Urteil des VG Münster vom 12.10.2001

VG Münster: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, privates interesse, genehmigung, aufschiebende wirkung, lärm, umwelt, grundstück, landwirtschaft, ausnahme, musik

Verwaltungsgericht Münster, 7 L 1124/01
Datum:
12.10.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 1124/01
Tenor:
1.) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
vom 4. Oktober 2001 gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom
26. September 2001 erteilte Genehmigung zur Benutzung von
Schallwiedergabegeräten für das am 13. und 14. Oktober 2001
stattfindende Oktoberfest wird insoweit wiederhergestellt, als diese
einen Zeitraum nach 24.00 Uhr betrifft. Im Übrigen wird der Antrag
abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen
tragen der Antragsgegner zu 2/3 und der Antragsteller zu 1/3.
2.) Der Streitwert wird auf 8.000,- DM festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat teilweise Erfolg.
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Er ist entsprechend dem Begehren dahingehend auszulegen, dass sich der
Antragsteller zum einen gegen die Erteilung der Genehmigung einer Ausnahme vom
Schutze der Nachtruhe wendet und zum anderen gegen die Genehmigung zur
Benutzung von Geräten, die Schallerzeugung oder Schallwiedergabe dienen, insoweit
richtet, als letztere dem Beigeladenen für den Zeitraum nach 24.00 Uhr erteilt worden ist.
In seinem Antrag macht der Antragsteller nämlich ausdrücklich geltend, dass die
„Gestattung von Musikdarbietungen" (mit Hilfe von Schallwiedergabegeräten) über
24.00 Uhr hinaus mit Blick auf seine nachbarlichen Interessen unverhältnismäßig ist;
auch in seinem Widerspruch sowie in dem vorigen Vorbringen hat der Antragsteller
verschiedentlich deutlich gemacht, dass es ihm insoweit insbesondere um die
Beeinträchtigung durch die Schallabstrahlung der Musik nach Mitternacht geht.
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Die nach den §§ 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 VwGO erforderliche
Interessenabwägung fällt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu Gunsten des
Antragstellers aus. Sein privates Interesse an der Aussetzung der Vollziehbarkeit der
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angefochtenen Genehmigung zur Benutzung von Schallwiedergabegeräten über 24.00
Uhr hinaus wiegt schwerer als das private Interesse des Beigeladenen, von der
Genehmigung in diesem Umfang Gebrauch zu machen; der Rechtsbehelf des
Antragstellers wird voraussichtlich insoweit Erfolg haben. Nach summarischer Prüfung
spricht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Beigeladenen erteilte
Genehmigung nach § 10 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz vor Luftverunreinigungen,
Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes- Immissionsschutzgesetz -
LImSchG -) - soweit sie streitbefangen ist - rechtswidrig ist und der Antragsteller dadurch
in seinen Rechten verletzt ist. Im Übrigen überwiegt hinsichtlich der
Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 LImschG das private Interesse des
Beigeladenen.
Nach § 9 Abs. 1 LImSchG sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe (von 22.00
bis 6.00 Uhr) zu stören geeignet sind. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 LImSchG kann die
örtliche Ordnungsbehörde auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot des Absatzes 1
zulassen, wenn die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit im öffentlichen
Interesse liegt oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist.
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Gemäß § 10 Abs. 1 LImSchG dürfen Geräte, die der Schallerzeugung oder
Schallwiedergabe dienen, insbesondere Tonwiedergabegeräte und Musikinstrumente,
nur in solcher Lautstärke benutzt werden, dass unbeteiligte Personen nicht erheblich
belästigt werden. Auf öffentlichen Verkehrsflächen sowie in und auf solchen Anlagen
und Verkehrsräumen ist der Gebrauch solcher Geräte verboten, wenn andere hierdurch
belästigt werden, § 10 Abs. 2 LImSchG. Nach § 10 Abs. 4 LImSchG kann die örtliche
Ordnungsbehörde bei einem öffentlichen oder überwiegenden privaten Interesse auf
Antrag von den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 im Einzelfall Ausnahmen zulassen.
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Soweit die Genehmigung für die Verwendung von Schallwiedergabegeräten nach § 10
Abs. 4 LImSchG streitbefangen ist, spricht vieles dafür, dass die Entscheidung des
Antragsgegners fehlerhaft ist; gegen die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 LImSchG getroffene
Entscheidung dürfte hingegen nichts zu bedenken sein.
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Die Genehmigung nach § 10 Abs. 4 LImSchG soll auf Grund einer Güterabwägung
einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Einzelfall vornehmen. Die
Entscheidung des Antragsgegners dürfte bereits deshalb fehlerhaft sein, weil er eine
den Anforderungen des § 10 Abs. 4 LImSchG entsprechende Abwägung nicht getroffen
und die Belange des Antragstellers nicht hinreichend berücksichtigt hat. Er hätte nicht
nur pauschal das Ruhebedürfnis der Allgemeinheit, die geschützte Nachtruhe sowie die
- nicht näher erläuterte - soziale Adäquanz des Ereignisses in den Blick nehmen dürfen.
Vielmehr wären die Art des Lärms, die Gebietsart, die Lage der Örtlichkeit und der
Umfang der Immissionen zu berücksichtigen gewesen. Für die Abwägung wären ferner
heranzuziehen gewesen die technischen, von Sachverständigen erstellten Regelwerke
und Richtlinien, die sich mit der Wirkung von Immissionen befassen, wie bspw. die
Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm (GMBl 1998, S. 503 f), die
Freizeitlärm - Richtlinie des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI - Richtlinie,
NVwZ 1997, S. 469) und der diese Richtlinie umsetzende Runderlass des Ministeriums
für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft über die Messung, Beurteilung und
Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen (MBl NRW 1997, S.
1352).
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Im Übrigen dürfte zudem auch das von dem Antragsgegner getroffene
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Abwägungsergebnis unter Berücksichtigung dieser Kriterien für den Antragsteller bei
summarischer Prüfung unzumutbar sein. Dass das Oktoberfest des Beigeladenen einen
solchen Traditionscharakter hat wie etwa das Oktoberfest in München und schon
deshalb das unzweifelhaft bestehende Schutzbedürfnis des Antragstellers vor
Lärmimmissionen durch den mit diesem Fest verbundenen und durch Tongeräte
verursachten Musiklärm zurücktreten müsste, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Von einer „Tradition", einer Überlieferung von Brauchtum, wie dies etwa bei
Schützenfesten der Fall ist, kann mit Blick auf das 12malige Feiern eines solchen
Festes nicht die Rede sein. Bei der Frage der Lästigkeit des Lärms ist darüber hinaus in
den Blick zu nehmen, dass gerade die durch die Schallwiedergabegeräte produzierten
niederfrequenten Schwingungen vom menschlichen Ohr als besonders
beeinträchtigend empfunden werden. Ferner sind die Umstände mit der Örtlichkeit mit
zu berücksichtigen. Der Antragsteller wohnt zwar nach der bei den
Verwaltungsvorgängen befindlichen Flurkarte ca. 250 m vom Veranstaltungsort entfernt,
sein Grundstück ist aber nicht durch eine die Schallausbreitung hindernde
geschlossene Bebauung geschützt, auch liegt das Grundstück süd-östlich vom
Veranstaltungsort, sodass bei der typischerweise vorherrschenden Windrichtung von
Westen bzw. Nordwesten mit einem Weitertragen des Schalls in Richtung seines
Grundstücks gerechnet werden muss. Darüber hinaus sind die in den genannten
technischen Regelwerken enthaltenen Lärmermittlungs- und Bewertungsgrundsätze
bedeutsam. Nach Ziffer 6.1.c. der TA Lärm betragen die Immissionsrichtwerte für den
Beurteilungspegel außerhalb von Gebäuden in Kerngebieten, Dorfgebieten und
Mischgebieten nachts 45 dB(A), gleiches gilt jeweils nach Ziffer 4. der LAI - Richtlinie
und des Runderlasses des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft.
Dass diese Immissionsrichtwerte durch die Benutzung der Schallwiedergabegeräte
überschritten werden, steht außer Zweifel; dies hat der Antragsgegner durch seine
Messungen anlässlich des Oktoberfestes 2000 festgestellt, indem er z.B. in der Zeit von
00.45 Uhr bis 00.52 Uhr einen durch Musik verursachten Lärmwert von durchschnittlich
53,49 dB(A) gemessen hat. Die genannten Regelwerke treffen für selten auftretende
Ereignisse, d.h. für Lärmereignisse, die an nicht mehr als maximal 10 Tagen oder
Nächten eines Jahres auftreten, eine Sonderregelung (s. Ziffer 6.3. der TA Lärm sowie
jeweils Ziffer 4.4. der RAI-Richtlinie und des Runderlasses), die die ansonsten
geltenden Richtwerte heraufsetzt. Als maximal zulässiger Beurteilungspegel vor dem
Fenster wird danach bei seltenen Störungsereignissen als zumutbar ein Pegel
angesehen, der nachts 55 dB(A) nicht überschreitet. Schon mit Blick auf die Ergebnisse
der Messungen im vergangenen Jahr sind einzelne Pegel feststellbar, die über diesen
Richtwerten liegen. Der Antragsgegner hat auch keinerlei Maßnahmen (etwa
automatische Pegelbegrenzer) im Hinblick auf die Benutzung der
Schallwiedergabegeräte eingefordert, die sicherstellen, dass diese Werte eingehalten
werden.
Nach alledem ist schließlich entscheidend, dass die Beeinträchtigungen für den
Antragsteller durch die Benutzung der Schallwiedergabegeräte nach 24.00 Uhr unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unzumutbar sind. Das Interesse des
Beigeladenen, sein Oktoberfest auch nach 24.00 Uhr unter weiterer Verwendung von
Schallwiedergabegeräten abhalten zu können (nur insoweit ist sein Interesse
beeinträchtigt), muss hinter dem Interesse des Antragstellers auf notwendigen Schlaf
zurücktreten. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass sich nur der Antragsteller gestört zu
fühlen scheint und nicht auch die übrigen Nachbarn; denn der Schutz der Nachtruhe
kann auch von einem einzelnen betroffenen Nachbarn beansprucht werden.
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Vor dem Hintergrund, dass bei einer Fortsetzung der Veranstaltung ohne die
Verwendung der Schallwiedergabegeräte nach 24.00 Uhr eine unzumutbare
Lärmbeeinträchtigung für den Antragsteller nicht zu befürchten ist, ist die von dem Fest
im Übrigen ausgehende Lärmimmission hinzunehmen, sodass der Antragsteller nicht
die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der
Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 LImSchG verlangen kann.
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Obwohl die Entscheidung nach § 10 Abs. 4 LImSchG insgesamt rechtswidrig sein
dürfte, ist dem Antrag nicht im vollen Umfang stattzugeben, da das Antragsbegehren auf
die Zeit ab 24.00 Uhr beschränkt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1, 162 Abs. 3, die
Streitwertentscheidung auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 des
Gerichtskostengesetzes.
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