Urteil des VG Münster vom 20.11.2002

VG Münster: sri lanka, politische verfolgung, anerkennung, wahrscheinlichkeit, abschiebung, bundesamt, androhung, soldat, drittstaat, asylbewerber

Verwaltungsgericht Münster, 9 K 775/99.A
Datum:
20.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 775/99.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5.
März 1999 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG hinsichtlich Sri Lanka für die Kläger vorliegen. Die in Nr. 4
des Bescheids enthaltene Androhung der Abschiebung wird insoweit
aufgehoben, als den Klägern die Abschiebung nach Sri Lanka
angedroht worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte und die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens je zur
Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der
jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die am 0 geborene Klägerin zu 1. ist srilankische Staatsangehörige tamilischer
Volkszugehörigkeit. Der am 0 geborene Kläger zu 2. ist ihr Sohn. Die Kläger verließen
am 0über den Flughafen von Colombo ihre Heimat und reisten am 0 auf dem Landweg
in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 7. Januar 1999 stellten sie bei dem
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Außenstelle Dortmund -
einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung erklärte die Klägerin zu 1.:
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Ihr Ehemann habe bereits vor ihrer Eheschließung Probleme mit den Soldaten gehabt
und sei verhaftet worden. Ihre Heirat habe in einem Flüchtlingslager stattgefunden.
Später habe sie in N gelebt. Zum ersten Mal seien die Soldaten im Juni 1994 zu ihr
gekommen. Dort habe sie ihren Ehemann über die Akten identifizieren sollen. Weiter sei
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nichts passiert, sie sei nur befragt worden. Zu dieser Zeit sei ihr Ehemann bereits ins
Ausland gereist. Einmal habe ihr ein Soldat ein Formular mitgebracht, das sie an ihren
Ehemann habe weitergeben sollen. Dieser hätte sich mit dieser Bescheinigung bei den
Soldaten stellen sollen. Die Soldaten hätten ihr gesagt, dass sie bis zu dem Zeitpunkt,
an dem sich ihr Ehemann bei den Soldaten stellen würde, in Sri Lanka bleiben müsse.
Seit 1995 seien sexuelle Übergriffe seitens der Soldaten erfolgt. Zwei Soldaten seien
gekommen, wovon einer vor der Tür stehen geblieben sei. Einer sei hereingekommen.
Sie sei ins Aufenthaltshaus der Soldaten mitgenommen worden. Das Haus der
Unterkunft habe versetzt von dem übrigen Gelände gelegen. Sie glaube daher nicht,
dass höher gestellte Soldaten in dieser Einrichtung von dem Handeln der niederen
Soldaten gewusst hätten. Dort sei Alkohol getrunken worden. Einer der Soldaten habe
in gebrochener tamilischer Sprache gesagt, ihr Ehemann sei ja schon so lange nicht
mehr da, sie könne jetzt mit ihm - dem Soldaten - sexuell verkehren. Sie habe ihr
Einverständnis erklären sollen, dann würde ihr Ehemann nicht mehr gesucht werden.
Der Soldat habe ihre Hand gefasst. Sie habe sich auf seinen Schoß setzen müssen. Er
habe versucht, ihre Kleidung auszuziehen. Sie habe ihn weggeschubst, geschrieen und
geweint; man habe sie dann gehen lassen. Es hätten weitere Übergriffe stattgefunden.
Sie wolle dazu nichts weiter sagen, da sie nicht wolle, dass ihr Ehemann davon in
Einzelheiten erfahre. Es hätten auch noch an anderen Tagen solche Ereignisse
stattgefunden, da seien es andere Soldaten gewesen. Sie habe sich nur jeweils
dadurch befreien können, dass sie die Taten geduldet hätte. Insgesamt sei das drei Mal
passiert. Die genauen Daten wisse sie nicht, das erste Mal sei Anfang 1995, das zweite
Mal im Juni 1995 und das letzte Mal im Januar 1998 gewesen. In der Zwischenzeit
hätten keine nachhaltigen Übergriffe stattgefunden, ihr Körper sei nur berührt worden.
Zwischen 1995 und 1998 sei sie im unterschiedlichen Rhythmus mal ein- bis zwei Mal
im Monat, mal mit einer Unterbrechung von mehreren Monaten mitgenommen worden.
Sie sei nicht verhaftet, sondern durch die Soldaten aufgefordert worden, mit ihnen in ihre
Unterkunft zu kommen. Sie hätten ihr gedroht, ihren Sohn zu erschießen, wenn sie die
Vorgänge anzeigen würde. Das was ihr passiert sei, würde sie eindeutig als
Vergewaltigung beurteilen; ihr sei Gewalt angetan worden. An ihrem linken Handgelenk
habe sie eine Narbe. Dort habe man ihr eine Zigarettenkippe ausgedrückt. Die Narbe an
der Stirn stamme daher, dass sie anfangs, als sie ihr Einverständnis zu den sexuellen
Handlungen nicht erklärt habe, mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei.
Sie sei jeweils von einem höheren Offizier verhört worden. Missbraucht worden sei sie
von einem anderen Soldaten. Man habe sie geschlagen. Sie habe sich gewehrt. Der
andere Soldat habe sie mehrfach aufgefordert, zu ihm zu kommen. Diese Vorfälle hätten
nicht im Armeelager, sondern im Aufenthaltsraum des Soldaten stattgefunden.
Normalerweise habe sie jedes Mal unterschreiben müssen, wenn sie ins Armeelager
gegangen sei, um dort verhört zu werden. Bei diesen Gelegenheiten habe sie das nicht
machen müssen. Sie sei dann später mehrfach umgezogen, um zu vermeiden, den
Soldaten zu sehen. Zwei Monate vor der Ausreise habe sie sich zur Ausreise selbst
entschlossen. Früher habe sie nicht ausreisen können, da sie habe warten müssen, bis
das gesamte Geld zusammen gekommen sei, wobei sie auch Verwandte ihres Mannes
unterstützt hätten.
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Mit Bescheid vom 5. März 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Kläger ab und stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorliegen. Die Kläger wurden unter Androhung der Abschiebung nach Sri
Lanka aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach
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unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Februar 2001 (11 K 1753/96.A) wurde
der Ehemann der Klägerin als Asylberechtiger anerkannt. Mit Urteil des
Verwaltungsgerichts Köln vom 24. September 2001 (11 K 1340/00.A) wurde das am 15.
September 1999 geborene gemeinsame Kind Rudiger Presperdanson der Klägerin zu
1. nach dem stammberechtigten Familienvater als asylberechtigt anerkannt.
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Mit ihrer am 22. März 1999 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Asylbegehren
weiter.
7
Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 5. März 1999 zu verpflichten die Kläger als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
9
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, insbesondere der Aussagen der
Klägerin zu 1. vor Gericht, wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und die Akten des VG Köln 11 K 1340/00.A
und 11 K 1753/96.A Bezug genommen. Die zu den Gerichtsakten genommene Liste von
Erkenntnissen war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage der Kläger ist hinsichtlich des Anerkennungsbegehrens als
Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
zulässig, aber nicht begründet. Die Ablehnung des Asylantrages der Kläger durch den
Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. März
1999 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Der Asylanspruch der
Kläger scheitert an der Regelung des § 26 a AsylVfG, weil sie nach eigenen Angaben
auf dem Landwege in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, die
Bundesrepublik Deutschland gemäß der Anlage I zu § 26 a AsylVfG von sicheren
Drittstaaten umgeben ist und zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 26 a AsylVfG nur
feststehen muss, dass der Asylbewerber aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Der
Nachweis, aus welchem sicheren Drittstaat die Einreise erfolgt ist, ist nicht erforderlich.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938, 2315/93 - NVwZ 1996, 700 ff.;
BVerwG, Urteil vom 7. November 1995 - 9 C 73.95 -, NVwZ 1996, 197.
15
Aus diesem Grund scheidet auch die Gewährung von Familienasyl über den Ehemann
der Klägerin zu 1., bzw. den Vater des Klägers zu 2. gemäß § 26 Abs. 1 AsylVfG aus, da
die Kläger über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist ist.
16
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56/96; OVG NRW, Beschluss vom 4.
17
September 1996 - 25 A 5830/95.A.
Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens ist die Klage dagegen begründet. Die Kläger
haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1
AuslG sind mit den Voraussetzungen für eine Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1
GG deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und
den politischen Charakter der Verfolgung betrifft.
18
Die Gewährung von Asyl setzt nach Art. 16 a Abs. 1 GG eine politische Verfolgung
voraus, die grundsätzlich vom Staat oder staatsähnlichen Organisationen auszugehen
hat und durch die dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung,
religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein
prägen (asylerhebliche Merkmale), gezielt Rechtsverletzungen zugefügt worden sind
oder ihm solche Rechtsverletzungen unmittelbar drohen. Ist der Asylsuchende wegen
bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm
so auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates nicht zumutbar, so ist er
asylberechtigt, wenn die fluchtbegründenden Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung
über seinen Asylantrag fortbestehen und eine Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.
Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann sein
Asylbegehren nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von beachtlichen
Nachfluchttatbeständen im Falle einer Rückkehr in seine Heimat politische Verfolgung
droht.
19
Vgl. dazu im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86
-, BVerfGE 80, 315
20
Nach Maßgabe dieser Grundsätze haben die Kläger gegen die Beklagte einen
Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
Die Kläger sind wegen bestehender individueller Verfolgung, also vorverfolgt
ausgereist. Ihnen droht bei einer Rückkehr nach Sri Lanka mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit individuelle politische Verfolgung. Bei der Prüfung und Beurteilung
erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung ist entscheidend auf das Vorbringen
der Asylbewerber abzustellen. Den Asylbewerbern, die allein die sie bestimmenden
Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es auf Grund der sie
treffenden Mitwirkungspflichten, ihre Gründe für eine politische Verfolgung selbst in
schlüssiger Form vorzutragen. Sie haben bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Ereignisse, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, die geeignet ist,
den Asylanspruch lückenlos zu tragen. Bei erheblichen Widersprüchen und
Unstimmigkeiten oder bei Steigerungen im Tatsachenvortrag obliegt es ihnen, diese
überzeugend aufzulösen.
21
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1991 - 9 C 131.90 -, InfAuslR 91, 310 ff.; OVG NRW,
Urteil vom 29. März 1996 - 21 A 5047/94.A -.
22
Der Glaubhaftigkeit des Asylvorbringens kommt in Verfahren der vorliegenden Art
entscheidende Bedeutung zu. Dabei sind keine unerfüllbaren Beweisanforderungen zu
stellen und es ist keine unumstößliche Gewissheit zu verlangen. Wegen der
besonderen sachtypischen Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich
23
der Gründe für die Verfolgungsfurcht beschwerten Asylsuchenden ist den eigenen
Erklärungen des Asylbewerbers eine größere Bedeutung beizumessen, als dies sonst
in der Prozesspraxis bei Bekundungen eines Beteiligten der Fall ist, und der
Beweiswert der Aussagen im Rahmen des Möglichen wohl wollend zu beurteilen. Dem
Asylbegehren soll insbesondere nicht schon deshalb der Erfolg versagt werden, weil
neben der Einlassung des Asylbewerbers keine weiteren Beweismittel zur Verfügung
stehen. Zur Asylanerkennung kann daher schon allein der Tatsachenvortrag des
Asylsuchenden führen, sofern dessen Behauptungen unter Berücksichtigung aller
Umstände in dem Sinne glaubhaft sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit
überzeugen kann. Dabei ist mit einer Glaubhaftmachung jedoch nicht gemeint, dass das
Gericht einer Überzeugungsbildung i. S. v. § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist oder gar
eine Glaubhaftmachung i. S. d. §§ 173 VwGO, 294 ZPO ausreichen könnte.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109/84 -, BVerwGE 71, 180 (181).
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Von dem Asylsuchenden muss gefordert werden, dass er eine zusammenhängende, in
sich stimmige Schilderung seines persönlichen Verfolgungsschicksals gibt, die nicht in
wesentlicher Hinsicht in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist. Sind die Angaben
nicht grundsätzlich widersprüchlich, reicht es aus, wenn trotz gewisser Differenzen in
Einzelheiten das Vorbringen im Kern, also in seinem wesentlichen Teil, zutreffend ist.
25
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 131.90 -, InfAuslR 1991, 310.
26
Danach ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger als vorverfolgt
ausgereist anzusehen sind. Die von der Klägerin zu 1. geschilderten Nachstellungen
und sexuellen Misshandlungen seitens srilankischer Militärangehöriger sind nach den
oben dargelegten Kriterien hinreichend nachvollziehbar und glaubhaft. Die Klägerin zu
1. hat die Einzelheiten bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt dargelegt. In diese
Darlegung fügt sich die Einlassung der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung
ein; sie war detailreich und ließ in erhöhtem Maße persönliche Betroffenheit erkennen
und blieb in der Darstellung des maßgeblichen Geschehens widerspruchsfrei. Der
Vortrag erweist sich auch insbesondere angesichts des Umstands, dass der Ehemann
der Klägerin zu 1. asylerheblich verfolgt worden ist, was mittlerweile rechtskräftig durch
Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Februar 2001 festgestellt worden ist, als
glaubhaft. Die Misshandlungen der Klägerin zu 1. stellen sich demnach nicht als
Exzesstaten Einzelner dar, sondern stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit
der politischen Verfolgung des Ehemanns der Klägerin zu 1. Daraus ergibt sich, dass
sowohl die Klägerin zu 1. als auch der Kläger zu 2. als vorverfolgt anzusehen sind. In
diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen,
27
vgl. Urteil vom 8. Januar 1990 - 9 B 476/89 -, vom 26. April 1988 - 9 C 28.86, BVerwGE
79, 244 ff., vom 13. Januar 1987 - 9 C 53.86, BVerwGE 75, 304 und vom 2. Juli 1985 - 9
C 35.84 - in Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 34
28
nach welcher zu Gunsten des Ehegatten und der minderjährigen Kinder eines politisch
Verfolgten - hier des Ehegatten der Klägerin zu 1. und Vaters des Klägers zu 2. - eine
Regelvermutung dahingehend aufgestellt wird, dass der Ehefrau eines politisch
Verfolgten bzw. seinen Kindern, über deren Asylanspruch im konkreten Rechtsstreit zu
entscheiden ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dasselbe Verfolgungsschicksal
droht. Die genannte Regelvermutung führt dazu, dass im einzelnen Asylverfahren
29
regelmäßig nicht weiter geprüft zu werden braucht, ob die festgestellten Fälle
sippenhaftartigen Zugriffs auf die Familienangehörigen entweder in der Art einer
Geiselnahme oder mit dem Ziel, den Dritten gleichsam "stellvertretend" zu belangen,
Ausdruck einer allgemeinen Praxis des Verfolgerstaates sind oder ob die diesen Fällen
zugrunde liegenden Umstände konkrete Rückschlüsse gerade auf eine eigene
Verfolgungsgefährdung des Asylbewerbers gestatten, der sich auf sie als
Vergleichsfälle beruft. Anhaltspunkte, die gegen eine Anwendung der Regelvermutung
im vorliegenden Fall sprechen, sind nicht ersichtlich; ganz im Gegenteil hat sich
insbesondere im Fall der Klägerin zu 1. das Risiko des sippenhaftartigen Zugriffs durch
die srilankische Staatsmacht bereits realisiert.
Bei der Anwendung des in Fällen vorverfolgter Asylbewerber einschlägigen
Prognosemaßstabs sind an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter
Verfolgung wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der
schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als
nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor
Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Andererseits braucht die Gefahr des Eintritts
politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken
nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zu Gunsten des
Asylbewerbers aus und führen zu seiner Anerkennung. Deshalb genügt es für die
Anerkennung eines vorverfolgten Asylbewerbers, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die die
Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen
lassen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169
und Beschluss vom 10. Juli 1995 - 9 B 18.95 -, InfAuslR 1996, 29.
31
Diese Voraussetzungen liegen vor, da den Klägern keine inländische Fluchtalternative
offen steht und sie auch im Großraum Colombo nicht hinreichend sicher sind. Zwar sind
die Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative im Großraum Colombo u. a.
für Tamilinnen und Tamilen im Kindesalter grundsätzlich gegeben,
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. Mai 1998 - 21 A 4260/96.A - m. w. N.
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Wegen individueller Besonderheiten ist diese Annahme jedoch bei den Klägern nicht
gerechtfertigt. Da die Klägerin zu 1. im Zusammenhang mit der Verfolgung ihres
Ehemanns in den Verdacht der Unterstützung der LTTE geraten ist, ist nicht
auszuschließen, dass dies bei ihrer Rückkehr im Falle ihrer Identitätsüberprüfung, die
angesichts der Sicherheitslage in Sri Lanka regelmäßig erfolgt, bekannt ist bzw. nach
entsprechender Auskunftseinholung durch die Sicherheitsbehörden bekannt wird (vgl.
zur Verfolgung von LTTE-Mitgliedern etwa KK 13.05.1996, AA 17.03.1997 und
19.01.1999). Bei dieser Sachlage kann nicht ohne ernsthafte Bedenken, die sich zu
Gunsten des vorverfolgten Asylbewerbers auswirken müssten - ausgeschlossen
werden, dass es bei einer Rückkehr der Klägerin zu 1. zu asylrechtlich erheblichen
Übergriffen kommt. Das Geschehen liegt auch noch nicht so lange zurück, dass für die
Behörden das Interesse an einer Verfolgung der Klägerin zu 1. entfallen ist. Dasselbe
gilt auf Grund der oben dargelegten Regelvermutung für Sippenhaft auch für den Kläger
zu 2.
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Hiernach sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG
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zu Gunsten der Kläger gegeben, wobei - der Systematik dieser Vorschrift folgend - die
insoweit zu treffende Feststellung auf Sri Lanka zu beschränken ist.
Da die Kläger bereits mit ihrem Hauptantrag auf Feststellung der Voraussetzungen nach
§ 51 Abs. 1 AuslG Erfolg hat, bleibt der Antrag auf Feststellung, dass die
Voraussetzungen nach § 53 AuslG vorliegen, welcher den Charakter eines Hilfsantrags
hat, ungeprüft.
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Die Abschiebungsandrohung war insoweit aufzuheben, als die Abschiebung der Kläger
nach Sri Lanka angedroht worden ist (§ 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG); im Übrigen bleibt die
Rechtmäßigkeit der Androhung vom Vorliegen des festgestellten
Abschiebungshindernisses unberührt (§ 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG).
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG, §
167 VwGO, §§ 708 Nr. 11 und 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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