Urteil des VG Saarlouis vom 30.03.2010

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VG Saarlouis Entscheidung vom 30.3.2010, 11 K 1502/08
Kanalbaubeitragsanspruch: Entstehung, Rückwirkung, Verjährung
Leitsätze
Fortführung der langjährigen und umfassenden Rechtsprechung zur Frage der Entstehung
und Verjährung eines Kanalbaubeitragsanspruchs nach dem saarländischen
Kanalbaubeitragsrecht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich
aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren
(Widerspruchsbescheid aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.08.2008, zugestellt am
18.09.2008) mit ihrer am 14.10.2008 bei Gericht eingegangenen Klage gegen einen
Kanalbaubeitragsbescheid des Beklagten vom 06.12.2006, mit dem sie hinsichtlich ihres
im Jahre 2000 mit einem Wohnhaus mit Garage bebauten Grundstücks zu einem
Kanalbaubeitrag in Höhe von 6.831,00 EUR herangezogen worden sind.
Der Beitragserhebung liegt die Satzung der Stadt über die Erhebung eines
Kanalbaubeitrages für die Herstellung einer öffentlichen Abwasseranlage vom 28.11.2001
zugrunde, die zum 01.01.2002 in Kraft gesetzt wurde. Dieser Satzungvorausgegangen
war die Satzung der Stadt über die Erhebung eines Kanalbaubeitrags für die Entwässerung
der Grundstücke und den Anschluss an die öffentliche Entwässerungs- und
Abwasserreinigungsanlage vom 15.06.1990. Diese Satzung war die erste von der Stadt
nach der Änderung des Kommunalabgabengesetzes - KAG - im Jahre 1985 erlassene
Kanalbaubeitragssatzung. Die Kanalbaubeitragssatzung vom 15.06.1990 wurde vom
Beklagten bis Mitte der 90er Jahre weitgehend problemlos angewandt. Dann zog der
Beklagte in mehreren Fällen Eigentümer von unbebauten Grundstücken, die im nicht
beplanten Innenbereich an Straßen lagen, die teilweise seit Jahrzehnten kanalisiert waren,
im zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung von Neubauten zu Kanalbaubeiträgen
heran. Einzelne Grundstückseigentümer erhoben hiergegen Widerspruch. Der
Rechtsausschuss vertrat in einem Kanalbaubeitragsbescheid vom 18.05.1995
betreffenden Widerspruchsverfahren die Auffassung, in den genannten Fällen sei die
Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten der Satzung vom 15.06.1990 entstanden und daher
mit Ablauf des 31.12.1994 Festsetzungsverjährung eingetreten. Deshalb hob der
Rechtsausschuss den erwähnten Beitragsbescheid vom 18.05.1995 auf. Die dagegen am
20.06.1996 erhobene Klage (11 K 107/96) des Beklagten blieb ohne Erfolg. In einem
Gerichtsbescheid vom 11.12.1998 führte die Kammer aus, die Aufhebung des
Beitragsbescheids sei jedenfalls im Ergebnis zu Recht erfolgt: Entweder sei die Satzung
vom 15.06.1990 mangels ordnungsgemäßen Maßstabs für die Berechnung des
Kanalbaubeitrags insgesamt unwirksam und daher mangels gültiger Satzung die
Veranlagung rechtswidrig oder aber die Satzung sei wirksam, dann aber aus den vom
Rechtsausschuss genannten Gründen der Beitragsanspruch verspätet geltend gemacht
(von daher könne offen bleiben, ob die in der Satzung festgelegte Berechnungsgrundlage
ungültig sei oder nicht). Hiergegen beantragte der Beklagte mündliche Verhandlung; durch
Urteil vom 21.05.1999 - 11 K 107/96 - wurde unter Bezugnahme auf den
Gerichtsbescheid die Entscheidung bestätigt. In einem weiteren Fall hat die Kammer durch
rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 02.11.1999 - 11 K 109/96 - einen
Kanalbaubeitragsbescheid des Beklagten mit der Begründung aufgehoben, die Satzung
vom 15.06.1990 sei mangels gültigen Beitragsmaßstabs unwirksam. Mit Blick auf den
Gerichtsbescheid im Verfahren 11 K 107/96 stellte der Beklagte am 28.12.1998 einen
Normenkontrollantrag. Das OVG des Saarlandes hat darauf hin mit Beschluss vom
28.05.2001 -1 N 1/98- die Satzung der Stadt über die Erhebung eines Kanalbaubeitrages
für die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentliche
Entwässerungs- und Abwasserreinigungsanlage vom 15.06.1990 für nichtig erklärt.
Die Kläger sind der Auffassung, für ihr Grundstück sei die Beitragspflicht schon gegen Ende
der 70er Jahre erfüllt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Satzung vom 12.12.1979
gegolten. Diese Satzung sei vom OVG nicht für nichtig erklärt worden. Ende der 70er Jahre
hätten daher die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 KAG vorgelegen, da vor ihrem
Grundstück eine fertig gestellte öffentliche Einrichtung vorhanden gewesen sei, an die das
Grundstück hätte angeschlossen werden können und auch eine gültige Satzung vorhanden
gewesen sei. Die damit entstandene Beitragspflicht sei bei Anforderung durch den
streitgegenständlichen Bescheid daher seit vielen Jahren verjährt gewesen.
Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 06.12.2006 und den
Widerspruchsbescheid vom 12.08.2008 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Kläger seien zu Recht zu einem Kanalbaubeitrag herangezogen
worden. Es sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Voraussetzung für das
Entstehen der sachlichen Beitragspflicht sei das Vorliegen einer gültigen Satzung. Dies
ergebe sich aus § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG, wobei diese Vorschrift das Inkrafttreten einer
wirksamen Satzung meine. Eine solche liege erst durch die am 01.01.2002 in Kraft
getretene Satzung vom 28.11.2001 vor.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und der vorgelegten Verwaltungsunterlagen des
Beklagten und des Rechtsausschusses, der zum Gegenstand der Beratung gemacht
worden ist.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 40 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 1, 1. Alt., 68 ff. VwGO zulässige Anfechtungsklage -
über die nach Anhörung der Beteiligten gem. § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid
entschieden werden kann, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher
oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist - ist unbegründet. Der
angegriffene Kanalbaubeitragsbescheid vom 06.12.2006 ist rechtmäßig und verletzt die
Kläger schon von daher nicht im Sinne des § 113 Abs.1 Satz 1 VwGO in ihren Rechten.
Er findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 1, 2, 8 KAG i.V.m. §§ 1 - 9 der
Satzung der Stadt über die Erhebung eines Kanalbaubeitrages für die
Herstellung einer öffentlichen Abwasseranlage vom 28.11.2001 (im Folgenden:
KBS), an deren Rechtsgültigkeit keine Bedenken bestehen (vgl. nur
Gerichtsbescheid der Kammer vom 30.03.2010 -11 K 1760/08-).
Aufgrund dieser Satzungsbestimmungen ist für das Grundstück der Kläger eine
Kanalbaubeitragspflicht entstanden. Gemäß §§ 2 Abs. 1, 6 KBS unterliegen der
Beitragspflicht die Grundstücke, für die entweder eine bauliche oder gewerbliche
Nutzung festgesetzt ist oder die nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und
nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung
anstehen, sobald sie entweder an die öffentliche Abwasseranlage
angeschlossen werden können oder ein benutzungsfähiger Anschluss hergestellt
ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Grundstück der Kläger, die
gemäß § 5 Abs. 1 KBS als Eigentümer persönlich beitragspflichtig sind, ist im
unbeplanten Innenbereich des § 34 BauGB gelegenes Bauland, das sogar bereits
mit einem Wohnhaus bebaut ist, und es ist auch kanaltechnisch erschlossen. In
der am Grundstück vorbeiführenden Straße verläuft eine öffentliche
Entwässerungsleitung und daran ist das Grundstück seit dem Jahre 2001
angeschlossen (vgl. Genehmigung zur Herstellung oder Änderung des
Anschlusses eines Grundstückes an die öffentliche Entwässerungsanlage vom
14.02.2001, Bl. 6 der Verwaltungsunterlagen des Beklagten).
Der Beitragsanspruch ist entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht
verjährt.
Die Festsetzung eines Kanalbaubeitrags nach § 8 KAG in Verbindung mit dem
einschlägigen Ortsrecht ist nach den §§ 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b KAG, 169 Abs. 1
und 2, 170 Abs. 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist
abgelaufen ist; die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre und beginnt mit dem
Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragspflicht entstanden ist. Die Pflicht,
einen Beitrag für die Herstellung der gemeindlichen Entwässerungseinrichtung
zu zahlen, entsteht nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG, sobald das einzelne
Grundstück an diese Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch
mit dem Inkrafttreten der Satzung.
Nach der gefestigten Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ( vgl.
nur OVG des Saarlandes, Beschluss vom 16.08.1991 -1 W 52/91-, S. 10, 11 des amtl.
Umdrucks) kann im saarländischen Kanalbaubeitragsrecht ein Kanalbaubeitragsanspruch
aber erst entstehen, wenn u. a. der Beitragssatz wirksam festgelegt ist. Einen
Beitragsanspruch nur dem Grunde nach gibt es nämlich nicht. Eine sämtlichen
notwendigen Anforderungen entsprechende Satzung liegt für den Bereich der Stadt jedoch
erst infolge der nunmehrigen Kanalbaubeitragssatzung vom 28.11.2001 vor. Die Fassung
der Vorgängersatzung vom 15.06.1990 gestattete keine Beitragserhebung; sie wurde
vom OVG des Saarlandes mit Beschluss vom 28.05.2001 -1 N 1/98- für nichtig erklärt.
Auch die davor in Kraft gewesenen Kanalbaubeitragssatzungen gestatteten keine
Beitragserhebung, wobei dies gerade auch für die von den Klägern genannte Satzung vom
12.12.1979 gilt; insoweit hat das OVG des Saarlandes in seinem Beschluss vom
07.12.1995 -1 W 50/92- ausgeführt:
"Durch die Rechtsprechung des Senats (vgl. insbesondere Urteil vom
14.2.1991 -1 R 618/88-, SKZ 1991, 133, im Anschluss an den
Beschluss des 3. Senats vom 13.3.1984 -3 W 1673/83-, AS 19, 33
= SKZ 1984, 125) ist geklärt, dass erst mit Inkrafttreten des
Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom
23.1.1985 (Amtsbl. S. 206) im Saarland die im Hinblick auf § 1 Abs.
1 KAG unerlässliche gesetzliche Grundlage für Ortssatzungen
geschaffen war, die die Erhebung von Vollbeiträgen für die
Herstellung gemeindlicher Abwasserbeseitigungsanlagen vorsehen,
und dass demzufolge alle früher erlassenen Satzungen mit einem
entsprechenden Abgabentatbestand nichtig sind, ohne dass insoweit
eine Rolle spielt, ob in diesen Satzungen der Kanalbaubeitragssatz
auf der Grundlage einer Abschnittsbildung ermittelt oder ob ein
Einheitssatz bestimmt wurde. Davon ausgehend waren die Satzung
der Stadt über die Erhebung eines Kanalbaubeitrages für die
Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentliche
Entwässerungs- und Abwasserreinigungsanlage vom 12.12.1979
und die hierzu später ergangenen Änderungssatzungen sämtlich
nichtig."
Da der Beitragsanspruch daher erst mit dem Inkrafttreten der KBS vom 28.11.2001 am
01.01.2002 entstanden ist und die Verjährungsfrist damit mit Ablauf des 31.12.2002 zu
laufen begann, war er bei Erlass des Kanalbaubeitragsbescheides am 06.12.2006 noch
nicht verjährt.
Für das saarländische Kanalbaubeitragsrecht ist auch nicht der Auffassung des OVG NRW
vom 18.05.1999 -15 A 2880/96- zu folgen. In der dortigen Entscheidung wurde unter
Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des OVG NRW das Tatbestandsmerkmal
"frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der Satzung" dahingehend ausgelegt, dass
dann, wenn ein Anschluss möglich ist, die Beitragspflicht bereits in dem Zeitpunkt entsteht,
in dem die Gemeinde eine Satzung in Kraft setzen will, die die Beitragspflicht entstehen
lassen soll, so dass – sollte diese Satzung (wie hier) nichtig sein – eine für das Entstehen
der Beitragspflicht erforderliche neue, wirksame Satzung Rückwirkung auf den Zeitpunkt
des In-Kraft-Setzens der ersten Satzung haben müsse
vgl. zuletzt nur OVG des Saarlandes, Beschluss vom 24.08.2007 - 1
A 49/07 - wo ausgeführt wird: „Der beschließende Senat hat zudem
schon wiederholt entschieden, dass er, obwohl § 8 Abs. 7 Satz 2
KAG Saarland mit der entsprechenden Vorschrift des nordrhein-
westfälischen Landesrechts übereinstimmt, die vom OVG Münster im
Urteil vom 18.05.1999 vorgenommene Norminterpretation für falsch
hält.“
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.