-
Verordnung“, Asylinfo5/2008 beschrieben. Dort heißt es u. a., dass Dublin-Rückkehrer
schon bei Ankunft am Flughafen in Athen Gefahr liefen, inhaftiert zu werden, weil es an
Personal im Asylbereich fehle, mit dem die sofortige Identifizierung und Registrierung und
die rasche Bearbeitung der Asylanträge sichergestellt werden könnte. Bemängelt wird
auch, dass Asylsuchende nicht in einer ihnen verständlichen Sprache über den Gang des
Verfahrens informiert würden und so ggf. nicht wüssten, an welche Stelle sie sich zum
Betreiben des Verfahrens zu wenden hätten. In dem von dem Antragsteller als Anlage 5
seiner Antragsschrift zu den Akten gereichten Bericht des Europareferenten von Pro-Asyl
vom 08.02.2008 – Bl. 83 ff. der Akte – wird insoweit der Fall eines am 23.01.2008 nach
Griechenland rücküberstellten iranischen Asylsuchenden geschildert, der nach seiner
Rücküberstellung zunächst mehrere Tag am Flughafen Athen inhaftiert gewesen sein soll,
sodann mangels der erforderlichen Informationen nur mit Hilfe Dritter Zugang zu dem
Gebäude erhalten habe, in dem sich die zuständige Asylbehörde befinde.
Was die Situation von Asylsuchenden in Griechenland – auch von Personen, die aus
Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen der Dublin II-Verordnung rücküberstellt
werden – angeht, ist auch die Antragsgegnerin der Auffassung, dass es in Griechenland
gegenwärtig und auch noch in Zukunft in Einzelfällen Probleme in Asylverfahren – etwa im
Hinblick auf die Bereitstellung ausreichender Kapazitäten, z. B. bei der Unterbringung oder
bei der Verfahrensdauer – geben kann, die gegenüber den betroffenen Asylsuchenden zu
persönlichen Härten und erheblichen Schwierigkeiten führen können. Dies sei eine Frage
der Umstände des Einzelfalls. Die Antragsgegnerin will dem dadurch Rechnung tragen,
dass im Zweifel bei besonders schutzwürdigen Personen von einer Überstellung nach
Griechenland abgesehen werde. Dies gelte für Flüchtlinge hohen Alters, für minderjährige
Flüchtlinge sowie für Flüchtlinge, bei denen eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit,
Pflegebedürftigkeit oder besondere Hilfsbedürftigkeit vorliege.
Es kann dahinstehen, ob mit den von der Antragsgegnerin gebildeten Fallgruppen der
schutzbedürftige Personenkreis ausreichend bestimmt ist; der Antragsteller bedarf
jedenfalls bei fallbezogener Betrachtung keines Eilrechtsschutzes gegenüber einer
Rücküberstellung nach Griechenland.
Ein aus Sicht der Kammer letztlich durchschlagender Unterschied zu den genannten Fällen
liegt hier nämlich darin, dass der Antragsteller, nachdem ihm der von ihm nicht zu
widerlegende Umstand der Aufnahme von Fingerabdrücken in Griechenland im Januar 2005
vorgehalten wurde, jetzt geltend macht, sich von Oktober 2004 bis etwa März 2008 und
damit ca. 3 ½ Jahre ununterbrochen in Griechenland aufgehalten zu haben. In dieser Zeit
ist es dem Antragsteller ungeachtet seines angeblich durchgehend illegalen Aufenthaltes
gelungen, durch Arbeitsleistungen nicht nur seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern
zudem noch einen Betrag von 3.000 EUR „anzusparen“, den er nach eigenem Vortrag
dem Schlepper für die Verbringung nach Deutschland zu zahlen hatte. Ausweislich seiner
zu den Akten gereichten eidesstattlichen Versicherung hat er in Athen bei „verschiedenen“
christlichen Irakern und manchmal auch bei Griechen gelebt. Betrachtet man den langen
Zeitraum, den der Antragsteller in Griechenland verbracht haben will, so lässt sich diese
Einlassung nur so verstehen, dass der Antragsteller in Griechenland über verschiedene
„Anlaufstellen“, das heißt einen Kreis von Landsleuten und Einheimischen, verfügt haben
muss, der ihm nicht nur ermöglichte, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen,
sondern ihn zudem in die Lage versetzte, einen beträchtlichen Geldbetrag in einer Summe
aufbringen zu können.
Dass dieser Personenkreis von christlichen Irakern bzw. Griechen nicht in der Lage bzw.
bereit wäre, dafür Sorge zu tragen, dass der Antragsteller bei Rücküberstellung beginnend
am Flughafen Athen einen den EU-Richtlinien entsprechenden Zugang zu einem
Asylverfahren erhält, vermag die Kammer mit der für die Annahme eines Sonderfalls
gebotenen Überzeugung nicht zu erkennen. Mit der „Intervention Dritter“ ist es ausweislich
des in dem Beschluss des VG Gießen anschaulich beschriebenen Falls der Rücküberstellung
eines iranischen Asylsuchenden ersichtlich möglich, aufgrund von Sprachproblemen und
Kapazitätsengpässen bestehende faktische Hindernisse hinsichtlich des Zugangs zum
Asylverfahren zu überwinden. Zwar mag es aufgrund der von der Antragsgegnerin
eingeräumten, wohl auch derzeit noch bestehenden Schwierigkeiten Griechenlands bei der
Bereitstellung ausreichender (personeller und sächlicher) Kapazitäten auch in dem
Asylverfahren des Antragstellers zu Verzögerungen in der Sachbearbeitung bzw. auch
sonstigen Erschwernissen kommen. Irreversible Nachteile – etwa in dem Sinne, dass das
Asylbegehren des Antragstellers ohne inhaltliche Prüfung und ohne dem Antragsteller die
Möglichkeit einzuräumen, einen Rechtsbehelf einzulegen, abgelehnt wird – drohen dem
über Kontakte in Griechenland verfügenden Antragsteller bei der gebotenen Anlegung eines
strengen Maßstabs allerdings nicht.
Angesichts der bestehenden Kontakte des Klägers zu Personen in Athen dürfte es zudem
möglich sein, dass ihm in seinem Asylverfahren ein Anwalt zur Seite gestellt wird; dafür
spricht jedenfalls, dass bereits 2005 bei seiner damaligen Festnahme zugunsten des
Antragstellers ein Rechtsanwalt „eingeschaltet“ wurde, nachdem der Antragsteller bei
einer Personenkontrolle aufgefallen und inhaftiert worden war.
Nach allem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG
zurückzuweisen.