Urteil des VG Münster vom 10.12.2001

VG Münster: angemessenheit, verfügung, steuererklärung, post, vollstreckung, mitwirkungshandlung, gerichtsakte, vollstreckbarkeit, klagerücknahme, abgabenordnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Münster, 9 K 2/00
10.12.2001
Verwaltungsgericht Münster
9. Kammer
Urteil
9 K 2/00
Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren
eingestellt (§ 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Der Wohngeldbescheid des Beklagten vom 14. Juni 1999 und der
Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises Steinfurt vom 30.
November 1999 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen
Kosten, die durch das Verfahren der Klägerin entstanden sind; insoweit
trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
dieser Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger beantragte am 30. März 1999 bei dem Beklagten formlos erneut die Bewilligung
von Wohngeld als Lastenzuschuss. Mit Schreiben vom 17. Mai 1999 wies der Beklagte den
Kläger darauf hin, dass folgende Unterlagen zur Antragsbearbeitung fehlen würden:
1. Formeller Wohngeldantrag (Lastenzuschuss mit Anlage)
2.
3. Fremdmittelbescheinigung(en)
4.
5. Grundsteuerbescheid 1999
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7. Verdienstbescheinigung(en)
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9. Einkommensteuerbescheid/-erklärung und G + V-Berechnung 1998
10.
11. Nachweis über die Höhe des freiwilligen Krankenversicherungsbeitrages
12.
13. Nachweis über die Höhe des freiwilligen Lebensversicherungsbeitrages
14.
Der Kläger wurde in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Unterlagen bis zum
31. Mai 1999 vollständig eingereicht werden müssten, da anderenfalls der Antrag gemäß §
66 Sozialgesetzbuch I (SGB I) abgelehnt werden könne, weil durch die mangelnde
Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert beziehungsweise nicht
möglich sei. Das Schreiben wurde ausweislich des Aktenvermerks am 17. Mai 1999 zur
Post gegeben. Hierauf reagierte der Kläger nicht. Mit Bescheid vom 14. Juni 1999, zur Post
gegeben am 28. Juni 1999, wurde der Antrag des Klägers auf Wohngeld abgelehnt, da er
seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei.
Am 15. Juli 1999 legten der Kläger und seine Ehefrau, die Klägerin, Widerspruch gegen
den Wohngeldbescheid mit der Begründung ein, der Einkommensteuerbescheid für das
Jahr 1998 liege ihnen bisher noch nicht vor. Sie baten, die Frist für die Vorlage der Belege
noch um mindestens vier Monate zu verlängern.
Mit an den Kläger adressierten Widerspruchsbescheid vom 30. November 1999 wies der
Landrat des Kreises Steinfurt den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Beklagte
habe sich korrekt verhalten, indem er den Kläger mehrfach aufgefordert habe, die
fehlenden Unterlagen einzureichen. Korrekt sei auch die Frist, die verstrichen sei, ohne
dass der Kläger die geforderten Unterlagen vorgelegt habe. Auch innerhalb der in dem
Widerspruchsschreiben vom 14. Juli 1999 erbetenen Frist von vier Monaten zur Vorlage
der ergänzenden Unterlagen sei keine weitere Reaktion erfolgt.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 3.
Dezember 1999 zugestellt.
In ihrer am 3. Januar 2000 erhobenen Klage haben die Kläger erklärt, mit der
Klageerhebung ihre Mitwirkung nachholen zu wollen. Sie haben gebeten, den "Vorgang in
den Zustand wie zu Beginn, dem 30. März 1999, zurückzusetzen", und vorgetragen, dass
ihnen das im Widerspruchsbescheid genannte Schreiben vom 17. Mai 1999 nicht zugestellt
worden sei. Die dort gesetzte Frist sei nicht angemessen; als angemessen werde nach
allgemeiner Rechtsauffassung eine Frist von wenigstens sechs Wochen erachtet. Die Frist
von 13 Tagen sei auch deshalb unangemessen gewesen, weil die vom Beklagten
geforderten Fremdmittelbescheinigungen dem Kläger nicht ohne Weiteres zur Verfügung
gestanden hätten. Zum vom Beklagten vorgegebenen Zeitpunkt sei der Kläger nicht einmal
im Besitz des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1998 gewesen.
Mit Schriftsatz vom 28. April 2000 hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen.
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Der Kläger beantragt,
den Wohngeldbescheid des Beklagten vom 14. Juni 1999 und den Widerspruchsbescheid
des Landrats des Kreises Steinfurt vom 30. November 1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass dem Kläger das Schreiben vom 17. Mai 1999 zugegangen sein
müsse, da anderenfalls die von den Klägern erbetene Fristverlängerung nicht verständlich
sei. Die Frist zum Stichtag 31. Mai 1999 sei angemessen gewesen, da Steuererklärungen
gemäß § 149 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) bis zu diesem Zeitpunkt abgegeben werden
müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Gerichtsakte sowie die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage des Klägers ist begründet, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig
ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wohngeld durfte
auf der Grundlage des § 66 SGB I nicht versagt werden, da die dem Kläger gemäß § 66
Abs. 3 SGB I gesetzte Frist nicht angemessen war.
Die Versagung von Wohngeld gemäß § 66 SGB I setzt neben einem Verstoß gegen die
dem Antragsteller gemäß § 60 SGB I obliegende Pflicht zur Mitwirkung eine angemessene
Fristsetzung zur Bewirkung der im Einzelnen geforderten Mitwirkungshandlung voraus (§
66 Abs. 3 SGB I). Zweck dieser Frist ist es, den Antragsteller vor Überraschungen zu
schützen und ihm ausreichend Zeit zu geben, die angeforderten Unterlagen zu beschaffen.
Die Frage der Angemessenheit einer Frist kann daher immer nur bezogen auf den
konkreten Fall beurteilt werden.
Die Tatsache, dass der Kläger bereits seit dem Tag der Antragstellung, dem 30. März 1999,
wusste, welche Unterlagen für die Bearbeitung des Antrags noch vorgelegt werden
müssen, ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Frist unbeachtlich. Erst mit der den
Anforderungen des § 66 Abs. 3 SGB I genügenden Aufforderung - dies war das Schreiben
des Beklagten vom 17. Mai 1999 - wird dem Betroffenen deutlich vor Augen geführt, welche
Entscheidung im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn er dem Mitwirkungsverlangen nicht
nachkommt.
Dem Kläger standen für die Beschaffung der Unterlagen dreizehn Kalendertage zur
Verfügung, da ihm das maßgebliche Schreiben des Beklagten vom 17. Mai 1999
frühestens am darauf folgenden Tag zugegangen sein kann. Angesichts der Vielzahl von
Unterlagen, die der Kläger zum Teil zusammen zu stellen, zum Teil erst zu beschaffen
hatte, war diese Frist zu kurz bemessen. Es kommt nämlich entscheidend darauf an, ob der
Kläger nach einer Aufforderung im Sinne des § 66 Abs. 3 SGB I noch genügend Zeit hat,
um zügig seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Zwar wäre die Beschaffung der
angeforderten Unterlagen - jede für sich gesehen und vom noch nicht erlassenen
Einkommensteuerbescheid 1998 abgesehen - nicht aufwändig und durchaus innerhalb
einer Frist von dreizehn Tagen zu erledigen gewesen. Dem Kläger wurde jedoch die
Vorlage einer Vielzahl von Unterlagen aufgegeben, wofür eine derart kurze Fristsetzung
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nicht ausreichend ist.
Die gesetzte Frist ist auch nicht aus dem Grunde als angemessen anzusehen, weil am 31.
Mai 1999 möglicherweise für den Kläger die Frist für die Einreichung der Steuererklärung
für das Jahr 1998 geendet hat. Der Beklagte hat nämlich in seinem Schreiben vom 17. Mai
1999 nicht zu erkennen geben, dass er eine Versagung des Wohngeldes maßgeblich auf
die Tatsache stützen will, dass der Kläger seiner steuerlichen Erklärungspflicht nicht
rechtzeitig nachgekommen ist (vgl. Nr. 11.25 Abs. 1 Satz 3 WoGVwV). Dem Kläger wurde
damit die Möglichkeit genommen, die Steuererklärung noch fristgerecht abzugeben oder
die Verzögerung der Abgabe gegenüber dem Beklagten zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; bezüglich der durch die Klägerin
ausgesprochenen Klagerücknahme auf § 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 711 ZPO.