Urteil des VG Neustadt vom 19.10.2005

VG Neustadt: vergabe von aufträgen, öffentliche ausschreibung, vergabe von öffentlichen aufträgen, subjektives recht, eugh, vergabeverfahren, gleichwertigkeit, auflage, firma, informationsanspruch

VG
Neustadt/Wstr.
19.10.2005
4 L 1715/05.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 19.10.05 - 4 L 1715/05.NW
Vergaberecht, Verwaltungsprozessrecht
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Firma A.
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.
gegen
die Verbandsgemeinde M....., vertreten durch den Bürgermeister, Postfach ...., ..........,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
Firma C.
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D.
wegen Sonstiges (Vergabeverfahren)
hier: Antrag nach § 123 VwGO
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
19. Oktober 2005, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht ........
Richterin am Verwaltungsgericht ...........
Richter am Verwaltungsgericht ..........
beschlossen:
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 59.740, 66 Euro festgesetzt.
Gründe
Die beiden Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1 Satz 1 VwGO sind
zulässig.
Für das Antragsbegehren ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Insoweit
wird auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Mai 2005 – 7 B
10356/05.OVG – (NZBau 2005, 411) verwiesen, dem die Kammer aus Gründen zügiger
Rechtsschutzgewähr für das Eilverfahren folgt (ebenso VG Koblenz, Beschluss vom 29. August 2005 - 6 L
1296/05.KO - und VG Trier, Beschluss vom 12. August 2005 - 2 L 794/05.TR -; zustimmend Prieß/Hölzl,
NZBau 2005, 367; s. auch Huber, JZ 2000, 877, 882; Hermes, JZ 1997, 909, 915; ablehnend Ruthig,
NZBau 2005, 497; Tomerius/Kiser, VergabeR 2005, 551; Pietzcker, NJW 2005, 2881; Schneider/Häfner,
DVBl 2005, 989; VG Leipzig, Beschluss vom 6. September 2005 - 5 K 1018/05 - ; s. auch Heuvels, NZBau
2005, 570). Das OVG Rheinland-Pfalz hat in dem zitierten Beschluss vom 25. Mai 2005 den
Verwaltungsrechtsweg bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte mit der Begründung bejaht, die
staatliche Auftragsvergabe geschehe in zwei Stufen, deren erste in Gestalt des Vergabeverfahrens
öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliege. Vorliegend ist der in § 100 Abs. 1 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen – GWB – i.V.m. § 2 Ziffer 4 der Vergabeverordnung – VgV – für Bauaufträge
angegebene Schwellenwert von 5 Millionen Euro nicht erreicht, so dass ein Nachprüfungsverfahren durch
die Vergabekammern nach §§ 102 ff GWB ausscheidet.
Einer Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges im Eilverfahren bedurfte es hier nicht,
da weder die Antragsgegnerin noch der Beigeladene eine „Rüge“ im Sinne des analog anzuwendenden
§ 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG ausgesprochen haben.
Die Kammer geht in Anlehnung an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25.
Mai 2005 (a.a.O.) auch zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass diese analog § 42 Abs. 2 VwGO
antragsbefugt ist und damit Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Die beiden Anträge können in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf
den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden
könnte. Die Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Anordnung (Anordnungsgrund) und das geltend
gemachte Recht (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920
Abs. 2 ZPO).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag zu 1) die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, die
Gründe mitzuteilen, die Ursache für die Nichtberücksichtigung ihres Angebots betreffend die öffentliche
Ausschreibung der Baumaßnahme „Entwässerungskanalaustausch im Ortskern von B..., 2. Bauabschnitt
S.......straße, Entwässerungskanalarbeiten, Erdarbeiten für Wasserleitungen“ waren, hat sie einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Auf § 13 VgV kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Dieser bestimmt in Satz 1, dass der Auftraggeber
die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen
Angebot angenommen werden soll und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres
Angebotes informiert. § 13 VgV gilt jedoch nur für öffentliche Aufträge, deren geschätzte Auftragswerte die
in § 2 VgV geregelten Schwellenwerte erreichen oder übersteigen. Damit geht auch der Hinweis der
Antragstellerin auf das Urteil des EuGH vom 24. Juni 2004 (VergabeR 2005, 587) fehl (s. auch die
Anmerkung zu diesem Urteil von Opitz, VergabeR 2005, 590, 591). Für eine analoge Anwendung des §
13 VgV auf Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte sieht die Kammer nach der im Eilverfahren
allein möglichen summarischen Prüfung keine Veranlassung (vgl. auch Rudolf in: Byok / Jaeger,
Kommentar zum Vergaberecht, 2. Auflage 2005, Einführung Rdnr.73; Pietzcker, NJW 2005, 2881, 2884).
Die Antragstellerin kann ihr Auskunftsersuchen auch nicht auf andere Vorschriften stützen. Anders als
etwa § 7 des Sächsischen Vergabegesetzes vom 8. Juli 2002 i.V.m. § 9 Abs. 1 der Sächsischen
Vergabedurchführungsverordnung vom 17. Dezember 2002, der eine Informationspflicht spätestens
sieben Kalendertage vor dem Vertragsabschluss vorsieht, gibt es in Rheinland-Pfalz keine gesetzliche
Bestimmung über Informationspflichten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Eine normative
Regelung des öffentlichen Vergabewesens findet sich in § 31 Abs. 1 der Gemeindehaushaltsverordnung -
GemHVO - , der für Gemeinden wie die Antragsgegnerin für die Vergabe von Aufträgen grundsätzlich die
öffentliche Ausschreibung verlangt. Dabei sind gemäß § 31 Abs. 2 GemHVO die Grundsätze und
Richtlinien zu beachten, die das für das Kommunalrecht zuständige Ministerium durch
Verwaltungsvorschriften erlässt. Diese Grundsätze und Richtlinien sind in der vom Ministerium für
Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, des Ministeriums des Innern und für Sport und des
Ministeriums der Finanzen erlassenen Verwaltungsvorschrift zum öffentlichen Auftragswesen in
Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 2004 (MinBl. Seite 303) - VwVÖA - niedergelegt. In Ziffer 2.2. wird - lediglich
- der Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil 1 - VOB/A - in der jeweils
geltenden Fassung für anwendbar erklärt (Ziff. 2.2 VwVÖA), hier also der VOB/A i.d.F. vom 12. September
2002. Der Abschnitt 1 der VOB/A umfasst die „Basisparagraphen“, die unterhalb der Schwellenwerte und
damit unterhalb des EG-Vergaberechts gelten. Nicht umfasst von der Verweisung sind daher die
Abschnitte 2 bis 4 der VOB/A, d.h. die zusätzlichen Bestimmungen nach der EG-
Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (Abschnitt 2, sog. „a“ - Paragraphen), die zusätzlichen
Bestimmungen nach der EG-Sektorenrichtlinie 93/38/EWG (Abschnitt 3, sog. „b“ - Paragraphen) bzw. die
Vergabebestimmungen nach der EG-Sektorenrichtlinie 93/38/EWG (Abschnitt 4). Auch wenn man
annimmt, dass die Rechtswirkung der VOB/A nicht nur auf eine interne Bindung der Vergabestelle
beschränkt ist, sie als Verwaltungsvorschrift auf Grund des Art. 3 GG vielmehr auch Rechtswirkungen nach
außen entfaltet, so dass der Bieter einen Anspruch auf Einhaltung der VOB/A hat (so OVG Rheinland-
Pfalz, NZBau 2005, 411; Ruthig, NZBau 2005, 497, 502; aA Pietzcker, NJW 2005, 2881, 2883), kann die
Antragstellerin nicht mit Erfolg einen Informationsanspruch nach der VOB/A geltend machen.
Zwar sind nach § 27 Ziffer 2 VOB/A, der auf alle Vergabearten unterhalb der Schwellenwerte Anwendung
findet, auf Verlangen den nicht berücksichtigten Bewerbern oder Bietern innerhalb einer Frist von 15
Kalendertagen nach Eingang des schriftlichen Antrags die Gründe für die Nichtberücksichtigung ihrer
Bewerbung oder ihres Angebots schriftlich mitzuteilen, den Bietern auch der Namen des Auftragnehmers.
Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch (noch) nicht vor.
§ 27 Ziffer 2 VOB/A gibt dem unterlegenen Bieter nur einen nachträglichen Informationsanspruch über den
Ausgang des mit Zuschlag abgeschlossenen Vergabeverfahrens. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des §
27 Ziffer 1 Satz 2 VOB/A, wonach die Bieter, die – wie die Antragstellerin – in die engere Wahl gekommen
sind, zu verständigen sind, sobald der Zuschlag erteilt worden ist (s. auch
Franke/Kemper/Zahner/Grünhagen, VOB Kommentar, 2. Auflage 2005, § 27 VOB/A Rdnr. 8;
Ingenstau/Korbion, VOB Kommentar, 15. Auflage 2004, § 27 VOB/A Rdnr. 3; OLG Koblenz NZBau 2000,
534; VÜÄ Niedersachsen, IBR 1996, 497). Hat - wie hier - der nicht berücksichtigte Bieter seinen Antrag
bereits vor der Mitteilung des Auftraggebers über den Zuschlag gestellt, beginnt der Fristlauf erst mit dem
Zugang der Mitteilung des Auftraggebers (Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Kommentar Teil A, 2001, § 27
Rdnr. 23; Franke/Kemper/Zahner/Grünhagen, a.a.O. § 27 VOB/A Rdnr. 9; Kapellmann/ Messerschmidt,
VOB Kommentar 2003, § 27 VOB/A Rdnr. 18). Zwar ist der Sinn einer solchen nachträglichen Information
im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG als auch die Rechtsweggarantie nach Art. 19
Abs. 4 GG zweifelhaft (s. hierzu ausführlich Motzke/Pietzcker/Prieß, a.a.O. § 27 Rdnr. 4 ff.). Die Kammer
sieht jedoch für das Eilverfahren keinen Anlass, von einer gefestigten zivilgerichtlichen Rechtsprechung
und nahezu übereinstimmender Auffassung in der Literatur abzuweichen.
Selbst wenn man im Übrigen die Rechtsauffassung der Antragstellerin bezüglich eines
Informationsanspruchs vor der Zuschlagserteilung zugrunde legt, wäre dieser nicht – mehr – begründet.
Der Anspruch aus § 27 Ziffer 2 VOB/A beinhaltet lediglich Angaben über den Namen des Bieters, der den
Auftrag erhalten hat (bzw. soll) sowie die Gründe für die Nichtberücksichtigung, die sich aus den
Angebotsunterlagen selbst oder aus der fehlenden Eignung des Bieters ergeben. Dabei sind über die
Identität hinausgehende Informationen über den erfolgreichen Bieter, insbesondere dessen
Preisangebote oder andere Angebotsbestandteile zu offenbaren, nicht zulässig (Franke/Kemper/Zahner/
Grünhagen, a.a.O. § 27 VOB/A Rdnr. 12; Motzke/ Pietzcker/Prieß, a.a.O. § 27 Rdnr. 22). Die
Informationen, auf die der unterlegene Bieter nach § 27 Ziffer 2 VOB/A einen Anspruch hat, waren der
Antragstellerin aber wohl schon zum Zeitpunkt der Erhebung des Eilantrages bekannt, wie der
Antragsschrift vom 29. September 2005 entnommen werden kann. Jedenfalls sind die Gründe für die
Nichtberücksichtigung der Antragstellerin im Laufe des Verfahrens bekannt geworden. Der Antrag zu 1)
ist daher abzulehnen.
Der Antrag der Antragstellerin ist auch unbegründet, soweit der Antragsgegnerin untersagt werden soll,
den Zuschlag betreffend die Baumaßnahme „Entwässerungskanalaustausch im Ortskern von B........., 2.
Bauabschnitt S.....straße, Entwässerungskanalarbeiten, Erdarbeiten für Wasserleitungen“ der
Beigeladenen zu erteilen. Mit diesem Antragsbegehren könnte die Antragstellerin nur dann Erfolg haben,
wenn die Antragsgegnerin mit der Entscheidung, den Auftrag nicht an sie, sondern an die Beigeladene zu
vergeben, gegen die von der Antragsgegnerin zu beachtenden vergaberechtlichen Vorschriften verstoßen
und dadurch Rechte der Antragstellerin verletzt hätte. Dies hat die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft
gemacht. Nach der hier allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung sieht die Kammer keine
hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen von ihr zu beachtende
vergaberechtliche Vorschriften.
Der Prüfungsumfang des Gerichts orientiert sich an der eingeräumten materiell-rechtlichen
Rechtsposition. Im Vergabeverfahren des GWB, das einschlägig ist, sobald die Schwellenwerte des § 2
VgV erreicht sind, begründet § 97 Abs. 7 GWB ein subjektives Recht auf Einleitung und Durchführung
eines nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 GWB geregelten Vergabeverfahrens (BGH VergabeR 2005, 328).
Eine solche umfassende Anspruchsnorm enthält das hier einschlägige Gemeindehaushaltsrecht nicht.
Die VwVÖÄ, die die Gemeinden nach § 31 Abs. 2 GemHVO zu beachten haben, sieht für die öffentlichen
Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte in Ziffer 6.1. lediglich aufsichtsrechtliche
Remonstrationsmöglichkeiten vor. Nach § 2 Ziffer 2 VOB/A, der gemäß Ziffer 2.2. VwVÖA für öffentliche
Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte anzuwenden ist, darf bei der Vergabe von Bauleistungen kein
Unternehmer diskriminiert werden. Ferner fordert § 8 Ziffer 1 Satz 1 die Gleichbehandlung aller Bieter
beim Wettbewerb. Diese Regeln i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG geben den Rahmen für die gerichtlich
durchsetzbare Position des Bieters und begrenzen sie zugleich (so zutreffend VG Trier, Beschluss vom 12.
August 2005 - 2 L 794/05.TR - ; vgl. auch OLG Stuttgart, NZBau 2002, 395 und LG Heilbronn, NZBau
2002, 239). Sie schützen den Wettbewerber vor willkürlichem Vorgehen der öffentlichen Hand, das auch
bei fiskalischen Vergabeentscheidungen unzulässig ist. Auf die Einhaltung aller Einzelbestimmungen der
Vergabeordnungen besteht dagegen kein Anspruch, weil eine dem § 97 Abs. 7 GWB vergleichbare Norm
fehlt und Verfassungsrecht nicht mehr verlangt. Insofern dienen die Verwaltungsvorschriften im Detail dem
öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Leistungserlangung. Das deckt sich mit der
Rechtsprechung des BGH, der mittelbare Rechtswirkungen der Verdingungs- und Vergabeordnungen
nach außen nicht allgemein, sondern nur, mit unterschiedlichen Ergebnissen, für einzelne Bestimmungen
fallbezogen zulässt (BGH NJW 1992, 827; NJW 1994, 850).
Hieran gemessen ist ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen das Willkürverbot zu verneinen. Die
Antragstellerin wurde im Wettbewerb berücksichtigt, ihr Nebenangebot wurde ebenso wie die
Nebenangebote der Mitbieter zugelassen (s. im Einzelnen hierzu die Vergabeempfehlung der
Ingenieurgesellschaft N......... vom 12. August 2005). Mit den Nebenangeboten 1, 4 und 6 der
Beigeladenen war diese der günstigste Bieter und soll den Zuschlag erhalten. Die Einschätzung der
Antragsgegnerin, die Nebenangebote der Beigeladenen seien hinsichtlich der Nebenangebote 1, 4 und 6
formal in Ordnung und wirtschaftlich, wäre nur dann angreifbar, wenn sie offenkundig nur vorgeschoben
und zum Zweck der Benachteiligung der Antragstellerin erfolgt wäre. Hierfür gibt es keinerlei
Anhaltspunkte. Die Antragstellerin rügt vielmehr die Nichtbeachtung von Einzelvorschriften der VOB/A in
ihrer Ausprägung durch die zum europäischen Vergabeverfahren ergangene Rechtsprechung. Das
überschreitet den Umfang der oben beschriebenen subjektiven Rechtsposition (s. VG Trier, Beschluss
vom 12. August 2005 - 2 L 794/05.TR - ).
Ungeachtet dessen ist die Wertung des Nebenangebots der Beigeladenen aber auch vergaberechtlich
nicht zu beanstanden. Nebenangebote sind grundsätzlich zulässig, wenn der Auftraggeber sie nicht
ausgeschlossen hat (§ 25 Ziffer 1 Abs. 1 d VOB/A). Die Antragsgegnerin hat in Ziffer 4 der Aufforderung
zur Angebotsabgabe (Vordruck KEVM (B) A) Nebenangebote und Änderungsvorschläge zugelassen. In
Ziffer 2 Abs. 1 – 7 der Bewerbungsbedingungen (Vordruck KEVM (B) BB) hat die Antragsgegnerin
präzisiert, welche inhaltlichen Anforderungen an die Nebenangebote zu stellen sind. Die Antragstellerin
rügt in diesem Zusammenhang, die Antragsgegnerin habe die vom EuGH (NZBau 2004, 279) geforderte
Pflicht, die Mindestvoraussetzungen für Nebenangebote in der Verdingungsunterlagen verbindlich
festzulegen, nicht erfüllt. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass der Mindestanforderungen an
Änderungsvorschläge stellende Art. 19 Abs. 2 der EG-Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG, zu der das
Urteil des EuGH vom 16. Oktober 2003 ergangen ist, gemäß Art. 6 Abs.1 nur für öffentliche Bauaufträge
anzuwenden ist, deren geschätzter Auftragswert ohne Mehrwertsteuer 5 Millionen Ecu oder mehr beträgt.
Aus der Entscheidung des EuGH kann unmittelbar daher nur die Folgerung gezogen werden, dass die
Vorschrift des § 10 b Ziffer 2 Satz 2 VOB/A - dieser bestimmt, dass die Mindestanforderungen an
Änderungsvorschläge und Nebenangebote anzugeben und auf welche Weise sie einzureichen sind –
auch für den 2. Abschnitt der VOB/A eingeführt wird (so zutreffend Weyand, Praxiskommentar
Vergaberecht, 2004, § 25 VOB/A Rdnr. 4572). Vorliegend ist auf Grund der Ziffer 2.2 VwVÖÄ jedoch nur
der 1. Abschnitt der VOB/A anwendbar.
Es bedarf keiner vertieften Erörterung der Frage, ob die vom EuGH verlangten Mindestvoraussetzungen
für Nebenangebote bei der Vergabe von Aufträgen etwa aus Gründen des Transparenzgebots auch
unterhalb der Schwellenwerte in den Unterlagen verbindlich festgelegt werden müssen. Verneint man
dies (so Franke/Kemper/Zahner/Grünhagen, a.a.O. § 25 VOB/A Rdnr. 654; s. auch Weyand, a.a.O. § 25
VOB/A Rdnr. 4572 und 4573), so sind die Nebenangebote unterhalb der Schwellenwerte nach § 25 Ziffer
5 Satz 1 VOB/A vom Auftraggeber zu werten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Bieter die
Nebenangebote nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet oder nicht auf einer besonderen Anlage gemacht
hat (s. § 21 Ziffer 3 VOB/A). Dies ist hier nicht der Fall. Hinsichtlich der Gleichwertigkeit der von der
Antragsgegnerin gewerteten Nebenangebote der Beigeladenen kann die Kammer nach summarischer
Prüfung und Beachtung des Umstands, dass dem Auftraggeber bei der Feststellung der Gleichwertigkeit
ein angemessener Beurteilungsspielraum zusteht (Franke/Kemper/Zahner/Grünhagen, a.a.O. § 25 VOB/A
Rdnr. 686), keine Mängel feststellen. Die Beigeladene hat die Nebenangebote so eindeutig und
erschöpfend beschrieben, dass die Antragsgegnerin, die sich in der Sitzung des Verbandsgemeinderats
vom 4. Oktober 2005 die Vergabeempfehlung der Ingenieurgesellschaft N........... zu eigen gemacht hat, in
die Lage versetzt wurde, zu prüfen, zu werten und insbesondere festzustellen, ob sie gleichwertig,
baurechtlich zulässig und für sie zweckdienlich sind (s. OLG Koblenz, IBR 2003, 620).
Die Antragstellerin kann mit ihrem Antrag zu 2) aber auch dann nicht durchdringen, wenn man die vom
EuGH für Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte geforderten Mindestvoraussetzungen für
Nebenangebote auch bei der Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte verlangen würde. In
welchem Ausmaß Mindestbedingungen für Nebenbestimmungen in den Ausschreibungsunterlagen
konkretisiert sein müssen, ist umstritten. Während die Mehrheit der Vergabekammern und die bisher
veröffentlichten Entscheidungen der Vergabesenate eine konkrete Beschreibung der
Mindestbedingungen verlangen (so BayObLG, NZBau 2004, 626; OLG Rostock, IBR 2005, 107; VK Köln,
IBR 2004,716; VK Nordbayern, IBR 2004, 586; VK Sachsen-Anhalt, IBR 2005, 45), lassen andere
Entscheidungen Pauschalhinweise genügen (so OLG Schleswig IBR 2005, 167; VK Stuttgart, NZBau
2004, 692; VK Schleswig-Holstein, IBR 2004, 75; VK Lüneburg, IBR 2005, 108 und IBR 2005, 279). Nach
Ansicht der VK Bund (IBR 2005, 168) sind die Vorgaben des EuGH erfüllt, wenn die Ausschreibung für
Nebenangebote einen allgemeinen Hinweis auf die Konstruktionsprinzipien des Leistungsverzeichnisses
und die Planungsvorgaben des Auftraggebers enthalten. Weitergehende Anforderungen an
Mindestbedingungen seien aus der Rechtsprechung des EuGH nicht ableitbar. Dem ist zuzustimmen.
Sinn eines Nebenangebotes ist es, eine vom Hauptangebot abweichende Lösung vorzuschlagen. Damit
sollen im Vergabeverfahren innovative Vorschläge berücksichtigt werden können, über welche die
Vergabestelle zum Zeitpunkt der Ausschreibung naturgemäß keine weitergehenden Vorstellungen hat.
Eine weitergehende Aufnahme von technischen Mindestanforderungen beispielsweise für einzelne
Bestandteile des Leistungsverzeichnisses würde den Auftraggeber, der schließlich bereits ein bestimmtes
Planungskonzept aufgestellt hat, überfordern. Es bleibt ihm hinsichtlich der Festlegung von
Mindestbedingungen für Nebenangebote nur die Möglichkeit, die Gleichwertigkeit mit den allgemeinen
Planungsvorgaben und Konstruktionsprinzipien festzuschreiben. Anderenfalls bliebe die Kreativität eines
Bieters, über ein Nebenangebot ein anderes (günstigeres) Verfahren oder andere Teile vorzuschlagen,
auf der Strecke.
Die Antragsgegnerin ist vorliegend dem Transparenzgebot ausreichend nachgekommen, indem sie
Kriterien zur Vergleichbarkeit von Nebenangeboten in den Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von
Bauleistungen (Vordruck KEVM (B) BB) ausgeführt hat (s. dort Ziffer 2.7 Absätze 2 bis 7 und insbesondere
der Verweis in Absatz 2 auf die Ziffern 2.1 und 2.3 bis 2.6).
Mithin kann auch der Antrag zu 2) keinen Erfolg haben.
Ebenso unbegründet ist der Hilfsantrag der Antragstellerin, der darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin
anzuweisen, den Zuschlag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts an die Antragstellerin zu
erteilen. Zur Begründung kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, der Streitwert richtet sich nach §§ 52
Abs. 1, 53 Abs. 3, 50 Abs. 2 GKG, wobei der Wert von 5 % der Bruttoauftragssumme wegen der faktischen
Vorwegnahme der Hauptsache unvermindert anzusetzen ist (so auch VG Trier, Beschluss vom 12. August
2005 - 2 L 794/05.TR - ). Ein Rückgriff auf den Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG scheidet nach
Auffassung der Kammer aus, da § 50 Abs. 2 GKG für vergaberechtliche Verfahren vor den
Oberlandesgerichten eine spezielle Regelung trifft und diese Vorschrift nach einhelliger Auffassung
analog auf die Verfahren vor den Vergabekammern Anwendung findet (s. OLG Saarland, Beschluss vom
29. September 2005 - 1 Verg 2/05 - ; OLG Thüringen, VergabeR 2002, 202; BayObLG VergabeR 2002,
204; VK Münster, Beschluss vom 22. Juli 2005 – 16/05 - ). Das Rechtsschutzziel der Antragstellerin ist mit
dem des Vergabenachprüfungsverfahrens oberhalb der Schwellenwerte vor den Vergabekammern
identisch, so dass eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG auch hier angezeigt ist.
Rechtsmittelbelehrung ...