Urteil des VG Potsdam vom 15.03.2017

VG Potsdam: grundstück, vergünstigung, stadt, gemeinde, fahrbahn, beitragspflicht, satzung, bauschutt, bebauungsplan, mindeststandard

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Gericht:
VG Potsdam 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 K 2092/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 Abs 1 BauGB, § 242 Abs 9
BauGB, § 127 Abs 3 BauGB, §
154 Abs 1 VwGO
Erschließungsbeitragsbescheid für die Herstellung einer Straße
mit Versagung einer Ermäßigung für eine Mehrfacherschließung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe der jeweils vollstreckbaren Kosten abzuwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Erschließungsbeitragsbescheides
für die erstmalige Herstellung der E. Straße in H. N., wobei im Mittelpunkt die Versagung
einer Ermäßigung für eine Mehrfacherschließung steht.
Die E. Straße existiert etwa seit 1940. Sie diente bereits vor 1945 als Anbaustraße. In
Protokollen von Sitzungen des Rates der Gemeinde und der ständigen Kommission
Kommunale Wirtschaft aus den Jahren 1957 bis 1963 wird die Notwendigkeit bekundet,
die E. Straße zu befestigen. Im Jahr 1961 wurde von der O. Straße bis zur T. Straße ein
Gehweg mit Hochbord aus Betonplatten angelegt. Außerdem wurde durchgängig eine
Straßenbeleuchtung errichtet. Nach der schriftlichen Aussage eines Anliegers soll die E.
Straße , bei der es sich zu DDR-Zeiten um eine Sandstraße gehandelt habe, durch die
Nationale Front immer wieder geschoben und durch Einbringen von Schlacke verfestigt
worden sein, wenn sich der Zustand der Straße verschlechtert habe. Vor dem Beginn
der hier streitigen Ausbaumaßnahme war die E. Straße ausweislich vorgelegter Fotos
eine Sandstraße.
Aufgrund von Ausbaubeschlüssen der Stadtverordnetenversammlung vom 27. Mai 2004
und 25. November 2004 ließ der Beklagte die E. Straße mit einer 5,50 m breiten
Fahrbahn, einer verrohrten Oberflächenentwässerung, einem einseitigen Geh-/Radweg
und mit Straßenbegleitgrün grundhaft ausbauen. Außerdem wurde die
Straßenbeleuchtung erneuert. Das Bauprogramm sah zudem die Herstellung eines
weiteren Geh-/Radweges vor. Die Ausbaubeschlüsse waren mit Beschlüssen über eine
Kostenspaltung verbunden, wonach Erschließungsbeiträge ohne die Kosten für die
Herstellung des weiteren Geh-/Radweges erhoben werden sollten. Die Auftragsvergabe
erfolgte aufgrund von Ausschreibungen in zwei Bauabschnitten am 24. Juni 2004 und 31.
März 2005. Im ersten Bauabschnitt wurde der Zuschlag dem drittgünstigsten Anbieter
erteilt, weil dieser unter Berücksichtigung einer Bedarfsposition für die Abfuhr von
belasteten Böden und Wegebefestigungen das wirtschaftlich günstigste Angebot
abgegeben hatte. Die (letzte) Abnahme erfolgte am 30. September 2005. Die letzte
Schlussrechnung ging am 20. März 2006 ein.
Der Beklagte ermittelte nach Abzug der Kosten der Beleuchtung einen
beitragspflichtigen Erschließungsaufwand von 546.246,56 €, von dem er 90 % nach der
Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 29. Juni 2000, neu bekannt
gemacht im Amtsblatt für die Stadt H. N. vom 19. Juli 2003, auf die durch die Anlage
erschlossenen Grundstücke verteilte.
Der Kläger ist Eigentümer des aus den Flurstücken und der Flur der Gemarkung H. N.
gebildeten Grundstücks E. Straße 27 b. Dieses weist eine Größe von 1881 m² auf und ist
zweigeschossig bebaubar. Es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 11
„nördlich der Leuschnerstraße/OT H. N. “, der für das Grundstück die Festsetzung
„allgemeines Wohngebiet“ enthält, an der Einmündung der E. Straße in die R.B. Straße
und wird auch von dieser Straße erschlossen. Mit Bescheid vom 18. Juli 2006 zog der
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und wird auch von dieser Straße erschlossen. Mit Bescheid vom 18. Juli 2006 zog der
Beklagte den Kläger unter Anrechnung von Vorausleistungen zu einem
Erschließungsbeitrag von insgesamt 13.484,45 € heran. Dabei brachte er die
Vergünstigungsregelung für Mehrfacherschließung der maßgeblichen Beitragssatzung
nicht zur Anwendung, weil das Grundstück die dafür erforderliche Voraussetzung,
Wohnzwecken zu dienen, nicht erfülle. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der
Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2006 zurück.
Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung,
dass ihm zu Unrecht die Ermäßigung für eine Mehrfacherschließung versagt worden sei.
Zwar begrenze die maßgebliche Erschließungsbeitragssatzung eine solche Ermäßigung
auf Grundstücke, die Wohnzwecken dienten. Diese Voraussetzung liege bei seinem
Grundstück aber vor. Anzuknüpfen sei an die zulässige Bebauung. Nach dem
maßgeblichen Bebauungsplan sei auf dem Grundstück Wohnbebauung zulässig. Aber
auch wenn stattdessen an die tatsächliche Bebauung anzuknüpfen sei, diene das
Grundstück Wohnzwecken. Er sei auf dem Grundstück seit dem 30. September 2004 mit
Nebenwohnung gemeldet. Aufgrund einer Baugenehmigung habe er am 28. September
2005 den Baubeginn eines Wohnhauses angezeigt. Zu diesem Zeitpunkt sei das
Grundstück freigeräumt gewesen, mit dem Aushub der Baugrube sei begonnen worden.
Zwar sei der Bau danach ins Stocken geraten, mit der Errichtung des Rohbaus des
Wohnhauses habe er dann aber im Jahre 2008 begonnen. Im Übrigen sei der Bescheid
auch zu Unrecht auf das Erschließungsbeitragsrecht gestützt, da die E. Straße zum 3.
Oktober 1990 bereits hergestellt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18. Juli 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 14. September 2006 aufzuheben, soweit der Beitrag den
Betrag von 9.072,58 € übersteigt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Gewährung einer Ermäßigung für eine Mehrfacherschließung komme im
vorliegenden Fall nicht in Betracht. Das Grundstück habe zum maßgeblichen Zeitpunkt
des Entstehens der Beitragspflicht am 20. März 2006 nicht Wohnzwecken gedient.
Abzustellen sei hier auf die tatsächliche Nutzung. Zum maßgeblichen Zeitpunkt sei das
Grundstück unbebaut gewesen, auf die Absicht, dort später ein Wohnhaus zu errichten,
komme es nicht an. Im Übrigen sei die E. Straße zum 3. Oktober 1990 noch nicht
hergestellt gewesen.
Der Berichterstatter hat in dieser Sache am 11. Juni 2008 eine Ortsbesichtigung
durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurde Herr U. K. zu dem Ausbauzustand der E.
Straße vor dem 3. Oktober 1990 als Zeuge vernommen. Zum Ergebnis der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Blatt 44 - 49 der Gerichtsakte
verwiesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte, die Akten der Verfahren 12 K 2141/06 und 12 K 382/05 sowie 12 L 77/05
und 12 L 590/05 und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die zum Parallelverfahren
12 K 350/05 beigezogen wurden (vier Bände), Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-), ist
zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO).
Der angefochtene Bescheid ist zu Recht auf §§ 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB) i. V. m.
der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt H. N. vom 29. Juni 2000 gestützt. Die
Erhebung von Erschließungsbeiträgen ist nicht nach § 242 Abs. 9 BauGB
ausgeschlossen. Danach kann für Erschließungsanlagen oder Teile von
Erschließungsanlagen im Beitrittsgebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts
bereits hergestellt worden sind, ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits
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bereits hergestellt worden sind, ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits
hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem
technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend
fertig gestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen.
Mit dem Verweis auf örtliche Ausbaugepflogenheiten oder auf ein technisches
Ausbauprogramm in § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB hat der Gesetzgeber im Rahmen der
Übergangsvorschrift für die neuen Bundesländer einen Mindeststandard festgesetzt, den
der Ausbauzustand einer Straße erfüllen muss, um annehmen zu können, sie sei bereits
vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt worden.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2007 (- 9 C 5.06 -,
BVerwGE 129, 100 ff., LKV 2008, 171), dem die Kammer folgt (vgl. Urteil vom 11.
Februar 2008 - 12 K 1094/03 -), bezeichnet der Begriff der „örtlichen
Ausbaugepflogenheiten“ ein über einen längeren Zeitraum feststellbares Verhalten der
Gemeinde bei der bautechnischen Herstellung von Erschließungsanlagen. Daraus folgt,
dass ein bloßes Nichtstun oder „Liegenlassen“ nicht ausreicht. Das Hinnehmen von
Provisorien oder das Sich-Abfinden mit einem notdürftigen Zustand, weil ein
höherwertiger, an sich zu fordernder oder angestrebter Ausbauzustand nicht zu
verwirklichen war (z. B. wegen des Fehlens von Baumaterialien), kann keine
„Ausbaugepflogenheit“ begründen. Vielmehr geht es, wie bei der ersten Alternative des
§ 242 Abs. 9 BauGB, um die aktive technische Ausgestaltung der Erschließungsanlage
oder ihrer Teile. Danach setzen die Ausbaugepflogenheiten einen Grundbestand an
kunstmäßigem Ausbau voraus. Die Erschließungsanlage oder ihre Teileinrichtungen
müssen durch künstliche Veränderung der Erdoberfläche planvoll straßenbautechnisch
bearbeitet worden sein; das bloße Ausnutzen oder grobe Herrichten natürlicher
Geländegegebenheiten ist nicht ausreichend (z. B. das bloße Verfestigen und „Hobeln“
einer vorhandenen „Sandpiste“). Erforderlich ist danach ein Mindestmaß an
bautechnischer Herrichtung, nämlich das Vorhandensein einer hinreichend befestigten
Fahrbahn (wofür z. B. auch eine Schotterdecke genügen kann), einer - wenn auch
primitiven - Form von Straßenentwässerung (ein bloßes Versickernlassen wäre dagegen
nicht ausreichend) sowie einer eigenen Straßenbeleuchtung, die einen ungefährdeten
Haus-zu-Haus-Verkehr ermöglicht (BVerwG a.a.O.; vgl. dazu auch Beschluss der
Kammer vom 12. Januar 2004 - 12 L 527/02 -).
Nach diesem Verständnis knüpft § 242 Abs. 9 BauGB an die Übergangsvorschrift für die
„alten Bundesländer" in § 242 Abs. 1 BauGB (vormals § 180 Abs. 2 Bundesbaugesetz -
BBauG -) an, die die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes
„vorhandenen“ Erschließungsanlagen erfasst. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen
ist danach u. a. für die nach Landesrecht „vorhandenen“ Straßen ausgeschlossen. In
Preußen wurde eine Straße vor der konkreten Festlegung des erforderlichen
Ausbauzustandes in einem Ortsstatut als vorhanden angesehen, wenn sie von der
Gemeinde wegen ihres hinreichenden Ausbauzustandes als für den inneren Anbau
bestimmt und geeignet angesehen worden war. Ein Indiz für die Annahme eines
dahingehenden Willens einer Gemeinde ist in der Rechtsprechung in einem gewissen
Mindestausbauzustand gesehen worden. Dieser stand zwar in Abhängigkeit von den
örtlichen Verhältnissen, verlangt wurde aber auch bereits unter Geltung des preußischen
Anliegerrechts das Vorhandensein einer hinreichenden befestigten Fahrbahn, einer -
wenn auch primitiven - Straßenentwässerung und einer eigenen Straßenbeleuchtung,
die einen ungefährdeten Haus-zu-Haus-Verkehr zuließ (Driehaus, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 8. Auflage § 2 Rdnr. 35 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OVG
Lüneburg und OVG Münster; vgl. auch Arndt, KStZ 1984, 107 ff. und 121 ff. Die
„vorhandenen Erschließungsanlagen“ i. S. v. § 180 Abs. 2 BBauG).
Weitere Voraussetzung für die Annahme, eine Straße sei bereits hergestellt, ist, dass sie
auf ihrer gesamten Länge mit dem skizzierten Mindeststandard ausgebaut worden ist
(BVerwG, a.a.O.). Anderenfalls ist bereits aus dem Fehlen des Ausbaus von Teilstrecken
darauf zu schließen, dass die Straße nach dem Willen der Gemeinde noch nicht
hergestellt war.
Die E. Straße besaß zum 3. Oktober 1990 keinen Grundbestand an kunstmäßigem
Ausbau in dem oben dargestellten Sinne. Deswegen bedarf es keiner Prüfung, ob die
Straße damit i. S. d. § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB den "örtlichen Ausbaugepflogenheiten"
entsprach oder ob ein Ausbau entsprechend einem "technischen Ausbauprogramm"
erfolgte.
Nach Auswertung der Verwaltungsvorgänge, nach dem Vortrag der Beteiligten und
insbesondere nach den Aussagen des Zeugen K. war die E. Straße bis zu dem
streitgegenständlichen Ausbau eine Sandstraße, die zwar durch Einbringen von
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streitgegenständlichen Ausbau eine Sandstraße, die zwar durch Einbringen von
Bauschutt und Schlacke notdürftig befahrbar gehalten wurde, jedoch zu keinem
Zeitpunkt eine hinreichend befestigte Fahrbahn aufwies. Auch fehlte es bis dahin an
jeglicher Straßenentwässerung. Vorhanden war lediglich eine funktionstüchtige
Straßenbeleuchtung.
Es ist nicht zu verkennen, dass die E. Straße mit diesem Ausbauzustand zwischen 1945
und 1990 einem Großteil der Straßen im Gebiet der Stadt H. N. entsprach, wenn man
von den bereits vor 1945 befestigten Straßen absieht. Sie erfüllte damit die Funktion
einer Anbaustraße. Durch die laufende Ausbesserung mit Bauschutt und in den Jahren
1986 bis 1988 teilweise mit Schlacke wurde auch die Befahrbarkeit immer wieder
sichergestellt. Aus den Auszügen aus Protokollen der Sitzungen des Gemeinderates und
der ständigen Kommission Kommunale Wirtschaft in den Jahren 1957 bis 1963 lässt sich
folgern, dass ein grundhafter Ausbau der E. Straße für erforderlich gehalten wurde.
Dieser ließ sich wegen fehlender finanzieller Mittel aber zu keinem Zeitpunkt umsetzen.
Auch das wiederholte Einbringen von Schlacke in den Jahren 1986 bis 1988, das der
Zeuge K. beschreibt, diente nicht dem grundhaften Ausbau der Straße, sondern der
Erhaltung bzw. Wiederherstellung ihrer Befahrbarkeit.
Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Befestigung mit Schlacke im Teilstück
zwischen R.B. Straße und T. Straße , wie vom Zeugen beschrieben, schon als
Herstellung einer hinreichenden Fahrbahnbefestigung angesehen werden kann, da
jedenfalls im weiteren Verlauf keine Schlacke eingebracht wurde. Insbesondere in dem
Teilstück T. Straße bis B. Straße ist es nach Angaben des Zeugen lediglich zur Verfüllung
von Löchern mit Gartenabfällen und Bauschutt durch die Anlieger gekommen, wo dies
notwendig war.
Im Übrigen bestand die Straße aus Sand. Ein Gehweg wurde nicht auf ganzer Länge,
sondern lediglich zwischen der O. Straße und der T. Straße einseitig angelegt. Schließlich
war keinerlei Straßenentwässerung angelegt. Das anfallende Regenwasser versickerte
im Straßenraum bzw. auf den angrenzenden Grundstücken.
Die Beitragspflicht für die im Wege der Kostenspaltung gem. § 127 Abs. 3 BauGB
abgerechneten Teileinrichtungen, d. h. ohne einen zweiten Geh-/Radweg, ist mit Eingang
der letzten Unternehmerrechnung am 20. März 2006 entstanden (§ 130 Abs. 2 Satz 1
BauGB).
Die Ermittlung des beitragspflichtigen Aufwandes ist nicht zu beanstanden. Auch die
Verteilung des beitragspflichtigen Aufwandes gemäß § 131 BauGB i. V. m. der
Erschließungsbeitragssatzung der Stadt H. N. auf die durch die Anlage erschlossenen
Grundstücke ist zutreffend erfolgt.
Insbesondere lässt die Ermittlung der Beitragsfläche für das klägerische Grundstück
keine Fehler erkennen. Es handelt sich dabei um ein aus den Flurstücken 15 und 16 der
Flur 11 gebildetes (wirtschaftliches) Grundstück. Der Beklagte hat dieses zutreffend mit
der gesamten Grundstücksfläche, multipliziert mit dem Faktor 1,25 für zweigeschossige
Bebaubarkeit, herangezogen.
Der Beklagte hat sodann zu Recht keine Vergünstigung für eine Mehrfacherschließung
zur Anwendung gebracht.
§ 8 der maßgeblichen Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Stadt
H. N. vom 29. Juni 2000 (EBS) enthält dazu folgende Regelung:
„Für überwiegend Wohnzwecken dienende Grundstücke, die von mehr als
einer voll in der Baulast der Stadt stehenden Erschließungsanlage i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1
und 2 erschlossen werden, ist die Grundstücksfläche nach § 7 Abs. 2 bzw. Abs. 3 bei der
Verteilung des umlagefähigen Aufwandes für jede Erschließungsanlage nur mit 2/3
anzusetzen.“
Das aus den Flurstücken 15 und 16 der Flur 11 gebildete Grundstück des Klägers dient
nicht Wohnzwecken i. S. dieser Vorschrift. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des
Entstehens der sachlichen (Teil-)Beitragspflicht. Dies ist der Eingang der letzten
Unternehmerrechnung beim Beklagten, also der 20. März 2006.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist für die Gewährung der Vergünstigung nicht auf die
zulässige Nutzung zu Wohnzwecken abzustellen. Zwar weist der Bebauungsplan Nr. 11
„nördlich der Leuschnerstraße/OT H. N. “ für das Grundstück die Festsetzung
„allgemeines Wohngebiet“ aus. Aus dem Wortlaut des § 8 EBS ergibt sich jedoch
eindeutig, dass der Satzungsgeber die Vergünstigung an die tatsächliche Nutzung
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eindeutig, dass der Satzungsgeber die Vergünstigung an die tatsächliche Nutzung
anknüpfen wollte. Dies wird durch das Wort „dienend“ deutlich. Dem steht nicht
entgegen, dass die Satzung an anderer Stelle (z. B. § 7 Abs. 4 und 5 EBS) an die
zulässige Nutzung anknüpft. Der Satzungsgeber ist nicht verpflichtet, diese Anknüpfung
im gesamten Verteilungsmaßstab fortzuführen. Dies zeigt sich auch in § 7 Abs. 7 c EBS,
wo der Artzuschlag für gewerblich genutzte Grundstücke von der tatsächlichen Nutzung
abhängig gemacht wird. Eine solche Anknüpfung der Vergünstigung für eine
Mehrfacherschließung an die tatsächliche Nutzung eines Grundstücks ist auch inhaltlich
nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 1976 - 4 C 23.74 -, zitiert nach
juris).
Zum maßgeblichen Zeitpunkt diente das Grundstück aber auch tatsächlich keinen
Wohnzwecken. Vielmehr lag es brach, war unbebaut und hatte keinen feststellbaren
Nutzungszweck. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im Besitz einer
Baugenehmigung war, ca. ein halbes Jahr vor Entstehen der (Teil-)Beitragspflicht am 28.
September 2005 den Baubeginn für die Errichtung eines Wohnhauses angezeigt hatte
und durch Freilegung des Grundstücks und den Beginn der Ausschachtung der Baugrube
auch begonnen hatte, den Bau ins Werk zu setzen.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Gewährung der Vergünstigung in jeden Fall
voraussetzt, dass ein Grundstück zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich bewohnt
wird, ob zum Beispiel ein vorübergehender Leerstand eines Wohngebäudes die
Gewährung der Eckermäßigung hindert bzw. ob ein fertig gestelltes Wohnhaus schon
bezogen sein muss, um in Genuss der Vergünstigung zu kommen. Im vorliegenden Fall
liegen die Voraussetzungen jedenfalls schon deswegen nicht vor, weil zum maßgeblichen
Zeitpunkt überhaupt nicht absehbar war, ob das Grundstück Wohnzwecken zugeführt
werden würde.
Dem Kläger stand es zu diesem Zeitpunkt offen, in Umsetzung der Baugenehmigung
ein Wohngebäude zu errichten oder nicht. Der genehmigte Bau ist tatsächlich über
längere Zeit nicht erkennbar in Angriff genommen worden, auch wenn eine
Baubeginnsanzeige erfolgt war. Ein tatsächlicher Beginn der Errichtung eines
Wohngebäudes durch den Beginn der Ausschachtung einer Baugrube, wie vorgetragen,
hätte den Kläger nicht daran gehindert, seine Bauabsicht wieder aufzugeben und das
Grundstück gewerblich zu nutzen. Denn er wäre nach den Festsetzungen des
Bebauungsplanes berechtigt gewesen, andere Nutzungen als eine Wohnnutzung auf
seinem Grundstück zu verwirklichen. Die Festsetzung des Bebauungsplans (allgemeines
Wohngebiet) lässt dies ausdrücklich zu (§ 4 Baunutzungsverordnung - BauNVO -).
Auf die Anmeldung eines Nebenwohnsitzes auf dem Grundsstück kann nicht abgestellt
werden, da diese Anmeldung auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse gar nicht
umgesetzt werden konnte.
Die Klage ist danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.411,87 € festgesetzt.
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