Urteil des VG Saarlouis vom 28.08.2009

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VG Saarlouis Entscheidung vom 28.8.2009, 11 K 31/09
Vertrauensschutz bei Änderungen des Geschwistereinkommens
Leitsätze
1. Von einem Auszubildenden, der auf Antrag Förderungsleistungen bezieht, wird erwartet,
dass er mit der Berechnung der Ausbildungsförderung und mit den Auswirkungen von
Geschwistereinkommen vertraut ist.
2. Ob schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Bewilligungsbescheides begründet
werden kann, hängt davon ab, ob für den Kläger erkennbar war, dass sich bezüglich der
Einkommensverhältnisse seiner Schwester Änderungen ergeben können oder ergeben
haben.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat
der Kläger zu tragen.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die Rückforderung von Ausbildungsförderung.
Mit Bescheid vom 31.10.2005 änderte die Beklagte die bis dahin für den
Bewilligungszeitraum Oktober 2004 September 2005 maßgeblichen Bescheide und
bewilligte zugleich Ausbildungsförderung für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum von
Oktober 2005 bis September 2006. Darüber hinaus wurde eine Rückforderung in Höhe von
731,-- EUR geltend gemacht, wobei nach Aufrechnung mit den Förderungsleistungen des
Bewilligungszeitraumes Oktober 2005 bis September 2006 ein Rückforderungsrestbetrag
in Höhe von 109,40 EUR verblieb, zu dessen Zahlung der Kläger aufgefordert wurde.
Die den Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 betreffenden Teile des
Bescheides vom 31.10.2005 unterschieden sich hinsichtlich des monatlichen Zuschlags für
Unterkunftskosten und hinsichtlich des beim angerechneten Elterneinkommen angesetzten
Freibetrages für die Schwester des Klägers von den bisherigen Festsetzungen.
Die Schwester des Klägers hatte ausweislich einer vom Vater des Klägers vorgelegten
Lohn-/Gehaltsabrechnung von August 2005 in der Zeit vom 04.07. bis 26.08.2005 für
einen Ferienjob ein steuerpflichtiges Bruttoeinkommen in Höhe von 3.826,12 EUR erzielt.
Die Minderung des Freibetrages auf 225,90 EUR wurde damit begründet, dass das von der
Schwester Carola in den Monaten Juli und August 2005 erzielte Einkommen auf den für sie
gewährten Freibetrag angerechnet werde.
Das vom Kläger eingeleitete Widerspruchsverfahren hatte insofern Erfolg, als durch den
Widerspruchsbescheid vom 12.12.2008 der Bescheid vom 30.10.2005 (gemeint ist wohl:
31.10.2005) dahingehend geändert wurde, als nunmehr für die Schwester beim
angerechneten Elterneinkommen ein Freibetrag in Höhe von 254,21 EUR gegenüber bisher
angerechneten 225,90 EUR berücksichtigt wurde. Der Rückforderungsrestbetrag betrug
danach noch 576,-- EUR. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der
Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 17.12.2008 zugestellt.
Am 14.01.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend, gegen
die Berücksichtigung der Einkünfte seiner Schwester spreche, dass er habe darauf
vertrauen dürfen, dass die Bescheide für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum
Bestand haben. Mit einem – gut bezahlten – Ferienjob seiner Schwester habe er nicht
rechnen müssen. Zwar habe er gewusst, dass das Abitur seiner Schwester bevorstehe.
Ob sie dieses bestehen würde und was sie in den Ferien mache, insbesondere ob sie einen
Ferienjob annehme, habe er aber nicht sicher gewusst. Die abstrakte Möglichkeit, dass sie
einen Ferienjob annehme, stehe neben den alternativen Möglichkeiten einer Sprachreise
oder einer sonstigen ausgedehnten Reise und könne sein Vertrauen, die vorbehaltlos
gewährte Ausbildungsförderung in den Monaten Oktober 2005 bis Juni 2006 behalten zu
dürfen, nicht erschüttern. Es komme nicht darauf an, ob die Aufnahme einer Ferienarbeit
abstrakt ungewöhnlich oder unwahrscheinlich sei, sondern auf seine konkreten bzw. nach
zumutbarer Sorgfalt zu erwartenden Kenntnisse. Bezüglich des weiteren Lebensweges
seiner Schwester habe er keine konkreten Vorstellungen haben müssen und auch keine
solchen gehabt. Dass seine Schwester einen derartigen Ferienjob erhalte, sei
unwahrscheinlich gewesen, weil diese sehr rar, für einen Ferienjob sehr gut bezahlt und
wegen der Härte der Arbeit bei Frauen eher unbeliebt seien. Die ihm gewährte
Ausbildungsförderung habe er zum Lebensunterhalt und zur Begleichung seiner
Verbindlichkeiten verbraucht.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid vom 30.10.2005 in der Form, die er durch
die Änderung des Widerspruchsbescheids vom
12.12.2008 als Bescheid vom 29.09.2008 erhalten hat,
insoweit aufzuheben, als von ihm die Rückzahlung der
BAföG-Leistungen von Oktober 2004 bis Juli 2005 in Höhe
von 480,-- EUR gefordert werde.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide schriftsätzlich
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten. Diese waren Gegenstand
der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 40, 42, 68 ff. VwGO zulässige Anfechtungsklage, über die nach Anhörung
der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden
kann, da die Sache – soweit entscheidungserheblich – keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, ist unbegründet.
Der Bescheid vom 30.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12.12.2008 ist auch, soweit er vom Kläger mit der vorliegenden Klage angefochten wird,
rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Änderung der ursprünglichen Bewilligungsbescheide ist § 53 Satz 4
BAföG in der zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung geltenden Fassung. Danach
wird ein Förderungsbescheid vom Beginn des Bewilligungszeitraums an geändert, wenn in
den Fällen der §§ 22 und 24 Abs. 3 BAföG eine Änderung des Einkommens oder in den
Fällen des § 25 Abs. 6 eine Änderung des Freibetrages eingetreten ist. Mit der
Berufstätigkeit der Schwester des Klägers im Sommer 2005 ist unstreitig ein solcher
Umstand eingetreten. Auf die entsprechenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid
kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
Die vom Kläger geltend gemachten Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der
Abänderung der ursprünglichen Förderungsbescheide und der Rückforderung nicht
entgegen.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die dem
Auszubildenden nachteilige Änderung eines Bewilligungsbescheides, die sich – wie hier –
Wirkung auch für einen zurückliegenden Zeitraum beimisst, verfassungsrechtlich nur unter
besonderen Umständen zulässig. Diese müssen so geartet sein, dass sie das Gewicht des
Vertrauensschutzinteresses gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit
der Verwaltung geringer erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 16.12.1992 - 11 C 6.92 -,
E 91, 306 m.w.N. und Urteil vom 24.03.1993 - 11 C 14.92 -, Buchholz 436.36 § 53
BAföG Nr. 10).
Von vornherein wenig schutzwürdig ist danach ein Vertrauen in den unveränderten Bestand
eines begünstigenden Verwaltungsaktes dann, wenn sich die Änderung im Rahmen einer
vorhersehbaren Entwicklung hält, wenn also der Betroffene mit der Änderung rechnen
musste.
So liegt der Fall hier.
Von einem Auszubildenden, der auf Antrag Förderungsleistungen bezieht, muss zunächst
erwartet werden, dass er mit der Berechnung der Ausbildungsförderung und mit den
Auswirkungen von Geschwistereinkommen vertraut ist (vgl. BVerwG a.a.O.).
Der Kläger musste daher damit rechnen, dass der Bewilligungsbescheid – ähnlich wie bei
der Erzielung eigenen Einkommens – geändert wird, wenn während des
Bewilligungszeitraums Tatsachen eintreten, die die Berechnungsgrundlage des Bescheides
in Bezug auf den Kinderfreibetrag vom Einkommen der Eltern verändern. Ob
schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des Bewilligungsbescheides begründet
werden kann, hängt daher entscheidend davon ab, ob für den Kläger erkennbar war, dass
sich bezüglich der Einkommensverhältnisse seiner Schwester Änderungen ergeben können
und ergeben haben. Dies ist hier der Fall.
Dem Kläger war bekannt, dass die Schulzeit seiner Schwester im Laufe des
Bewilligungszeitraums aller Wahrscheinlichkeit nach zu Ende gehen wird. Unabhängig vom
Ausgang der Abiturprüfung war jedenfalls klar, dass im Sommer große Ferien anstehen.
Der Kläger hat selbst dargelegt, dass neben anderen Möglichkeiten auch die Option
bestand, dass seine Schwester die freie Zeit für einen Ferienjob nützt. Daher bestand von
Anfang an eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Schwester im Laufe des
Bewilligungszeitraums Einkünfte erzielt. Dass nach dem eigenen Vortrag des Klägers das
weitere Verhalten seiner Schwester für ihn offenbar unberechenbar war, schließt gerade
auch die Aufnahme eines Ferienjobs als weitere konkrete und nicht bloß abstrakte
Möglichkeit ein, denn die Aufnahme eines Ferienjobs ist nichts Ungewöhnliches, weit
verbreitet und damit naheliegend. Ein schutzwürdiges Vertrauen in dem dargelegten Sinn in
den Fortbestand der bisherigen Verhältnisse würde dagegen belastbare Anhaltspunkte
voraussetzen, die eine Arbeitsaufnahme durch die Schwester oder ein für die Höhe seines
Förderungsanspruchs relevantes Einkommen der Schwester völlig unwahrscheinlich
erscheinen ließen. Daran fehlt es hier. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände, die es
nach seiner Ansicht unwahrscheinlich machten, dass seine Schwester während des
Bewilligungszeitraums ein eigenes Einkommen erzielt, sind im Wesentlichen spekulativ und
überzeugen daher nicht. Insbesondere kann der Kläger insofern nicht mit Erfolg auf die für
ihn unerwartete Höhe der Einkünfte seiner Schwester verweisen. Der konkrete Verdienst
der Schwester mag zwar für einen Ferienjob beachtlich sein. Ihr Einkommen liegt jedoch
ersichtlich nicht in einem Maße außerhalb des Üblichen, das die Annahme eines
schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in den Fortbestand des ursprünglichen
Förderungsbescheides rechtfertigen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 ZPO.