Urteil des VG Münster vom 05.03.2010

VG Münster (wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, wiederaufnahme des verfahrens, waffen und munition, verurteilung, aufschiebende wirkung, antragsteller, einziehung, besitz, prüfung, straftat)

Verwaltungsgericht Münster, 1 L 106/10
Datum:
05.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 106/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 4000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag des Antragstellers,
2
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 26. Februar 2010 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 10. Februar 2010 wiederherzustellen,
3
hat keinen Erfolg.
4
Das Begehren des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
seiner Klage gegen die in der angefochtenen Verfügung ausgesprochene
Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins einschließlich der Aufforderung zur
Rückgabe des Jagdscheins ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft, aber in der Sache unbegründet.
5
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formellen
Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
6
Die im gerichtlichen Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende
Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers daran, von der
sofortigen Vollziehung verschont, also vorläufig weiterhin im Besitz des Jagdscheines
zu bleiben, und dem öffentlichen (Sicherheits-)Interesse an der sofortigen Durchsetzung
der für notwendig gehaltenen Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheines fällt
zu Lasten des Antragstellers aus.
7
Die angefochtene Verfügung erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen
8
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig.
Die Voraussetzungen für eine Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheines
gem. §§ 18 Satz 1, 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 a)
WaffG sind gegeben. Nach § 18 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG ist die
Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, verpflichtet, diesen für ungültig zu erklären und
einzuziehen, wenn nach Erteilung Tatsachen eintreten, die die Annahme rechtfertigen,
der Inhaber besitze nicht die erforderliche Zuverlässigkeit. Fehlt die Zuverlässigkeit im
Sinne des § 5 WaffG, darf gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG nur ein - hier nicht
streitgegenständlicher - Falknerjagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG erteilt werden, d.h.
ein anderer Jagdschein ist zu versagen.
9
Diese Voraussetzungen für die zwingende Ungültigerklärung und Einziehung des
Jagdscheins des Antragstellers sind nach summarischer Prüfung erfüllt. Es liegen -
nach Erteilung des (bis zum 31. März 2010 gültigen) Jagdscheines am 29. März 2007
eingetretene - Tatsachen vor, die nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG die Versagung des
Jagdscheines wegen waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a)
WaffG begründen. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG besitzen die erforderliche
Zuverlässigkeit in der Regel unter anderem Personen nicht, die wegen einer
vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig
verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf
Jahre noch nicht verstrichen sind.
10
Diese Regelvermutung der Unzuverlässigkeit greift ein. Denn das Amtsgericht Rheine
setzte durch seit dem 18. Dezember 2009 rechtskräftigen Strafbefehl vom 27. November
2009 gegen den Antragsteller wegen Beitragsvorenthaltung (Vergehen nach § 266 a
StGB) eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20 Euro fest (27 Cs 45 Js
11216/09). Die Beitragsvorenthaltung kann nur vorsätzlich begangen werden (vgl. § 15
StGB). Der nicht mit einem Einspruch angefochtene Strafbefehl steht nach § 410 Abs. 3
StPO einem rechtskräftigem Urteil gleich. Seit dem Eintritt der Rechtskraft der
Verurteilung sind fünf Jahre nicht verstrichen. Da die Rechtskraft des Strafurteils erst
entfällt, wenn das Strafgericht nach § 370 Abs. 2 StPO die Wiederaufnahme des
Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung anordnet, berührt das - vom
Antragsteller behauptete, nach Recherchen des Antragsgegners nicht erwiesene -
Stellen eines Wiederaufnahmeantrages das Eingreifen der Regelvermutung des § 17
Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG nicht.
11
Vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. Oktober 2008 - 19 ZB 08.2042 -, juris.
12
Über die der angegriffenen Ordnungsverfügung allein zugrundegelegte Verurteilung
wegen Beitragsvorenthaltung hinaus ist der Antragsteller durch seit dem 9. April 2008
rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Münster vom 24. April 2007 wegen
Steuerhinterziehung in fünf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer
Geldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt worden (45 Js 562/07 14 Cs
83/07). Auch diese Verurteilung erfüllt - für sich - den Tatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a)
WaffG.
13
Umstände, welche eine Ausnahme von der gesetzlich für den Regelfall vermuteten
Unzuverlässigkeit begründen, sind im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Eine
Abweichung von der Vermutung kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der
abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht
14
erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch
eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen
bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich
ist danach eine tatbezogene Prüfung, bei der die Schwere der konkreten Verfehlung und
die Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck
gekommen ist, zu würdigen ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 - 3 B 12/08 -, juris; BVerwG, Urteil vom 16.
Oktober 1995 - 1 C 32/94 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 74.
15
Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine Ausnahme von der gesetzlichen
Regel. Das abgeurteilte Verhalten des Antragstellers liegt vielmehr im Bereich eines
typischen Falls einer vorsätzlichen Straftat von einigem Gewicht. Er enthielt als
Betreiber eines Gastronomie- und Hotelbetriebes in fünf Fällen Beiträge seiner
Arbeitnehmer zur Sozialversicherung vor und hinterzog darüber hinaus über einen
Zeitraum von drei Jahren (Mai 2003 bis Mai 2006) durch fünf selbständige Handlungen
Steuern in Höhe von mehr als 13.000 Euro bzw. versuchte dies. Wer seinen
Verpflichtungen als Unternehmer seinen Arbeitnehmern sowie der öffentlichen Hand
gegenüber derart nicht nachkommt, weckt genügende Zweifel an der für den Besitz von
und den Umgang mit Waffen erforderlichen Vertrauenswürdigkeit. Das sinngemäße
Vorbringen des Antragstellers, er sei zu Unrecht wegen Beitragsvorenthaltung verurteilt
worden, ist unbeachtlich, weil bei einer rechtskräftigen Verurteilung im Rahmen der
Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit regelmäßig von der Richtigkeit der
Verurteilung auszugehen ist. Aus der Antragsbegründung ergibt sich auch nicht ohne
weiteres, dass die strafrechtliche Bewertung offensichtlich auf einem Irrtum beruhte und
deshalb eine Ausnahme von diesem Grundsatz geboten und der Sachverhalt durch das
Verwaltungsgericht neu zu beurteilen wäre. Darüber hinaus rechtfertigt aus den
dargelegten Gründen allein die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung die Annahme
der Unzuverlässigkeit. Umstände, weshalb insoweit eine von der gesetzlichen Regel
abweichende Beurteilung gerechtfertigt wäre, sind nicht ersichtlich.
16
Insbesondere ist es unerheblich, dass beide Straftaten keinen Bezug zur Jagd und dem
Besitz von Waffen hatten. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers - mit der Anfügung
des § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG auch im Jagdrecht - kommt es nicht auf einen Bezug der
Straftat zum Umgang mit Waffen oder auf eine gewaltsame Begehungsweise an. Der
Regelvermutung liegt die gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, dass derjenige, der
jenseits von Bagatellsachen, die mit der Verurteilung zu einer geringeren Geldstrafe als
60 Tagessätze definiert sind, wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen Strafvorschriften
gleich welcher Deliktsart verurteilt worden ist, regelmäßig solche Zweifel an seiner
Vertrauenswürdigkeit weckt, dass die Wertung gerechtfertigt ist, sein Waffenbesitz stelle
ein Risiko dar, das nicht hingenommen werden soll. Schon die Begehung vorsätzlicher
Straftaten rechtfertigt grundsätzlich die Annahme, dass es dem Waffenbesitzer an der
erforderlichen Fähigkeit oder Bereitschaft fehlt, auch mit Waffen gewissenhaft
umzugehen.
17
Vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des
Waffenrechts, BT-Drs. 14/7758, S. 54; OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 2007 - 20
A 1881/07 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 21 CS 09.520 -, juris.
18
Der hier (zweifach) gegebene typische Fall des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG steht damit für
sich, d. h. ohne weitergehende und gefahrerhöhende Umstände der Annahme
19
entgegen, der Verurteilte besitze weiterhin die für den Besitz von und Umgang mit
Waffen erforderliche Zuverlässigkeit. Anhaltspunkte für die geltend gemachte
Verfassungswidrigkeit der dargelegten gesetzgeberischen Einschätzung sind nicht
ersichtlich. Der Gesetzgeber hält sich mit der von ihm getroffenen Regelung im Rahmen
des Gestaltungsspielraums, der ihm nach der Rechtsordnung bei der Frage zusteht, wie
er seinem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG resultierenden Schutzauftrag entspricht, das mit
jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko für Leben und Gesundheit von
Menschen möglichst gering zu halten.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 2007 - 20 A 1881/07 -, juris.
20
Die Aufforderung an den Antragsteller, den Jagdschein bis zum 24. Februar 2010
zurückzugeben, hat seine Rechtsgrundlage in § 18 Satz 1 BJagdG. Die Verpflichtung
der Behörde zur Einziehung des Jagdscheins schließt die Ermächtigung zur Anordnung
der Rückgabe ein.
21
Auch die weitere - von den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren unabhängige -
allgemeine Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das private
Interesse des Antragstellers, einstweilen im Besitz des Jagdscheines zu bleiben, ist in
Anbetracht der Gefahren, die von Waffen in Händen unzuverlässiger Personen
ausgehen können, geringer zu werten als das öffentliche Interesse, das mit jedem
Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten. Dieses Risiko
soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem gesamten Verhalten in
jeder Hinsicht das Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in
jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Das kann bei dem Antragsteller derzeit nicht
angenommen werden.
22
Sollte der Antragsteller auch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die
Zwangsgeldandrohung in der Ordnungsverfügung vom 10. Februar 2010 erstreben,
wäre sein Begehren insoweit als ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, §
8 Satz 1 AG VwGO) zu beurteilen. Der so verstandene Antrag kann in der Sache keinen
Erfolg haben. Die Zwangsgeldandrohung entspricht nach summarischer Prüfung den §§
55 Abs. 1, 56 Abs. 1, 57, 58 Abs. 1 und Abs. 2, 63 und 60 Abs. 1 VwVG NRW.
23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht setzt in Hauptsacheverfahren,
welche die Ungültigerklärung und Einziehung eines Jagdscheins betreffen,
entsprechend dem Vorschlag unter 20.3 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 7/2004 - (vgl. NVwZ 2004, 1327, 1330) den
Streitwert auf 8000 Euro fest und halbiert diesen Wert in Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes.
24
25
26