Urteil des VG Münster vom 20.08.2010

VG Münster (besondere härte, vorzeitige entlassung, antragsteller, zivildienst, härte, antrag, zdg, anordnung, entlassung, hauptsache)

Verwaltungsgericht Münster, 5 L 442/10
Datum:
20.08.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 L 442/10
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, den Antragsteller ab dem 30. August 2010 bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache über seinen Entlassungsantrag
(Klageverfahren 5 K 1472/10) von der Ableistung des Zivildienstes
freizustellen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der - sinngemäß - gestellte Antrag des Antragstellers
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn ab dem
30. August 2010 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache über seinen
Entlassungsantrag (Klageverfahren 5 K 1472/10) von der Ableistung des Zivildienstes
frei zu stellen, hat Erfolg. Der Antrag ist zulässig. Da die Entlassung aus dem Zivildienst
nach Maßgabe des § 43 Abs. 2 Nr. 1 ZDG nur über ein Verpflichtungsbegehren zu
erreichen wäre, ist eine vorläufige Gestaltung nur über eine Regelungsanordnung im
Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig.
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Der Antrag ist auch begründet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123
Abs. 1 VwGO setzt im einzelnen voraus, dass der geltend gemachte Anspruch und die
besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
von dem jeweiligen Antragsteller dargelegt und glaubhaft gemacht werden (vgl. § 123
Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gemäß § 43 Abs.
2 Nr. 1 ZPO kann ein Dienstleistender auf seinen Antrag (vorzeitig) entlassen werden,
wenn das Verbleiben im Zivildienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere
häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe, die nach dem für den Dienstantritt
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festgesetzten Zeitpunkt entstanden sind, eine besondere Härte bedeuten würden.
Der Antragsteller, der einen entsprechenden Antrag gestellt hat, beabsichtigt, ab dem
30. August 2010 die Fachoberschule für Technik zu besuchen. Hierzu ist er vom
Pictorius-Berufskollegs Coesfeld unter dem 9. März 2010 aufgenommen worden. Bei
vollständiger Ableistung seines Zivildienstes bis zum 31. Oktober 2010 wäre er darauf
verwiesen, die Fachoberschule erst zum nächsten, Anfang September 2011
beginnenden Schuljahr aufzunehmen. Der damit verbundene für den Antragsteller nicht
nutzbare Zeitverlust ist als besondere Härte im Sinne des § 43 Abs. 2 Nr. 1 ZDG zu
werten. Die Antragsgegnerin selbst geht in dem Bescheid vom 17. Mai 2010 davon aus,
dass in der Regel eine besondere Härte gegeben ist, wenn der Schulbesuch erst nach
einem nicht nutzbaren Zeitverlust von mehr als sechs Monaten beginnen könnte.
Allerdings gelangt die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, dass der Zeitverlust im Falle
des Antragstellers lediglich drei Monate beträgt, weil von dem zwischen August 2010
und August 2011 liegenden Zeitraum von zwölf Monaten die derzeitige Gesamtdauer
des Zivildienstes, also neun Monate abzuziehen sei. Zur Begründung dieser
Berechnungsmethode beruft sich die Antragsgegnerin auf den Erlass des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 21. Dezember 2009
betreffend die Berechnung des Wartezeitverlustes als besondere Härte im Sinne von §§
11 Abs. 4 Satz 1 bzw. 43 Abs. 2 Nr. 1 ZDG. Diese Berechnung wird auch teilweise in
der Rechtsprechung zugrundegelegt.
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Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 30. Juli 2010 - 11 L 1187/10 und vom 11. August
2010 - 11 L 1192/10 -.
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Das Gericht folgt dieser Berechnung nicht.
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Ob der von der Antragsgegnerin herangezogene Erlass in Fällen der vorliegenden Art,
in denen es um eine vorzeitige Entlassung aus dem Dienstverhältnis geht, fehlerhaft
angewendet wird,
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so VG Neustadt an der Weinstraße, Beschlüsse vom 27. Juli 2010 - 3 L 701/10.NW und
vom 10. August 2010 - 3 L 796/10.NW -, kann dabei offen bleiben. Das Gericht ist an die
Regelung des Erlasses nicht gebunden und legt seiner rechtlichen Beurteilung - wie im
Ergebnis auch das VG Neustadt an der Weinstraße in den oben angeführten
Entscheidungen - den über die Zeit des regulären Zivildienstes hinausgehenden
Zeitverlust zugrunde.
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Ausgehend hiervon bedeutet das Verbleiben im Zivildienst für den Antragsteller eine
besondere Härte im Sinne von § 43 Abs. 2 Nr. 1 ZDG. Der Antragsteller befindet sich
seit dem 01. Februar 2010 im Zivildienst. Bei Absolvierung der regulären Dienstzeit
würde der Dienst am 31. Oktober 2010 enden. Der Antragsteller müsste im Anschluss
daran bis zur dann erst Anfang September 2011 möglichen Aufnahme der
Schulausbildung eine Wartezeit von zehn Monaten hinnehmen. Dies erscheint schon
mit Blick darauf, dass die ohne die begehrte vorzeitige Entlassung noch zu
absolvierende Dienstzeit zwei Monate beträgt, als nicht zumutbar. Es tritt hinzu, dass mit
dem zum 01. Dezember 2010 in Kraft tretenden Gesetz zur Änderung wehr- und
zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 - BGBl. 2010
Teil I, S. 1052 ff.) die Dauer des Wehr- und Zivildienstes auf sechs Monate reduziert wird
und der Antragsteller bis zu der von ihm begehrten vorzeitigen Entlassung bereits
sieben Monate Zivildienst geleistet haben wird. Angesichts all dessen ist ihm die
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Hinnahme des - nach gegenwärtiger Einschätzung anderweitig nicht nutzbaren -
Zeitverlustes von zehn Monaten nicht zuzumuten; das Verbleiben im Zivildienst für
weitere zwei Monate stellt für ihn damit eine besondere Härte im Sinne des § 43 Abs. 2
Nr. 1 ZDG dar. Tragfähige Anknüpfungspunkte für eine zu Lasten des Antragstellers
gehende Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin sind nicht erkennbar.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne die
vorläufige Regelung würde ihm der Schulbesuch ab dem 30. August 2010 verwehrt.
Auch die mit der Anordnung verbundene Vorwegnahme einer Entscheidung in der
Hauptsache ist zulässig, weil die Anordnung zur Gewährung eines effektiven
Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist. Die dem Antragsteller drohenden
Nachteile könnten bei einem hier anzunehmenden Obsiegen in der Hauptsache nicht
mehr ausgeglichen werden. Dies ist dem Antragsteller nicht zumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§
53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.
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