Urteil des VG Neustadt vom 06.04.2006

VG Neustadt: betriebszeit, beschränkung, verfügung, auflage, widerruf, rechtsschutzinteresse, bedürfnis, 1919, hausfrau, verwaltungsverfahren

VG
Neustadt/Wstr.
06.04.2006
4 K 1919/05.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 06.04.06 - 4 K 1919/05.NW
Gaststättenrecht, Verwaltungsprozessrecht
Verkündet am: 06.04.2006
gez. ...
Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau H.
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte Dr. Bubenzer und Steiner, Karlstr. 21, 76133 Karlsruhe,
gegen
die Verbandsgemeinde Hagenbach, vertreten durch den Bürgermeister, Postfach 1180,
76765 Hagenbach,
- Beklagte -
wegen Gaststättenrecht (Betriebszeitverkürzung)
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom
6. April 2006
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Pirrung
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Hoffmann
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Koch
für Recht erkannt:
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Betriebszeitverkürzung, die die Beklagte in Bezug auf die von der
Klägerin geführte Gartenwirtschaft verfügt hat.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Anwesens B...str. ... in N............ Die Umgebungsbebauung entspricht der
eines allgemeinen Wohngebiets. Seit Februar 1977 betreibt die Klägerin auf ihrem Grundstück das
Gasthaus „.............“. Außerdem ist sie seit dem 2. November 2000 im Besitz einer Erlaubnis zum Betreiben
einer Gartenwirtschaft mit einer Fläche von 33 qm. Diese beinhaltet die Einschränkung, dass die
Gartenwirtschaft nur bis 22.00 Uhr geöffnet sein darf.
Im Sommer 2001 gingen bei der Beklagten Beschwerden der nördlich angrenzenden Nachbarn ein, die
Klägerin halte das Ende der Betriebszeit der Gartenwirtschaft von 22.00 Uhr nicht ein. Diese Beschwerden
wiederholten die Nachbarn im Sommer 2002 und 2003. Die Beklagte leitete deshalb gegen die Klägerin
mehrfach Bußgeldverfahren ein.
Außerdem widerrief die Beklagte mit Verfügung vom 28. Oktober 2003 die der Klägerin erteilte Erlaubnis
zum Betreiben einer Gartenwirtschaft vom 2. November 2000 zum Teil, indem die Betriebszeit mit
sofortiger Wirkung von 22.00 Uhr auf 20.00 Uhr verkürzt wurde. Die Beklagte begründete die
Betriebszeitverkürzung mit den zahlreichen Betriebszeitüberschreitungen von Juni bis August 2003. Diese
hätten Bedienstete der Beklagten entweder selbst festgestellt oder sie seien von den Nachbarn gemeldet
worden. Durch die Nichteinhaltung der Betriebszeit habe die Klägerin gegen die §§ 2 und 3 GastG
verstoßen. Nach § 15 Abs. 3 GastG sei bei Tatbeständen, die eine Unzuverlässigkeit begründeten, die
Erlaubnis zu widerrufen. Die Verkürzung der Betriebszeit sei das geeignete Mittel, um den mit der
Gartenwirtschaft verbundenen ruhestörenden Lärm nach 22.00 Uhr zu vermeiden.
Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid am 10. November 2003 Widerspruch und führte zur
Begründung u .a. aus, der Bescheid vom 28. Oktober 2003 sei ermessenfehlerhaft und verstoße gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beschwerden seien nur von einer Nachbarfamilie erhoben
worden. In der Sitzung des Kreisrechtsausschusses bei der Kreisverwaltung Germersheim räumte die
Klägerin mehrere Verstöße gegen das Ende der Betriebszeit von 22.00 Uhr ein. Sie erklärte, es bestehe
ein öffentliches Bedürfnis an der Beibehaltung des Endes der Betriebszeit von 22.00 Uhr und darüber
hinaus. So habe auch der Ortsbürgermeister von N.......... sich schon nach 22.00 Uhr in ihrer
Gartenwirtschaft aufgehalten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004 hob der Kreisrechtsausschuss bei der
Kreisverwaltung Germersheim die Verfügung der Beklagten vom 28. Oktober 2003 teilweise auf und
setzte das Ende der Betriebszeit der Gartenwirtschaft nunmehr auf 21.30 Uhr fest. Im Übrigen wurde der
Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss aus, die Festsetzung des
Endes der Betriebszeit auf 20.00 Uhr sei unverhältnismäßig. Dagegen lasse ein Teilwiderruf auf 21.30 Uhr
einerseits eine noch wirtschaftliche Nutzung der Gartenwirtschaft zu. Andererseits stelle die Reduzierung
der Betriebszeit um 30 Minuten eine angemessene Reaktion auf das Nichtbeachten der inhaltlichen
Beschränkung der Erlaubnis vom 2. November 2000 dar. Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage
nahm sie am 5. April 2005 wieder zurück (s. hierzu das Verfahren 7 K 2559/04.NW).
Bereits zuvor hatte die Beklagte im Anschluss an den ergangenen Widerspruchsbescheid vom 24.
September 2004 am 6. Oktober 2004 eine sog. Änderungsverfügung erlassen, in der sie das Ende der
Betriebszeit der Gartenwirtschaft der Klägerin unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid auf
21.30 Uhr festsetzte. Hiergegen legte die Klägerin am 19. Oktober 2004 Widerspruch ein, den der
Kreisrechtsausschuss bei der Kreisverwaltung Germersheim mit Widerspruchsbescheid vom 21.
September 2005 zurückwies. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss aus, der Widerspruch sei
bereits unzulässig, da der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehle. Die beantragte
Sachentscheidung über die Änderungsverfügung vom 6. Oktober 2004 sei für die Klägerin offensichtlich
nutzlos, da schon mit dem bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004 das Ende
der Betriebszeit der Gartenwirtschaft von 22.00 Uhr auf 21.30 Uhr verkürzt worden sei. Der Widerspruch
sei im Übrigen auch unbegründet, wie sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004
ergebe.
Die Klägerin hat hiergegen am 3. November 2005 Klage erhoben. Sie führt zur Begründung im
Wesentlichen aus, die Beklagte habe mit der Änderungsverfügung eine neue Sach- und Rechtslage
geschaffen. Sie werde durch die Verfügung vom 6. Oktober 2004 auch dadurch in ihren Rechten verletzt,
weil alle anderen Lokalinhaber im Gemeindebereich der Beklagten in der Zeit von April bis Oktober 2005
eine Erlaubnis zum Betreiben einer Gartenwirtschaft bis 23.00 Uhr erhalten hätten.
Die Klägerin beantragt,
die Änderungsverfügung der Beklagten vom 6. Oktober 2004 sowie den Widerspruchsbescheid des
Kreisrechtsausschusses bei der Kreisverwaltung Germersheim vom 6. Oktober 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die begehrte Sachentscheidung über die Änderungsverfügung vom 6. Oktober 2004 für die
Klägerin aufgrund des bestandskräftigen Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2005 ebenfalls für
nutzlos.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Der Klägerin fehlt entgegen der Auffassung des Kreisrechtsausschusses bei der
Kreisverwaltung Germersheim in seinem Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2005 nicht das
erforderliche Rechtsschutzinteresse. Bei der Änderungsverfügung vom 6. Oktober 2004 handelt es sich
um einen sog. Zweitbescheid, der den Erstbescheid - hier die Verfügung vom 28. Oktober 2003 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2004 - ersetzt und einen neuen Inhalt hat, der die frühere
Sachentscheidung bestätigt und mit ihr übereinstimmt (s. Kopp/Ramsauer, VwVfG Kommentar, 9. Auflage
2005, § 35 Rdnr. 55). Neben der positiven (Inzident-)Entscheidung über das Wiederaufgreifen beinhaltet
der Zweitbescheid zugleich eine erneute Sachentscheidung und eröffnet bei Bestätigung oder nicht
antragsgemäßer Änderung des Erstbescheids die gerichtliche Prüfung über das Begehren in der Sache
(BVerwG, VIZ 1995, 656).
Die Klage ist aber unbegründet. Die Änderungsverfügung der Beklagten vom 6. Oktober 2004 und der
Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses bei der Kreisverwaltung Germersheim vom 6.
Oktober 2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Die Beklagte hat die Änderungsverfügung vom 6. Oktober 2004 zu Recht auf die Vorschrift des § 15 Abs. 3
Nr. 1 GastG gestützt. Danach kann die Erlaubnis zum Betrieb eines Gaststättengewerbes widerrufen
werden, wenn der Gewerbetreibende die Betriebsart, für welche die Erlaubnis erteilt worden ist, unbefugt
ändert, andere als die zugelassene Räume zum Betrieb verwendet oder nicht zugelassene Getränke oder
Speisen verabreicht oder sonstige inhaltliche Beschränkungen der Erlaubnis nicht beachtet.
Einem Einschreiten nach dieser Bestimmung steht nicht entgegen, dass zeitliche Einschränkungen einer
Gaststättenerlaubnis auch nach anderen Vorschriften erreicht werden können. Die Sperrzeitverlängerung
gemäß §§ 18 GastG i. V. m. § 21 Abs. 1 GastVO sowie die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG, wonach
die Erlaubnis jederzeit mit Auflagen u. a. zum Schutz der Nachbarn versehen werden kann, stehen nicht in
einem Ausschließlichkeitsverhältnis und verdrängen auch nicht als Sondervorschriften die Möglichkeit
eines teilweisen oder vollständigen Widerrufs. Vielmehr sind sie nebeneinander anwendbar, soweit die
jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Bay. VGH, NVwZ 1995, 1021 zum Verhältnis von § 5 und §
18 GastG; ebenso Michel/Kienzle, Das Gaststättengesetz, 14. Auflage 2003, § 5 Rdnr. 4; Metzner, GastG,
6. Auflage 2002, § 18 Rdnr. 96 ff).
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 GastG sind hier gegeben. Zum für die Sach- und
Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, GewArch 1988,
233; Bay. VGH, BayVBl 2004, 565), also dem Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2005, hat die
Klägerin mehrfach sonstige inhaltliche Beschränkungen der Erlaubnis nicht beachtet. Als eine sonstige
inhaltliche Beschränkung der Erlaubnis kommt die Beschränkung der Betriebszeit in Betracht
(Michel/Kienzle, a. a. O., § 15 Rdnr. 9). Hier hat die Beklagte bereits mit Erteilung der Erlaubnis am 2.
November 2000 eine zeitliche Beschränkung auf 22.00 Uhr angeordnet. Da diese bestandskräftig ist, hat
die Kammer nicht die Rechtmäßigkeit der Beschränkung, sondern nur zu prüfen, ob ein Verstoß gegen die
beschränkte Erlaubnis deren Widerruf rechtfertigt (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1994, 580). Die Klägerin hat
gegen die Betriebszeitbeschränkung häufig verstoßen, wie sich aus den Feststellungen der Beklagten bei
diversen Ortsbesichtigungen, aus den Mitteilungen der Grundstücksnachbarn und aus den Einlassungen
der Klägerin selbst im Verwaltungsverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2006
ergibt. Damit sind die Rechtsvoraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 GastG gegeben. Die Einwände der
Klägerin - es bestehe bei ihren Gästen ein großes Interesse, die Gartenwirtschaft auch nach 22.00 Uhr
noch nutzen zu können - richten sich allein gegen die bestandskräftige Verfügung vom 2. November 2000
und sind im vorliegenden Verfahren unbeachtlich.
Die Beklagte hat auch das ihr nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 GastG zustehende Entschließungs- und
Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Die feststehenden Verstöße der Klägerin gegen die
Betriebszeitbeschränkung rechtfertigen als solche ein Einschreiten der Beklagten als Ordnungsbehörde,
zumal Bußgeldverfahren gegen die Klägerin wegen einzelner Verstöße in der Vergangenheit nicht zu
einer dauerhaften Einhaltung der zeitlichen Beschränkung geführt haben.
Eine Ermessensbindung der Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der seit dem 25. Mai
2005 gültigen landesrechtlichen Sondervorschrift des § 4 Abs. 4 LImSchG auf gesonderten Antrag im
Einzelfall zugelassen werden kann, dass im Freien betriebene Gaststätten bis 23.00 Uhr geöffnet bleiben.
Zum einen hat die Klägerin diesen Antrag bisher nicht gestellt. Zum anderen handelt es sich bei einem
solchen Antrag keinesfalls um eine bloße Förmlichkeit; denn ihm kann nur entsprochen werden, wenn im
konkreten Einzelfall dem Bedürfnis nach längeren Öffnungszeiten ohne Verletzung des Schutzes
besonders Ruhebedürftiger Rechnung getragen werden kann (s. die Begründung in LT-Drucksache
14/3854 Seite 7). Dies dürfte bei einem Biergarten in einem Gewerbegebiet grundsätzlich zu bejahen
sein; für die von der Klägerin in einem allgemeinen Wohngebiet betriebene Gartenwirtschaft ist dies
dagegen zumindest zweifelhaft.
Der teilweise Widerruf der Erlaubnis unter Einschränkung auf 21.30 Uhr ist im Übrigen zur Erreichung des
beabsichtigten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen. Die vom Kreisrechtsausschuss bei der
Kreisverwaltung Germersheim im Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004 hierzu angestellten
Erwägungen, die sich die Beklagte im Bescheid vom 6. Oktober 2004 zu Eigen gemacht hat, lassen Fehler
nicht erkennen. Zwar beginnt die Nachtzeit, für die ein ungestörter Schlaf der Grundstücksnachbarn als
„lebensnotwendig“ (s. z.B. BVerwG,
GewArch 1987, 96, 98) zu sichern ist, erst um 22.00 Uhr. Es ist aber - insbesondere unter dem
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit - nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte nunmehr die zeitliche
Beschränkung der Erlaubnis im Wege des teilweisen Widerrufs um 30 Minuten vorverlagert. Denn das
Verlassen der Örtlichkeit durch die letzten Gäste benötigt zusätzliche Zeit und ist regelmäßig mit einer
zusätzlichen Lärmbelastung der Nachbarn durch laute Gespräche und Motorengeräusche verbunden. Die
Vorverlagerung gibt der Beklagten außerdem die Gelegenheit zu einer effektiven Überwachung und
Durchsetzung der Einhaltung der Nachtruhe pünktlich ab 22.00 Uhr, um – letztlich auch im Interesse der
Klägerin – einen vollständigen Widerruf der Erlaubnis zum Betrieb der Gartenwirtschaft zu vermeiden,
welcher bei weiteren erheblichen Verstößen wegen Unzuverlässigkeit zu prüfen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167
VwGO i. V. m § 708 Nr. 11 ZPO
Rechtsmittelbelehrung ...
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Butzinger gez. Kintz gez. Pirrung