Urteil des VG Münster vom 23.10.2007

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Verwaltungsgericht Münster, 2 K 59/07
Datum:
23.10.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 59/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Erteilung eines Vorbescheides für eine
Betriebsinhaberwohnung auf dem Flurstück 000 in der Flur 00 der Gemarkung I.
2
Das Grundstück ist bebaut mit einer teilweise zweigeschossig errichteten und im
übrigen zweigeschossig ausbaubaren Lagerhalle, die durch einen eingeschossigen,
flachgedeckten, grenzüberschreitenden Zwischentrakt mit einem Einfamilien-Wohnhaus
mit Satteldach auf dem westlich angrenzenden Flurstück 000 verbunden ist (X.-straße
00).
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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 0 W.
Gewerbegebiet der Gemeinde B., 18. Änderung, der die Flächen an der X.-straße - das
ehemalige Betriebsgelände der Firma X. - als eingeschränktes Gewerbegebiet festsetzt.
Östlich und südöstlich dieses Geländes befinden sich an der M.-straße Flächen, für die
ebenfalls Gewerbegebiete festgesetzt sind. Nördlich, westlich und südwestlich des X.-
Geländes, auch unmittelbar angrenzend an das Flurstück 000, befinden sich Flächen,
für die allgemeine Wohngebiete festgesetzt und die mit freistehenden Wohnhäusern
bebaut sind.
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Das Flurstück 000 stand und steht im Eigentum von I1. G., der Ehefrau von X1. G., der in
B.-I., N.-straße 00, eine Bau- und Möbel-Tischlerei betreibt und im Jahre 2004 mit
anderen Handwerkern und Gewerbetreibenden aus B. und Umgebung und seinem
Sohn U. G. die klagende GmbH mit Sitz in B.-I. gründete, deren von dem
Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB befreiter Gesellschafter er ist. Die
Buchstaben XXX in der Firma der Klägerin stehen für "Architekten, beratende
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Ingenieure und Handwerker". Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist laut § 3
des Gesellschaftsvertrages "die Planung, Erstellung, Renovierung und die Unterhaltung
von Gebäuden und Gebäudeteilen aus einer Hand sowie Baulanderschließungen und
Facility-Management durch Vergabe an Dritte". Nach Angaben ihres heutigen
Hauptgeschäftsführers erzielte die Klägerin bis Dezember 2006 mit sechs realisierten
Objekten einen Umsatz von ca. 1,5 Millionen Euro.
Eigentümer des Flurstücks 000 war zur Zeit der Erteilung der Baugenehmigung für das
Wohnhaus der Justizvollzugsbedienstete G1. T., der für sein Grundstück - wie I1. G. für
ihres - am 10. September 2001 eine Vereinigungsbaulast des Inhalts bestellte, dass auf
den Flurstücken 000 und 000 das öffentliche Baurecht so eingehalten wird, als ob diese
Grundstücke zusammen ein einziges Grundstück bilden. Die Baulast wurde am 12.
September 2001 in das Baulastenverzeichnis von Ascheberg eingetragen, und zwar
Baulastenblatt 000 für das Flurstück 000 und Baulastenblatt 000 für das Flurstück 000.
Später veräußerte G1. T. das Flurstück 000 an I1. G. Das Wohnhaus wird von Familie T.
bewohnt.
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Zu der vorhandenen Bebauung und Nutzung kam es wie folgt: Im Juni 2001 beantragte
I1. G. die Erteilung einer Baugenehmigung für ein "Großhandelshaus mit Büro und
Betriebsleiterwohnung" auf den Flurstücken 000 und 000. In der Betriebsbeschreibung
wurde zur Art des Betriebes "Großhandel" und als Betreiber des Großhandels I1. G.
angegeben. Weiter heißt es zur Nutzungsart: "Verkauf, Zwischenlager" und
"Fertigelemente, Fenster, Türen, Treppen". Zur Betriebszeit wurde angegeben 7.00 bis
18.00 Uhr, eine Schicht. Zur Zahl der Gesamtbeschäftigten heißt es: "insgesamt 6,
männlich 4 (2 x Büro, 2 x Lager), weiblich 2 Büro". Im Grundriss Erdgeschoss wird die
Nutzung des gewerblichen Gebäudes auf Flurstück 000 mit "Lagerhalle 518,85 qm" und
die des Verbindungstraktes zum Flurstück 000 mit "Lager 63,35" bezeichnet. Südöstlich
der Lagerhalle und mit unmittelbarer Verbindung zu ihr war ein zweigeschossiges
Gebäude mit Satteldach mit zwei Büroräumen und Nebenräumen und einem Durchgang
zu einer Doppelgarage in der äußersten südöstlichen Ecke des Flurstücks 000
dargestellt. Im Grundriss Obergeschoss dieses sogenannten Geschäftshauses waren
zwei Räume mit "Büroerweiterung" und weitere Nebenräume und im Grundriss
Dachgeschoss ein Archiv dargestellt. Im Grundriss Keller war ein Raum unter der
Doppelgarage als Aktenkeller bezeichnet. Der Beklagte erteilte die beantragte
Baugenehmigung für das Bauvorhaben "Neubau eines Großhandelshauses mit Büro
und Betriebsleiterwohnung" unter dem 12. September 2001 (675/01); ausgehändigt
wurde sie X1. G. am 28. November 2001.
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Am 6. Juni 2002 stellte die Bauherrin einen Nachtragsantrag zu dem Vorhaben, im
westlichen hinteren Teil der Halle in drei Meter Höhe über dem Erdgeschoss-Fußboden
eine zweite Ebene aus einer Stahl-Konstruktion zu errichten und den mit 76 qm größten
Raum des geplanten Obergeschosses zu Ausstellungszwecken, einen weiteren als
Aufenthaltsraum mit 33,81 qm und einen dritten mit 27 qm als Büro zu nutzen. Der
Beklagte erteilte die beantragte Nachtragsgenehmigung unter dem 17. Juli 2002 (675/01
N 1).
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Laut Mitteilung der Bauherrin wurde mit der Ausführung des Bauvorhabens 675/01 am
22. Juli 2002 begonnen. Bei einer Bauzustandsbesichtigung am 21. Januar 2003 stellte
der Beklagte fest, der Bürobereich - gemeint war das sogenannte Geschäftshaus
südöstlich der Lagehalle - sei noch nicht erstellt.
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Im September 2003 stellte der Beklagte fest, dass in dem Obergeschoss, das
Gegenstand des Nachtrags war, formell illegal auch Wohnnutzung stattfand. Daraufhin
teilten die Eheleute G. mit, es handele sich nicht um eine Wohnung, sondern um eine
"handwerkliche Ausstellung für schönere Wohnideen". Am 8. Oktober 2003 kam X1. G.
zu einem Gespräch ins Bauordnungsamt des Beklagten, um zu erörtern, inwiefern die
Genehmigung einer zweiten Wohnung für einen weiteren Gewerbebetrieb auf dem
Grundstück möglich sei. Auf Nachfrage erklärte er, dass derzeit keine Wohnnutzung in
dem Betriebsgebäude stattfinde und er vor Erteilung einer Genehmigung auch keine
zweite Wohnung herstellen werde.
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Unter dem 22. Oktober 2003 stellten die Eheleute G. einen Nachtragsantrag (990/03) für
das Vorhaben, die Gesamtfläche der ersten Etage des Hallengebäudes auf 400 qm zu
verdoppeln und durch die Firma X1. G. als Mieter zum Teil für die genehmigte
Ausstellung und zum Teil als weitere "kleine Betriebsleiterwohnung" mit rund 50 qm und
zwei Räumen nutzen zu lassen. Diese Betriebsleiterwohnung solle später in das bereits
genehmigte Bürohaus verlegt werden, das errichtet werden solle, sobald die
wirtschaftliche Entwicklung es ermögliche. Nach einer ablehnenden Stellungnahme der
Beigeladenen und einer entsprechenden Anhörung nahm die Bauherrin den
Nachtragsantrag am 1. Juni 2004 zurück.
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Unter dem 21. Juni 2004 stellte X1. G. eine Bauvoranfrage zu dem Vorhaben, ein Bau-
und Informationszentrum mit Architekturbüro und integrierter Betriebsleiterwohnung mit
96,52 qm Wohnfläche zu errichten (711/04). Nach einem ablehnenden Beschluss des
Bau-, Planungs- und Umweltausschusses der Beigeladenen nahm der Antragsteller die
Bauvoranfrage am 1. Februar 2005 zurück.
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Unter dem 16. November 2005 stellte die Klägerin, die durch notariellen Vertrag vom 11.
August 2004 gegründet und Anfang November 2004 im Handelsregister B beim
Amtsgericht Coesfeld eingetragen worden war und ihr Gewerbe bei der Beigeladenen
angemeldet hatte, den hier strittigen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für das
Vorhaben "Bau- und Informationszentrum für schlüsselfertiges Bauen mit Ausstellung
und integrierter Betriebinhaberwohnung" im Obergeschoss der Halle, das über die
ganze Halle ausgebaut werden solle. Laut Betriebsbeschreibung soll die Wohnung,
deren Wohnfläche etwa so groß geplant ist wie die im Vorhaben 711/04, von dem
Gesellschafter U. G. bewohnt werden, dem u. a. die örtliche und überörtliche
Kundenbetreuung während und außerhalb der üblichen Geschäftszeiten obliegen
werde, um eine Rundumbetreuung zu gewährleisten.
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Dazu erklärte die Beigeladene unter Hinweis auf die vorangegangenen Beratungen
"ähnlich lautender Bauanträge" im zuständigen Ausschuss, die Errichtung einer zweiten
Betriebsleiterwohnung auf dem Grundstück werde nicht als genehmigungsfähig
angesehen.
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Die in dieser Stellungnahme indirekt angesprochene erste Betriebsleiterwohnung in
dem durch die Baugenehmigung 675/01 genehmigten Wohnhaus auf Flurstück 000
wurde zusammen mit der Lagerhalle laut Schreiben vom 22. Oktober 2003 von I1. G. an
die G.-T.-Gesellschaft vermietet, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch
privatschriftlichen Vertrag von X1. G. und G1. T. am 10. September 2003 gegründet und
unter dem Geschäftsnamen "XX-Handelshaus GbR" mit Sitz in I., X.-straße 00, am 8.
Oktober 2003 von X1. G. für das Gewerbe "Groß- und Einzelhandel mit
Baubedarfsartikeln" bei der Beigeladenen angemeldet worden war. In dem Vertrag wird
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als Zielsetzung der Gesellschaft genannt "Ankauf und Verkauf von Roh-, Halb- und
Fertigprodukten". Unter dem Stichwort Gewinnverteilung heißt es: "Sollten aus dem
Handelshaus der GbR Gewinne erzielt werden, so sind diese über einen
Umrechnungsschlüssel gemäß der erworbenen Beteiligung und Fläche zu ermitteln und
auszuzahlen." Weiter heißt es, Herr X1. G. erhalte für "die komplette Leitung und
Logistik" einen prozentualen Mehrausgleich. In dem Aktenvermerk des Beklagten über
das Gespräch mit X1. G. im Bauordnungsamt am 8. Oktober 2003 heißt es, dieser habe
erklärt, die GbR handele in erster Linie mit Fenstern und Türen. Herr T. werde neben
seiner Betriebsinhaberfunktion auch Aufsichts- bzw. Bereitschaftsaufgaben
übernehmen. Es sei erforderlich, dass für Anlieferungen von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr
jemand auf dem Gelände zur Verfügung stehe.
In dem bereits erwähnten Schreiben der Eheleute G. vom 22. Oktober 2003 heißt es, in
der Halle werde nicht produziert, sondern es würden die von den Zulieferern gelieferten
und in der eigenen Tischlerei hergestellten Produkte zwischengelagert, soweit wie nötig
vormontiert und kommissioniert, so dass die für eine Baustelle insgesamt vorgesehenen
Bauteile (Fenster, Türen, Schränke etc.) zusammen verladen und zum Kunden gebracht
werden könnten. Es sei zwingend erforderlich, dass außerhalb der betrieblichen
Arbeitszeiten der hier tätigen Monteure (7.30 Uhr bis 15.30 Uhr) z. B. für die
Anlieferungen ständig eine verantwortliche Person anwesend sei. Hierzu sei die
Betriebsleiterwohnung, in die der Gesellschafter G1. T. eingezogen sei, genehmigt und
errichtet worden.
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Durch Bescheid vom 13. März 2006 lehnte der Beklagte die Bauvoranfrage unter
Bezugnahme auf die negative Stellungnahme der Beigeladenen ab. Den Widerspruch
der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster durch Widerspruchsbescheid vom 19.
Dezember 2006 als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus: Zwar bestünden gegen
die Zuordnung der Wohnung zum Betrieb und deren Unterordnung in Grundfläche und
Baumasse keine Bedenken. Allerdings sei sie mit Rücksicht auf die Art und Größe des
Betriebes aus betrieblichen Gründen nicht objektiv sinnvoll, weil auf dem
Betriebsgrundstück bereits eine Wohnung vorhanden sei, die von einem
Betriebsinhaber genutzt werde. Das vorgelegte Betriebskonzept sei nicht geeignet, die
Errichtung einer zusätzlichen Wohnung an dieser Stelle zu rechtfertigen.
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Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen
vor: Der beantragte Vorbescheid hätte entweder gemäß § 31 Abs. 1 BauGB oder gemäß
§ 31 Abs. 2 BauGB oder gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 1
BauNVO erteilt werden müssen. Im Widerspruchsbescheid werde lediglich das
Vorhandensein einer angeblichen weiteren Betriebswohnung auf dem
Nachbargrundstück für ausschlaggebend gehalten. Das damit in Bezug genommene
Gebäude werde jedoch bereits vollständig für andere Gewerbebetriebe genutzt. Für die
Klägerin stünden die dortigen Räume nicht zur Verfügung. Der ablehnenden
Entscheidung seien deshalb falsche Tatsachen zugrundegelegt worden. An der
Notwendigkeit einer eigenen Betriebsleiterwohnung ändere die Nutzung auf dem
Nachbargrundstück nichts. Ein Rechtssatz, der mehrere Betriebsleiterwohnungen für
verschiedene Gewerbebetriebe in räumlicher Nähe untersage, existiere nicht. Sowohl
der Beklagte wie auch die Widerspruchsbehörde und die Beigeladene hätten
vernachlässigt, dass die Klägerin auf die Nutzung der Wohnung angewiesen sei und ihr
keine anderen Wohnräume zur Verfügung stünden.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. März 2006, Az.: 00.0-
0000/00, sowie des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 19.
Dezember 2006, Az.: 00.0.0-0000-00.00, zu verpflichten, der Klägerin den unter dem 16.
November 2005 beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er weist darauf hin, dass die vorhandene "Betriebsleiterwohnung" auf dem Flurstück
000 nicht entsprechend der damals erteilten Genehmigung genutzt wird. Dieses
Wohngebäude diene offensichtlich nicht dem Betrieb, für den es genehmigt worden ist.
Es sei ohne die erforderliche bauaufsichtliche Genehmigung eine Nutzungsänderung
vollzogen worden. Diese Nutzungsänderung könne keine Grundlage dafür sein, an
anderer Stelle des baurechtlich relevanten "Betriebsgrundstückes" innerhalb der
vorhandenen Halle eine weitere Betriebsinhaberwohnung einzurichten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten 2, 4, 5 und 6), der
Bezirksregierung Münster (Beiakte 1) und den einschlägigen Bebauungsplan der
Beigeladenen (Beiakte 3) Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des
begehrten Vorbescheides für die beabsichtigten Änderungen in der Lagerhalle. Die
angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtmäßig, weil der Antrag auf
Vorbescheid vom 16. November 2005 (1083/05) unzulässig war.
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Bauen im Bestand als Gegenstand eines eigenen baurechtlichen Verfahrens setzt einen
formell rechtmäßigen Bestand voraus. Ist der Bestand (noch) nicht genehmigt, sondern
formell illegal, kann seine formelle Legalisierung auch nicht mit einem auf die
Änderungen im Bestand begrenzten Verfahren beginnen. Eine nachträgliche
Änderungsgenehmigung kann nicht die Funktion einer Teilbaugenehmigung
einnehmen. Eine Teilbaugenehmigung ist gemäß § 76 BauO nicht für nachträgliche
Änderungen im Bestand vorgesehen. Anträge, die auf einen solchen Formen- und
Verfahrensmissbrauch hinauslaufen, sind unzulässig, auch wenn sie als
Bauvoranfragen gestellt werden.
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Dies bedeutet für Fälle der vorliegenden Art: Eine planungsrechtliche Bauvoranfrage,
die sich auf einen vorhandenen und genutzten Gebäudebestand bezieht und dessen
innere bauliche Erweiterung und teilweise Nutzungsänderung beinhaltet, ist nur dann
bescheidungsfähig, wenn der Bestand und dessen fortzusetzende Nutzung ihrerseits
formell rechtmäßig, d.h. rechtswirksam genehmigt sind. Die Änderung eines Teils einer
Gesamtanlage kann nicht als eigenständiges Vorhaben einer isolierten
bauplanungsrechtlichen Beurteilung zugänglich sein, wenn das Ganze im Übrigen
formell illegal ist. Ein Teil kann nicht für rechtmäßig erklärt werden, wenn das Ganze
rechtswidrig ist.
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Dieses ist hier der Fall. Der gesamte Bestand und die Nutzung der Gebäude auf den
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beiden Flurstücken 000 und 000 ist als ungenehmigt und formell rechtswidrig
anzusehen. Denn die Baugenehmigung 675/01 vom 12. September 2001 in der
Fassung der Nachtragsgenehmigung vom 17. Juli 2002 ist erloschen (§ 77 Abs. 1
BauO). Das, was genehmigt worden ist, ist nicht verwirklicht worden, und die wirkliche
bauliche Nutzung des Baugrundstücks ist nicht genehmigt worden, sondern im
Vergleich zu dem genehmigten Vorhaben etwas anderes, ein aliud.
Genehmigt worden war laut Betreff des Bauscheines das Bauvorhaben "Neubau eines
Großhandelshauses mit Büro und Betriebsleiterwohnung" und nach den mit
Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen die Nutzung der drei genehmigten
Gebäude durch einen Betrieb des Großhandels. Die erste offensichtliche Abweichung
besteht darin, dass das Bürogebäude oder Geschäftshaus mit vier Büroräumen, Archiv,
Aktenkeller und weiteren Nebenräumen, in dem laut Betriebsbeschreibung vier
Personen beschäftigt werden sollten, nicht errichtet worden ist. Hierin kann nicht, wie
die Klägerin meint, eine wegen Abtrennbarkeit bedeutungslose Unterschreitung des
Rahmens der Baugenehmigung in lediglich quantitativer Hinsicht erblickt werden. Die
schon quantitativ erhebliche Reduzierung des Vorhabens kann vielmehr auch qualitativ
für die Beurteilung der Frage von Bedeutung sein, ob die Betriebsleiterwohnung in
Grundfläche und Baumasse untergeordnet und dem Gewerbebetrieb zugeordnet und
objektiv sinnvoll im Sinne der Rechtsprechung zu § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist; sie kann
insbesondere auch von ausschlaggebendem Gewicht für die sachgerechte Ausübung
des Ermessens sein, das durch diese Vorschrift für die ausnahmsweise Zulassung einer
Wohnung in einem Gewerbegebiet eingeräumt wird.
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Die zweite Abweichung besteht darin, dass das Wohnhaus nicht von einem
Betriebsleiter genutzt wird, sondern die von G1. T. und seiner Ehefrau B1. T.
wahrgenommenen Aufgaben sich im Wesentlichen darin erschöpfen, bei Anlieferungen
von Zulieferern außerhalb der Arbeitszeit des Tischlereibetriebes G. die Lagerhalle oder
den Zwischentrakt zu öffnen und wieder zu schließen. Daran ändert sich auch nicht
dadurch etwas, dass der Justizvollzugsbedienstete G1. T. laut GbR-Vertrag
Gesellschafter der das Lager betreibenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist und
deshalb formal die Stellung eines Betriebsinhabers erhalten hat. Denn abgesehen
davon, dass zwischen einem Betriebsinhaber und einem Betriebsleiter mit Blick auf die
Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO und
insbesondere auch für die Ermessensentscheidung ein erheblicher qualitativer
Unterschied bestehen kann, ist das Gericht davon überzeugt, dass G1. T. funktional
allenfalls als stiller Teilhaber angesehen werden kann und in Wahrheit X1. G. der
eigentliche Betriebsinhaber und Betriebsleiter ist. Dies folgt insbesondere daraus, dass
diesem laut Vertrag "die komplette Leitung und Logistik" zugeordnet ist und mit einer
Gewinnerzielung durch die GbR offenbar nicht gerechnet wird. Offen bleiben kann
insoweit, ob und welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass G1. T. das Flurstück
000, das er selbst nicht über einen eigenen Gewerbebetrieb für Wohnzwecke nutzbar
machen konnte, an I1. G. übertragen hat, die ihm die Wohnnutzung sodann mittelbar
durch Vermietung des Wohnhauses an die GbR ermöglicht hat.
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Die dritte und ausschlaggebende Abweichung besteht hinsichtlich der Art der Nutzung
der Lagerhalle. Die Baugenehmigung ist erteilt worden für die Betriebsart "Großhandel".
Unerheblich ist insoweit, dass der Betrieb nicht von der in der Betriebsbeschreibung als
"Betreiber" genannten I1. G. betrieben wird und die Betriebsgebäude einschließlich des
Wohnhauses von ihr an die GbR vermietet worden sind. Es kann aber zur Überzeugung
des Gerichts keine Rede davon sein, dass das von der GbR in der Lagerhalle
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betriebene Gewerbe als Großhandel zu qualifizieren sein könnte. Dafür bieten die
vorliegenden Akten keinerlei Anhaltspunkte. Auch der Vortrag der Klägerin ist insoweit
ebenso unsubstantiiert wie die Äußerungen der Eheleute G. gegenüber dem Beklagten
und der Beigeladenen. Misst man den vorliegenden rudimentären GbR-Vertrag vom 10.
September 2003 an den üblichen kaufmännischen Standards, so erscheint es vielmehr
als ausgeschlossen, dass in den Betriebsräumen, d.h. der Lagerhalle, ein Gewerbe
betrieben wird, das im eigentlichen Sinne einen Großhandel darstellt. Nach dem
gesamten Akteninhalt und den im Ortstermin gewonnenen Eindrücken drängt sich
vielmehr die Überzeugung auf, dass in der Lagerhalle nicht viel anderes passiert, als
das, was die Eheleute G. wiederholt gegenüber dem Beklagten erklärt haben, nämlich
die (Zwischen-) Lagerung der von den Zulieferern gelieferten Teile und der von der Bau-
und Möbeltischlerei X1. G. hergestellten Produkte (insbesondere Fenster, Türen,
Treppen und Schränke), bevor von dort die für eine Baustelle insgesamt vorgesehenen
Bauteile zusammen verladen und zum Kunden gebracht werden.
Dass die Frage, ob die Lagerhalle tatsächlich für die genehmigte Betriebsart genutzt
wird, wiederum von ausschlaggebender Bedeutung für die Prüfung der
Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulassung einer Betriebsleiterwohnung und
für die daran anknüpfende Ermessensentscheidung sein kann, liegt auf der Hand. Eine
Wohnung für den Leiter einer angegebenen, aber nicht gewollten Betriebsart ist nicht
genehmigungsfähig.
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Dass die genaue Bezeichnung der Art des Vorhabens im Bauantrag und im Bauschein
nicht von untergeordneter Bedeutung, sondern maßgeblich für den Inhalt der
Baugenehmigung ist, entspricht ständiger Rechtsprechung.
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Vgl. hierzu zuletzt Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 16. März 2007 - 7 B 134/07 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 10. Juli 2003 - 4 TG
1296/03 -, BRS 66 Nr. 162.
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Nach alledem kann auch nicht, wie die Klägerin meint, angenommen werden, bei der
Halle handele es sich um einen tatsächlich wie rechtlich abtrennbaren Teil des
damaligen Vorhabens und mit ihrer Errichtung und Nutzung sei von der
Baugenehmigung 675/01 Gebrauch gemacht worden, so dass jedenfalls das
Hallengebäude formell legal sei. In Wahrheit sind - wie dargelegt - der Bestand und die
Nutzung aller einzelnen baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück formell illegal; die
Baugenehmigung ist insgesamt erloschen. Rechtlich handelt es sich um sogenannte
Schwarzbauten, die nicht Gegenstand einer Erweiterung und teilweisen
Nutzungsänderung sein dürfen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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