Urteil des VG Münster vom 07.02.2003

VG Münster: aufschiebende wirkung, begriff, nutzungsänderung, gebäude, rückbau, vollziehung, aussetzung, ausschluss, anfechtungsklage, ausnahme

Verwaltungsgericht Münster, 2 L 123/03
Datum:
07.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2 Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 123/03
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die der Beigeladenen erteilte Abbruchgenehmigung des Antragsgegners
vom 00.00.00 wird insoweit festgestellt, als darin die Beseitigung des
südlich an das Gebäude M-straße 0 des Antragstellers angrenzenden
Gebäudes zugelassen wird.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Kosten der
Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag des Antragstellers,
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festzustellen, dass der mit Schreiben vom 00.00.00 gegen die Abbruchgenehmigung
des Antragsgegners vom 00.00.00 erhobene Widerspruch des Antragstellers
aufschiebende Wirkung hat, soweit darin die Beseitigung des südlich an das Gebäude
M-straße 0 des Antragstellers angrenzenden Gebäudes zugelassen wird, ist analog §
80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet.
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Der Antragsgegner hat in seinem Schreiben an den Antragsteller vom 00.00.00 zu
Unrecht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Abbruchgenehmigung verneint.
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Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei
Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80 a). Von dieser normativen Regel des § 80
Abs. 1 VwGO gibt es laut Abs. 2 Ausnahmen. Wenn keiner der Tatbestände dieser
Ausnahmen erfüllt ist, bleibt es bei der Regel des Absatzes 1. So liegt der Fall hier.
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Der Tatbestand der allein in Betracht kommenden Ausnahme des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.
3 VwGO i. V. m. § 212 a Abs. 1 BauGB ist nicht erfüllt. Denn eine Abbruchgenehmigung
ist keine „Zulassung eines Vorhabens" im Sinne des § 212 a Abs. 1 BauGB. Der
Abbruch eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage ist kein Vorhaben im Sinne des
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BauGB.
Allein der Umstand, dass der Abbruch als vorbereitende Maßnahme für die spätere
Bebauung eines Grundstücks anzusehen ist und auch Abbruchgenehmigungen deshalb
Verwaltungsakte sein können, die „Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen
betreffen" (so § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), reicht für den Ausschluss der
aufschiebenden Wirkung nicht aus, wenn der bundesgesetzliche Tatbestand, der unter
Berufung auf das politische Ziel der Förderung von Investitionen und der Schaffung von
Arbeitsplätzen geschaffen worden ist, in seinem Wortlaut und Wortsinn unter
Berücksichtigung seines gesetzessystematischen Sinnzusammenhangs so eng gefasst
worden ist, dass der Fall der Abbruchgenehmigung nicht mit erfasst wird.
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Eben dies ist mit dem Tatbestandsmerkmal der Zulassung eines „Vorhabens"
geschehen. Zwar kann der Begriff des Vorhabens im umgangssprachlichen Verständnis
auch den Abbruch eines Gebäudes umfassen, den ein Grundstückseigentümer sich
vorgenommen hat und „vorhat". Er kann auch in einem fachsprachlichen Gebrauch
einen konkret-individuell geplanten Vorgang wie die Beseitigung oder den Abbruch
einer baulichen Anlage meinen, den der Landesgesetzgeber unter ein Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt stellt, vgl. z. B. § 63 Abs. 1, § 65 Abs. 3 S. 1 BauO NRW. Der
Bundesgesetzgeber des Baugesetzbuches hat sich aber für ein engeres
fachsprachliches Verständnis des Begriffs Vorhaben entschieden.
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Dies ergibt sich aus § 29 Abs. 1 BauGB, zu dessen Normtext auch die Überschrift
gehört, die (in ihrem ersten Teil) ausdrücklich „Begriff des Vorhabens" lautet und damit
die bundesbaugesetzliche Definition des Begriffs festlegt, wie dies seit § 29 BBauG -
wenn auch mit inhaltlichen Unterschieden - der Fall war. Diese Definition besteht aus
zwei Bestandteilen: einem Substantiv und einem Relativsatz. Das Substantiv Vorhaben
ist in einem nicht-fachsprachlichen, umgangssprachlichen, weiten Sinn zu verstehen.
Die entscheidende Einschränkung für die fachsprachliche Definition des
bundesbaugesetzlichen Begriffs enthält der Relativsatz: „die die Errichtung, Änderung
oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben". Daraus folgt, dass
ein Abbruch zwar ein Vorhaben im Sinne des ersten, substantivischen
Definitionsmerkmals ist, aber kein Vorhaben im Sinne des Begriffs des Vorhabens, wie
er in § 29 Abs. 1 BauGB für den ersten Abschnitt des dritten Teils dieses Gesetzes
definiert wird. Denn in dem entscheidenden Relativsatz der Definition kommt der
Abbruch weder ausdrücklich noch konkludent vor.
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Diese Definition gilt auch nicht nur für den genannten Teil des BauGB, sondern für das
ganze Gesetz, also auch für § 212 a BauGB. Zwar ist die Definition nicht, wie man es
sonst bei guter Gesetzgebungstechnik erwarten darf, in einem allgemeinen Teil vor die
Klammer gezogen und damit schon äußerlich als die für das ganze Gesetz verbindliche
Definition gekennzeichnet worden. Gleichwohl spricht alles dafür, dass der
Gesetzgeber, hätte er in einem anderen Teil des Gesetzes eine Einschränkung oder
Erweiterung des Begriffs gewollt, dies auch klar zum Ausdruck gebracht hätte. Dies hat
er bei der Einfügung des § 212 a BauGB jedoch nicht getan.
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Dass die Definition des Vorhabenbegriffs in § 29 Abs. 1 BauGB für dieses Gesetz
allgemein gilt und den Abbruch von baulichen Anlagen nicht umfasst, wird bestätigt
durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, wo die Beseitigung von baulichen Anlagen zusätzlich
zu dem Begriff des Vorhabens aufgeführt wird, um auch für sie die rechtliche Möglichkeit
der Veränderungssperre zu eröffnen. Weil diese Rechtsfolge nicht nur für Vorhaben im
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Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB gelten sollte, wurde der Tatbestand so gefasst, dass er
nicht auf den Begriff des Vorhabens begrenzt, sondern gezielt erweitert wurde. Im
Gegensatz dazu, enthält der Tatbestand des § 15 Abs. 1 BauGB eine solche
Erweiterung für die Rechtsfolge der Zurückstellung von Baugesuchen nicht. Diese gilt
nur für „die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall", also nicht
für die Beseitigung baulicher Anlagen. Entsprechend zu § 15 Abs. 1 BauGB und
ebenfalls im Gegensatz zu § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB lässt auch § 212 a Abs. 1 BauGB
für die Rechtsfolge des Ausschlusses des Suspensiveffektes eine Erweiterung des
Tatbestandes über den Vorhabenbegriff hinaus vermissen.
Der allgemeinen Systematik des Gesetzes entsprechend wird schließlich auch in § 172
Abs. 1 Satz 1 BauGB der Rückbau neben der Änderung oder der Nutzungsänderung
baulicher Anlagen ausdrücklich aufgeführt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Kosten
der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, weil sie im Hinblick auf den Hauptantrag des
Antragstellers keinen eigenen Antrag gestellt und im Übrigen die Ankündigung einer
Stellungnahme auf den hilfsweise gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
beschränkt hat. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3
GKG.
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