Urteil des VG Potsdam vom 23.04.2007
VG Potsdam: öffentliche sicherheit, hund, aufschiebende wirkung, gefahr, form, eigenschaft, vollziehung, obg, bewegungsfreiheit, mensch
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Gericht:
VG Potsdam 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 370/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 HuHV BB 2004, § 3
Abs 1 HuHV BB 2004, § 3 Abs 3
HuHV BB 2004, § 8 Abs 1 HuHV
BB 2004, § 8 Abs 3 HuHV BB
2004
Leinenzwang und Maulkorbpflicht für gefährlichen Hund
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 23. April 2007 gegen die
Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22. März 2007 wiederherzustellen,
ist zulässig, aber unbegründet.
In formeller Hinsicht genügt die Begründung für die Anordnung der sofortigen
Vollziehung unter Ziff. 2 der Ordnungsverfügung vom 22. März 2007 den Anforderungen
des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen konkreter, auf den
vorliegenden Fall bezogener Erwägungen das besondere Interesse an der Anordnung der
sofortigen Vollziehung zur Abwehr von Gefahren für Menschen oder Tiere dargelegt.
In materieller Hinsicht überwiegt im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO
vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Vollzugsinteresse an dem Leinen-
und Maulkorbzwang das private Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub von
Vollzugsmaßnahmen. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen
und gebotenen summarischen Prüfung stellt sich die angefochtene Ordnungsverfügung
als offensichtlich rechtmäßig dar.
Rechtsgrundlage für die gegenüber der Antragstellerin getroffene Anordnung unter Ziff.
1 der Ordnungsverfügung vom 22. März 2007, außerhalb des befriedeten Besitztums
den Hund "Sally" ab sofort nur noch mit einer höchstens zwei Meter langen und
reißfesten Leine zu führen sowie dem Hund einen das Beißen verhindernden Maulkorb
anzulegen, ist § 13 Abs. 1 OBG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 3 bzw. § 3 Abs. 3 Satz 2 der
Hundehalterverordnung (- HundehV - vom 16. Juni 2004, GVBL. II S. 458). Nach § 13 Abs.
1 OBG können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im
einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr)
abzuwehren. Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Antragsgegnerin sind hier
gegeben, weil alles dafür spricht, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt,
da die Gebote des § 3 Abs. 1 Satz 3 bzw. § 3 Abs. 3 Satz 2 HundehV hier eingreifen.
Danach ist ein Hund, der als gefährlich gilt, auch außerhalb des befriedeten Besitztums
ständig an einer höchstens zwei Meter langen und reißfesten Leine zu führen (§ 3 Abs. 1
Satz 3 HundehV), darüber hinaus ist ihm außerhalb des befriedeten Besitztums ein das
Beißen verhindernder Maulkorb anzulegen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 HundehV).
Die genannten Vorschriften der Hundehalterverordnung greifen hier ein. Eine Ausnahme
nach § 15 Abs. 1 HundehV, wonach die Verordnung u.a. nicht für Diensthunde der Polizei
gilt, ist nicht gegeben. Die Hündin "Sally" ist kein Diensthund der Polizei (mehr). Sie hat
zwar im Jahr 2000 die Polizeidiensthundeprüfung bestanden und wurde danach als
Polizeihund im Land Berlin eingesetzt. Am 17. Dezember 2003 wurde sie jedoch als
Diensthund ausgesondert und wird seit 2004 privat im häuslichen Bereich gehalten.
Dem Vorbringen der Antragstellerin, ihre Hündin könne theoretisch jederzeit wieder als
Diensthund eingesetzt werden, kann nicht gefolgt werden, da sich aus der von ihr
vorgelegten "Verhandlung über die Aussonderung eines Polizeihundes" vom 16. Januar
2004 ergibt, dass Sally nicht mehr einsatzfähig und somit für den Polizeidienst
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2004 ergibt, dass Sally nicht mehr einsatzfähig und somit für den Polizeidienst
unbrauchbar ist. Ein Eingreifen der Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 1 HundehV im
vorliegenden Fall wäre auch von ihrem Sinn und Zweck nicht gedeckt. Die genannte
Ausnahmeregelung knüpft an die Zweckbestimmung des Hundes und seine Verwendung
im öffentlichen Dienst an, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von vornherein
ausschließt. Hiervon ist bei einer nur privaten Haltung und Verwendung eines Hundes
nicht auszugehen.
Die Voraussetzungen für die Leinenpflicht und den Maulkorbzwang nach § 3 Abs. 1 Satz
3 bzw. § 3 Abs. 3 Satz 2 HundehV sind gegeben. Die Rottweilerhündin "Sally" gilt als
gefährlich im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 13 HundehV. Danach ist
insbesondere bei Hunden der Rasse Rottweiler von der Eigenschaft eines gefährlichen
Hundes auf Grund rassespezifischer Merkmale oder Zucht im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1
HundehV, nämlich von einer über das natürliche Maß hinausgehenden
Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder einer anderen in ihrer Wirkung
vergleichbaren, Mensch oder Tier gefährdenden Eigenschaft, auszugehen, solange der
Hundehalter nicht im Einzelfall der örtlichen Ordnungsbehörde nachgewiesen hat, dass
der Hund keine der genannten Eigenschaften aufweist. Den in Form einer Bescheinigung
der örtlichen Ordnungsbehörde (Negativzeugnis) zu erbringenden Nachweis nach § 8
Abs. 3 Satz 1 HundehV (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 3 HundehV) hat die Antragstellerin nicht
erbracht. Die Bescheinigung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 24. November 2000
über das Bestehen der Polizeidiensthundeprüfung kann das erforderliche Negativzeugnis
weder der Form noch dem Inhalt nach ersetzen.
Außerdem gilt die Hündin "Sally" als gefährlicher Hund nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV.
Sie gilt als bissig, weil sie einen Menschen durch Biss geschädigt hat, ohne selbst
angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein
(vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV). Unstreitig hat Sally am 13. November 2006 Frau R in
den linken Unterarm gebissen, so dass diese, wie aus dem ärztlichen Attest vom 13.
November 2006 hervorgeht, eine Schwellung und Druckschmerz am linken Unterarm,
der in seiner Bewegungsfreiheit deutlich und schmerzhaft eingeschränkt war, erlitt. Auch
wenn der Geschädigten keine offene Wunde zugefügt wurde, hat der Hund sie durch Biss
geschädigt. Eine einschränkende Auslegung des Begriffs "Biss" dahingehend, dass die
Zähne des Hundes die Haut des Opfers durchdringen müssen, ist entgegen der
Auffassung der Antragstellerin nicht gerechtfertigt, ein Zuschnappen mit
Verletzungsfolgen reicht aus. Der Hund der Antragstellerin ist auch nicht selbst
angegriffen oder zum Biss durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden. Frau
R und die sie bei dem Bissvorfall begleitende Zeugin, Frau F, haben übereinstimmend,
nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass der neben der Eingangstür zu einem
Geschäft liegende und angeleinte Hund der Antragstellerin plötzlich aufsprang, als Frau
R. an ihm vorbeiging, und diese ohne erkennbaren Grund in den linken Unterarm biss.
Die Darstellung des Vaters der Antragstellerin, der zum Zeitpunkt des Vorfalls den
sitzenden Hund an der Leine hielt und neben ihm am Geschäftseingang stand, wonach
die Geschädigte mit ihm und dem Hund zusammengestoßen sei, ist durch nichts belegt.
Mag es auch zutreffen, dass sich der Hund - wovon die Antragstellerin selbst ausgeht -
erschreckt hatte, so ist nicht erkennbar, dass die Beißreaktion durch ein menschliches
zielgerichtetes Verhalten im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV, nämlich durch Schläge
oder in ähnlicher Weise, provoziert worden ist.
Die in § 3 Abs. 1 Satz 3 bzw. Abs. 3 Satz 2 HundehV für als gefährlich geltende Hunde
eingreifende Rechtsfolge, die Leinenpflicht bzw. der Maulkorbzwang, steht nicht im
Ermessen der Ordnungsbehörde. Unabhängig hiervon sind die entsprechenden
Anordnungen der Antragsgegnerin in der angegriffenen Ordnungsverfügung nicht
unverhältnismäßig, auch nicht im Hinblick auf die von der Antragstellerin geltend
gemachten Herzprobleme ihres Hundes. Den gesundheitlichen Problemen kann die
Antragstellerin durch Auswahl eines geeigneten Maulkorbes Rechnung tragen. Nach der
schriftlichen Einlassung ihres Vaters vom 4. Dezember 2006 beabsichtigte dieser
ohnehin, den mitgeführten Beißkorb dem Hund anzulegen, als es zu dem Beißvorfall
kam. Im Übrigen haben die gesundheitlichen Probleme des Hundes hinter den Schutz
der menschlichen Unversehrtheit zurückzutreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Gericht hat den doppelten Auffangstreitwert von
5.000,00 Euro in Ansatz gebracht und diesen Betrag im Hinblick auf die Vorläufigkeit des
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens halbiert.
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