Urteil des VG Münster vom 31.05.2010

VG Münster (waffen und munition, persönliche eignung, beweis des gegenteils, kläger, bundesrepublik deutschland, verurteilung, körperliche unversehrtheit, umstände, antragsteller, begründung)

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 1281/08
Datum:
31.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1281/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Dem Kläger wurden in den Jahren 1986 bis 1993 vier Waffenbesitzkarten erteilt, in die
zuletzt 17 Schusswaffen eingetragen waren, und am 17. November 2004 drei weitere
Waffenbesitzkarten, in die 17 weitere Schusswaffen eingetragen wurden, die der Kläger
im Februar 1999 von seinem verstorbenen Vater erworben hatte. Ferner wurde dem
Kläger im November 2003 ein Europäischer Feuerwaffenpass ausgestellt.
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Das Amtsgericht B. setzte durch den am 7. Juli 2007 rechtskräftig gewordenen
Strafbefehl vom 21. Juni 2007 - 2 Cs 44 Js 1090/06 - gegen den Kläger wegen
Verstoßes gegen das Markengesetz (MarkenG) in 92 Fällen (Vergehen nach § 143 Abs.
1 MarkenG) eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen fest. Ihm wurde zur Last gelegt,
im Zeitraum von Januar 2005 bis März 2007 über die Internetverkaufsplattform "ebay" in
mindestens 92 Fällen Uhrenboxen der Firma Rolex für jeweils 49 Euro verkauft zu
haben, um sich hierdurch eine fortlaufende zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen.
Dabei sei dem Kläger bewusst gewesen, dass es sich bei den Boxen nicht um
Originalware der Marke Rolex gehandelt habe, sondern tatsächlich um nicht von der
Firma Rolex zertifizierte Nachbauten. Ihm sei bekannt gewesen, dass die Uhrenboxen
von der Firma Rolex nur in Verbindung mit einer Uhr oder in seltenen Ausnahmefällen
an Fachhändler ausgegeben würden. Zudem sei ihm durch den Ankauf der Boxen in
einer großen Stückzahl (115 Stück) bewusst gewesen, dass es sich bei den Boxen um
Nachbauten handeln musste. Der Kläger machte im Rahmen der Anhörung zu dem vom
Beklagten beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarten unter anderem geltend: Es
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liege kein Regelfall der Unzuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 des am 1. April 2003
in Kraft getretenen neuen Waffengesetzes (WaffG) vor. Im Übrigen sei, soweit die
Waffenbesitzkarten noch unter der Geltung des alten Rechts ausgestellt worden seien,
die Zuverlässigkeit nach dem Waffengesetz zu beurteilen, das vor dem 1. April 2003
gegolten habe (WaffG 1976). Dies folge aus § 58 Abs. 1 Satz 1 WaffG über die
Fortgeltung der nach altem Recht erteilten Erlaubnisse. Nach altem Waffenrecht sei die
Verurteilung wegen Verstoßes gegen das MarkenG unschädlich. Ferner sei § 49 Abs. 2
Nr. 4 VwVfG über den Widerruf aufgrund einer geänderten Rechtsvorschrift zu beachten.
Er habe von seinen Waffenbesitzkarten stets rechtstreu Gebrauch gemacht und keine
waffenrechtlichen Verfehlungen begangen.
Der Beklagte widerrief durch Widerrufsbescheid vom 26. Oktober 2007, der dem
Bevollmächtigten des Klägers am 31. Oktober 2007 zugestellt wurde, die dem Kläger
erteilten Waffenbesitzkarten mit den darin aufgeführten 34 Schusswaffen und den
Europäischen Feuerwaffenpass. Er forderte den Kläger auf, die in den widerrufenen
Waffenbesitzkarten aufgeführten und noch im Besitz des Klägers befindlichen Waffen
innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Widerrufsbescheides unbrauchbar zu
machen oder an einen Berechtigten herauszugeben und die Unbrauchbarmachung
bzw. das Überlassen an einen Berechtigten ihm - dem Beklagten - schriftlich
nachzuweisen und ihm die widerrufenen Erlaubnisse unverzüglich, spätestens jedoch
bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung zurückzugeben. Der
Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung der getroffenen Regelungen an. Auf den
weiteren Inhalt und die Begründung des Widerrufsbescheides wird verwiesen.
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Der Kläger erhob im November 2007 beim Beklagten Widerspruch und suchte vor dem
erkennenden Gericht erfolglos um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen
Rechtsschutzes nach (Beschluss vom 14. Januar 2008 - 1 L 664/07 -). Er führte unter
anderem aus: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufsbescheides
"während der Abwicklungszeit" (für das Unbrauchbarmachen oder Überlassen der
Waffen an Berechtigte) habe "wegen unauflöslicher Widersprüchlichkeit" bzw.
"Anordnung möglicherweise strafbarer Handlungen" die Nichtigkeit des gesamten
Verwaltungsakts zur Folge. Die Merkmale der persönlichen Eignung nach § 6 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 WaffG bildeten den Oberbegriff, der die Zuverlässigkeit des § 5 WaffG
umfasse. Der Beklagte habe aber seine - des Klägers - persönliche Eignung nicht in
Abrede gestellt. Die gesetzliche Regelung des § 5 WaffG sei unausgegoren und
willkürlich. Sie spreche ohne jeden greifbaren Anhaltspunkt langjährig zuverlässigen
Jägern allein aufgrund einer unhaltbaren Pauschalvermutung wegen auch nicht
annähernd einschlägigen Verurteilungen von heute auf morgen die Zuverlässigkeit ab.
Es ergäben sich verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 3 Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland (GG), weil es im Hinblick auf die Dunkelziffer,
Einstellungspraxis, finanziellen Möglichkeiten der Beschuldigten usw. zufällig sei, ob es
zu einer einschlägigen Verurteilung komme oder nicht. Er habe den Strafbefehl in
Unkenntnis der weiteren Folgen rechtskräftig werden lassen. Die Beschwerde des
Klägers gegen den Beschluss des Gerichts vom 14. Januar 2008 hatte ebenfalls keinen
Erfolg (Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
22. Februar 2008 - 20 B 145/08 - und vom 22. April 2008 - 20 B 386/08 -). Der Kläger
legte während des Beschwerdeverfahrens ein fachpsychologischen Gutachten des
medizinisch-psychologischen Instituts des TÜV Süd vom 28. Januar 2008 über seine
persönliche Eignung nach § 6 WaffG und § 4 Allgemeine Waffengesetz-Verordnung
(AWaffV) vor. Eine Fachpsychologin für Verkehrsmedizin hatte das Gutachten nach
einer Untersuchung des Klägers in dessen Auftrag erstellt. Sie kam zu dem Ergebnis,
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dass bei dem Kläger die an den Umgang mit Waffen und Munition zu stellenden
Eignungsvoraussetzungen vorlägen. Es sei zudem gewährleistet, dass der Betreffende
mit Waffen und Munition vorsichtig und sachgemäß umgehen und diese Gegenstände
sorgfältig verwahren werde und dass keine konkrete Gefahr der Fremd- oder
Selbstgefährdung bestehe. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 68 bis 79 der
Gerichtsakte 1 L 664/07 Bezug genommen. Der Kläger machte unter Berufung auf das
Gutachten geltend, dass die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit
widerlegt sei. Er habe seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit unmittelbar nachgewiesen.
Er berufe sich außerdem auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 19. Juni
2007 - 11 A 3792/06 -.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 5.
Mai 2008, auf dessen Begründung verwiesen wird, zurück.
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Der Kläger hat am 26. Mai 2008 Klage erhoben. Er bezieht sich zur Begründung auf
sein Vorbingen im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und bringt im
Wesentlichen weiter vor: Die gesetzliche Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG sei
willkürlich. Eine strafrechtliche Verurteilung sei gerade kein Naturgesetz, könne nicht als
unumstößlicher Tatbestand für weitere Repressalien unbesehen herangezogen werden
und sei als Indiz weitgehend ungeeignet. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ziehe
die Grenzen für Ausnahmen vom Regelfall der Unzuverlässigkeit zu eng. Die
Regelvermutung der Unzuverlässigkeit in § 5 WaffG sei eine gesetzliche
Tatsachenvermutung, gegen die der Beweis des Gegenteils geführt werden könne. Das
Gericht habe im Rahmen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts
wegen alles zu tun, um diesen Beweis des Gegenteils zu ermöglichen. Er habe bereits
durch das vorgelegte fachpsychologische Gutachten bewiesen, dass die
Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit nicht zutreffe und beziehe sich
zusätzlich auf die gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens. Er könne
ferner durch Parteivernehmung zur Frage der Zuverlässigkeit gehört werden. Außerdem
sei das novellierte WaffG nichtig, weil es das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG
nicht beachte. Er müsse die tatsächliche Gewalt über die Waffen in seinem Eigentum
aufgeben und diese Dritten überlassen. Das WaffG nenne aber nicht das Grundrecht auf
Eigentum als Grundrecht, das beeinträchtigt werde dürfe.
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Der Kläger beantragt,
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den Widerrufsbescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2007 in Gestalt des zugehörigen
Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist zur Begründung auf den Widerrufsbescheid und den Widerspruchsbescheid.
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Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne erneute mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten dieses Rechtsstreits sowie des Verfahrens 1 L 664/07, des
Verwaltungsvorgangs des Beklagten (1 Heft) und der Akte der Strafsache 44 Js 1090/06
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der Staatsanwaltschaft N. ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene
Widerrufsbescheid vom 26. Oktober 2007 in der Gestalt des zugehörigen
Widerspruchsbescheides verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz
1 VwGO).
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Der Widerruf der Waffenbesitzkarten des Klägers genügt den Anforderungen des § 45
Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG; der Widerruf des
Europäischen Feuerwaffenpasses ist nach § 45 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 32 Abs. 6 WaffG
rechtmäßig. Die an die Widerrufsentscheidungen anknüpfenden weiteren Maßnahmen
sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WaffG zu beurteilen und verletzen den
Kläger ebenfalls nicht in seinen Rechten. Das erkennende Gericht verweist zur
Begründung auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 14. Januar 2008 - 1 L
664/07 -, durch den es den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes abgelehnt hat. Es hält an diesen Ausführungen nach erneuter und nicht
nur summarischer Prüfung fest und fügt die folgenden Darlegungen hinzu.
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Die Regelungen des WaffG sind in dem für die Entscheidung des vorliegenden
Streitfalls erheblichen Umfang verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber hat mit den
Regelungen im WaffG den Rahmen seiner Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3
GG) und die verfassungsgemäße Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) eingehalten.
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Die vom Kläger kritisierten Regelungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2
und § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG über den Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse bei
fehlender Zuverlässigkeit des Betroffenen schränken die durch Art. 2 Abs. 1 GG
gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit formell und materiell wirksam ein. Die in
einem formellen Gesetz getroffenen Regelungen sind Teil der verfassungsmäßigen
Ordnung, die nach Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit beschränkt, ohne ihren
Wesensgehalt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG anzutasten. Die Vermutungsregelung des
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG wahrt den rechtsstaatlichen (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 Satz 1
GG) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Verschärfung
der Anforderungen an die waffenrechtliche Zuverlässigkeit das Ziel, seine
Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG zu erfüllen und sich schützend vor das Leben und
die körperliche Unversehrtheit der Bürger zu stellen. Zentrales Anliegen des WaffG ist
es, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen
hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und
verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Der Gesetzgeber darf in Ausübung
des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums jederzeit die Anforderungen an ein
waffenrechtliches Umgangsrecht zur Erfüllung des ihm obliegenden Schutzauftrags aus
Art. 2 Abs. 2 GG verschärfen.
19
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24/06 -, NVwZ 2007, 1201 (1204).
20
Der jetzigen Regelvermutung liegt die (geänderte) gesetzgeberische Einschätzung
zugrunde, dass derjenige, der jenseits von Bagatellsachen, die mit der Verurteilung zu
einer geringeren Geldstrafe als 60 Tagessätze definiert sind, wegen vorsätzlichen
Verstoßes gegen Strafvorschriften gleich welcher Deliktsart verurteilt worden ist,
regelmäßig solche Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit weckt, dass die Wertung
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gerechtfertigt ist, sein Waffenbesitz stelle ein Risiko dar, das nicht hingenommen
werden soll. Der Gesetzgeber hält sich damit im Rahmen des Gestaltungsspielraums,
der ihm nach der Rechtsordnung bei der Frage zusteht, wie dem Anliegen entsprochen
werden soll, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko für Leben und
Gesundheit von Menschen möglichst gering zu halten. Denn es geht um Regelungen im
Vorfeld des Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eines jeden Einzelnen, vor den
Gefahren geschützt zu sein, die aus dem Gebrauch von und dem Umgang mit Waffen
resultieren. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen Strafvorschriften bietet schon für sich
hinreichend sachlichen Anhalt für die Befürchtung, dem Betreffenden fehle die
allgemeine persönliche Charakterstärke, gegebenenfalls unter Hintanstellung eigener
Interessen auch in kritischen Situationen auf die Rechte und Belange anderer Rücksicht
zu nehmen. Eine Beschränkung der Regelvermutung auf Verurteilungen wegen
Gewaltdelikten oder Delikten im Umgang mit oder unter Gebrauch von Waffen würde
eine Erhöhung der Schwelle bedeuten, bei der mit dem vorbeugenden Schutz Dritter
angesetzt wird; diese Schwelle zu bestimmen liegt in der Verantwortung des
Gesetzgebers, wobei eine Schlussfolgerung aus jeglichem vorsätzlichen Verstoß gegen
strafbewehrte Verhaltenspflichten allemal tragfähig ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 2007 - 20 A 1881/07 -, NWVBl. 2008, 155
(156).
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Der Einwand des Klägers, das novellierte Waffengesetz sei nichtig, weil es hinsichtlich
des Grundrechts auf Eigentum das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht
beachte, trifft nicht zu. Wenn und soweit durch Regelungen im WaffG - etwa durch die
Ermächtigung zu Anordnungen nach § 46 Abs. 2 WaffG - die grundrechtliche
Gewährleistung des Eigentums aus Art. 14 GG berührt sein sollte, handelt es sich um
(verfassungsgemäße) Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums im Sinne
des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist insoweit
von vornherein nicht betroffen. Es gilt nämlich ausschließlich für solche
Grundrechtsbeschränkungen (Einschränkungen), zu denen der Gesetzgeber im
Grundgesetz ausdrücklich ermächtigt ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG) und eben nicht
für Regelungen in Ausführung der im Grundgesetz enthaltenen Regelungsaufträge,
Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen durch den Gesetzgeber.
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Vgl. dazu Antoni, in: Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 8.
Auflage 2007, Art. 19 GG, Rn. 4 und 2.
24
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls gewahrt. Das Gericht
teilt nicht die Bedenken, die der Kläger unter diesem Gesichtspunkt gegen die
gesetzliche Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG äußert. Dass die gesetzliche
Regelvermutung an eine rechtskräftige Verurteilung anknüpft, ist sachlich begründet. Es
handelt sich um eine vertretbare typisierende Regelung. Das Erfordernis einer
rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung der betroffenen Person zu einer Strafe
bestimmter Art bzw. Höhe bietet eine besondere Gewähr dafür, dass die
Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit auf einer tragfähigen Grundlage
beruht. In den Fällen, in denen es zu keiner solchen strafgerichtlichen Verurteilung
kommt, sieht der Gesetzgeber den Schutzzweck des WaffG vertretbar dadurch als
gewahrt an, dass die betreffende Person gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG sowohl die
Zuverlässigkeit nach den sonstigen Tatbeständen des § 5 WaffG als auch die
persönliche Eignung nach § 6 WaffG besitzen muss.
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Der Kläger besitzt aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen nicht mehr die gemäß
§ 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG für die Erteilung der Waffenbesitzkarten
erforderliche Zuverlässigkeit. Es greift die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit aus §
5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG ein, weil das Amtsgericht B. gegen ihn durch den am 7. Juli 2007
rechtskräftig gewordenen Strafbefehl vom 21. Juni 2007 - 2 Cs 44 Js 1090/06 - wegen
(vorsätzlichen) Verstoßes gegen das MarkenG in 92 Fällen (Vergehen nach § 143 Abs.
1 MarkenG) eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen festgesetzt hat und seit dem
Eintritt der Rechtskraft dieser Verurteilung bis zu dem für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Widerrufsbescheides maßgebenden Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung vom Mai 2008 fünf Jahre bei weitem noch nicht verstrichen
sind.
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Umstände, welche eine Ausnahme von der gesetzlich "in der Regel" vermuteten
Unzuverlässigkeit begründen, liegen im Fall des Klägers nicht vor. Eine Abweichung
von der Vermutung kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten
Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen,
dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat
begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des
Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine
tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung
und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck
kommt.
27
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 - 3 B 12/08 -, NVwZ 2009, 398.
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Die tatbezogene Prüfung lässt hier keine Umstände der Tat oder des Täterverhaltens
erkennen, die auf einen atypischen Fall führen. Das vom Kläger vorgelegte
fachpsychologische Gutachten vom 28. Januar 2008 enthält keine Angaben, die eine
andere Bewertung gebieten. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom
22. Februar 2008, der im Beschwerdeverfahren - 20 B 145/08 - der Parteien des
vorliegenden Rechtsstreits ergangen ist, das Nötige ausgeführt, nämlich Folgendes:
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"Die Aussagen des Gutachtens betreffen eine andere Fragestellung als die vorliegend
allein in Rede stehende, ob die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit aus § 5 Abs. 2
Nr. 1 Buchstabe a) WaffG trotz Verwirklichung des Vermutungstatbestandes
ausnahmsweise nicht zu Lasten des Antragstellers greift. Demgegenüber ist
Ausgangspunkt des Gutachtens im Kern die Abklärung von Eignungszweifeln der in § 6
Abs. 1 WaffG aufgeführten Art auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen Prognose
des Sicherheitsrisikos. Eine solche ist aber in Fällen, in denen - wie hier - einer der in §
5 Abs. 2 WaffG geregelten Vermutungstatbestände zweifelsohne verwirklicht ist, gerade
nicht erforderlich. Vorgreiflich ist vielmehr die in der Regelvermutung zum Ausdruck
kommende gesetzgeberische generelle Risikoeinschätzung. Die Regeltatbestände des
§ 5 Abs. 2 WaffG typisieren die Unzuverlässigkeitsmerkmale in der Weise, dass die von
ihnen genannten Tatsachen schon für sich allein den Mangel der erforderlichen
Zuverlässigkeit begründen, sofern nicht besondere Umstände gegeben sind, die im
Einzelfall diese Annahme entkräften. Ist - wie hier - aufgrund einer strafgerichtlichen
Verurteilung wegen einer Vorsatztat zu einer Geldstrafe von mehr als 60 Tagessätzen
der Vermutungstatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) WaffG erfüllt, verdient nach
den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Bewertungen des Gesetzgebers der
Betreffende - vorbehaltlich atypischer Umstände - für die Dauer von 5 Jahren von
Gesetzes wegen nicht mehr das Vertrauen, dass er mit Waffen zuverlässig umgeht. Die
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Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigt sich nur in Fällen, die - etwa wegen
besonderer Tatumstände oder besonderer Umstände die Persönlichkeit des Täters
betreffend, wie sie in jenem strafrechtlich relevanten Verhalten zum Ausdruck
gekommen ist - von dem vom Gesetzgeber vorgestellten typischen Fall eines (erst- bzw.
einmaligen) vorsätzlichen Verstoßes gegen Strafvorschriften von einigem Gewicht
abweichen. Die Annahme der Unzuverlässigkeit als Regelfall setzt danach
insbesondere nicht voraus, dass neben der Verurteilung selbst zusätzlich besondere
charakterliche Mängel, sonstige Eignungsmängel oder sogar sonst ein
Gefährdungspotential für den Einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgetreten sind.
Entsprechend unergiebig sind fachpsychologische Stellungnahmen, wie die vorgelegte,
die daran anknüpfen, dass Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Waffen nicht
vorgekommen und keine deutlichen Nachlässigkeiten hinsichtlich eines
verantwortungsbewussten Umgangs mit Waffen festzustellen sind sowie Hinweise auf
psychische Erkrankungen und/oder Störungen, auf Rauschmittelmissbrauch oder auf
besondere persönliche Motive, Waffen zweckentfremdet einzusetzen, fehlen.
Besondere Tatumstände, die im vorstehenden Sinne darauf hindeuten, dass das
Verhalten des Antragstellers von dem vom Gesetzgeber vorgestellten typischen Fall
eines vorsätzlichen Verstoßes gegen eine Strafvorschrift von einigem Gewicht abweicht,
fehlen. Die Tatumstände, wie sie im Strafbefehl festgestellt sind, rechtfertigen
insbesondere nicht den Schluss auf ein Bagatelldelikt, dem trotz der Höhe der
Verurteilung keine Aussagekraft für die Frage der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit
beizumessen wäre. Soweit der Antragsteller gegenüber der Gutachterin die
Unrichtigkeit seiner Verurteilung geltend gemacht hat, ist er darauf zu verweisen, dass
Gerichte und Behörden grundsätzlich von der Richtigkeit einer strafgerichtlichen
Verurteilung und der ihr zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen ausgehen
dürfen. Etwas anderes kann im Einzelfall allenfalls dann gelten, wenn die Unrichtigkeit
der Verurteilung oder einzelner Feststellungen ohne weiteres erkennbar sind. Vgl.
BVerwG, Urteil vom 4. September 1995 - 1 C 20.94 -, Jagdrechtliche Entscheidungen
XVII Nr. 121.
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Daran fehlt es hier. Für die vom Antragsteller behauptete - ein vorsätzliches Verhalten
ausschließende - Unwissenheit, dass die von ihm angebotenen Uhrenboxen keine
echten der Firma Rolex waren, fehlen angesichts der im Strafbefehl aufgeführten
Tatumstände greifbare Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Dem Antragsteller als besonderem
Uhrenliebhaber muss bekannt gewesen sein, dass die Uhrenboxen von der Firma
Rolex nur in Verbindung mit einer Uhr oder in seltenen Ausnahmefällen an
Fachhändlern ausgegeben werden. Außerdem wies das Angebot der Boxen in einer
größeren Stückzahl auf Nachbauten ebenso hin wie der geringe Preis, zu dem dem
Antragsteller die Boxen angeboten worden waren. In Bezug auf die Persönlichkeit des
Antragstellers, wie sie sich in dem Pflichtenverstoß gezeigt hat, ergeben sich ebenfalls
keine Besonderheiten. Der Antragsteller hat aus eigenem finanziellen Interesse gegen
Strafvorschriften verstoßen. Dabei hat er zugleich die notwendige Einsicht in berechtigte
Interessen Dritter vermissen lassen, sich insbesondere über deren finanziellen
Interessen hinweggesetzt. Insoweit kann nicht übersehen werden, dass ein Verstoß
gegen das Markengesetz das sog. "geistige Eigentum" Dritter einschließlich dessen
finanzieller Verwertung betrifft und schon nach altem Recht Straftaten, die das Eigentum
oder das Vermögen Dritter, einschließlich des Staates, betrafen, regelmäßig der
Annahme der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit entgegenstanden (§ 5 Abs. 2 Nr. 1
Buchstabe b) WaffG a.F.) Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 1 C 32.94 -,
Buchholz 402.5 WaffG Nr. 74.
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Ein Wohlverhalten vor und im Anschluss an die Tat sowie jagdliche Verdienste stellen
ebenfalls keine Besonderheiten für einen Ersttäter im Bereich der Markendelikte dar,
welche die gesetzgeberische Gefahreneinschätzung bei der Verwirklichung schon einer
vorsätzlichen Straftat, die mit einer nicht unerheblichen Geldstrafe belegt worden ist,
entkräften könnte. Die Aussagen des vorgelegten fachpsychologischen Gutachtens
führen auf keine andere Bewertung. Insbesondere lassen sie nicht etwa darauf
schließen, dass sich der Antragsteller aus einer Ausnahmesituation heraus
persönlichkeitsfremd und ohne Aussagekraft für die Frage der waffenrechtlichen
Zuverlässigkeit zu den abgeurteilten strafbaren Handlungen hat hinreißen lassen. Im
Gegenteil deuten die Ergebnisse des Persönlichkeitsfaktorentests im Bereich
Regelbewusstsein zusätzlich darauf, dass von einer - atypischen - gänzlich
persönlichkeitsfremden Tat keine Rede sein kann.
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Der im vorliegenden Rechtsstreit urteilende Richter macht sich diese Ausführungen
nach eigenständiger, nicht nur summarischer Prüfung zu Eigen. Nach den
wiedergegebenen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts ist das vorgelegte
fachpsychologische Gutachten nicht geeignet, im Rahmen der tatbezogenen Prüfung
der Umstände der Tat und des Täterverhaltens die gesetzliche Regelvermutung zu
widerlegen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 19. Juni 2007 - 11 A
3792/06 -, auf das sich der Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung
beruft, hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht inzwischen durch
Berufungsurteil vom 16. Dezember 2008 - 11 LB 31/08 - abgeändert. Schließlich
erfordert die tatbezogene Prüfung im vorliegenden Streitfall auch nicht die gerichtliche
Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverhalt weist keine
Besonderheiten auf, deren Bewertung nach den gesetzlichen
Zuverlässigkeitsmaßstäben eine dem Gericht nicht zur Verfügung stehende besondere
Sachkunde voraussetzt. Die gewürdigten Lebens- und Erkenntnisbereiche sind der
richterlichen Einschätzung allgemein zugänglich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§
708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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