Urteil des VG Neustadt vom 23.11.2006

VG Neustadt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, vollziehung, einstweilige verfügung, überwiegendes interesse, arbeitsgemeinschaft, strasse

VG
Neustadt/Wstr.
23.11.2006
4 L 1746/06.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 23.11.06 - 4 L 1746/06.NW
Verwaltungsprozessrecht, Ordnungsrecht
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des
Herrn B.
- Antragsteller -
gegen
die
ARGE .
......, J………..-Str.
,
..... ….
...,
- Antragsgegnerin -
wegen Sonstiges (Hausverbot)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
23. November 2006
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt mit seinem an das Sozialgericht Speyer gerichteten und von diesem an das
beschließende Gericht verwiesenen Eilantrag u. a. eine „einstweilige Verfügung“ gegen das von der
Antragsgegnerin erteilte Hausverbot vom 30. August 2006. Dieser Antrag ist bereits unzulässig, da ein
vorläufiges Rechtsschutzgesuch gegen das Hausverbot vom 30. August 2006 allein nach § 80 Abs. 5 Satz
1 2. Alternative i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Betracht käme mit dem Ziel, die aufschiebende
1 2. Alternative i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Betracht käme mit dem Ziel, die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 8. September 2006 gegen das Hausverbot
wiederherzustellen. Hierzu ist das Gericht allerdings bereits deshalb außerstande, weil die
Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 30. August 2006 nicht dessen sofortige Vollziehung angeordnet
hat. Eine solche Anordnung muss nach Auffassung der Kammer aber ausdrücklich erfolgen und dem
Betroffenen kundgetan werden (ebenso Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Kommentar, Stand
März 2006, § 80 Rdnr. 174; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 2. Auflage 2006, § 80 Rdnr. 77)
und bedarf einer gesonderten Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hat die Antragsgegnerin die
sofortige Vollziehung des Hausverbots aber bisher nicht angeordnet, so hat der Widerspruch des
Antragstellers hiergegen gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass er das bis
zum 31. August 2007 befristete Hausverbot vorerst bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht
beachten muss.
Der Antrag kann im Übrigen auch dann keinen Erfolg haben, wenn man es als ausreichend ansieht, dass
die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht expressis verbis
erfolgen muss, sondern sich das besondere Vollzugsinteresse auch konkludent aus dem Verwaltungsakt
ergeben kann (s. OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 1993, 480). Hiervon ausgehend ist der Antrag zwar
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO statthaft und auch ansonsten zulässig.
Insbesondere ist die Antragsgegnerin gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig. Danach sind
Vereinigungen fähig am verwaltungsgerichtlichen Verfahren teilzunehmen, sofern ihnen ein Recht
zustehen kann. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um eine auf Grund des § 44 b SGB II durch
öffentlich-rechtlichen Vertrag gebildete Arbeitsgemeinschaft (ARGE) der Bundesagentur für Arbeit und der
Stadt ….. sowie dem Landkreis ………… (s. den Vertrag vom 15. Dezember 2005 auf Blatt 68 – 82 der
Gerichtsakte). Es handelt es sich weder um eine Anstalt, Stiftung oder eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts, noch um eine Beliehene. Die Antragsgegnerin ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung eigener Art
(s. SG Hannover, NVwZ 2005, 976). § 44 b Abs. 1 Satz 1 SGB II bestimmt hierzu, dass die Träger der
Leistungen nach dem SGB II zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch
privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge Arbeitsgemeinschaften errichten. Gemäß § 44 b Abs. 2
Sätze 1 und 2 SGB II führt ein Geschäftsführer die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft und vertritt sie
außergerichtlich und gerichtlich. Gemäß § 44 b Abs. 3 Satz 1 SGB II nimmt die Arbeitsgemeinschaft die
Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger
sollen der Arbeitsgemeinschaft die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II übertragen (§ 44 b
Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz SGB II). Die Arbeitsgemeinschaft ist nach § 44 b Abs. 3 Satz 3 SGB II berechtigt,
zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Ist die
Antragsgegnerin als Arbeitsgemeinschaft nach § 44 b SGB II damit teilrechtsfähig, so ist sie auch als
beteiligungsfähig im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO anzusehen (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 11. August 2005 - L 5 B 51/05 AS ER - ; SG Hannover, NVwZ 2005, 976 für
den sozialgerichtlichen Prozess).
Der Antrag ist jedoch in der Sache unbegründet.
Zunächst hat die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 30. August 2006 sowie in der
Antragserwiderungsschrift vom 21. November 2006 das besondere Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Hausverbots im Sinne von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend dargelegt. Damit spricht
viel dafür, dass das Hausverbot sofort vollzogen werden sollte.
In materieller Hinsicht ist die - konkludente - Anordnung der sofortigen Vollziehung des Hausverbots vom
30. August 2006 ebenfalls nicht zu beanstanden.
Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen
ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten
Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und
gebotene Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen
Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen
offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des
Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Die Kammer folgt insoweit der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und anderer Oberverwaltungsgerichte, wonach für die Anordnung der
sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts stets ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist,
das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, NJW 2003,
3618, 3619 und NVwZ 2004, 93; OVG Schleswig-Holstein, GewArch 2005, 37; Hess. VGH, NVwZ-RR
2004, 32; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. Mai 2000
- 10 B 10645/00.OVG -; OVG Thüringen, NVwZ 2002, 231). Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist
dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte
Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Ist der Ausgang des
Hauptsacheverfahrens offen, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen
und dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist stattzugeben, wenn das öffentliche
Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs
nicht überwiegt.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
des Hausverbots das private Interesse des Antragstellers, diesem bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens einstweilen nicht nachkommen zu müssen. Das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung ergibt sich daraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich
rechtmäßig ist und mit seiner Durchsetzung nicht bis zur Bestandskraft, deren Eintritt noch nicht
abzusehen ist, abgewartet werden kann.
Das von der Antragsgegnerin ausgesprochene Hausverbot, das dem Antragsteller ein Betreten ihrer
Dienstgebäude in ….. und ……….. untersagt, sofern er nicht von der Antragsgegnerin hierzu aufgefordert
wird oder er zur Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten wie z.B. zum Zwecke der
Arbeitslosmeldung erscheinen muss, findet eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. In diesem
Zusammenhang kann es die Kammer offen lassen, ob die hier streitige Anordnung aufgrund von
Gewohnheitsrecht in Verbindung mit der Organisationsgewalt des Behördenleiters erlassen werden darf
oder ob sie einer formellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Eine solche würde sie in § 383
SGB III finden, wonach die Geschäftsführung die Agentur für Arbeit leitet und ihr daher die laufende
Verwaltung obliegt, zu der auch die Organisation eines störungsfreien Betriebes gehört. Letzteres schließt
aber die Befugnis ein, gegenüber Störern vom Hausrecht Gebrauch zu machen (s. auch OVG Rheinland-
Pfalz, Beschluss vom 7. März 2005
- 7 B 10104/05.OVG - ). Diese Befugnisse stehen auch dem Geschäftsführer oder der Geschäftsführerin
einer ARGE zu (s. § 7 Abs. 2 Satz 1 des öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 15. Dezember 2005).
Der Ausspruch eines Hausverbots hat präventiven Charakter, indem er darauf abzielt, zukünftige
Störungen des Betriebsablaufs in der Behörde zu vermeiden. Das ausgesprochene Hausverbot hat daher
grundsätzlich zunächst die Tatsachen zu benennen, die in vorangegangener Zeit den Hausfrieden gestört
haben, weiter ist anzuführen, dass in Zukunft wieder mit Störungen zu rechnen und das Hausverbot daher
erforderlich ist, um erneute Vorfälle zu verhindern. Allerdings muss eine Behörde auch mit aus ihrer Sicht
schwierigen Besuchern zurechtkommen und sie ihr Anliegen ungehindert vortragen lassen. Sie kann
daher nicht sogleich auf ein Hausverbot zurückgreifen. Diese Möglichkeit ist ihr vielmehr erst dann
eröffnet, wenn der Dienstablauf nachhaltig gestört wird, zum Beispiel weil Bedienstete beleidigt werden
oder der Besucher in nicht hinnehmbarer Weise aggressiv reagiert und mit einer Wiederholung derartiger
Vorfälle zu rechnen ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. März 2005 - 7 B 10104/05.OVG -). Es
spricht vieles dafür, dass im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden muss.
Ausweislich der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und des Vorbringens der Beteiligten kam es anlässlich
von Vorsprachen des Antragstellers bei der Antragsgegnerin wiederholt zu erheblichen
Auseinandersetzungen mit den Bediensteten. Ferner brachte der Antragsteller in den Dienstgebäuden der
Antragsgegnerin wiederholt Zettel an Wänden an, deren Inhalt beleidigenden und herabwürdigenden
Inhalt haben. In den Verwaltungsakten befinden sich zahlreiche dieser Blätter, die Mitarbeiter der
Antragsgegnerin sowohl in den Dienstgebäuden als auch außerhalb dieser Gebäude (z.B. am Bahnhof
Ausgang ……….) wieder entfernt haben. Darin bezeichnet der Antragsteller die Antragsgegnerin in
unflätiger Weise als Selbstbeschäftigungsmafia ………., Arschgemeinschaft ………., ARGE Scheißhaufen
…….., ARGE Schildbürger ……… sowie Verdummungs- und Verblödungsindustrie ………. Auch inhaltlich
sind die Texte entwürdigend. So lautet ein Text z.B. wie folgt:
„TOTALER STREIK HEUTE KEINE SINNLOSEN BETREUERGESPRÄCHE
ALLE SCHWACHSINNIGEN AKTIVITÄTEN WERDEN SOFORT EINGESTELLT.
AR
………“
Im Hinblick auf dieses Verhalten des Antragstellers ist das angeordnete Hausverbot, von dem die
Antragsgegnerin Ausnahmen zugelassen hat, offensichtlich rechtmäßig, ohne dass dies einer
weitergehenden Begründung bedarf. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, die in der Verfügung
genannten Dienstgebäude der Antragsgegnerin nur dann zu betreten, wenn er hierzu von der
Antragsgegnerin aufgefordert wird oder er zur Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten wie z.B. zum
Zwecke der Arbeitslosmeldung erscheinen muss. Die Antragsgegnerin wird so in die Lage versetzt, die ihr
geeignet erscheinenden Vorkehrungen für die Wahrnehmung von Terminen durch den Antragsteller zu
treffen. Auf der anderen Seite wird der Antragsteller nicht gehindert, die notwendigen Behördengänge zu
tätigen.
Das besondere Vollzugsinteresse ist ebenfalls gegeben. Die sofortige Vollziehung des Hausverbots ist
erforderlich, um den ordnungsgemäßen Dienstleistungsbetrieb der Antragsgegnerin mit sofortiger
Wirkung zu gewährleisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des
Verfahrensgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Rechtsmittelbelehrung …
gez. Butzinger gez. Kintz gez. Bender
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