Urteil des VG Neustadt vom 03.11.2010

VG Neustadt: tagespflege, vorverfahren, vollmacht, jugendhilfe, satzung, form, gestaltungsspielraum, kostenbeitrag, ermächtigung, absender

VG
Neustadt/Wstr.
03.11.2010
4 K 535/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 03.11.2010 - 4 K 535/10.NW
Jugendhilferecht
Verkündet am: 03.11.2010
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
1. der Frau S.,
2. des Herrn E.,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwälte Maisenbacher, Hort & Partner, Südring 6, 76829
Landau,
gegen
den Landkreis Südliche Weinstraße, vertreten durch die Landrätin, An der Kreuzmühle 2, 76829 Landau,
- Beklagter -
wegen Jugendhilferechts, Tagespflege
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 3. November 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Ziegler
ehrenamtlicher Richter Schornsteinfegermeister Bauer
für Recht erkannt:
Der Bescheid vom 16. Dezember 2008 und der Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 werden
aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag.
Ihre am 12. März 2008 geborene Tochter L.... erhielt vom Beklagten seit Juni 2008 Leistungen der
Jugendhilfe in Form der Betreuung des Kindes in Kindertagespflege. Die Geldleistung wurde vom
Beklagten unmittelbar an die Pflegeperson überwiesen. Für diese Leistung zog der Beklagte die Kläger
mit Bescheid vom 12. Juni 2008 entsprechend den damals geltenden Richtlinien des Beklagten zur
Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII zu einem monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von
117,90 Euro heran. Nachdem seit 01. Januar 2009 die Einkünfte der Tagespflegepersonen aus ihrer
Tagespflegetätigkeit auch dann uneingeschränkt der Einkommenssteuerpflicht unterliegen, wenn die
Tagespflegepersonen vom Jugendamt bezahlt werden, beschloss der Kreistag des Beklagten am 15.
Dezember 2008, ab 01. Januar 2009 das Pflegegeld für die Tagespflegepersonen zum Ausgleich der
Besteuerung zu erhöhen und die bestehenden Richtlinien des Beklagten entsprechend zu ändern.
Gleichzeitig beschloss der Kreistag eine Neufassung der Beitragstabelle für die Erhebung einer
pauschalierten Kostenbeteiligung für die Kindertagespflege. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid
vom 16. Dezember 2008 ab 01. Januar 2009 den monatlichen Kostenbeitrag der Kläger auf 182,25 Euro
neu fest.
Am 18. Dezember 2008 ging beim Beklagten ein von der Klägerin zu 1) unterschriebener Schriftsatz ein.
In der Kopfzeile waren beide Kläger als Absender angegeben, der Betreff lautete „Antrag auf einen
teilweisen Erlass, Widerspruch gegen die Neuregelung“. Im Text des Schreibens heißt es u.a. wie folgt:
„Wir möchten auch hiermit einen Einspruch zu der Neufestsetzung bzw. der Gesetzesänderung einlegen“.
Den Erlassantrag lehnte der Beklagte mit an beide Kläger gerichtetem Bescheid vom 21. Juli 2009 ab.
Dagegen legten die Kläger am 18. August 2009 Widerspruch ein.
Mit weiterem Schreiben an die Kläger vom 21. Juli 2009 teilte der Beklagte diesen mit, dass dem
Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2008 nicht abgeholfen werde und er daher an den
Kreisrechtsausschuss weitergeleitet werde. Dieser wies die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 02. Februar
2010 darauf hin, dass der Widerspruch nur von ihr unterschrieben sei und sie deshalb um Vorlage einer
Vollmacht des Klägers zu 2) gebeten werde, dass sie berechtigt gewesen sei, Widerspruch einzulegen.
Am 17. Februar 2010 legte der Kläger zu 2) die geforderte Vollmacht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010, den Klägern zugestellt am 27. April 2010, wies der
Kreisrechtsausschuss des Beklagten die Widersprüche der Kläger zurück. Zur Begründung führte der
Kreisrechtsausschuss u.a. aus, die Klägerin zu 1) werde durch den nur von ihr angefochtenen Bescheid
vom 16. Dezember 2008 nicht in ihren Rechten verletzt. Zwar fehle dem Bescheid die inhaltliche
Bestimmtheit. Der Kreisrechtsausschuss übe das ihm bei der Konkretisierung des Bescheids eingeräumte
Ermessen aber dahin aus, dass der im Bescheid festgesetzte Gesamtbetrag in Höhe von 182,25 Euro zu
35,1% = 63,97 Euro auf die Klägerin zu 1) und zu 64,9% = 118,28 Euro auf den Kläger zu 2) entfalle. Auch
die Ablehnung des Erlassantrags der Kläger mit Bescheid vom 21. Juli 2009 sei rechtmäßig, da die Kläger
keinen Anspruch auf den begehrten Beitragserlass hätten.
Die Kläger haben am 25. Mai 2010 Klage erhoben. Sie führen aus, der Zulässigkeit der Klage stehe nicht
entgegen, dass nur die Klägerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2008 Widerspruch
eingelegt habe. Bei einer Mehrheit von Klägern sei die Durchführung des Vorverfahrens für den Kläger zu
2) entbehrlich, wenn das Vorverfahren durch einen Kläger durchgeführt worden sei. Denn die Zwecke des
Vorverfahrens sei bereits durch diesen erreicht worden. Der Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 sei
rechtswidrig, da es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für dessen Erlass fehle. Die Richtlinien des
Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII genügten nicht dem Erfordernis einer
hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Um den Förderanspruch aus den §§ 23, 24 SGB VIII materiell-
rechtlich zulässig zu begrenzen, hätte es einer Satzung bedurft. Ungeachtet dessen sei die
Beitragserhöhung unverhältnismäßig. Sollte das Gericht den Kostenbescheid dennoch als rechtmäßig
ansehen, hätten sie jedenfalls einen Anspruch auf einen Teilerlass der Beitragsforderung.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 16. Dezember 2008 und den Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 aufzuheben,
hilfsweise
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheids vom
23. April 2010 zu verpflichten, über den Teilerlassantrag vom 18. Dezember 2008 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage des Klägers zu 2) teilweise für unzulässig, weil dieser keinen Widerspruch gegen den
Bescheid vom 16. Dezember 2009 eingelegt habe. Im Übrigen sei die Klage unbegründet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und die von dem Beklagten vorgelegte Behördenakte verwiesen. Ihr Inhalt war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die im Wege des Hauptantrags verfolgte Anfechtungsklage gegen den Kostenbescheid vom 16.
Dezember 2008 ist zulässig (I.) und begründet (II.). Über den Hilfsantrag der Kläger musste die Kammer
daher nicht mehr entscheiden (III.).
I.
Kläger zu 2) kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt hat.
Dabei braucht die Kammer nicht näher auf die von den Klägern aufgeworfene Frage einzugehen, ob das
Vorverfahren für den Kläger zu 2) entbehrlich war, weil die Klägerin zu 1) das Widerspruchsverfahren
durchgeführt hat (vgl. dazu BVerwG, NJW 1976, 1516). Denn der Kläger zu 2) hat nach Ansicht der
Kammer wirksam Widerspruch eingelegt. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch u.a.
„schriftlich“ einzulegen. Diesem Erfordernis wird bei bestimmenden Schriftsätzen in der Regel zwar nur
durch eine eigenhändige Unterschrift des dazu Berechtigten genügt (vgl. BVerwG, IR 2010, 210). Daran
fehlt es hier, denn das Widerspruchsschreiben vom 18. Dezember 2008 ist nur von der Klägerin zu 1)
unterschrieben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob im Hinblick auf den Umstand, dass in der Kopfzeile
auch der Kläger zu 2) als Absender angegeben ist und im Text des Schreibens stets davon die Rede ist,
dass sich beide Kläger gegen den Kostenbescheid wenden, vom Schriftformerfordernis ausnahmsweise
abgesehen werden kann, weil seinem Sinn und Zweck auf anderem Wege genügt ist (vgl. BVerwG, IR
2010, 210). Denn der Kläger zu 2) wurde im Vorverfahren wirksam von der Klägerin zu 1), die das
Widerspruchsschreiben unterschrieben hat, vertreten. Gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. 14 Abs. 1 Satz 1 VwVfG
kann sich ein Beteiligter in einem Verwaltungsverfahren - ein solches ist auch das Vorverfahren – durch
einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf Verlangen hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht
schriftlich nachzuweisen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG). Dem ist der Kläger zu 2) hier nachgekommen. Die
nach Widerspruchseinlegung und Ablauf der Widerspruchsfrist auf Verlangen des Beklagten
nachgereichte schriftliche Vollmacht des Klägers zu 2) wirkte als Genehmigung entsprechend § 177 Abs.
2 § 180 Satz 2, § 184 BGB bis zur Einleitung des Vorverfahrens durch die Klägerin zu 1) als vormalige
Vertreterin ohne Vertretungsmacht zurück (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 20,
21; OVG Niedersachsen, AuAS 2007, 266).
II.
die Kläger ab dem 01. Januar 2009 zu einem Beitrag von zusammen 182,25 Euro monatlich zu den
Kosten der Jugendhilfeleistung für ihre Tochter L.... herangezogen worden sind, und der hierzu
ergangene Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 23. April 2010 sind rechtswidrig und
verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte konnte den Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 nicht auf die Vorschrift des § 90 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 SGB VIII stützen. Danach können für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von
Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII Kostenbeiträge
festgesetzt werden. Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, sind Kostenbeiträge, die für die
Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und von Kindertagespflege zu entrichten sind, zu staffeln (§ 90
Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in der ab dem 16. Dezember 2008 gültigen Fassung). Als Kriterien für die Staffelung
können insbesondere das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und
die tägliche Betreuungszeit berücksichtigt werden (§ 90 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII).
Machen die Länder von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung zur Festsetzung der
Kostenbeiträge Gebrauch, so können auch sie im Hinblick auf die vom SGB VIII vorgesehene soziale
Staffelung die genannten Kriterien berücksichtigen. In der landesrechtlichen Regelung kann die
Staffelung selbst festgesetzt sein; sie kann diese aber auch dem örtlichen Träger der Jugendhilfe und
sonstigen Gemeinden übertragen (Winkler in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, BeckOK SGB VIII,
Stand September 2010, § 90). Dem Landesgesetzgeber bzw. dem Satzungsgeber ist dabei ein weiter
Gestaltungsspielraum eingeräumt (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 173 und BVerwGE 107, 188; OVG
Rheinland-Pfalz, AS 31, 102).
Von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung hat das Land Rheinland-Pfalz teilweise Gebrauch
gemacht. Das Kindertagesstättengesetz - KitaG - vom 15. März 1991 (GVBl. Seite 79) i.d.F. des Gesetzes
vom 07. März 2008 (GVBl. Seite 52) sieht in § 13 vor, dass Elternbeiträge für den Besuch von
Kindertagesstätten nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten unter
Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder gestaffelt werden sollen (§ 13 Abs. 2 und 4 KitaG).
Eine entsprechende gesetzliche Regelung für den Bereich der Kindertagespflege hat der rheinland-
pfälzische Landesgesetzgeber hingegen bisher nicht erlassen. Damit sind in Rheinland-Pfalz die
kommunalen Gebietskörperschaften als Träger der Kinder- und Jugendhilfe aufgerufen, für die
Elternbeiträge in Kindertagespflege Kostenbeiträge festzusetzen. Auch ihnen ist bei der Gestaltung des
Kostenbeitrages der Eltern in der Tagespflege ein Gestaltungsfreiraum verblieben. Dieser ist jedoch
gegenüber dem potenziellen Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers erheblich eingeschränkt.
Nach den bundesrechtlichen Vorgaben sind nämlich in diesem Fall die Kostenbeiträge zu staffeln. Der
jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft verbleibt damit lediglich hinsichtlich der Art der Staffelung ein
Spielraum. Wird die Höhe der Kostenbeiträge von den Einkommensverhältnissen abhängig gemacht, so
besteht bei der Bestimmung des maßgeblichen Einkommensbegriffs ein weiter Gestaltungsspielraum (VG
Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2010 - 4 A 185/08 - , juris).
Der Beklagte hat für eine einheitliche Handhabung der Kindertagespflege im Jahre 2001 die „Richtlinien
zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII“ erlassen. Zum 01. Januar 2009 hat er die
Richtlinien im Hinblick auf den Umstand, dass ab diesem Zeitpunkt die Geldleistungen an die
Tagespflegepersonen zu versteuern sind, angepasst und das Tagespflegegeld erhöht. Bei der
Festsetzung des Kostenbeitrags wendet der Beklagte die am 15. Dezember 2008 vom Kreistag
beschlossene, ab 01. Januar 2009 gültige Beitragstabelle an. Diese Tabelle sieht eine Staffelung des
pauschalierten Kostenbeitrags für Kindertagespflege nach dem durchschnittlichen wöchentlichen
Betreuungsumfang, einem gemäß § 93 SGB VIII ermittelten monatlichen Nettoeinkommen der Eltern
sowie der Anzahl der Kinder in der Familie vor. Dieses Vorgehen ist rechtlich zu beanstanden. Die
Kammer schließt sich der Auffassung des VG Osnabrück in seinem Urteil vom 27. Januar 2010 - 4 A
185/08 - (juris) und des VG Göttingen in seinem Urteil vom 05. August 2010 - 2 A 118/09 - (juris) an,
wonach es für die Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege
einer gesetzlichen Grundlage - vorliegend also einer Satzung des Beklagten - bedarf. Eine solche liegt
jedoch nicht vor.
Zwar ist § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII die Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Entgelten für die
Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII;
eine zusätzliche landesrechtliche Regelung ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 173). Dies
bedeutet nach Auffassung der Kammer jedoch, dass die Regelungszuständigkeit an die örtlichen Träger
der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Funktion als kommunale Gesetzgeber weitergegeben wird und nicht
durch Verwaltungsvorschriften erfolgen kann. Die vom örtlichen Träger zu treffenden Regelungen haben
unmittelbare Außenwirkungen gegenüber Dritten und sind somit als materielle Gesetze durch den
kommunalen Gesetzgeber zu verabschieden und öffentlich bekannt zu machen (VG Osnabrück, Urteil
vom 27. Januar 2010, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 05. August 2010, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, NVwZ
1995, 575 zu kommunalen „Richtlinien für die Schülerbeförderung“).
Diese Voraussetzungen erfüllen die „Richtlinien zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII“
des Beklagten nicht. Sie sind zwar vom Kreistag des Beklagten beschlossen worden, ihnen fehlt aber
schon deshalb die Außenwirkung, weil sie nicht in der gebotenen Form öffentlich bekannt gemacht
worden sind. Aus den in den Gerichtsakten befindlichen Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte
dafür, dass sie die Formerfordernisse erfüllen, die gemäß § 20 der Landkreisordnung für Satzungen des
Kreises vorgeschrieben sind. Auch hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 03. November
2010 nichts Gegenteiliges behauptet.
Die Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII sind somit nur
Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften sind nach Struktur und Inhalt im Allgemeinen generelle
und abstrakte Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten
Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen, und
zwar zur einheitlichen Auslegung und Anwendung von Gesetzen und Rechtsverordnungen (vgl.
Bonk/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 1 Rdnr. 212). Sie wenden sich
regelmäßig nur an die damit befassten Behörden und sind für sie nur im Innenverhältnis verbindlich, also
„Innenrecht“. Im Außenverhältnis haben sie regelmäßig keine Bindungswirkung wie Rechtsnormen;
deshalb bedürfen sie keiner Verkündung in einem dafür vorgesehenen Publikationsorgan.
Verwaltungsvorschriften unterliegen aber dann dem rechtsstaatlichen Publikationsgebot, wenn die
Verwaltungsvorschriften unmittelbare Außenwirkung gegenüber Dritten enthalten (vgl. BVerwG, NVwZ
1995, 602).
Vorliegend beinhalten die Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB
VIII jedoch nicht nur Anweisungen für eine einheitliche Rechtsanwendung durch Bedienstete des
Landkreises, sondern entfalten auch eine rechtliche Außenwirkung gegenüber dem einzelnen Bürger,
indem sie mit den Regelungen über die Heranziehung zu den Kosten auf dessen subjektiv-öffentliche
Rechte unmittelbar einwirken. Die Bestimmungen des Beklagten betreffend die Kostenbeiträge bei
Inanspruchnahme von Tagespflege sind somit nicht nur binnenrechtlich wirkende
Ausführungsbestimmungen auf der Grundlage der bundesrechtlichen Ermächtigung, sondern sie haben
auch Bindungswirkung für die Personensorgeberechtigten, die Tagespflege für ihre Kinder in Anspruch
nehmen. Sie geben der Höhe des zu leistenden Kostenbeitrags die abschließende Gestalt (s. VG
Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2010, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 05. August 2010, a.a.O.). Der
Beklagte wäre somit gehalten gewesen, als Satzungsgeber tätig zu werden, die vom SGB VIII
vorgegebene Regelungsbefugnis in Form einer Satzung wahrzunehmen und diese in einem dafür
vorgesehenen amtlichen Medium zu veröffentlichen.
III.
bedurfte es keiner Entscheidung mehr über den hilfsweise gestellten Antrag der Kläger auf Teilerlass.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167
VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung ...
Beschluss
Der Gegenstandswert wird auf 1.029,60 € (Differenz des Kostenbeitrags in Höhe von 117,90 Euro statt der
geforderten 182,25 Euro im Zeitraum Januar 2009 bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheids im April
2010) festgesetzt (§ 33 Abs. 1 RVG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).
Rechtsmittelbelehrung ...
Butzinger
Kintz
Bender