Urteil des VG Münster vom 23.09.2002

VG Münster: aufschiebende wirkung, marihuana, konsum, verdacht, beifahrer, besitz, rauschgift, vollziehung, form, zustellung

Verwaltungsgericht Münster, 10 L 1294/02
Datum:
23.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 1294/02
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des
Antragsgegners vom 14. August 2002 wiederherzustellen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem
Suspensivinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners
geht zu Lasten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung der
vorzunehmenden Interessenabwägung spricht Überwiegendes dafür, dass sich die
angegriffene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14. August 2002 als
rechtmäßig erweisen wird und ferner, dass eine weitere vorläufige Teilnahme des
Antragstellers am Straßenverkehr mit unvertretbaren Risiken für hochrangige
Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer verbunden wäre.
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Bei der Begründung der Anordnung sofortiger Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO hat der Antragsgegner auf den letzten Gesichtspunkt zutreffend hingewiesen. Die
in der Begründung genannten Erwägungen sind ausreichend; sie lassen erkennen,
dass sich der Antragsgegner des rechtssystematischen Ausnahmecharakters der
Anordnung sofortiger Vollziehung bewusst war.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - i. V. m. § 46 Abs. 1
Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - vom 18. August 1998 (BGBl. I 2214) hat die
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Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach Satz 2 der
letztgenannten Vorschrift insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den
Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche
Vorschriften der Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen
von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Darüber hinaus darf die Fahrerlaubnisbehörde
nach § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen
schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen lassen oder er das von der
Fahrerlaubnisbehörde rechtmäßig geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt und
der Betroffene auf diese Konsequenz bei der Aufforderung zur Beibringung des
Gutachtens hingewiesen worden ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 = VRS 101 (2001),
229; OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2002 - 19 B 405/02 - (S. 3 ff.).
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Hiervon ausgehend bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller
nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.
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Der Antragsteller hat das von dem Antragsgegner unter dem 21. Mai 2002 geforderte
fachärztliche Gutachten in Form einer Blut- und Urinuntersuchung (zu einem späteren
Zeitpunkt verständigten sich die Beteiligten auf eine Haaranalyse) nicht fristgerecht
beigebracht, wobei nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners
davon auszugehen ist, dass die dem Antragsteller mit der genannten Verfügung vom 21.
Mai 2002 gesetzte Frist entsprechend einem an die Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers gerichteten Schreiben des Antragsgegners vom 25. Juni 2002 bis zum 19.
Juli 2002 verlängert wurde. Die Anordnung der Beibringung des Gutachtens erweist
sich als rechtmäßig, insbesondere als anlassbezogen und verhältnismäßig.
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Vgl. zu dieser Voraussetzung BVerwG, Urteil vom 5 Juli 2001, a.a.O.; Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 11 FeV Rn. 22, 24.
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Sie diente im Sinne von § 2 Abs. 7, 8; § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, §§ 11 Abs. 2, 14, 46 Abs.
3 FeV der Klärung von in der Tatsache der wiederholten Einnahme von
Betäubungsmitteln (BTM) begründeten Eignungsbedenken in der Person des
Antragstellers. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Ziffer 9.2 der Anlage 4 zu den §§ 11,
13, 14 FeV ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet, wer regelmäßig
Cannabis einnimmt oder zwar nur gelegentlich einnimmt, aber keine Gewähr dafür
bietet, dass er den Konsum und das Fahren mit der gebotenen Zuverlässigkeit trennt.
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Aus einem an das Straßenverkehrsamt des Antragsgegners gerichteten Schreiben der
Kreispolizeibehörde Warendorf vom 30. April 2002 ergibt sich, dass der Antragsteller am
26. Februar 2002 als Beifahrer in einem Pkw angetroffen wurde und den
einschreitenden Beamten angab, zuvor Marihuana konsumiert zu haben. In seiner
Vernehmung habe er sich dahingehend eingelassen, seit ½ bis ¾ Jahr ein Gramm
Marihuana im Monat zu konsumieren. Diese polizeilichen Feststellungen hat der
Antragsteller weder im Verwaltungsverfahren noch im vorliegenden
Aussetzungsverfahren substantiiert bestritten. Danach konnte der Antragsgegner mit
guten Gründen davon ausgehen, dass der Antragsteller wiederholt und über einen
längeren Zeitraum Cannabisprodukte konsumiert. Auf ein gelegentliches
"Ausprobieren" dieses Rauschmittels ließen die Schilderungen des Antragstellers nicht
schließen. Angesichts dessen hatte der Antragsgegner - und zwar ganz unabhängig
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davon, ob der Antragsteller als Fahrer oder Beifahrer eines Pkw angetroffen wurde - zu
Recht Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen, zu
deren Klärung er gemäß § 14 Abs. 1 FeV i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV berechtigterweise die
Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens in Form eines sog. Drogenscreenings
fordern durfte.
Diese Anordnung verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, sie ist
insbesondere nicht unverhältnismäßig. Ausgehend von der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts
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vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 - und Beschluss vom 8. Juli 2002
- 1 BvR 2428/95 -
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hat der Antragsgegner die seiner Gutachtenanforderung zugrundegelegte
Gefahrenprognose nicht etwa auf den unerlaubten Besitz von kleinen Mengen
Marihuana gestützt, sondern auf den vom Antragsteller selbst eingeräumten
gelegentlichen Marihuanakonsum. Geht man von den jüngsten wissenschaftlichen
Erkenntnissen aus, ist die Fahrtüchtigkeit einer Person nach Cannabiskonsum und
Aufnahme der in der Cannabispflanze enthaltenen Cannabinoide während der Dauer
einer mehrstündigen Abklingphase aufgehoben.
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Vgl. dazu die Nachweise bei BVerfG, Urteil vom 20. Juni 2002, a.a.O., Rn. 44; ferner:
BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a. -, BVerfGE 90, 145 (181) = NJW
1994, 1577 (1581); BVerwG, Beschluss vom 23. August 1996 - 11 B 48.96 -, NJW 1997,
269.
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Auf Grund des vom Antragsteller selbst eingeräumten (gelegentlichen) Drogenkonsums
bestand für den Antragsgegner der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller, der
seit dem 21. Januar 2000 im Besitz der Fahrerlaubnis ist, sich auch selbst an das Steuer
eines Fahrzeugs setzt und dieses im öffentlichen Straßenverkehr bewegt. Wenn der
Antragsteller diesem Verdacht lediglich folgende Behauptung entgegensetzen lässt:
"Unser Mandant hat zu keinem Zeitpunkt ein Kraftfahrzeug geführt, als er unter Einfluss
von Rauschgift gestanden hat" (vgl. Bl. 2, 3. Absatz des Widerspruchsschreibens der
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 29. August 2002), ist dieser Vortrag
weder substantiiert (der Antragsteller hat nicht etwa im Einzelnen dargelegt, zu welchen
Zwecken er ein Fahrzeug führt oder benötigt und bei welchen Gelegenheiten er
demgegenüber zum Rauschgift greift) noch durch Vorlage einer eidesstattlichen
Versicherung glaubhaft gemacht.
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Vgl. zu diesen Voraussetzungen etwa OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2002 - 19 B
1139/02 -, S. 2, 2. Absatz des Beschlussabdrucks.
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Folglich ist die Prognose gerechtfertigt, dass der Antragsteller nicht die erforderliche
Gewähr dafür bietet, zwischen dem Konsum von Marihuana und seiner Teilnahme mit
einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr zuverlässig trennen zu können.
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Die ihm gesetzte - und verlängerte - Frist zur Durchführung der gebotenen
Untersuchungen hat der Antragsteller nicht eingehalten. Damit konnte der
Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers
schließen. In Verfahren der vorliegenden Art kommt den gesetzten Fristen eine
entscheidende Bedeutung zu, weil gerade bei der Einnahme von Betäubungsmitteln
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sich regelmäßiges Einnehmen nur innerhalb einer bestimmten Frist nachweisen lässt,
es also maßgeblich auf den Überraschungseffekt ankommt.
Die Aufforderung, den Führerschein innerhalb von 3 Tagen nach Zustellung der
Ordnungsverfügung vom 14. August 2002 abzugeben, ist ebenfalls rechtlich nicht zu
beanstanden. Sie beruht auf § 47 Abs. 1 FeV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG, wobei sich der
Streitwert an der Praxis der obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert.
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