Urteil des VG Potsdam vom 15.03.2017

VG Potsdam: schulgebäude, dienstliche verrichtung, dienstliche tätigkeit, morbus addison, anerkennung, gefahr, gefährdung, körperschaden, diagnose, schranke

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Gericht:
VG Potsdam 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 K 828/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 BeamtVG, § 31 Abs 3
BeamtVG
Anerkennung einer Krankheit -angeblich durch
schadstoffbelastete Raumluft verursacht - als Dienstunfall
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird
nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern der Beklagte nicht vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wurde mit Wirkung vom 13. Dezember 2001 nach erfolgreich absolvierter
Probezeit unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit in
Teilzeitbeschäftigung bei einem Umfang von zwei Dritteln der regelmäßigen Arbeitszeit
zur Studienrätin ernannt. Sie arbeitete als Lehrerin in der Sekundarstufe 2 am ... -
Gymnasium in .... Seit dem 8. August 2005 war sie wegen Verlegung des Unterrichts
aufgrund von Umbaumaßnahmen an drei Wochentagen je Unterrichtswoche im neu
errichteten Schulgebäude des ... -Gymnasiums in ... tätig.
Aufgrund diverser Beschwerden von Lehrern und Schülern über u.a. massive
Kopfschmerzen, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, brennende/juckende
Augen, Schwindelgefühl, Übelkeit nahm die Analyse Labor GmbH (nachfolgend ... GmbH)
im Auftrag des Landkreises Havelland im Gebäude des ... -Gymnasiums in ... im
Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 22. November 2005 in sieben exemplarisch
ausgesuchten Räumen Luftmessungen unter sog. worst-case-Bedingungen (38 Stunden
ohne jegliche Be- und Entlüftung) vor. Dabei wurde festgestellt, dass die Raumluft in
allen sieben Räumen zum Zeitpunkt der Probenentnahme am 7. November 2005
komplexe Belastungsspektren flüchtiger organischer Verbindungen aufwies. Unter
anderem wurde festgestellt, dass die TVOC-Werte (Summe der flüchtigen organischen
Verbindungen) oberhalb des im langzeitigen Mittel möglichst zu unterschreitenden
Konzentrationsbereiches lagen, für zahlreiche Einzelsubstanzen und Substanzgruppen
die statistisch abgeleiteten Orientierungsrichtwerte und/oder Orientierungszielwerte
erreicht oder überschritten waren, die Konzentrationen an höheren Aldehyden
(Alkanalen), Propanal, Butanal und/oder Hexal oberhalb des jeweiligen Richtwertes lagen
sowie in der Aula sowohl der Orientierungswert des ehemaligen
Bundesgesundheitsamtes als auch der Orientierungswert der WHO für Formaldehyd
überschritten war.
Nach ersten Empfehlungen zu Lüftungsmaßnahmen wurden am 18. November 2005
Kontrollmessungen durchgeführt. Die ... GmbH stellte fest, die Gegenüberstellung der
Probenergebnisse belegten, dass die angeordneten Lüftungsmaßnahmen insgesamt
geeignet seien, die Schadstoffbelastung in den untersuchten Räumen deutlich und auf
ein aus toxikologischer Sicht tolerables Maß zu senken. Bei Anwendung der
Lüftungsmaßnahmen lägen die Luftbelastungen in gesundheitlich unbedenklichen und
statistisch weitgehend unauffälligen Konzentrationsbereichen. Eine gefahrlose Nutzung
der Räume sei unter diesen kontrollierten Lüftungsbedingungen aufgrund der
gemessenen Schadstoffkonzentrationen gegeben. Dies gelte auch bei Anwendung der
aufgrund der winterlichen Witterungsverhältnisse modifizierten Lüftungsvorgaben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfbericht vom 30. November 2005,
die zusammenfassende gutachterliche Stellungnahme vom 9. Dezember 2005 sowie die
aufgrund späterer Kontrollmessungen erstellten Prüfberichte vom 12. Dezember 2005
und 3. Mai 2006 Bezug genommen. Die ... GmbH ließ zudem durch die … GmbH
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und 3. Mai 2006 Bezug genommen. Die ... GmbH ließ zudem durch die … GmbH
(nachfolgend ... ) ein toxikologisches Kurzgutachten zur Belastung der Innenräume mit
Methylacetat erstellen. Die ... stellte fest, dass bei der vorhandenen Konzentration der
TVOC-Werte insbesondere bei längerfristiger Exposition Reizungen und leichte
Befindlichkeitsstörungen nicht auszuschließen seien. Für den Einzelstoff Methylacetat
seien die vorgefundenen Messwerte jedoch noch in einem tolerablen Bereich; unter
Berücksichtigung der Anwesenheit komplexer Luftgemische unter Einschluss anderer
reizender Substanzen sollten jedoch Expositionsminderungen für Methylacetat erwogen
werden. Bei Überschreiten einer bestimmten Einzelkonzentration könnten nachteilige
gesundheitliche Wirkungen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Kurzgutachten vom 23. November
2005 verwiesen.
Seit der Verlegung des Unterrichts in das Schulgebäude des ... -Gymnasiums litt die
Klägerin an diversen Beschwerden. Sie habe sich bereits in der letzten Septemberwoche
2005 erschöpft gefühlt. Im Dezember 2005 habe sie während einer
Klausurbeaufsichtigung in der Aula versucht, einen Text zu lesen, dieses Vorhaben
jedoch aufgrund massiv eintretender Beschwerden (Verschwimmen der Buchstaben)
abbrechen müssen. Am 6. Januar 2006 habe sie morgens starke Schmerzen in der
linken Brusthälfte verspürt, die nur in gebückter Haltung einigermaßen erträglich
gewesen seien. Am 17. Februar 2006 hätten sich plötzlich massive Beschwerden
eingestellt. Sie habe kurzzeitig gar nicht, dann nur verschwommen sehen können. Sie
habe unter einem derartigen Schwindelgefühl gelitten, dass sie nicht habe frei stehen
können. Nur mit Mühe und im Übrigen fehlerhaft habe sie sprechen können. Nach
langsamer Verbesserung der Sprach- und Sehprobleme innerhalb von ca. 20 Minuten
seien aber starke Nackenschmerzen hinzugekommen. Nachfolgend habe sich auch
starker trockener Husten eingestellt. Die am 20. Februar 2006 vom Hausarzt ...
durchgeführte Untersuchung habe einen schlechten Allgemeinzustand ergeben. Seit
dem 19. Mai 2006 war die Klägerin dienstunfähig krankgeschrieben.
Wegen ihrer Erkrankung unterzog sich die Klägerin einer Vielzahl von ärztlichen
Untersuchungen. Beim Staatlichen Schulamt Brandenburg an der Havel (Schulamt)
legte sie ein Attest von Dr. med. ... vom 6. April 2006 vor, der bei ihr die MCS-Krankheit
(vielfache Chemikalienüberempfindlichkeit) diagnostizierte und eine sofortige
Herausnahme aus dem schädigenden Milieu des Schulgebäudes anregte. Im Rahmen
der daraufhin am 18. Mai 2006 vom Amtsarzt Dr. ... durchgeführten Untersuchung
wurde eine psychosomatische Störung unbekannter Ursache diagnostiziert. Die
Diagnose einer MCS-Krankheit könne erst nach Ausschluss aller anderen Diagnosen
gestellt werden. Ein Zusammenhang mit den Luftverhältnissen im Schulgebäude könne
nicht abschließend beurteilt werden, da als Ursache auch das neu erbaute, Anfang
Oktober bezogene Wohnhaus der Klägerin in Betracht komme.
Bei einer erneuten amtsärztlichen Untersuchung am 24. Oktober 2006 diagnostizierte
Dr. ... inflammatorische Kardiomyopathie, Adrenoleukodystrophie, degenerative HWS-
Veränderungen/Radkulpathie C6 sowie eine psychosomatische Störung. Die am 6. April
2006 von Dr. med. ... erhobene Diagnose der MCS-Krankheit bezeichnete Dr. ...
hingegen als unzutreffend.
Die Klägerin ließ durch MR Prof. Dr. med. ... eine fachtoxikologische Stellungnahme zur
Schadstoffbelastung im Schulgebäude erstellen. In der Stellungnahme vom 16. Januar
2007 wird ausgeführt, dass sich nach den Ergebnissen wissenschaftlicher
Untersuchungen der Schluss ziehen lasse, dass bei der Klägerin sowie den weiteren
erkrankten Lehrern und Schülern aufgrund der Schadstoffbelastung ein sick-building-
syndrome diagnostiziert werden könne. Die Beschwerden seien auf die Belastung der
Innenraumluft zurückzuführen. Es sei die Aussage zulässig, dass bei der Klägerin eine
besondere Empfindlichkeit gegenüber Chemikalieneinwirkungen bestehe. Die in der
Literatur publizierten Erfahrungen zeigten, dass es durch falsches Vorgehen beim sick-
building-syndrome bei den Betroffenen zu einer Chronifizierung der Leiden bzw. zu
einem Wechsel zur MCS oder CFS (chronische Müdigkeit bzw. Erschöpfungssyndrom)
kommen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 16.
Januar 2007 verwiesen.
Die Klägerin legte des Weiteren ein auf den 19. März 2007 datiertes Attest von Dr. sc.
med. ... vor, der ein cervico-encephales Syndrom diagnostizierte und ausführte, dass
sich bei der Klägerin eine mitochondriale Cytopathie mit Verwertungsstörungen an
Kohlenhydraten infolge einer Laktazidose habe feststellen lassen. Diese könne durch
chemikalische Einflüsse ausgelöst werden. Eine weitere Ursache könne eine
Genickgelenkinstabilität sein, die zu Durchblutungsminderungen im Hirnstammbereich
und den Hirnzentren führe. Die Klägerin sei eine susceptible Person gegenüber
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und den Hirnzentren führe. Die Klägerin sei eine susceptible Person gegenüber
Schadstoffen. Wegen der erhöhten Schadstoffkonzentration in der Raumluft des
Gymnasiums sei daher erklärbar, dass bei ihr mit Beginn der Tätigkeit in der neuen
Schule massive Multiorgansymptome sowohl des zentralen peripheren als auch des
vegetativen Nervensystems ausgelöst worden seien.
Nach einer weiteren amtsärztlichen Untersuchung am 26. Juni 2007 diagnostizierte Dr.
med. ... mit amtsärztlichem Gutachten vom 28. Juni 2007 bei der Klägerin einen
protrahierten Psycho-Physischen Erschöpfungszustand, den Verdacht auf multiple
chemical sensitivity, cervicale Raticolopathie links bei degenerativen Veränderungen der
Halswirbelsäule, beiderseitigen Tinnitus, Adrenomyeloneuropathie und nicht näher
bezeichnete Tachycardie. Dr. med. ... führte weiter aus, dass sich trotz der vielfachen
Untersuchungen der Klägerin letztendlich keine – nach heutigem Stand der
medizinischen Wissenschaft – hinreichend gesicherte Diagnose ergeben hätte, die die
Vielzahl subjektiver Beeinträchtigungen bei der Klägerin erklären könnten.
Die Klägerin leidet zudem an einer angeborenen Fettstoffwechselstörung (ALD). Infolge
dieser Erkrankung besteht eine erhöhte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke, die dazu
führt, dass Schadstoffe ungehindert ins Gehirn gelangen können.
Mit Schreiben vom 24. September 2007 zeigte die Klägerin die Vorkommnisse am 17.
Februar 2006 beim Schulamt an und beantragte die Anerkennung als Dienstunfall. Mit
Ablauf des 30. November 2007 wurde die Klägerin wegen ununterbrochener
Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Den Antrag auf Anerkennung eines Dienstunfalles lehnte das Schulamt mit Bescheid
vom 21. Januar 2008 ab, weil ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, zeitlich
und örtlich bestimmbares Ereignis, welches einen Körperschaden verursacht habe und in
Ausübung oder in Folge des Dienstes eingetreten sei, nicht vorliege.
Den hiergegen unter dem 8. Februar 2008 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies
das Schulamt mit Widerspruchsbescheid vom 1. April 2008 zurück. Zur Begründung
wurde ergänzend ausgeführt, dass Krankheiten als Folge von schädlichen
Dauereinwirkungen in Ausübung des Dienstes als sogenannte Dienstbeschädigungen
anzusehen seien und nicht zur Gewährung von Unfallfürsorge führen würden.
Die Klägerin hat am 5. Mai 2008 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die bei ihr
aufgetretenen Krankheiten sämtlich kausal auf die Chemikalien in der Raumluft des ... -
Gymnasiums in ... zurückzuführen seien. Die vorgefundenen Chemikalien seien in der
Berufskrankenverordnung den Nummern 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine
Homologe oder durch Styrol) und 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch
organische Lösungsmittel oder deren Gemische) zuzuordnen. Die Erkrankung sei daher
als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 Beamtenversorgungsgesetz anzuerkennen. Im
Rahmen der umfangreichen Untersuchungen seien bei ihr bislang folgende Diagnosen
gestellt worden: Kardiomyopathie, endotheliale Dysfunktion, Vasospasmus, schwere
Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Belastbarkeit, sensomotorische
Polyneuropathie, Hirnstoffwechselstörung, Energiestoffwechselstörung (erworbene
Mitochondriopathie, Azidose) sowie MCS/sick-building-syndrome. Zu berücksichtigen sei,
dass die von der ... GmbH getroffenen Lüftungsempfehlungen für das Gebäude nicht
hätten eingehalten werden können, da sich die Fenster nur im oberen Bereich und nur in
einem Winkel von ca. 30 Grad öffnen ließen. Die Grenzwerte seien daher ständig,
insbesondere in der Heizperiode überschritten worden. Neben zahlreichen
Gesundheitsschädigungen bei Schülern hätten auch die dort tätigen Lehrer zum Teil
schwerste Schäden davongetragen. Die angeborene Fettstoffwechselstörung führe nicht
dazu, dass ihre Erkrankung auf einer Gelegenheitsursache beruhe. Sie leide an vielen
Krankheiten, die allein durch die Giftstoffe verursacht worden seien und nicht im direkten
Zusammenhang mit der krankhaften Veranlagung stünden. Trotz wesentlicher
Anhaltspunkte habe der Beklagte nichts Wesentliches zum Schutz von Schülern und
Lehrern unternommen. Vielmehr wolle man sich unliebsamer Personen entledigen. Sie,
die Klägerin, sei beispielweise trotz anderslautender Empfehlung durch den Amtsarzt
und die Schulrätin in den Ruhestand versetzt worden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Januar 2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2008 zu verpflichten, ihre Erkrankung
als Dienstunfall anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass ein Dienstunfall im Sinne § 31 Abs. 1 BeamtVG nicht vorliege,
da es am Tatbestandsmerkmal der Plötzlichkeit fehle. Die – von der Klägerin angeführte
- Unterrichtung von Schülern in schadstoffbelasteten Räumen über einen Zeitraum von
mehreren Monaten stelle jedenfalls kein plötzliches Ereignis dar. Die Klägerin könne den
Anspruch auch nicht auf § 31 Abs. 3 BeamtVG stützen. Danach setze die Anerkennung
einer Erkrankung als Dienstunfall voraus, dass der Beamte nach der Art seiner
dienstlichen Verrichtung der Gefahr einer in der Anlage zur Berufskrankheiten-
Verordnung aufgeführten Krankheit besonders ausgesetzt gewesen sei. Die Vorschrift
stelle explizit auf die Art der dienstlichen Verrichtung ab, nicht aber auf die sonstigen
dienstlichen Bedingungen, zu denen auch die Beschaffenheit der Diensträume zähle.
Schulräume brächten erfahrungsgemäß keine besondere Gefährdung für bestimmte
Erkrankungen nach der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung mit sich. Auch die
Tätigkeit der Klägerin als Lehrerin für die Fächer Deutsch und Englisch lasse eine solche
besondere berufsbedingte Gefährdung nicht erkennen. Darüber hinaus sei ein kausaler
Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den
Schadstoffbelastungen in der Raumluft der Unterrichtsräume des Gymnasiums bislang
nicht nachgewiesen. Ausweislich der Prüfberichte der ... GmbH seien die am Gymnasium
durchgeführten Lüftungsmaßnahmen geeignet gewesen, die Schadstoffbelastungen in
den untersuchten Räumen deutlich und auf ein aus toxikologischer Sicht tolerables Maß
zu senken. Den unter worst-case-Bedingungen (38 Stunden ohne Be- und Entlüftung)
ermittelten Schadstoffbelastungen sei die Klägerin zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt
gewesen. Lüftungen der Räumlichkeiten seien täglich bereits jeweils eine Stunde vor
Unterrichtsbeginn, mindestens in allen Pausen, in der Sommerzeit zum Teil auch
durchgehend, sowie nach Unterrichtsschluss vorgenommen worden. Bei anderen
Personen, die sich über einen wesentlich längeren Zeitraum hinweg und mit einer
wöchentlich wesentlich höheren Stundenzahl als die Klägerin in den Räumlichkeiten
aufgehalten hätten, seien Erkrankungen, die in Symptomatik und Intensität dem
Krankheitsbild der Klägerin auch nur annähernd vergleichbar sind, nicht bekannt
geworden. Die von der Klägerin beigebrachte Auflistung von Beschwerden des
Lehrpersonals sei nicht tragfähig, da sie die gesundheitliche Vorgeschichte der
Lehrkräfte ebenso wie andere Ursachen für die aufgeführten Beschwerden
unberücksichtigt lasse. Im Rahmen der amtsärztlichen Gutachten sei ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen den Raumluftbedingungen und der Erkrankung der Klägerin
nicht festgestellt worden. Im Übrigen habe sich im Rahmen der umfänglichen
medizinischen Untersuchungen gezeigt, dass die Klägerin in mehrfacher Hinsicht
medizinisch vorbelastet sei (Adrenomyeloneuropathie, cervicale Raticolopathie C 6 bei
degenerativer Veränderung der Halswirbelsäule, cervico-encephales Syndrom). Schon
aufgrund dessen sei die Möglichkeit, dass die bestehenden Vorerkrankungen auch ohne
Hinzutreten weiterer Ursachen die gesundheitlichen Beschwerden ausgelöst haben
könnten, nicht von der Hand zu weisen. Aufgrund der vorliegenden Vorerkrankungen sei
auch die Möglichkeit einer sogenannten Gelegenheitsursache nicht ausgeschlossen, die
keine Ursache im Sinne des Unfallfürsorgerechts darstelle. Die Klägerin führe selbst aus,
dass aufgrund der angeborenen Fettstoffwechselstörung eine erhöhte Durchlässigkeit
der Blut-Hirn-Schranke bestehe, wodurch Schadstoffe ungehindert ins Gehirn dringen
könnten. Zudem leide sie an einer besonderen Empfindlichkeit gegenüber
Chemikalieneinwirkungen. Aus den vorgelegten diversen Facharztgutachten ergebe sich,
dass eine Vielzahl weiterer Ursachen (z.B. Lärm, Stress, Zugluft) für die festgestellten
Krankheitssymptome in Betracht käme oder auch ein Zusammenhang der Beschwerden
der Klägerin mit dem Einzug in das neuerrichtete Einfamilienhaus bestehen könne.
Die Klägerin erwidert hierauf, dass das neu bezogene Wohnhaus als Ursache für ihre
Beschwerden nicht in Betracht käme. Bereits lange Zeit vor dem Einzug in das Haus und
nachdem sie bereits einige Zeit im Schulgebäude in ... tätig gewesen sei, habe sie über
eine unerklärliche Erschöpfung und gesundheitliche Probleme geklagt. Die während des
Aufenthalts im Schulgebäude wiederholt und massiv aufgetretenen Beschwerden seien
im eigenen Haus nicht eingetreten. Darüber hinaus sei bei der Errichtung des Hauses
wegen der bei ihrem Sohn diagnostizierten Erkrankung an Morbus Addison insbesondere
auf ein „schadstofffreies“ Haus geachtet worden. Mögliche Vorerkrankungen schieden
als Ursache für die Beschwerden ebenfalls aus. Bis Mitte September 2005 sei sie absolut
frei von jeglichen gesundheitlichen Beschwerden und in physischer und psychischer
Hinsicht in besonderer Weise leistungsfähig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des übrigen Vortrags
der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Staatlichen Schulamtes Brandenburg an der Havel vom 21. Januar
2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2008 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungs-
gerichtsordnung – VwGO –). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer
Erkrankung als Dienstunfall gemäß § 31 Abs. 1 oder Abs. 3 des
Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG).
Hinsichtlich der Vorkommnisse am 17. Februar 2006 liegt ein Dienstunfall im Sinne des §
31 Abs. 1 BeamtVG nicht vor. Danach ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung
beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden
verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Der
Körperschaden, auf den sich die Klägerin hinsichtlich der bei ihr am 17. Februar 2006
aufgetretenen Symptomatik beruft, beruht jedenfalls nicht auf einem plötzlichen
Ereignis, vielmehr (allenfalls) darauf, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum den
in dem Schulgebäude des ... -Gymnasiums in ... festgestellten Schadstoffbelastungen
ausgesetzt war. § 31 Abs. 1 BeamtVG scheidet jedoch bei der Herleitung des Schadens
aus schädlichen Dauereinwirkungen aus.
Vgl. BayVGH, Urteil vom 17. Mai 1995 - 3 B 94.3181 -, Rn. 18, juris; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Februar 1996 - 2 A 11573/95 -, NVwZ-RR 1997, 45f.; VG
Gelsenkirchen, Urteil vom 28. November 2006 - 12 K 4670/03 -, Rn. 23, juris; VG
Stuttgart, Urteil vom 8. Juli 2003 - 17 K 5318/02 -, Rn. 15, juris; Plog/Wiedow, BBG 2008, §
31 BeamtVG Rn. 37; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Auflage 2005, Rn.
608.
Zu Recht hat das Staatliche Schulamt aber auch einen Dienstunfall im Sinne von § 31
Abs. 3 BeamtVG verneint. Danach gilt eine Erkrankung als Dienstunfall, wenn der
Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an -
durch Rechtsverordnung - bestimmten Krankheiten besonders ausgesetzt ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt § 31 Abs. 3 Satz 1
BeamtVG zwar nicht voraus, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung
hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr
genügt es, wenn die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung
ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als
typische Folge des Dienstes darstellt; maßgebend kommt es darauf an, ob die von dem
Beamten zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit
erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser
Krankheit in sich birgt.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. November 1960 - VI C 144.58 -, BVerwGE 11, 229,
232 f., juris, und vom 4. September 1969 - II C 106.67 -, BVerwGE 34, 4, juris, jeweils zu §
135 Abs. 3 BBG a. F.
Indem sich der Gesetzgeber in § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG dafür entschieden hat, auf
die Art der dienstlichen Verrichtung abzustellen, sind für die Frage, ob der Beamte der
Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, gerade nicht die sonstigen
dienstlichen Bedingungen ausschlaggebend, unter denen die Tätigkeit verrichtet wird. Zu
diesen sonstigen dienstlichen Bedingungen zählt auch die Beschaffenheit der
Diensträume bzw. hier des Schulgebäudes. Eine andere Interpretation der Vorschrift
würde zur unzulässigen Ersetzung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der "Art der
dienstlichen Verrichtung" etwa durch das Tatbestandsmerkmal "dienstliche Verrichtung
unter besonderen räumlichen Bedingungen" führen. Die besondere Dienstbezogenheit
der Erkrankung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG begrenzt den Dienstunfallschutz
wesentlich. Für die spezifische Dienstbezogenheit genügt es nicht, dass der Beamte nur
„in Ausübung oder infolge“ des Dienstes erkrankt. Greift der eng umgrenzte Bereich des
§ 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG tatbestandlich nicht ein, kommt Dienstunfallfürsorge selbst
dann nicht in Betracht, wenn die gesundheitsschädigende Dauereinwirkung der
dienstlichen Sphäre entstammt.
Vgl. BayVGH, Urteil vom 17. Mai 1995 - 3 B 94.3181 -, Rn. 19 ff., juris; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Februar 1996 - 2 A 11573/95 -, NVwZ-RR 1997, 45f.; OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 21 A 2244/07 -, Rn. 7 ff., juris;
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 28. November 2006 - 12 K 4670/03 -, Rn. 35, juris; VG
Stuttgart, Urteil vom 8. Juli 2003 - 17 K 5318/02 -, Rn. 16 f., juris; Plog/Wiedow, BBG 2008,
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Stuttgart, Urteil vom 8. Juli 2003 - 17 K 5318/02 -, Rn. 16 f., juris; Plog/Wiedow, BBG 2008,
§ 31 BeamtVG Rn. 187; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Auflage 2005, Rn.
638a ff.
In Anwendung dessen hat der Beklagte die Erkrankung der Klägerin zu Recht nicht als
Berufskrankheit anerkannt. Es ist nicht ersichtlich, dass Lehrer aufgrund der Art ihrer
dienstlichen Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung der Gefahr
von Erkrankungen aufgrund des Aufenthaltes in schadstoffbelasteten Räumen
ausgesetzt sind. Das von der Klägerin beigebrachte Urteil des Verwaltungsgerichts
Kassel vom 12. Oktober 2005 - 1 E 35031/96 - veranlasst nicht zu einer anderen
Sichtweise; in den Gründen der Entscheidung wird zu dem hier maßgeblichen rechtlichen
Ansatz nichts ausgeführt.
Da bereits die spezifische Dienstbezogenheit zu verneinen war, bleibt dahingestellt, ob
eine Erkrankung im Sinne der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.
Oktober 1997 in der hier geltenden Fassung vom 5. September 2002 (BGBl. I S. 3541)
vorliegt, sowie, ob ein spezifischer Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung und
den Raumluftbedingungen im Schulgebäude besteht oder eine sogenannte
Gelegenheitsursache hinsichtlich der anlagebedingten Vorerkrankungen der Klägerin in
Betracht kommt.
Das von der Klägerin behauptete Verschulden des Beklagten an ihrer Erkrankung und
den Beschwerden bei weiteren Lehrern und Schülern erlangt im Zusammenhang mit der
angestrebten Anerkennung als Dienstunfall jedenfalls keine Bedeutung. Diese Frage
stellte sich nur bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der
Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die darauf gestützt werden, dass
bestimmte körperliche Beschwerden auf gesundheitsschädliche Dauereinwirkungen
aufgrund der Raumluftbedingungen im Schulgebäude zurückzuführen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung i.
V. m. § 167 VwGO.
Gründe zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2
Nr. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (vgl. OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 4 L 32.09 -).
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