Urteil des VG Münster vom 18.03.2010

VG Münster (brief, inhalt, bargeld, auf probe, die post, beamtenverhältnis, höhe, post, bewertung, disziplinarverfahren)

Verwaltungsgericht Münster, 20 K 460/08.BDG
Datum:
18.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
Disziplinarkammer Bund
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 460/08.BDG
Tenor:
Der Beklagte wird wegen Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis
entfernt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Der Beklagte wurde am 00.00.0000 in C. geboren. Er ist in dritter Ehe verheiratet und
hat zwei Kinder aus der ersten Ehe; er lebt zusammen mit seiner (heutigen) Ehefrau und
deren drei Kindern. Mit Bescheid des Landrates des F. -S1. -Kreises vom 00.00.0000 ist
für den Beklagten wegen Hirnschwäche und Bluthochdrucks der Grad der Behinderung
auf 30 festgesetzt worden. (GA, 65) Am 2. September 1974 begann er die Ausbildung
als Postjungbote bei der damaligen Deutschen Bundespost. Am 15. Februar 1977
bestand er die Prüfung für den einfachen Postdienst mit "ausreichend" und wurde
daraufhin mit Wirkung vom 1. März 1977 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf
Probe zum Postschaffner z.A. ernannt. Am 13. März 1979 wurde er zum
Postoberschaffner befördert. Am 31. März 1981 schloss er die Laufbahnprüfung für den
mittleren Postdienst mit der Note "befriedigend" ab. Mit Wirkung zum 2. Oktober 1981
wurde er zum Postassistenten befördert. Anschließend wurde der Beklagte am 5.
Oktober 1982 zum Postsekretär und am 19. März 1985 zum Postobersekretär befördert.
Nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost wurde er in das
Nachfolgeunternehmen Deutsche Post AG übergeleitet und zum 1. Januar 1996 zur
heutigen "Brief-E. " versetzt. Dort wurde ihm am 1. April 2001 der Dienstposten
Mitarbeiterin der Abteilung Auslieferung übertragen. Zuletzt wurde der Beklagte am 21.
November 2001 in sein jetziges Amt als Postbetriebsinspektor befördert und mit
Wirkung vom 1. Oktober 2001 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 vz
eingewiesen. Zuletzt war der Beklagte in der Stellenleitung des Zustellstützpunktes
(ZSP) mit Leitung in C. tätig. Eine seiner Hauptaufgaben war die Betreuung des ZSP M.
. Der Kern seiner Betreuungsaufgaben bestand u.a. in der Betriebsaufsicht und der
Durchführung von Kontrollen bei diesem Stützpunkt sowie die Einleitung von
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Maßnahmen bei Unregelmäßigkeiten. Seine monatlichen Nettobezüge betragen ca.
2.860 EUR. Der Beklagte ist disziplinarrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.
Aufgrund einer den Beklagten belastenden Zeugenaussage der Zeugin S2. wurde die
Arbeitsweise des Beklagten am 20. Januar 2006 überprüft, indem u.a. ein - zuvor
präparierter - sog. Fangbrief, adressiert an "Geburtstagskind B. T1. , B1. . 27, 00000 C. "
(V, 7 + 21) in den Arbeitsbereich des Beklagten eingeschleust wurde. Nachdem der
Beklagte u.a. diesen Fangbrief aufgeschlitzt und den Inhalt des Briefes von 20 EUR an
sich genommen hatte, wurde er von der vorbereiteten Überprüfung in Kenntnis gesetzt
und mit dem streitgegenständlichen Vorwurf, wiederholt Briefe geöffnet und beraubt zu
haben, konfrontiert. Bei dieser Befragung, die der Beklagte ausdrücklich als freiwillige
Anhörung akzeptierte, (V, 7) machte er u.a. folgende Angaben: (V, 8) " Ich gebe den
Sachverhalt zu. Ich gebe zu, das war heute und zwei Briefe vor Weihnachten, mehr
nicht."
Auf weitere Nachfrage erläuterte der Beklagte, dass er privat erhebliche Probleme habe.
Seine Ex- Frau stelle erhebliche Unterhaltsforderungen, sein Schwiegervater sei ein
Pflegefall der Stufe 3, was jeden Monat richtig Geld koste. So habe er für den Urlaub
noch 1.200 EUR extra zu zahlen, damit der Schwiegervater versorgt werde. Auf
weiteren Vorhalt gab der Beklagte dann weiter zu, in der letzten Woche 10 und 17 Briefe
geöffnet zu haben, um nach dem Inhalt zu schauen. Insgesamt seien es 150 oder 160
EUR gewesen, die er in seinen Schrank unter Servietten gelegt habe. Wie es weiter
gehe, wisse er nicht. Er hoffe, nicht gekündigt zu werden. Er habe schließlich fünf Kinder
zu versorgen.
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Am 23. Januar 2006 wurde dem Beklagten die Führung der Dienstgeschäfte auf der
Grundlage von § 60 BBG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten, da der
Beklagte in Verdacht stand, wiederholt Briefe geöffnet und beraubt zu haben. (I,5) Am 2.
Februar 2006 wurde gegen ihn das Disziplinarverfahren eingeleitet.(I,12) Mit Verfügung
vom 15. Februar 2006 wurde der Beklagte gemäß § 38 BDG vorläufig des Dienstes
enthoben;(I,33) von einer (teilweisen) Einbehaltung seiner Dienstbezüge wurde im
Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse abgesehen; das Disziplinarverfahren
wurde mit Verfügung vom 20 März 2006 (I,41) gemäß § 22 BDG zunächst bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Der Beklagte erhob unter
dem 22. Februar 2006 Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Februar 2006. Eine
Entscheidung über diesen Widerspruch steht noch aus. Mit Verfügung vom 17.
November 2006 (I,58) wurde das Disziplinarverfahren gemäß § 22 BDG fortgesetzt,
nachdem die Staatsanwaltschaft C. das Strafverfahren gegen den Beklagten gemäß §
153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages von 1.000 EUR vorläufig eingestellt
hatte. Zwischenzeitlich ist das Strafverfahren am 12. Februar 2007 endgültig eingestellt
worden, nachdem der Beklagte die Auflage der Staatsanwaltschaft C. erfüllt hat. Im
Disziplinarverfahren erhielt der Beklagte die Möglichkeit zur Stellungnahme. Auf Antrag
des Beklagten ist der Betriebsrat beteiligt worden; dieser hatte keine Einwände gegen
die Erhebung der Disziplinarklage geltend gemacht. (I, 99) Am 15. November 2007
wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten das Ermittlungsergebnis vom 6.
November 2007 (I, 70ff) förmlich zugestellt. Entsprechend dem Ermittlungsergebnis vom
6. November 2007 habe der Beklagte am 20 Januar 2006 drei Briefsendungen (u.a. sog.
Fangbriefe) in den Räumlichkeiten der ZSPL C. rechtswidrig geöffnet und sich den
Inhalt bzw. Teile hiervon rechtswidrig zugeeignet. Weiterhin sei er überführt und
geständig, seit Dezember 2005 fortgesetzt, diverse Briefsendungen geöffnet, sich durch
seitliches Aufschlitzen Kenntnis vom Inhalt (Bargeld) beschafft, das Geld
herausgenommen, die Sendungen zerrissen und dem Hausmüll zugeführt zu haben.
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Darüber hinaus sei er dringend verdächtig, seit Anfang 2005 Briefsendungen aus der
Postfachverteilung entwendet und sich den Inhalt oder Teile davon rechtswidrig
zugeeignet zu haben. Der Schaden belaufe sich auf mehrere 100 EUR, wobei er 160
EUR eingeräumt habe. Vom 24. Mai 2006 bis 11. Juli 2006 habe sich der Beklagte
wegen depressiver Symptomatik in stationärer Behandlung in I. befunden. In seiner
abschließenden Stellungnahme habe der Prozessbevollmächtigte angegeben, dass der
Beklagte seit Mitte 2005 unter Erinnerungslücken und Konzentrationsstörungen gelitten
habe. Deshalb könne er sich an die Vorfälle zwischen dem 1. Dezember 2005 und 20.
Januar 2006 nicht mehr hinreichend erinnern. Auf den weiteren Inhalt des
Ermittlungsergebnisses wird Bezug genommen. Unter dem 00.00.0000 hat die Klägerin
Disziplinarklage mit dem Ziel erhoben, den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu
entfernen. Die Disziplinarklage stützt sich darauf, dass der Beklagte das Postgeheimnis
durch Postöffnung verletzt und vorgefundenes Bargeld unterschlagen habe, indem er in
30 Fällen widerrechtlich Briefe geöffnet und hieraus insgesamt 210 EUR vorgefundenes
Bargeld entnommen habe. Im einzelnen handele es sich um folgende Einzelfälle, die
dem Beklagten, der als Mitarbeiter in der Stellenleitung des Zustellstützpunktes mit
Leitungsfunktion C. I für die eigenverantwortliche Betreuung des Zustellstützpunktes
(ZSP) in C. - M. beschäftigt war, vorgeworfen werden: Am 20. Januar 2006 nahm der
Beklagte einen zuvor vom Sicherheitsbeauftragten mit zwei 10 EUR- Scheinen
präparierten sog. Fangbrief aus dem Verteilerfach, öffnete den Brief, entnahm die
Geldscheine, zerriss den Brief und warf den zerrissenen Brief in den Abfallbehälter für
Hausmüll im ZSP. Er legte die Geldscheine in einen Kleiderschrank unter dort
liegenden Servietten, wo sich 4 weitere Geldscheine befanden. Im Dezember (vor
Weihnachten) 2005 entnahm der Beklagte nach seiner eigenen Einlassung am 20.
Januar 2006 zwei Briefe aus dem Postverkehr, öffnete diese und entnahm insgesamt 40
EUR, die für sich verbrauchte; die Briefe habe er später weggeworfen. Im Januar 2006
entnahm der Beklagte ferner insgesamt 27 Briefe aus dem Verteilbereich des Postfachs,
öffnete diese in seinem Büro und entnahm hieraus insgesamt ca. 150 EUR Bargeld. Der
Beklagte habe seine Aussage vor dem Sicherheitsdienst am 20. Januar 2006 freiwillig
und nach entsprechender Belehrung ohne irgendwelchen Druck gemacht. Bei seiner
Aussage sei der Beklagte auch voll aufnahmefähig gewesen. Der zwischenzeitlich
erfolgte Widerruf seines Geständnisses ändere nichts daran, dass der o.g. Sachverhalt
erwiesen sei. Auch seien Schuldausschließungs- oder Schuldminderungsgründe in
Anbetracht des zielgerichteten und planmäßigen Vorgehens des Beklagten
ebensowenig festzustellen wie das Vorliegen von Milderungsgründen. Die Klägerin ist
der Ansicht, der Beklagte habe durch sein Verhalten ein außerordentlich
schwerwiegendes Dienstvergehen begangen. Die Post sei auf Ehrlichkeit und
Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten bei dem Umgang mit dienstlich anvertrautem Geld
angewiesen. Wer sich an dienstlichen Geldern vergreife, verliere das für den
Fortbestand des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen und mache sich
untragbar. Im vorliegenden Fall komme allein wegen einer einmaligen Verletzung des
Postgeheimnisses mit widerrechtlicher Entnahme von Bargeld nur die Entfernung des
Beklagten aus dem Beamtenverhältnis in Betracht. Die Höhe des entnommenen
Geldbetrages sei unmaßgeblich. Die Klägerin beantragt, den Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis zu entfernen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte vertritt die Ansicht, der Vorwurf sei nach Anzahl der Fälle und der Höhe
der entnommenen Beträge unzutreffend. Soweit der Vorwurf in einem Fall zutreffe, habe
der Beklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit, zumindest der verminderten
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Schuldfähigkeit gehandelt. In dem Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis 20. Januar 2006
habe der Beklagte unter einer depressiven Anpassungsstörung und ätiologisch
unklaren Amnesien gelitten; an seine Vernehmung am 20. Januar 2006 habe er nur
unklare und verschwommene Erinnerungen. Bei dieser Vernehmung habe er lange Zeit
im Dunkeln sitzen müssen, dann sei eine Lampe mehrfach an- und ausgeschaltet
worden. Die ihm zur Last gelegten Äußerungen habe er lediglich auf Vorhalt bestätigt,
sodass dem zu Beweiszwecken angeführten Protokoll keine Geständniswirkung
zukommen könne. (GA, 29) Daher sei das Geständnis auch zwischenzeitlich widerrufen
worden. Dem Beklagten könne daher nur die Öffnung eines sog. Fangbriefes und die
Entnahme von 20 EUR zur Last gelegt werden, sodass für den Beklagten der
Milderungsgrund der Geringwertigkeit eingreife. Zudem habe der Beklagte zum
Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung gelitten, die seine
Verantwortlichkeit für die Tat ausschließe. (GA, 31) Insbesondere rügt der Beklagte,
dass in dem Sachverständigengutachten von Dr. C1. die weiteren persönlichen
Belastungen des Beklagten im familiären Bereich keine besondere Erwähnung neben
der beruflichen Belastungssituation gefunden habe. (GA, 151) Zu Gunsten des Beamten
sei zu berücksichtigen, dass dieser psychisch erkrankt sei. Bis zu den hier
vorgeworfenen Verfehlungen habe er über 32 Jahre lang seinen Dienst
beanstandungsfrei versehen. Das Strafverfahren sei in Würdigung seiner Erkrankung
eingestellt worden. Das Gericht hat zur Frage der Schuldfähigkeit bzw. einer
herabgesetzten Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Beklagten Beweis erhoben
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens(GA, 71). Insoweit wird auf das
Gutachten von Dr. med. Karl-Heinz C1. vom 7. September 2009 (GA, 99ff), die
ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 23. September 2009, (GA, 141ff), das
Zusatzgutachten von Dipl. Psychlogin B2. T2. vom 20. August 2009 (GA, 85ff) sowie die
Ausführungen von Dr. med. Karl-Heinz C1. in der mündlichen Verhandlung Bezug
genommen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, der Personalakte, der Disziplinarakte und der Ermittlungsakte der
Staatsanwaltschaft C. 9 Js 206/06 Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte war wegen eines schweren
Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. I. Nach der durchgeführten
Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte ein
schweres Dienstvergehen in Form eines sog. eigennützigen Zugriffdelikts dadurch
begangen hat, dass er - wie ihm in der Disziplinarklage vorgeworfen wurde - das
Postgeheimnis durch Postöffnung verletzt und sich vorgefundenes Bargeld angeeignet
hat. Es bedarf keiner abschließenden Feststellung, ob der Beklagte - wie von der
Klägerin plausibel vorgetragen - sogar in 30 Fällen widerrechtlich Briefe geöffnet und
hieraus insgesamt 210 EUR vorgefundenes Bargeld entnommen hat. Denn er ist
zweifelsfrei überführt, am 20. Januar 2006 einen an "Geburtstagskind B. T1. , B1. . 27,
44894 C. " adressierten Brief widerrechtlich geöffnet, Bargeld in Höhe von 20 EUR an
sich genommen und damit auch das Brief- und Postgeheimnis verletzt zu haben. Ein
Schuldausschließungs- oder Schuldminderungsgrund liegt nicht vor. Die Kammer hat
aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme keine Zweifel an der Schuldfähigkeit des
Beklagten zum Tatzeitpunkt am 20. Januar 2006. Insbesondere ergaben sich keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte in Folge einer dissotiativen
Amnesie oder anderer seelischer Erkrankungen zum Tatzeitpunkt unfähig war, das
Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§§ 20, 21 StGB).
Nach der detaillierten und in sich schlüssigen gutachterlichen Bewertung durch den
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Sachverständigen Dr. C1. , die dieser in der mündlichen Verhandlung auf Nachfragen
des Gerichts und der Beteiligten eingehend erläutert hat, gibt es keine Anhaltspunkte,
die für eine Minderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit des Beklagten zum
Tatzeitpunkt sprechen. Dies gilt ausdrücklich auch in Würdigung der Belastungen,
denen der Beklagte in seinem privaten Bereich ausgesetzt war. Das Gericht folgt der
gutachterlichen Bewertung des Sachverständigen, zumal der Sachverständige in seine
Bewertung Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Beklagten aufgrund dessen
stationärer Aufenthalte seit 2006 und den hierauf beruhenden Arztbriefen bzw.
Konsilbericht einbezog, und auf Nachfrage bereit und in der Lage war, seine Bewertung
zu hinterfragen. Das auf dieser Grundlage gewonnene Ergebnis hat er eingehend und
für das Gericht nachvollziehbar begründet, so dass keine Zweifel zurück blieben. Denn
zusammenfassend trat deutlich zu Tage, dass es aus Sicht des Sachverständigen nur
Hinweise gibt, die (gerade) gegen eine dissotiative Amnesie des Beklagten zum
Tatzeitpunkt sprechen. Die vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten erhobenen
Bedenken, dass der Beklagte durch sein Verhalten offenbart habe, nicht in der Lage
gewesen zu sein, seinen Berufsalltag geordnet zu bewältigen, teilt das Gericht in
Anknüpfung an die Ausführungen des Sachverständigen nicht, da es hierfür keinerlei
sachliche Anhaltspunkte gibt. Im Gegenteil spricht gegen diese Bedenken, dass der
Beklagte u.a. bei den ihm vorgeworfenen Taten (Auswahl von Trauer- und
Glückwunschbriefen) zu planvollem und zielgerichteten Handeln in der Lage war, und
selbst seine Ehefrau im Rahmen der Explorationsgespräche Mitte des Jahres 2006 in
der Westfälischen Klinik I. sowie im Jahre 2009 mit dem Sachverständigen keine
nachhaltigen Erfahrungen mitgeteilt hatte, die darauf schließen lassen könnten, dass
der Beklagte seinen Alltag seit Ende 2005 nicht mehr bewältigen konnte. Einzelne
Auffälligkeiten, wie das einmalige Vergessen des Geburtstages der Ehefrau und eine
einmalige Nachlässigkeit bei der Abholung eines Kindes, vermögen den Schluss auf
eine hier allein maßgebliche Störung der Geistestätigkeit i.S.d. §§ 20 und 21 StGB des
Beklagten nicht zu begründen. II. Die disziplinarrechtliche Würdigung dieses
festgestellten Sachverhalts ergibt, dass sich der Beklagte eines schweren
Dienstvergehens schuldig gemacht hat. Ein Beamter im Dienst der Deutschen Post AG,
der eine ihm dienstlich zugängliche Postsendung in der Absicht öffnet, den
vorgefundenen Inhalt für sich zu behalten und sich dieses Geld aneignet, macht sich
eines schweren Dienstvergehens schuldig. Er begeht eine Verletzung seiner
Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung, zu achtungs- und
vertrauenswürdigem Verhalten und zur Beachtung dienstlicher Anordnungen gemäß §§
34 Satz 2 und 3, 35 Satz 2 BeamtStG (§ 54 Satz 2 und 3, § 55 Satz 2 BBG a.F.) und
damit ein vorsätzliches Dienstvergehen im Form eines sog. eigennützigen
Zugriffsdeliktes gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG (§ 77 Abs. 1 BBG a.F.), das regelmäßig
die Entfernung des Beamten aus dem Dienst erfordert,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 3. Mai 2007, - 2 C 9/06- juris, und
vom 8. April 2003 - 1 D 27/02 - juris.
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Er erschüttert regelmäßig das Vertrauensverhältnis derart nachhaltig, dass er nicht im
Dienst belassen werden kann. Eine solche Pflichtverletzung zerstört regelmäßig das für
die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in die Ehrlichkeit und
Zuverlässigkeit des Beamten. Denn der Dienstherr ist in hohem Maße auf die Ehrlichkeit
und Zuverlässigkeit seiner Bediensteten im Umgang mit Postsendungen angewiesen,
weil eine lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist. Wer sich als
Beamter über diese aus leicht erkennbarer Notwendigkeit begründete Pflicht zur
Vertrauenswürdigkeit hinwegsetzt, beweist im Kernbereich seiner Pflichten ein so hohes
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Maß an Pflichtvergessenheit und Vertrauensunwürdigkeit, dass er grundsätzlich mit der
Auflösung des Dienstverhältnisses rechnen muss.
Ständige Rechtsprechung, BVerwG, vgl. bereits: Urteil vom 19. Januar 1993 - 1 D 68/91
- juris; BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1992 - 1 D 56.91 - juris; Urteil vom 8. April 2003 -
1 D 27/02 - juris..
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Nur wenn das Vertrauensverhältnis wegen des in der Person des Täters und anderen
Umständen begründeten besonderen Charakters seiner Verfehlung nicht vollständig
zerstört ist, lässt es sich ausnahmsweise rechtfertigen, das Beamtenverhältnis nicht
aufzulösen. Dies kann angenommen werden, wenn einer der in der Rechtsprechung
anerkannten Milderungsgründe vorliegt oder aber die umfassende Würdigung des
Persönlichkeitsbildes des Beamten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
der Tat zu dem Ergebnis führt, dass ein endgültiger Vertrauensverlust nicht feststellbar
ist,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007, - 2 C 9/06- juris und vom 20. Oktober 2005 - 2 C
12/04 -, juris.
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Weder liegt im vorliegenden Fall ein anerkannter Milderungsgrund vor, noch liegen in
der Persönlichkeit des Beamten besondere Umstände vor, die bei prognostischer
Gesamtwürdigung das Bestehen eines Restbestandes an Vertrauen rechtfertigen.
Zunächst vermag die Höhe des vom Beklagten veruntreuten Geldes von 20 EUR keinen
Milderungsgrund zu begründen. Zwar wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
eine sog. Geringwertigkeitsgrenze von "etwa" 50 EUR angenommen,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 2003, - 1 D 27/02 -, a.a.O.
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jedoch ist die Höhe des veruntreuten Geldes im vorliegenden Fall nicht entscheidend.
Denn Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes ist u.a., dass durch
das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Schutzgüter -
wie hier aber mit der Verletzung des Brief- und Postgeheimnisses geschehen - verletzt
werden. Damit soll die Vertraulichkeit des Inhalts von Post- und Briefsendungen
unabhängig vom Wert ihres Inhalts geschützt werden. Zudem hätte es in derartigen
Konstellationen die Betriebssicherung der Klägerin selbst in der Hand, durch
Einschleusen großer oder kleinerer Geldbeträge die Wertgrenze zu über- oder zu
unterschreiten, wenn - wie hier - die Überführung des Beklagten nur mittels
Videoüberwachung und Einschleusung eines Fangbriefes erfolgen konnte. Der
Beklagte hat sein Dienstvergehen auch nicht vor der Entdeckung der Taten freiwillig
offenbart, sondern erst sukzessive eingeräumt und später sein Geständnis widerrufen.
Ebenso wenig vermögen seine beanstandungsfeie und teilweise sehr motivierte 32-
jährige Dienstzeit, seine berufliche Belastung und die aufgrund privater Stressmomente
angespannte psychische Verfassung bei Begehung der Tat seine Schuld nachhaltig zu
mildern. Insbesondere wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass der Beklagte sich
u.a. aufgrund der Pflegebedürftigkeit seines Schwiegervaters und seiner
Unterhaltsverpflichtungen aus den früheren Ehen in einer emotional und finanziell sehr
angespannten und depressiven Lebensphase befunden hat. Zwar mag bei dem
Beklagten auch schon zum Zeitpunkt der Tat eine generelle Minderung von
Konzentration und Belastbarkeit vorgelegen haben, jedoch erwiesen sich diese
Auffälligkeiten nach den überzeugenden Ausführungen der Dipl. Psychologin B2. T2.
vom 20. August 2009 insgesamt nicht als so ausgeprägt dar, dass sie den Schluss auf
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eine sich aktuell manifestierende, gravierende hirnorganische Leistungsstörung
zulassen. (GA, 98) Schließlich hat der Beklagte nicht die Gelegenheit genutzt, dem
Gericht in der mündlichen Verhandlung weitere entlastende
Bemessungsgesichtspunkte, die in seiner Persönlichkeit begründet sind, glaubhaft
darzulegen. In Anbetracht der gebotenen prognostischen Gesamtwürdigung im
Einzelfall ist das Gericht unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden
Bemessungsgesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des
Beklagten sowie des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu dem Ergebnis gekommen, dass im vorliegenden Fall ein
endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust der Allgemeinheit und des Dienstherrn
in die Person des Beamten eingetreten ist, der gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG die
Entfernung des Beamten aus dem Dienstverhältnis erforderlich macht. Dabei war zu
Lasten des Beklagten insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei seiner Tat um
ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Kernbereich seiner Dienstpflichten und eine
Verletzung des Brief- und Postgeheimnisses handelte; ferner fiel die vorsätzliche,
planvolle und zielgerichtete Zugriffsweise auf einen Geburtstagsbrief erheblich ins
Gewicht. Zudem fand Berücksichtigung, dass der Beklagte im Zustellstützpunkt C. mit
Leitungsaufgaben betraut war, so dass er auch seiner Vorbildfunktion namentlich
gegenüber seinen Kollegen und nachgeordneten Mitarbeitern seines
Zustellstützpunktes nicht gerecht geworden ist. Demgegenüber sind die entlastenden
Gründe in den persönlichen Verhältnissen des Beklagten auch im Vergleich zu anderen
vergleichbaren Beamten nicht von so erheblichem Gewicht, dass es naheliegen könnte,
einen endgültigen und vollständigen Vertrauensverlust zu verneinen. Das Gericht hat
keinen Anlass gesehen, die Gewährung des Unterhaltsbeitrags auszuschließen. Unter
Würdigung aller Umstände gibt es keine Gründe, den Beklagten als der Gewährung
eines Unterhaltsbeitrags nicht würdig oder nicht bedürftig im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz
2 BDG anzusehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG. Der Ausspruch
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 BDG in Verbindung mit § 167 VwGO.
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