Urteil des VG Münster vom 24.06.2010

VG Münster (aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, verfügung, einstellung, staatsprüfung, verwaltungsgericht, auflage, vollziehung, widerruf, umstand)

Verwaltungsgericht Münster, 4 L 243/10
Datum:
24.06.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 243/10
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 4 K 978/10 gegen die Verfügung
der Bezirksregierung vom 16. April 2010 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 3.758,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 4 K 978/10 gegen die Verfügung der
Bezirksregierung vom 16. April 2010 wiederherzustellen,
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den das Gericht in Ansehung von § 5 Abs. 2 Satz 2 AG VwGO und im unterstellten
Einverständnis der Beteiligten als gegen die Körperschaft, das Land Nordrhein-
Westfalen, gerichtet angesehen hat, hat Erfolg.
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Dabei kann dahinstehen, ob die in der angegriffenen Verfügung fehlende, nach § 80
Abs. 3 Satz 1 VwGO aber erforderliche schriftliche Begründung des besonderen
Interesses an der sofortigen Vollziehung im gerichtlichen Verfahren, im Schriftsatz vom
14. Mai 2010, nachgeholt werden konnte.
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Zum Streitstand: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage, § 80 Rd.-Nr. 99; Kopp/Schenke,
VwGO, 13. Auflage, § 80 Rd.-Nr. 87, jeweils m. w. N.
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Denn auch wenn man diesen Fehler als geheilt ansieht, fällt die dann nach § 80 Abs. 5
VwGO erforderliche Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners aus, weil sich
die angegriffene Verfügung nach einer in Verfahren der vorliegenden Art nur möglichen
summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage dennoch als offensichtlich
rechtswidrig darstellt und an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtswidriger
Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse besteht.
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Dabei kann auch dahinstehen, ob die Verfügung verfahrensfehlerfrei zustande
gekommen ist, der Personalrat bei seiner Entscheidung im Wesentlichen richtig und
vollständig unterrichtet war und ob die wegen der Nichtberücksichtigung der rechtzeitig
eingegangenen Stellungnahme der Antragstellerin unvollständige Anhörung im
gerichtlichen Verfahren verfahrensgerecht geheilt wurde.
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Jedenfalls stellt sich der angegriffene Verfahrensakt in materieller Hinsicht als
offensichtlich rechtswidrig dar. Nach § 23 Abs. 4 BeamtStG kann ein Beamter auf
Widerruf bei Vorliegen eines sachlichen Grundes jederzeit entlassen werden. Das dem
Dienstherrn hierdurch eingeräumte Ermessen wird zwar durch Satz 2 eingeschränkt,
wonach Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit gegeben werden
soll, diesen abzuleisten und die Prüfung abzulegen. Entgegen der Auffassung der
Antragstellerin ist das Ermessen der Behörde im vorliegenden Verfahren darüber hinaus
aber nicht auch durch § 6 Abs. 3 OVP weiter eingeschränkt. Zwar kann danach ein
Lehramtsanwärter - auch - entlassen werden, wenn sein Verhalten zu erheblichen
Beanstandungen Anlass gibt oder er aus von ihm zu vertretenden
ausbildungsfachlichen Gründen bis zum Ende des dritten Ausbildungsjahres nicht
selbständig im Unterricht eingesetzt werden kann. Eine abschließende Aufzählung der
Entlassungsgründe enthält die Regelung aber nicht. Unabhängig davon, dass nicht
ersichtlich ist, wie eine Landesverordnung das hier maßgebliche Bundesgesetz - § 23
Abs. 4 BeamtStG -, das keine entsprechende Verordnungsermächtigung enthält,
einschränken könnte, ist der Regelung des § 6 Abs. 3 OVP mit hinreichender Sicherheit
aus dem Sinnzusammenhang zu entnehmen, dass hier nur zwei für den Dienstbetrieb
besonders wichtige Entlassungsgründe konkretisiert und klargestellt werden sollten.
Dementsprechend hat auch die Rechtsprechung andere Gründe, wie die
gesundheitliche Eignung oder den Umstand, dass der Beamte aus gesundheitlichen
Gründen auf nicht absehbare Zeit an der Beendigung des Vorbereitungsdienstes und
der Ablegung der Zweiten Staatsprüfung gehindert ist, als Entlassungsgründe
angesehen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 1981 - 2 C 48.78 -, BVerwGE 62, 267; OVG NRW,
Beschlüsse vom 04. Mai 2006 - 6 A 4679/04 - und vom 19. Februar 2009 - 6 A 356/06 -.
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Danach kommt zwar als Anknüpfungspunkt für eine Entlassungsverfügung der Umstand
in Betracht, dass nach § 5 Abs. 2 Satz 3 OVP eine Einstellung nicht erfolgen soll, wenn
eine entsprechende Zweite Staatsprüfung nicht bestanden worden ist. Bei Vorliegen
dieser Voraussetzung setzt die Entlassungsentscheidung bei einer dennoch erfolgten
Einstellung darüber hinaus aber eine sorgfältige Ermessensentscheidung voraus, bei
der insbesondere auch der Gesichtspunkt des Verschuldens an der fehlerhaften
Einstellung und die Dauer des bereits durchlaufenen Vorbereitungsdienstes mit dem
erstmals in der nachgeholten Begründung zur Anordnung des Sofortvollzugs zum
Ausdruck gebrachten öffentlichen Interesses, den Ausbildungsplatz und die finanziellen
Mittel möglichst rasch für einen "ausbildungsfähigen" Lehramtsanwärter
zurückzugewinnen, abzuwägen sind. Genauerer Betrachtung bedarf insbesondere die
in der Einlassung des Antragsgegners enthaltene Unterstellung, dass die Antragstellerin
nicht ausbildungsfähig sei. Insgesamt erscheint es für den vorliegenden Sonderfall nicht
fernliegend, die Ermessensentscheidung an den gesetzlichen Wertungen des § 48
VwVfG zu orientieren. Auch wenn hier nur eine Reglung für die Zukunft in Betracht
kommt, geht es dem Antragsgegner um eine Korrektur der fehlerhaften Einstellung der
Antragstellerin. Eine entsprechende Ermessensentscheidung ist nicht erkennbar.
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Unabhängig davon, dass die genannten und sich aufdrängenden Gesichtspunkte nicht
erörtert wurden, schließt die Entlassungsverfügung vom 16. April 2010 mit den Worten:
"Da Sie bereits ausreichend Gelegenheit hatten, den Vorbereitungsdienst abzuleisten
und die Zweite Staatsprüfung abzulegen, indem Sie den vollständigen
Vorbereitungsdienst im Land Niedersachsen absolviert und die Zweite Staatsprüfung
auch in der Wiederholungsprüfung nicht bestanden haben, liegen die Voraussetzungen
des § 23 Abs. 4 BeamtStG vor. Daher ist eine Entlassung gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG
i. V. m. § 5 Abs. 2 OVP unausweichlich." Diese Darstellung der Entscheidung als
gebundene Entscheidung wird dem Rechtscharakter der Ermächtigungsgrundlage nicht
gerecht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt
sich aus §§ 52 Abs. 5 S. 1 Nr. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Den danach maßgeblichen 6,5-
fachen Monatsbetrag der Anwärterbezüge hat das Gericht wegen des vorläufigen
Charakters des vorliegenden Eilverfahrens halbiert.
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