Urteil des VG Münster vom 28.07.2003

VG Münster: getrennt lebender ehegatte, sozialhilfe, eigene mittel, arbeitslosenhilfe, auflage, auskunftspflicht, härte, einzelrichter, rechtsgrundlage, verwaltungsakt

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 1410/01
Datum:
28.07.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1410/01
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in jeweils beizutreibender
Höhe abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Schwiegertochter der Hilfeempfängerin
verpflichtet ist, gegenüber dem Sozialamt des Beklagten Auskunft über ihr Einkommen
zu geben und dazu Einkommensnachweise einschließlich des letzten
Einkommenssteuerbescheides des Finanzamtes vorzulegen.
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Der Beklagte bewilligt der Hilfeempfängerin seit dem 26. Februar 2001 Hilfe zur Pflege
durch Übernahme der Kosten der Betreuung in einer Einrichtung, soweit die Kosten
nicht durch eigene Mittel der Hilfeempfängerin gedeckt werden können.
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Das Sozialamt des Beklagten forderte beide Söhne der Hilfeempfängerin auf, Auskunft
über ihr Einkommen zu geben und entsprechend Unterlagen vorzulegen. Der Ehemann
der Klägerin wurde darüber hinaus auch aufgefordert, Auskunft über das Einkommen
seiner Ehefrau, der Klägerin, zu geben.
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Der Ehemann der Klägerin teilte dem Sozialamt des Beklagten in einem Schreiben vom
12. April 2001 mit, dass er in den letzten zwölf Monaten lediglich Arbeitslosenhilfe
bezogen habe und dass es deshalb nicht notwendig sei, einen
Einkommenssteuerbescheid vorzulegen; die von ihm erbetene Auskunft über das
Einkommen seiner Ehefrau, der Klägerin, lehnte er mit der Begründung ab, dass es an
einer Rechtsgrundlage hierfür fehle.
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Der Beklagte forderte daraufhin die Klägerin durch Bescheid vom 18. April 2001 auf,
Auskunft über ihr Einkommen zu geben, insbesondere alle Einkommensnachweise für
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die letzten zwölf Monate und den letzten Einkommenssteuerbescheid des Finanzamtes
vorzulegen. Zur Begründung führte der Beklagte u. a. aus, dass die Mutter ihres
Ehemannes seit Februar 2001 Sozialhilfe erhalte und geprüft werden müsse, ob und in
welcher Höhe ihr Ehemann Unterhalt zahlen müsse; im Rahmen dieser Prüfung sehe §
116 BSHG nicht nur eine Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft über das
Einkommen des Sohnes der Hilfeempfängerin, sondern auch seiner nicht von ihm
getrennt lebenden Ehefrau vor.
Die Klägerin legte am 24. April 2001 Widerspruch ein und machte geltend: Sie sei
gegenüber der Mutter ihres Ehemannes nicht unterhaltspflichtig; auch ihr Ehemann
selbst sei gegenüber seiner Mutter nicht unterhaltspflichtig, weil er lediglich
Arbeitslosenhilfe beziehe und diese Mittel nicht ausreichten, um auch den Unterhalt
seiner Mutter sicherzustellen; auch sei sie, die Klägerin, gegenüber ihrem Ehemann
nicht unterhaltspflichtig, weil dieser mit der Arbeitslosenhilfe über ausreichende Mittel
verfüge, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen; außerdem sei zwischen den
Eheleuten durch notariellen Vertrag vom 23. Februar 1998 ein Unterhaltsverzicht
vereinbart worden; da zwischen den Beteiligten nach alledem keinerlei
Unterhaltsverpflichtung bestehe, verstoße der Beklagte gegen ihr Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, wenn er sie verpflichten wolle, ihre
Einkommensverhältnisse offen zu legen.
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Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2001
im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass es zur Klärung eines etwaigen
Unterhaltsanspruches der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem Sohn notwendig sei, auch
die Einkommensverhältnisse der Schwiegertochter der Hilfeempfängerin zu klären.
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Die Klägerin hat am 26. Juni 2001 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr
bisheriges Vorbringen und beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 18. April 2001 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2001 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Bescheide,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass über die Klage ohne
mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter entschieden wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten über die Klage ohne
mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter (§§ 87 a Abs. 2, 101
Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 18.
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April 2001 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2001 ist
rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Aufforderung des Beklagten an die Klägerin, Auskunft über ihr
Einkommen zu erteilen und Unterlagen darüber vorzulegen, ist § 116 Abs. 1 Satz 1
BSHG in der Fassung von Art. 8 Nr. 36 a des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts
vom 23. Juli 1996, BGBl. I S. 1088, S. 1039. Nach dieser Vorschrift sind die nicht
getrennt lebenden Ehegatten von Unterhaltspflichtigen verpflichtet, dem Träger der
Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben,
soweit die Durchführung dieses Gesetzes es erfordert. Diese Voraussetzungen liegen
hier vor.
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Die Klägerin gehört als nicht getrennt lebender Ehegatte eines gegenüber dem
Hilfeempfänger Unterhaltspflichtigen zum auskunftsverpflichteten Personenkreis im
Sinne des § 116 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Diese Vorschrift begründet eine eigenständige
öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, der ein Auskunftsanspruch des
Sozialhilfeträgers gegenüber steht. Sie ermächtigt den Träger der Sozialhilfe, die
Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen - hier: dem nicht
getrennt lebenden Ehegatten des Unterhaltspflichtigen - geltend zu machen und bei
Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Es
begegnet deshalb keinen Bedenken, dass der Beklagte sein Auskunftsverlangen,
soweit es die Einkommensverhältnisse der Klägerin betrifft, durch Verwaltungsakt
geregelt hat (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 5 C 22.90 -, BVerwGE 91, 375 =
FEVS 44, 184 = NJW 1993, 2762).
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Die Rechtmäßigkeit dieses Auskunftsverlangens gegenüber der Klägerin setzt ebenso
wenig wie die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens gegenüber dem Ehemann der
Klägerin voraus, dass der Schwiegermutter der Klägerin bzw. der Mutter des
Ehemannes der Klägerin der gemäß § 91 BSHG kraft Gesetzes übergeleitete
Unterhaltsanspruch zusteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
ist eine Überleitung nicht schon dann rechtswidrig, wenn der übergeleitete Anspruch
nicht besteht, es sei denn, er bestünde offensichtlich nicht (mehr) - sogenannte
Negativevidenz (BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1993 - 5 C 7.91 -, BVerwGE 94, 281 =
FEVS 44, 229 = NJW 1994, 64). Für die Auskunftspflicht nach § 116 Abs. 1 BSHG
gelten keine strengeren Anforderungen, denn ihr Zweck ist es, dem Sozialhilfeträger erst
die Prüfung zu ermöglichen, ob und in welchem Umfang der Nachrang der Sozialhilfe (§
2 Abs. 1 BSHG) durch Inanspruchnahme Dritter hergestellt werden kann. Dieser Zweck
gebietet es, als Unterhaltspflichtige im Sinne von § 116 Abs. 1 BSHG alle Personen
anzusehen, die als Unterhaltsschuldner in Betracht kommen, d. h. nicht offensichtlich
ausscheiden (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 5 C 22.90 -, a. a. O. und Urteil vom
17. Juni 1993 - 5 C 43.90 -, FEVS 44, 275 = NJW 1994, 66 sowie OVG NRW, Urteil vom
17. Januar 2000 - 22 A 6004/96 -, FEVS 51, 458 = NDV-RD 2000, 57 = NWVBl. 200,
391).
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Im vorliegenden Fall ist ein Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem
Sohn aus §§ 1601 ff. BGB nicht offensichtlich ausgeschlossen. Die von der Klägerin
dagegen erhobenen Einwände betreffen die einzelfallbezogene Anwendung des hier
maßgeblichen Unterhaltsrechts, die den Zivilgerichten vorbehalten ist. Diese Einwände
berühren nicht die hier bestehende Möglichkeit eines Unterhaltsanspruches der
Hilfeempfängerin gegenüber ihrem Sohn, dem Ehemann der Klägerin. Diese
Erwägungen gelten auch für die Frage, ob privatrechtliche Unterhaltsverpflichtungen
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zwischen den Eheleuten durch den notariellen Vertrag vom 23. Februar 1998
ausgeschlossen werden und ob dieser von der Klägerin behauptete Ausschluss
Auswirkungen auf die Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes der Klägerin gegenüber
seiner Mutter, der Hilfeempfängerin, hat. Diese Fragen müssen im Streitfall von den
Zivilgerichten entschieden werden.
Die Durchführung des Bundessozialhilfegesetzes erfordert es, dass die Klägerin
Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse gibt. Die Erteilung der Auskunft dient, wie
oben ausgeführt, dazu, dem Sozialhilfeträger die Prüfung zu ermöglichen, ob und in
welchem Umfang der Nachrang der Sozialhilfe durch Inanspruchnahme Dritter
hergestellt werden kann. Die von der Klägerin geforderte Auskunft ist geeignet,
erforderlich und angemessen, diesen Zweck zu erfüllen.
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Der Nachrang der Sozialhilfe kann im vorliegenden Fall dadurch hergestellt werden,
dass der Beklagte den gemäß § 91 BSHG kraft Gesetzes auf ihn übergegangenen
Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegenüber dem Ehemann der Klägerin
geltend machte. Die Erfolgsaussichten der Geltendmachung dieses
Unterhaltsanspruches der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem Sohn lassen sich nur
dann zuverlässig beurteilen, wenn das Sozialamt des Beklagten das Einkommen des
Sohnes kennt. Zum Einkommen des Sohnes können auch Unterhaltszahlungen seiner
Ehefrau, der Klägerin, gehören (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C
37.97 -, BVerwGE 108, 36 = FEVS 49, 307 = NJW 1999, 1881). Zur Klärung der Frage,
ob der Sohn der Hilfeempfängerin Unterhaltszahlungen seiner Ehefrau, der Klägerin,
erwarten kann, ist wiederum erforderlich, Kenntnis von den Einkommensverhältnissen
der Klägerin selbst zu haben. Die Auskunft über das Einkommen der Klägerin war
mithin geeignet, den Nachrang der Sozialhilfe herzustellen. Diese Auskunft war im
vorliegenden Fall auch erforderlich, weil ein milderes Mittel, Kenntnis über das
Einkommen der Klägerin zu bekommen, nicht gegeben war. Der Ehemann der Klägerin
war nicht verpflichtet, Auskunft über das Einkommen seiner Ehefrau zu erteilen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 5 C 22.90 -, a. a. O.). Sollte insoweit eine
Auskunft der Finanzbehörden nach § 116 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BSHG überhaupt
eingeholt werden dürfen, ist diese Auskunft jedenfalls nicht als milderes Mittel
gegenüber dem an die Klägerin selbst gerichteten Auskunftsersuchen anzusehen.
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Die Einholung einer Auskunft gegenüber der Klägerin ist auch nicht unangemessen,
denn die mit der Auskunft angestrebte Durchsetzung des Nachranges der Sozialhilfe
führt für sich allein genommen nicht zu unzumutbaren Nachteilen für die Klägerin. Die
Erteilung der Auskunft durch die Klägerin soll dem Beklagten nur die Möglichkeit
eröffnen, einen möglichen Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem
Sohn zu klären. Aus der erteilten Auskunft ergibt sich nicht als notwendige Folge, dass
der Beklagte die auf ihn kraft Gesetzes übergegangenen Unterhaltsansprüche der
Hilfeempfängerin gegenüber dem Ehemann der Klägerin tatsächlich geltend machte.
Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Herstellung des Nachrangs
der Sozialhilfe gegenüber dem privaten Interesse der Klägerin, keine Auskunft erteilen
zu müssen, fällt wegen des Gewichtes des öffentlichen Interesses gemessen an den
möglichen Nachteilen für die Klägerin zu Gunsten des Nachrangs der Sozialhilfe aus.
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Das Auskunftsverlangen des Beklagten verletzt nicht, wie die Klägerin in diesem
Zusammenhang meint, ihr in Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Persönlichkeitsrecht,
insbesondere nicht ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ihr Einwand, Art. 2
Abs. 1 GG sei verletzt, weil sie ihre Einkommensverhältnisse offenbaren müsse, obwohl
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sich später herausstellen könne, dass diese Angaben überflüssig gewesen seien, wenn
ein Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem Sohn nicht bestehe, ist
unbegründet. Die Klägerin berücksichtigt dabei nicht, dass die von ihr verlangten
Angaben die Prüfung ermöglichen sollen, ob der kraft Gesetzes übergegangene
Unterhaltsanspruch vom Träger der Sozialhilfe, dem Beklagten, vor den Zivilgerichten
geltend gemacht werden soll. Das tatsächliche Bestehen eines Unterhaltsanspruches
ist aber gerade nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens
und der gesetzlichen Überleitung des Unterhaltsanspruches. Im Übrigen hat die
Klägerin Anspruch auf die Wahrung des Sozialgeheimnisses (§ 35 SGB I), das in den
Vorschriften über den Schutz der Sozialdaten in §§ 67 ff. SGB X geregelt wird. Es
besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte sich nicht an diese Vorschriften
halten wird, nachdem die Klägerin die ihr abverlangte Auskunft erteilt hat.
Der Übergang des Anspruches der Mutter gegenüber ihrem Sohn ist auch nicht nach §
91 Abs. 2 Satz 2 BSHG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist der Übergang des
Anspruches gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen
ausgeschlossen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Dies trifft hier nicht zu.
Eine unbillige Härte liegt vor, wenn mit der Heranziehung des Unterhaltspflichtigen
soziale Belange vernachlässigt werden (W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16.
Auflage 2002, § 91 Rz 88 und Münder in LPK-BSHG, 6. Auflage 2003, § 91 Rz 41 im
Anschluss an BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1979 - 5 C 35.78 -, BVerwGE 58, 209 = FEVS
27, 441). Weder dem Vorbringen der Klägerin noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich
entnehmen, dass bei einer möglichen Heranziehung des Ehemannes der Klägerin als
Unterhaltspflichtiger seiner Mutter soziale Belange beeinträchtigt werden könnten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.
11, 711 Satz 1 ZPO.
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