Urteil des VG Münster vom 12.02.2010

VG Münster (kläger, eltern, schule, wichtiger grund, befreiung, film, recht auf bildung, schüler, befreiung vom unterricht, sohn)

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 528/09
Datum:
12.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 528/09
Schlagworte:
Schulpflicht Befreiung Gewissenskonflikt Erziehungsrecht
Neutralitätspflicht
Normen:
SchulG NRW § 43 Abs. 3
Leitsätze:
Solange die Stoffvermittlung und sonstige Unterrichtsgestaltung unter
Beachtung des staatlichen Neutralitäts- und Toleranzgebotes erfolgt,
vermag die Berufung auf einen aus der Glaubensfreiheit resultierenden
Gewissenskonflikt, der sich bei der Befassung mit bestimmten Inhalten
im Schulunterricht ergebe, grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine
Befreiung gem. § 43 Abs. 3 SchulG nicht zu begründen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe von 110 v. H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Kläger gehören den Zeugen Jehovas an. Ihr Sohn U. besuchte im Schuljahr
2008/2009 die Klasse 7d des N. C. . Im Rahmen des Deutschunterrichts
wurde anhand des Schulbuchs "P.A.U.L. D. 7" (Schöningh-Verlag) das 1971
erschienene Buch "Krabat" von Otfried Preußler besprochen, woran U. teilnahm. Die
Deutschlehrer der 7. Klassen beschlossen mit Blick darauf, den am 9. Oktober 2008 in
den deutschen Kinos angelaufenen Film "Krabat" des Regisseurs Marco Kreuzpaintner
zu besuchen. Der Beklagte genehmigte die verbindliche Schulveranstaltung für den 31.
Oktober 2008. Mit undatiertem Brief schrieben die Kläger dem Deutschlehrer ihres
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Sohnes, Oberstudienrat A. : "Aus religiösen Gründen möchten wir nicht, dass unser
Sohn U. U1. den Film Krabat im Kinodrom ansieht. Wir möchten uns von bösen
Geistermächten fernhalten, auch indem wir uns mystische Filme nicht ansehen." Der
Beklagte erörterte die Angelegenheit in einem persönlichen Gespräch mit den Klägern
und ihrem Sohn am 30. Oktober 2008. Die Kläger bekräftigten unter Hinweis auf
verschiedene Bibeltexte, sie könnten als Angehörige der Glaubensgemeinschaft der
Zeugen Jehovas nicht zulassen, dass U. an der Filmvorführung teilnehme. Sie
müssten alle Berührungspunkte mit Spiritismus und jeglicher Form von Magie meiden.
Der Beklagte, der von einem Präzedenzfall ausging, wies die Kläger darauf hin, dass
die Lektüre des Textes und die Filmanalyse lehrplankonform seien und das Verlangen
der Deutschlehrer daher berechtigt sei, dass alle Schüler der Jahrgangstufe 7 an der
verbindlichen Schulveranstaltung teilnähmen. Er erklärte weiter, er sei nicht bereit, sich
auf bibelexegetische Erörterungen einzulassen. Eine besondere Aufsicht von Seiten der
Schule werde außerhalb dieser Schulveranstaltung nicht organisiert. Eine Befreiung
lehnte er ab. Am 31. Oktober 2008 holten die Kläger ihren Sohn nach der 2. Stunde aus
der Schule ab und beaufsichtigten ihn während der Filmvorführung (3.-5. Stunde) zu
Hause. An der Nachbereitung des Films in den folgenden Deutschstunden nahm U.
wieder teil.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Januar 2009 legten die Kläger Widerspruch gegen
die Ablehnung der Befreiung von der Filmvorführung ein. Die Bezirksregierung Münster
teilte darauf mit Schreiben vom 9. Februar 2009 mit, eine Entscheidung in der Sache sei
unzulässig, da bereits zum Zeitpunkt des Widerspruches der Anlass durch Zeitablauf
entfallen und somit Erledigung eingetreten sei.
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Durch Bußgeldbescheide vom 24. Februar 2009 setzte die Bezirksregierung Münster
auf Antrag des Beklagten gegen die Klägerin und den Kläger jeweils eine Geldbuße in
Höhe von 50 Euro fest. Zur Begründung verwies sie jeweils darauf, sie hätten ihre
Verpflichtung verletzt, durch geeignete Maßnahmen die Erfüllung der Schulpflicht
sicherzustellen. Nach Einspruchseinlegung durch die Kläger stellte das Amtsgericht
Münster die Bußgeldverfahren (13 OWi-99 Js 387/09-102/09) am 10. September 2009
mit der Begründung ein, eine Ahndung erscheine nicht geboten.
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Die Kläger haben am 17. März 2009 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die
Entscheidung, ihren Sohn nicht an der Filmvorführung teilnehmen zu lassen, beruhe auf
ihren Glaubensüberzeugungen. Sie sei eine echte Gewissensentscheidung, die sie aus
ihrer Verpflichtung gegenüber ihrem Gott hätten treffen müssen, vor dem sie andernfalls
als willentliche Sünder dagestanden hätten. Sie seien aktive Zeugen Jehovas,
besuchten die Gottesdienste, studierten in ihrer Freizeit als Familie regelmäßig die Bibel
sowie die Publikationen ihrer Glaubensgemeinschaft und nähmen an
Missionstätigkeiten teil. Der Kläger sei zudem Geistlicher und habe als sogenannter
Ältester die (Mit-)Verantwortung für die Leitung seiner Ortsgemeinde. Das Ansehen des
Films "Krabat" sei mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar. Das Praktizieren
von Magie sei Spiritismus, den die Bibel verurteile. Auch wenn sich die Hauptfigur am
Ende davon distanziere, werde zunächst geschildert, wie sie schwarze Magie wolle und
erlerne. Nach der Bibel sei demjenigen, der sich mit Dämonen, mit Spiritismus befasse,
eine Teilhaberschaft an Gott und das Erleben des Königreiches Gottes nicht möglich.
Sie mieden deshalb in ihrem Leben alle Bücher, Filme oder sonstigen Situationen,
durch die sie mit Magie oder Spiritismus in Berührung kommen könnten. Diese
Lebensanschauung, die sich auch aus dem Standardlehrbuch "Was lehrt die Bibel
wirklich?" ergebe, vermittelten sie auch ihrem Sohn U. , der sie im Übrigen teile. Die
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auszugsweise Besprechung des Buches hätten sie akzeptiert, da insoweit nur die
Tatsache wiedergegeben werde, dass Krabat mit schwarzer Magie in Berührung
gekommen sei. Im Film hingegen werde das Ausüben spiritistischer Praktiken vorgeführt
und der Zuschauer unmittelbar damit konfrontiert. Die Ablehnung der Befreiung habe
gegen ihre Grundrechte aus Art. 4 und 6 GG verstoßen. Gegenüber dem Grundrecht der
Glaubensfreiheit und dem elterlichen Erziehungsrecht sei die als Begründung für das
staatliche Erziehungsrecht genannte Wissensvermittlung im Bereich filmischer
Darstellung nicht von überragender Bedeutung für die Heranbildung zu verantwortlicher
Lebensführung anzusehen. Auch sei der Eingriff in den Ablauf des Schulalltags bei der
hier lediglich stundenweisen Befreiung nicht erheblich. Das Erziehungsziel hätte auch
durch das Ansehen anderer Filme im Deutschunterricht erreicht werden können. Der
Beklagte habe das ihm im Rahmen der Befreiung eingeräumte Ermessen nicht
ausgeübt, indem er die verschiedenen Rechtspositionen nicht gegenübergestellt und
nicht einmal in Erwägung gezogen habe, es könne entsprechende Elternrechte geben.
Eine Befreiung sei auch aufgrund der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 2 des 1. ZP
zur EMRK zwingend gewesen.
Die Kläger beantragen,
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festzustellen, dass die Ablehnung der Befreiung vom Unterricht am 31. Oktober
2008 (Filmvorführung des Films "Krabat") rechtswidrig war.
7
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, die Befassung mit dem Stoff des Romans "Krabat", sei es
in literarischer oder filmischer Version, verletze die Kläger nicht in ihren religiösen
Rechten. Weder im fachlich allseits anerkannten Buch noch im ausgezeichnet
rezensierten und kultusministeriell empfohlenen Film erfolge eine zielgerichtete
Befassung mit Magie. Insbesondere werde nicht das Ziel verfolgt, den Leser oder
Betrachter dafür einzunehmen. Vielmehr siege letztlich die Kraft der Liebe gegen die
Macht der Magie als Metapher im Streit des Guten gegen das Böse. Das Werk stelle
sich als Allegorie gegen den Totalitarismus dar, wobei sowohl Buch als auch Film mit
dem Sieg der Freiheit über das Dunkle und Böse endeten. Bei der Bearbeitung von
Buch und Film "Krabat" im Deutschunterricht sei es der Schule um das
zeitgeschichtliche Thema der Verführbarkeit des Einzelnen durch totalitäre
Versuchungen gegangen. Die Fähigkeit der Schüler zu selbständiger Entscheidung und
rational reflektierter Lebensführung habe gefördert werden sollen. Der Stoff "Krabat" sei
im Kontext von Sagen und Märchen und als Anschauungsbeispiel für mediale
Bearbeitungen verwendet worden. Nach den Zielen der Unterrichtsreihe hätten die
Schüler unter anderem die Unterschiede von Literatur und deren medialer Verarbeitung
kennenlernen, die unterschiedlichen Wirkungen von Literatur und Medium reflektieren
und unterschiedliche Wahrnehmungen begründet vertreten sollen. Nach dem
Kernlehrplan Deutsch sei sowohl die Behandlung von Sagen, Märchen, Mythen als
auch die Behandlung filmischen Erzählens (Kameraeinstellung und -bewegung,
Kameraperspektive, Schnitttechnik etc.) Unterrichtsinhalt. Mit dem Film "Krabat" werde
weder eine Indoktrinierung der Schüler hin zu dunklen Mächten bewirkt noch sei die
Behandlung mit Magie so intensiv, dass eine derartige Auswirkung ernsthaft
angenommen werden könne. Die Verpflichtung der Schule zu Zurückhaltung, Toleranz
und Offenheit für unterschiedliche Wertungen werde deshalb nicht verletzt und die
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Schüler würden nicht derart beeinflusst, dass die Erziehungsberechtigten nicht mehr im
Sinne ihrer eigenen Überzeugungen auf ihre Kinder einwirken könnten. Die
Benachteiligung in eigenen Glaubenspositionen in vertieftem Maße hätten die Kläger
ferner bereits gegen die Textanalyse des Buches anführen müssen, um einen
intensiven Eingriff in ihre Grundrechte überzeugend geltend zu machen. Schließlich
habe er sein Befreiungsermessen richtig ausgeübt, insbesondere die wechselseitigen
Rechtspositionen und ihr jeweiliges Gewicht gegeneinander abgewogen, dabei aber
den Unterrichtsbelangen den Vorrang gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten mit dem
streitgegenständlichen Film (DVD) und dem Schulbuch P.A.U.L. D. Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
12
Die Klage hat keinen Erfolg.
13
Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Die Kläger haben mit Blick auf die
von ihnen behauptete Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG das in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Ablehnung
der Befreiung von der Unterrichtsveranstaltung "Filmvorführung Krabat" rechtswidrig
war. Auf die Frage einer Wiederholungsgefahr kommt es insoweit nicht an. Vielmehr ist
entscheidend, dass nach Beendigung einer Unterrichtsveranstaltung nur im Wege der
Fortsetzungsfeststellungsklage effektiver (Grund-)Rechtsschutz gewährleistet werden
kann. Es würde der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Elternrechts
nicht entsprechen, wenn die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung von behaupteten
Grundrechtsverletzungen durch der Schulpflicht unterliegende Veranstaltungen mit
ihrem Ende entfiele.
14
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 1980 - 7 C 18/79 -, BVerwGE 61, 164.
15
Ohne eine Entscheidung über den Feststellungsantrag bliebe offen, ob das mit
Glaubens- und Gewissensgründen erklärte eigenmächtige Fernbleiben des Sohnes U.
der Kläger von der Filmvorführung materiell legal oder illegal war.
16
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch nicht begründet. Die – im Gespräch mit
den Klägern und ihrem Sohn – am 30. Oktober 2008 mündlich durch den Beklagten
verfügte Ablehnung der Befreiung war rechtmäßig und verletzte die Kläger nicht in ihren
Rechten. Die Kläger hatten keinen Anspruch auf Freistellung ihres Sohnes U. vom
Besuch des Kinofilms "Krabat".
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Da es sich bei dem Kinobesuch des 7. Jahrgangs des C1. N. am 31.
Oktober 2008 um eine vom Beklagten als verbindlich angeordnete Schulveranstaltung
handelte, galt insoweit die Schulpflicht, für deren Einhaltung die Kläger als U2. Eltern
verantwortlich waren (vgl. § 34 Abs. 1 und 2, § 41 Abs. 1, § 43 Abs. 1 SchulG).
18
Die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Befreiung von der verbindlichen
Schulveranstaltung nach dem hier allein in Betracht kommenden § 43 Abs. 3 SchulG
waren nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann der Schulleiter Schüler auf Antrag der
Eltern aus wichtigem Grund von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder
19
Schulveranstaltungen befreien.
Die von den Klägern angeführten Glaubens- und Gewissensgründe stellen keinen
wichtigen Grund für die Befreiung ihres Sohnes von der Vorführung des Films "Krabat"
dar.
20
Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes, mittels dessen eine Ausnahme
von der dem staatlichen Bildungsauftrag entsprechenden allgemeinen Schulpflicht
gerechtfertigt werden soll, ist restriktiv auszulegen. In verfassungskonformer Anwendung
ist ein wichtiger Grund dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht
an einer Schulveranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Schülers und/
oder seiner Eltern verletzte.
21
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2007 - 19 A 2705/06 -, NWVBl. 2008,
70; ferner (zum "besonderen Ausnahmefall" nach dem früheren § 11 Abs. 1 Satz
1 ASchO) OVG NRW, Urteile vom 15. November 1991 – 19 A 2198/91 -,
NWVBl. 1992, 136, und vom 12. Juli 1991 – 19 A 1706/90 -, NWVBl. 1992, 35.
22
Die Kläger haben sich hier auf ihre Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Ihr Begehren, ihren Sohn U. aus religiösen Gründen nicht an
der Filmbetrachtung teilnehmen zu lassen, haben sie dahingehend erklärt, sie wollten
sich von bösen Geistermächten fernhalten. Der Film "Krabat" zeige das Praktizieren
schwarzer Magie. Nach ihren religiösen Überzeugungen als Zeugen Jehovas müssten
sie aber alle Berührungspunkte mit Spiritismus und jeglicher Form von Magie meiden.
Ob die Kläger angesichts des Umstandes, dass ihr Sohn an der vorausgehenden
Besprechung des Buches "Krabat" teilgenommen hat und sie auch keine Einwände
gegen seine Beteiligung an der Nachbereitung des Films geltend gemacht haben, damit
bis zum Ende der Schulveranstaltung am 31. Oktober 2008 substantiiert und objektiv
nachvollziehbar dargelegt haben, dass sie durch verbindliche Ge- oder Verbote ihres
Glaubens gehindert sind, der gesetzlichen (Schul-)Pflicht zu genügen, und dass sie bei
Erfüllung der Pflicht in einen Gewissenskonflikt gestürzt würden,
23
vgl. zur Darlegungslast BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 8/91 -,
BVerwGE 94, 82; OVG NRW, Urteil vom 5. September 2007 - 19 A 4074/06 -,
NWVBl. 2008, 152; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2007 - 19 E 409/04 -,
m.w.N.,
24
kann dahinstehen.
25
Auch bei Vorliegen eines Gewissenskonfliktes dieser Art verletzte die Durchsetzung der
Schulpflicht in Bezug auf die Teilnahme an der schulischen Filmveranstaltung nicht die
Grundrechte der Kläger. Eine etwaige Grundrechtsbeeinträchtigung war hier
verfassungsrechtlich zumutbar, ein wichtiger Grund damit nicht gegeben.
26
Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch den Anspruch, nach
eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen. In Verbindung mit Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder
garantiert, gewährleistet Art. 4 Abs. 1 GG das Recht zur Kindererziehung in religiöser
und weltanschaulicher Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern
Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für
richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen
27
fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1;
BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -, BayVBl. 2006, 633;
BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151.
28
Die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 6 Abs. 2 GG unterliegen keinem
Gesetzesvorbehalt, sind aber Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung
selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte
Erziehungsauftrag. Infolgedessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur
Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags gesetzlich bestimmte Schulpflicht, die die
Pflicht zur Teilnahme auch an einzelnen Schulveranstaltungen umfasst, in grundsätzlich
zulässiger Weise eine Beschränkung.
29
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 - 1 BvR 2780/06 - DVBl. 2007, 693;
BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -, BayVBl. 2006, 633;
BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151; OVG
NRW, Beschluss vom 27. Juni 2007 - 19 E 409/04.
30
Die in Art. 7 Abs. 1 GG statuierte staatliche Schulaufsicht umfasst die Befugnis zur
Planung und Organisation des Schulwesens. Dazu gehört nicht nur die organisatorische
Gliederung der Schule, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge
und der Unterrichtsziele. Der Staat darf in der Schule unabhängig von den Eltern eigene
Erziehungsziele verfolgen. Der Auftrag des Staates, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt,
hat zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der
Gesellschaft heranzubilden.
31
BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 -,
BVerfGE 47, 46.
32
Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem
Erziehungsauftrag des Staates nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu
lösen, der fordert, dass alle Rechtspositionen einen möglichst schonenden Ausgleich
erfahren.
33
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1;
BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 - 1 BvR 2780/06 - DVBl. 2007, 693;
BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151.
34
Bei Vorliegen eines Gewissenskonfliktes obliegt es den Eltern, sei es bei
Elternabenden oder in sonstiger Weise, konsequent den eigenen Standpunkt
gegenüber der Schule geltend zu machen, um so auf die schulische Bildung und
Erziehung Einfluss zu nehmen. Allerdings besteht aufgrund des elterlichen
Erziehungsrechtes kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Mitbestimmungsrecht der
Eltern bei der Aufstellung der Erziehungsziele und des Lehrplans sowie bei der
Gestaltung des Unterrichts. Auch ist ein mit allen Eltern eines jeden Kindes
abgestimmtes Zusammenwirken der Schule verfassungsrechtlich nicht geboten.
Insbesondere gebieten die Grundrechte aus Art. 4 und 6 GG in einer Gesellschaft, die
unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, nicht, Schülern und Eltern eine
Konfrontation mit von ihnen aus religiöser Überzeugung abgelehnten Themen und
Anschauungen zu ersparen. Schüler und Eltern können keine Unterrichtsgestaltung
35
beanspruchen, nach der die Kinder vollständig von der Befassung mit
Glaubensrichtungen, Auffassungen oder Wertvorstellungen verschont bleiben, die ihnen
fremd sind bzw. die sie ablehnen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 -,
BVerfGE 47, 46; BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -
BVerfGE 93, 1; BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -,
BayVBl. 2006, 633; BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 - 1 BvR 2780/06 -
DVBl. 2007, 693; BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW
2009, 3151; BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 6 B 64/07 -, NVwZ 2009, 56.
36
Die Eltern können Neutralität und Toleranz gegenüber ihren erzieherischen und
religiösen Vorstellungen verlangen. Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im
Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung
betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende
Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer
bestimmten Weltanschauung identifizieren. Vielmehr muss er Rücksicht nehmen auf die
religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern und die Gebote der
Zurückhaltung, Offenheit und Toleranz wahren. Maßgebend ist, dass im Schulunterricht
weltanschaulich-religiöse Zwänge soweit irgend möglich ausgeschaltet werden und
Raum für eine sachliche Auseinandersetzung bleibt.
37
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151;
BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 - 1 BvR 2780/06 - DVBl. 2007, 693;
BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -, BayVBl. 2006, 633;
BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 -,
BVerfGE 47, 46; BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2008 – 6 B 64/07 -, NVwZ
2009, 56.
38
Denn die Offenheit für eine Vielfalt von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive
Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch
ausgestalteten Gemeinwesen. Die Allgemeinheit hat auch ein berechtigtes Interesse
daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten
"Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Für eine
offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit Minderheiten eine
Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine
wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums
von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu
Toleranz und Dialog und damit ein gedeihliches Zusammenleben in wechselseitigem
Respekt fördern. Die schulische Erziehung dient nicht nur der Wissensvermittlung, der
Erlernung der grundlegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver
Fähigkeiten. Sie soll die Persönlichkeitsentwicklung umfassend fördern und
verantwortliche Staatsbürger heranbilden, die gleichberechtigt und dem Ganzen
gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer
pluralistischen Gesellschaft teilhaben können.
39
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 - 1 BvR 2780/06 -, DVBl. 2007, 693;
BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -, BayVBl. 2006, 633;
BVerfG, Beschluss vom 29. April 2003 - 1 BvR 463/03 -, DVBl. 2003, 999;
BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1.
40
Die Verpflichtung der staatlichen Schulen zur Neutralität stellt sicher, dass unzumutbare
Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler
unterbleibt. Sie nimmt den Staat auch in die Pflicht, in der Schule durch seine Lehrer
aktiv auf die Übung von Toleranz gegenüber Menschen hinzuwirken, die, wie die
Kläger, weltanschauliche Minderheitenpositionen vertreten. Die mit dem Besuch der
Schule gleichwohl verbundene Konfrontation mit den Auffassungen einer zunehmend
säkular geprägten pluralistischen Gesellschaft ist Eltern auch bei Widersprüchen zu
ihren eigenen religiösen Überzeugungen zuzumuten und verletzt nicht ihre Grundrechte
aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG.
41
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. April 2003 - 1 BvR 463/03 -, DVBl. 2003, 999;
BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151.
42
Solange die Stoffvermittlung und sonstige Unterrichtsgestaltung unter Beachtung des so
verstandenen staatlichen Neutralitäts- und Toleranzgebotes erfolgt, vermag die
Berufung auf einen aus der Glaubensfreiheit resultierenden Gewissenskonflikt, der sich
bei der Befassung mit bestimmten Inhalten (auch filmisch-suggestiver Art) im
Schulunterricht ergebe, grundsätzlich einen wichtigen Grund im Sinne des § 43 Abs. 3
SchulG nicht zu begründen. Auf die Bedeutung und das Gewicht der in Rede stehenden
einzelnen Schulveranstaltung im Rahmen des staatlichen Bildungsauftrages kommt es
insoweit nicht an.
43
Das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf religiöse Kindererziehung
verleiht den Eltern weder den Anspruch, dass der Schulunterricht nach ihren religiösen
Vorstellungen ausgerichtet wird, noch das Recht, ihre Kinder von bestimmten
Unterrichtsinhalten fernzuhalten. Die Beeinträchtigung ihrer grundrechtlichen Freiheiten
durch den staatlichen Erziehungsauftrag wird durch das dem Staat – auch als Ausfluss
aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG – bei der Unterrichtsgestaltung
obliegende Neutralitätsgebot und durch die verbleibende Möglichkeit der
Einflussnahme der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder außerhalb der Schule so weit
abgemildert, dass die Unzumutbarkeitsschwelle nicht überschritten wird. Vermöchte bei
objektiver, pluralistischer und nicht indoktrinärer Unterrichtsgestaltung die Berufung auf
die Unvereinbarkeit einzelner Unterrichtsgegenstände mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die
Befreiung von Unterrichtsteilen zu rechtfertigen, gefährdete dies die Funktionsfähigkeit
der öffentlichen Schule, die zur Vermeidung dieser Folge schon faktisch nicht allen
Eltern- und Schülerwünschen einer pluralistischen Gesellschaft Rechnung tragen kann.
Es widerspräche zudem der – etwa durch Verankerung der Religionsfreiheit im
Grundgesetz zum Ausdruck kommenden – Wertentscheidung der Verfassung für
Toleranz als einem tragenden Prinzip der freiheitlichen Demokratie - das im Übrigen zu
Recht gerade von gesellschaftlichen Minderheiten in Anspruch genommen wird.
44
Mit der Filmveranstaltung "Krabat", ihrer Zielsetzung und der konkreten
Unterrichtsgestaltung hat der Beklagte sich im Rahmen des staatlichen Bildungs- und
Erziehungsauftrages gem. Art. 7 Abs. 1 GG gehalten, das ihm als staatlicher Einrichtung
obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt und auch den Eltern Raum zur Vermittlung
ihrer individuellen Glaubensüberzeugungen belassen.
45
Der Beklagte hat sich sowohl hinsichtlich der Auswahl des Unterrichtsstoffes als auch
hinsichtlich der konkreten Unterrichtsgestaltung religiös und weltanschaulich neutral
verhalten und das Gebot der Toleranz und der Rücksichtnahme auf die religiösen
Überzeugungen der Eltern in ausreichendem Maße beachtet. Die den Spiritismus und
46
schwarze Magie grundsätzlich ablehnenden Glaubensüberzeugungen der Kläger
wurden durch das – in den Deutschunterricht eingebettete und durch die Befassung mit
der Buchvorlage und ihrem Autor vorbereitete – Anschauen des Films "Krabat" nicht in
Frage gestellt.
Ohne dass das staatliche Neutralitätsgebot dies erfordern würde, ist schon das im
Unterricht eingesetzte Medium religiös-weltanschaulich neutral. Der Film "Krabat"
beeinflusst – auch unter Berücksichtigung der Szenen, in denen mit Computereffekten
das Praktizieren schwarzer Magie gezeigt wird – die Schüler in keiner Weise
dahingehend, Spiritismus und schwarze Magie zu befürworten. Das Werk des
Regisseurs Marco Kreuzpaintner schildert in Anlehnung an die gleichnamige
Buchvorlage von Otfried Preußler, dem eine sorbische Volkssage zugrundeliegt, die
Geschichte des 14jährigen Waisenjungen Krabat. Er wird Lehrling in einer Mühle, die
sich bald als schwarze Schule herausstellt. Der Müllermeister hat einen Teufelspakt
geschlossen und muss in jeder Silvesternacht einen der Jungen opfern, die ihm in
seiner Mühle dienen, um sein Leben und seine übernatürlichen Kräfte zu erhalten. Der
Film endet mit dem Tod des Meisters, über dessen Zauberei die Liebe eines Mädchens
zu Krabat siegt, dem Brand der Mühle und dem Weg der Burschen in die Freiheit.
Krabat ist "die Geschichte eines jungen Menschen, der sich – zunächst aus Neugier und
später in der Hoffnung, sich auf diese Weise ein leichtes und schönes Leben sichern zu
können – mit bösen Gewalten einlässt und sich darin verstrickt; und wie es ihm
schließlich kraft seines Willens, mit dem Beistand eines treuen Freundes und durch die
zum letzten Opfer bereite Liebe eines Mädchens gelingt, sich aus der Verstrickung
wieder zu lösen."
47
Otfried Preußler zu seinem Buch, zitiert nach P.A.U.L. D., S. 24.
48
Damit wirbt der auf dieser Buchvorlage basierende Film nicht etwa für Spiritismus und
Magie, sondern ist ein Plädoyer für die Freiheit und in diesem Sinne auch von der
Schule eingesetzt worden. Dem Beklagten ging es nach seinen eigenen Angaben um
das zeitgeschichtliche Thema der Verführbarkeit des Einzelnen durch totalitäre
Versuchungen und um die Stärkung der Fähigkeit der Schüler zu selbständiger
Entscheidung und rational reflektierter Lebensführung.
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Auch die Unterrichtsgestaltung entsprach – diesem Ziel folgend – der gebotenen
Offenheit für unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Auffassungen. Der
Deutschlehrer, Oberstudienrat A. , hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend
Ziele und Inhalte seiner spiralcurricularen Unterrichtsreihe dargelegt. Danach erfolgten
– von den Klägern im Übrigen nicht angegriffene und von U. besuchte – Vor- und
Nachbereitung des Films in sachlicher Weise, ohne dass dabei bestimmte Normen
aufgestellt oder Empfehlungen gegeben worden wären, die die religiösen Vorstellungen
der Kläger (oder anderer Eltern und Kinder) missachteten. Für eine Indoktrination sind
keinerlei Anhaltspunkte erkennbar. Vielmehr diente die – den Film einschließende –
Unterrichtsreihe "Krabat" dazu, die Schüler zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der
Gesellschaft heranzubilden, und verfolgte damit das Hauptziel des staatlichen Bildungs-
und Erziehungsauftrages gem. Art. 7 Abs. 1 GG.
50
Die Kläger waren durch die Unterrichtsveranstaltung "Filmbesuch Krabat" ferner
objektiv nicht in unzumutbarer Weise daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen
nach eigenen Vorstellungen zu erziehen. Die Schule hat ihnen durch die – lediglich drei
Schulstunden einnehmende – Filmveranstaltung im Rahmen des Deutschunterrichts
51
nicht verwehrt, ihrem Sohn die eigene religiöse Überzeugung zu vermitteln, dass das
Praktizieren von Magie Spiritismus ist, den die Bibel verurteilt. Insbesondere entstand
durch das Ansehen des Films kein Zwang zur Identifikation mit von den Klägern
abgelehnten Anschauungen, der anderweitigen familiären Vorstellungen keinen Raum
ließe.
Lagen damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von den Klägern
erstrebte Befreiung nicht vor, bedarf es schon deshalb keiner Erörterung der von den
Klägern beanstandeten Ermessensausübung.
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Auch aus der von den Klägern angeführten Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK), die in Deutschland im Range eines Bundesgesetzes gilt und bei der
Interpretation des nationalen Rechts – auch der Grundrechte – zu berücksichtigen ist,
53
vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111,
307,
54
ergibt sich kein Anspruch auf Befreiung von der Unterrichtsveranstaltung. Nach Artikel 2
des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK (1. ZP) darf niemandem das Recht auf Bildung
verwehrt werden (Satz 1). Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der
Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu
achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und
weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen (Satz 2). Hieraus folgen für die
Kläger keine über ihre Rechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG
hinausgehenden Ansprüche auf eine Ausnahme von der Schulpflicht.
55
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2007 – 19 A 4074/06 -, NWVBl. 2008,
152 (zur Pflicht zum Besuch einer deutschen Schule).
56
Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) fallen Bestimmung und Gestaltung der Lehrpläne grundsätzlich in die staatliche
Kompetenz. Insbesondere erlaubt Art. 2 Satz 2 des 1. ZP den Eltern nicht, sich gegen
die Vermittlung religiöser oder weltanschaulicher Kenntnisse zu wenden, weil sonst
jedes System institutionalisierten Unterrichts zerstört werden könnte. Der Staat muss
Informationen und Kenntnisse in objektiver, kritischer und pluralistischer Weise
vermitteln; er darf nicht indoktrinieren und muss insoweit die religiösen Überzeugungen
der Eltern achten.
57
Vgl. EGMR, Urteil vom 29. Juni 2007 – 15472/02 -, NVwZ 2008, 1217 m.w.N.;
siehe auch Frowein/Peukert, EMRK, Art. 2 des 1. ZP, Rn. 8ff.
58
Diese Vorgaben, die im Kern den erörterten Grundsätzen des deutschen
Verfassungsrechts entsprechen, sind nach den obigen Ausführungen hier eingehalten
worden.
59
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung bezüglich der
vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
60
Das Gericht lässt die Berufung gegen das Urteil gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1
61
VwGO zu, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124
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Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Die – mit Ausnahme des Sexualkundeunterrichts –
obergerichtlich noch nicht geklärte Frage, ob die Berufung auf einen aus der
Glaubensfreiheit resultierenden Gewissenskonflikt, der sich bei der Befassung mit
bestimmten Inhalten im Schulunterricht ergebe, einen wichtigen Grund im Sinne des §
43 Abs. 3 SchulG zu begründen vermag, hat im Hinblick auf künftige gleichgelagerte
Streitigkeiten über den hier zu entscheidenden Sachverhalt hinaus allgemeine
Bedeutung.
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