Urteil des VG Potsdam vom 22.04.2010

VG Potsdam: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, vollziehung, verhütung, verfügung, öffentliches interesse, tierarzneimittel, synovitis, begriff, akteneinsicht

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Gericht:
VG Potsdam 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
VG 3 L 197/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 3 VwGO, § 80 Abs 5
VwGO, § 2 AMG, § 1 AMG
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Ordnungsverfügung
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 22. April 2010
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. April 2010 wird
wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf … Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin vertreibt die Produkte Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic
und Acrivet BioVisc 1,2 %. Bei allen Produkten handelt es sich um sterile Einmalspritzen,
die Natriumhyaluronat-Lösungen enthalten und zur Anwendung am Tier bestimmt sind.
Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic ist ausweislich der Gebrauchsinformation ein chirurgisches
Hilfsmittel als visköser Ersatz für Gelenkflüssigkeit und zur Separation von Geweben und
soll zur Viskosupplementation zur Unterstützung der Bewegungsfunktion von Gelenken
zur Anwendung kommen. Laut Produktbeschreibung vom 25.09.2009 wird die Lösung
intraartikulär injiziert. Bei Pferden wird es eingesetzt, um ein reduziertes Volumen des
Synovialfluids eines Gelenks auszugleichen oder um nach Arthroskopie das verloren
gegangene körpereigene Fluid zu ersetzen. Sofortiger Effekt sei eine verbesserte
Stoßdämpfung im Gelenk, die darauf beruhe, dass die Reibung im Gelenk sinke, solange
bis das der gesunden Synovialflüssigkeit nachempfundene Hyaluronat vollständig vom
Organismus resorbiert werde. Acrivet Syn 2 % wird ins tierische Auge injiziert und dient
ausweislich der Gebrauchsinformation zur Volumensubstitution des bei der Eröffnung der
Vorderkammer ausfließenden Kammerwassers, zur Aufrechterhaltung einer tiefen
Vorderkammer während des intraokularen Eingriffs, zum Schutz hoch empfindlicher
intraokularer Gewebe, zur Verhinderung von Adhäsionen (Anhaftungen) und
Synechienbildung (Verwachsungen der Iris mit der Hornhaut oder mit der Linse) bei
chirurgischen Eingriffen im Auge wie z. B. Katarktchirurgie und IOL-Implantation,
Glaukomchirurgie, Corneatransplantation und Vorderabschnittschirurgie. In einer
Produktbroschüre und in Anzeigen in der Zeitschrift „Der Praktische Tierarzt“ wird das
Produkt als „Die effektive und zuverlässige Viscosubstitution bei nicht infektiöser akuter
Synovitis (Entzündung der inneren Schicht der Gelenke) und Ostearthritis (entzündliche
Gelenkserkrankung)“ beschrieben. Für das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % liegt keine
Gebrauchsinformation vor, es wird am Auge analog wie Acrivet Syn 2 % angewendet, wie
die Beteiligten übereinstimmend bekunden.
Nachdem eine auf Pharmarecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei den Antragsgegner
auf die Produktwerbung der Antragstellerin hingewiesen hatte, zeigte die Antragstellerin
die o. g. Produkte - auf Veranlassung des Antragsgegners - gem. § 67
Arzneimittelgesetz (AMG) an. Am 17. März 2010 wurde durch den Antragsgegner von
den Produkten Acrivet Syn 2 % und Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic je eine Probe
entnommen und dem Landeslabor Berlin-Brandenburg zur Tierarzneimitteluntersuchung
übersandt. Dieses stufte die Produkte jeweils mit gesondertem Prüfbericht vom 19. März
2010 als zulassungspflichtiges Tierarzneimittel gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG ein, da beide
Produkte nach den Gebrauchs- und Produktinformationen zur Verhütung von
Krankheiten bestimmt seien, wie der Verweis auf Synechien, Sinovitis und Osteoarthtritis
belege. Diese stellten nach der ICD-10-GM Version 2010 Krankheiten dar, die durch den
Einsatz der genannten Produkte vermieden werden sollen.
Durch Ordnungsverfügung vom 20. April 2010 ordnete der Antragsgegner an, dass die
durch die Antragstellerin hergestellten und zulassungspflichtigen Tierarzneimittel Acrivet
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durch die Antragstellerin hergestellten und zulassungspflichtigen Tierarzneimittel Acrivet
Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % ab sofort für jegliches
Inverkehrbringen gesperrt sind (Ziffer 1), alle noch im Betrieb vorhandenen Produkte
dieser Art sichergestellt werden (Ziffer 2) und unverzüglich eine Rücknahme bzw. ein
Rückruf der bereits ausgelieferten Produkte in die Wege zu leiten sind (Ziffer 3). Zur
Begründung führte er aus: Nach der Einschätzung des Landeslabors Berlin-Brandenburg
gem. Gutachten vom 19. März 2010 handele es sich bei den genannten Produkten um
Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Es seien Fertigarzneimittel nach § 4 Abs.
1 AMG, die der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterlägen. Gemäß der
Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimittel Anlage 1 sei die
Hyaluronsäure zur intraartikulären Anwendung verschreibungspflichtig. Deshalb könne
es sich nicht um Medizinprodukte handeln. Überdies sei eine Einstufung als
Medizinprodukte nicht möglich, da die Regelung in § 3 des Medizinproduktegesetzes
(MPG) nur für Produkte zur Anwendung beim Menschen vorgesehen sei. Zugleich
ordnete der Antragsgegner unter Ziffer 4 des Bescheids die sofortige Vollziehung der
Ziffern 1 bis 3 der Verfügung an, zu deren Begründung er vortrug: Das öffentliche
Interesse an der sofortigen Unterbindung ergebe sich aus dem Vorrang der Zulassung
durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vor den
privaten Belangen der Inverkehrbringerin. Die Antragstellerin dürfe nicht besser gestellt
werden, als diejenigen, die sich gesetzmäßig verhielten und ein Arzneimittel erst dann in
Verkehr brächten, wenn es zugelassen sei. Das Zulassungsverfahren solle sicherstellen,
dass nur Arzneimittel in den Verkehr gebracht würden, die alle erforderlichen
Voraussetzungen zur Freigabe erfüllten, da nur so der Schutz der Verbraucher und der
Tiergesundheit gewährleistet und überwacht werden könnten. Es könne im öffentlichen
Interesse nicht hingenommen werden, dass die betroffenen Produkte, die nicht als
Arzneimittel zugelassen seien, weiterhin in den Verkehr gebracht würden.
Gegen diese Verfügung legte die Antragstellerin am 22. April 2010 Widerspruch ein, der
noch nicht beschieden wurde.
Mit am selben Tag erhobenem Antrag begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Zur Begründung führt sie im
Wesentlichen aus: Die angegriffene Verfügung sei formell rechtswidrig, da der
Antragsgegner örtlich unzuständig gewesen sei, da die Produkte in der Produktionsstätte
der Antragstellerin in Ascheberg, Schleswig-Holstein, hergestellt würden. Überdies sei ihr
vor Erlass der Verfügung nicht ordnungsgemäß Akteneinsicht gewährt worden und eine
Anhörung unterblieben. Die Verfügung sei auch materiell rechtswidrig, da sie die in den
Verkehr gebrachten Produkte nicht als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder
Linderung oder zur Verhütung tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden
bestimmt habe. Es handele sich lediglich um chirurgische Hilfsmittel als visköser Ersatz
für Gelenkflüssigkeit und zur Separation von Gewebe bzw. als mechanischer Schutz bei
Operationen am Auge zur Vorbeugung mittelbarer Verletzungen, die ausschließlich
physikalisch wirkten und keine unmittelbar krankheitsbezogene Zweckbestimmung
hätten. Eine solche Zweckbestimmung interpretiere der Antragsgegner in die
Gebrauchs-, Produkt- und Werbeunterlagen hinein. Ein identisches Produkt zur
Anwendung am Menschen sei lediglich als Medizinprodukt zu qualifizieren und müsse
kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei
weder hinreichend begründet noch gerechtfertigt. Eine von den Produkten ausgehende
konkrete Gefahr einer Schädigung der Tiergesundheit werde vom Antragsgegner weder
behauptet, noch sei diese sonst ersichtlich. Ein sofortiges Vollzugsinteresse folge auch
nicht aus der Überlegung, dass derjenige, der sich nicht an die Zulassungsvorschriften
für Arzneimittel halte, nicht besser gestellt werden könne als derjenige der das
Zulassungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt habe. Dieser Gesichtspunkt sei nur
berücksichtigungsfähig, wenn die Arzneimitteleigenschaft bereits feststehe.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 22. April 2010 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. April 2010 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, der Antragstellerin sei ordnungsgemäß Akteneinsicht gewährt worden.
Eine Anhörung sei entbehrlich gewesen, da die sofortige Entscheidung im öffentlichen
Interesse notwendig gewesen sei. Ausweislich der Auslobung durch die Antragstellerin
seien die betroffenen Produkte zur Verhütung oder Linderung von tierischen Krankheiten
bestimmt. Im Übrigen wiederholt und vertieft er seine Ausführungen in der
angefochtenen Verfügung.
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II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Zwar ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 4 der angegriffenen
Ordnungsverfügung formell nicht zu beanstanden. Sie genügt dem
Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie stellt auf den Vorrang des
arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens vor den privaten Belangen des
Inverkehrbringens ab sowie auf den Umstand, dass diejenigen, die sich gesetzmäßig
verhalten, nicht schlechter gestellt werden dürfen, als diejenigen, die das
arzneimittelrechliche Zulassungsverfahren umgehen. Die Begründung ist damit weder
formelhaft noch erweckt sie Zweifel, dass sich der Antragsgegner des
Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war.
Das Verwaltungsgericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners anordnen,
wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung überwiegt. Die danach
vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse der
Antragstellerin, von einer sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben, geht zu
Gunsten der Antragstellerin aus. Denn nach der im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens allein gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die
angegriffene Ordnungsverfügung als rechtswidrig.
Grundlage der angegriffenen Ordnungsverfügung ist - unter Berücksichtigung der
Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 14.05.2010 - § 69 Abs.
1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 6 AMG i. d. F. der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S.
3394; zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.07.2009, BGBl. I S. 1990, berichtigt durch
Gesetz vom 09.10.2009, BGBl. I S. 3578). Danach können die zuständigen Behörden
insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, deren Rückruf
anordnen und diese sicherstellen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung
für das Arzneimittel oder die erforderliche Erlaubnis für das Herstellen des Arzneimittels
nicht vorliegt. Da eine Erlaubnis nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 AMG oder eine Zulassung nach §
21 Abs. 1 Satz 1 AMG für die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte nicht erteilt
wurde, wären die Voraussetzungen der o. g. Eingriffsnormen nur gegeben, wenn es sich
bei Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % um
Arzneimittel im Sinne des hier allein in Betracht kommenden § 2 Abs. 1 AMG handeln
würde. Daran fehlt es jedoch.
§ 2 Abs. 1 AMG definiert fußend auf Art. 1 Nr. 2 der Tierarzneimittel-Richtlinie 2001/82/EG
i. d. F. der Tierarzneimittel-Richtlinie 2004/28/EG den Begriff des Arzneimittels alternativ
als sog. Präsentationsarzneimittel (Arzneimittel nach der Bezeichnung) oder
Funktionsarzneimittel (Arzneimittel nach der Funktion). Nach der erstgenannten
Definition sind Arzneimittel alle Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur
Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als
Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher
oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (vgl. § 2 Abs. 1
Nr. 1 AMG). Funktionsarzneimittel sind alle Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die
im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen
oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen
Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung
wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose
zu erstellen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b AMG).
Dass den von der Antragstellerin vertriebenen Produkten eine pharmakologische,
immunologische oder metabolische Wirkung zukommen würde oder diese geeignet
wären, eine medizinische Diagnose zu erstellen, wird vom Antragsgegner nicht
behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig,
dass die in allen Produkten enthaltene Hyaluronsäure-Lösung lediglich physikalisch bzw.
physio-chemisch wirkt. Dies bestätigt auch die einschlägige Rechtsprechung zu
Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen zur Injektion in menschliche Gelenke. So stellte
der BGH in seiner Entscheidung vom 09.07.2009 - I ZR 193/06 - (PharmR 2010, 297 ff.)
fest, dass Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen zur intraartikulären Anwendung bei
Gelenkerkrankungen Medizinprodukte i. S. d. § 3 Nr. 1 a MPG sind, weil sie mittels ihres
Wirkstoffes zwar die durch Krankheit bedingten Schmerzen der Patienten lindern und das
Fortschreiten der Krankheit verhindern sollen, diese bestimmungsgemäßen Wirkungen
im Körper aber gemäß § 3 Nr. 1 MPG weder durch pharmakologisch noch immunologisch
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im Körper aber gemäß § 3 Nr. 1 MPG weder durch pharmakologisch noch immunologisch
oder metabolisch wirkende Mittel, sondern auf physikalischem Wege erreichen. Dieser
Stoff, der die nicht mehr (ausreichend) vorhandene körpereigene Gelenkflüssigkeit
ersetzt, stellt ein Medizinprodukt dar. Medizinprodukte i. S. v. § 3 MPG sind aber keine
Arzneimittel (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG), es sei denn es handelt sich um den hier nicht
vorliegenden Fall eines Funktionsarzneimittels, und sie unterliegen deshalb nicht der
Zulassungspflicht. Zwar kann die Regelung in § 3 Nr. 1 MPG nicht unmittelbar auf
veterinärmedizinische Produkte angewandt werden, da die Begriffsbestimmung der
Medizinprodukte auf die Anwendung für Menschen beschränkt ist. Dennoch gilt die
Feststellung, dass Hyaluronsäure-Lösungen weder pharmakologisch noch
immunologisch oder metabolisch wirken und deshalb jedenfalls keine
Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG sind, auch für die hier streitigen
Produkte.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann allein aus dem Umstand, dass
Hyaluronsäure zur intraartikulären Anwendung in der Anlage 1 zu § 1 Nr. 1
Arzneimittelverschreibungsverordnung vom 21.12.2005 (BGBl. I S. 3632) i. d. F. v.
18.12.2009 (BGBl. I S. 3947) aufgeführt ist, auf eine Arzneimitteleigenschaft der
Produkte nicht geschlossen werden. Diese Regelung setzt vielmehr die
Arzneimitteleigenschaft voraus.
Die streitbefangenen Produkte stellen entgegen der Annahme des Antragsgegners auch
keine Tierarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, also Präsentationsarzneimittel, dar.
Die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte können weder anhand der Gebrauchs-
und Produktinformation der Antragstellerin noch wegen ihrer Bewerbung als
Präsentationsarzneimittel eingeordnet werden.
Ein Produkt ist nur dann ein Präsentationsarzneimittel, wenn es entweder ausdrücklich
als ein Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung
menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bezeichnet wird
oder aber sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig,
aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass es in Anbetracht seiner Aufmachung die
betreffenden Eigenschaften haben müsse (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 11.02.2010 -
9 S 3331/08 -, m. w. N., zitiert nach juris).
Die Antragstellerin hat die streitbefangenen Produkte weder in der Gebrauchs- noch in
den Produktinformationen als Arzneimittel bezeichnet. Soweit in der Produktinformation
zu Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic von einer verbesserten Stoßdämpfung und einer
Schmerzverringerung aufgrund einer geminderten Reibung im Gelenk die Rede ist, wird
dem Produkt keine Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten zugeschrieben,
sondern lediglich die physikalischen Folgen der Produktanwendung beschrieben, die nur
so lange anhalten, bis die Hyaluronat-Lösung vollständig vom Organismus resorbiert
wird.
Ebenso wenig kann der Gebrauchsinformation zu Acrivet Syn 2 % eine Krankheiten
heilende, lindernde oder verhütende Wirkung entnommen werden. Dass die Anwendung
dieses Produkts während eines intraokularen Eingriffs u. a. auch Adhäsionen und
Synechienbildungen verhindern soll, reicht für die Bejahung eines
Präsentationsarzneimittels nicht aus. Ein solches kann nur dann vorliegen, wenn dem
Produkt durch den Hersteller eine unmittelbare Eignung zur Heilung, Linderung oder
Verhütung von Krankheiten in Aussicht gestellt wird. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr
wird die Vermeidung der genannten Erkrankungen lediglich als mittelbare Folge des
Einsatzes von Acrivet Syn 2 % während eines intraokularen Eingriffs beschrieben.
Ob für das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % die gleichen Feststellungen wie für das Produkt
Acrivet Syn 2 % gelten, vermag die Kammer nicht zu überprüfen, da es der
Antragsgegner verabsäumt hat, dieses Produkt untersuchen zu lassen oder zumindest
eine Gebrauchsinformation des Herstellers einzuholen. Da der Antragsgegner die
materielle Beweislast für das Vorliegen der Untersagungsgründe gem. § 69 Abs. 1 AMG
trägt, geht die Unerweislichkeit der tatsächlichen Präsentation dieses Produkts zu seinen
Lasten. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei Acrivet BioVisc 1,2 % nicht um ein
Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG handelt. Selbst wenn man
den bloßen Verweis auf den Umstand, dass Acrivet BioVisc 1,2 % von der Anwendung
her analog der Anwendung im Auge wie Acrivet Syn 2 % beschrieben wird – was die
Antragstellerin nicht bestreitet – genügen lassen würde, wäre die von der Kammer zu
Acrivet Syn 2 % oben vorgenommene Wertung auf das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % zu
übertragen.
Auch die Bewerbung des Produkts Acrivet Syn 2 % in der Zeitschrift „Der P…“ (Heft
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Auch die Bewerbung des Produkts Acrivet Syn 2 % in der Zeitschrift „Der P…“ (Heft
6/2009) ist ohne Arzneimittelbezug. Soweit eine Anzeige dieses Produkts mit dem
Zusatz „Die effektive und zuverlässige Viscosubstitution bei nicht infektiöser Synovitis
oder Osteoarthritis“ versehen wurde, wird damit keine krankheitsbezogene Heilungs-
oder Linderungswirkung in Aussicht gestellt. Denn Viscosubstitution bedeutet lediglich
eine äußere Zufuhr einer im Körper normalerweise durch eigene Organleistung zur
Verfügung stehenden Substanz, die nicht oder nicht in ausreichender Menge zur
Verfügung steht. Eine Heilung oder Linderung der benannten Krankheiten wird damit
gerade nicht in Aussicht gestellt. Gleiches trifft auf die Produktinformation der
Antragstellerin zum o. g. Produkt in der genannten Zeitschrift (Heft 12/2009) zu. Dort
wird in einem Artikel ausgeführt, dass Acrivet Syn 2 % erfolgreich bei intraartikulärer
Injektion zur Therapie von Lahmheitssymptomen bei Pferden als therapeutische Option
bei nicht infektiöser akuter Synovitis und akuter Arthritis eingesetzt wird. Bereits der
Begriff Lahmheitssymptome verdeutlicht, dass eben nicht die genannten Erkrankungen
geheilt oder gelindert werden, sondern lediglich die Symptome dieser Erkrankungen,
nämlich die Lahmheit, beseitigt werden soll.
Die streitbefangenen Produkte sind auch nicht wegen ihrer Gebrauchsinformation und
Bewerbung geeignet, bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur
schlüssig, aber mit Gewissheit den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie in Anbetracht
ihrer Aufmachung dazu bestimmt sind, zur Heilung, Linderung oder Verhütung von
tierischen Krankheiten oder krankhafter Beschwerden zu dienen. Dabei ist zu beachten,
dass die Produkte nur von zugelassenen Veterinärmedizinern angewandt werden dürfen
und somit auf den Empfängerhorizont eines durchschnittlich informierten
Veterinärmediziners abzustellen ist. Diesem dürfte aufgrund seiner Ausbildung
hinreichend bekannt sein, dass eine Natriumhyaluronat-Lösung nicht zur Heilung,
Linderung und Verhütung der o. g. tierischen Krankheiten, sondern lediglich zur
Linderung krankheitsbedingter Symptome angewandt werden kann.
Nach alledem kann nach summarischer Prüfung nicht festgestellt werden, dass es sich
bei Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % um
Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG handelt. Angesichts dessen liegen die
Tatbestandsvoraussetzungen für die auf § 69 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AMG gestützte
Ordnungsverfügung nicht vor.
Bei dieser Rechtslage fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung muss
gegenüber den Interessen der Antragstellerin, vom Vollzug verschont zu bleiben
zurückstehen, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
kann kein öffentliches Interesse bestehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus § 53 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer sich an Ziff. 54.2.1 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2004) orientiert. Wegen der
Vorläufigkeit der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist dieser Wert
auf die Hälfte zu reduzieren.
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