Urteil des VG Münster vom 04.10.2010

VG Münster (gesetzliche grundlage, aufschiebende wirkung, antragsteller, tier, grund, verhütung, pferd, verwaltungsgericht, tierschutzgesetz, mitarbeiter)

Verwaltungsgericht Münster, 1 L 481/10
Datum:
04.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 481/10
Leitsätze:
1. Das allein optische Veränderungen eines Tieres dienende
Tätowieren ver-stößt gegen § 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 TierSchG. 2. Es
gibt keinen vernünftigen Grund Tieren ausserhalb der
tierschutzrechtlichen Gestattungen Schmerzen durch das Stechen von
Nadeln zuzufügen. 3. Ein "Tatooservice für Tiere" ist schon
grundgesetzlich nicht durch Art. 12 GG geschützt, weil sich der Tier-
schutz (Art. 20 a GG) bereits auf der Schutzbereichsebene gegenüber
der Be-rufsfreiheit durchsetzt.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der – sinngemäße – Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 1 K 1823/10 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 26. Juli 2010 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung der
widerstreitenden Interessen fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die gegenüber dem
Antragsteller verfügte Untersagung, keine Tiere mit Ausnahme zu den in § 5 Abs. 3 Nr. 7
TierSchG genannten Zwecken zu tätowieren oder tätowieren zu lassen, ist nach der im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen
Überprüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig.
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Die Tätowierungs-Untersagung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 16 a Satz 1
TierSchG. Danach trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter
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Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.
Die getroffene Anordnung ist zur Verhütung künftiger Verstöße gegen § 1 Satz 2
TierSchG und § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG notwendig. Für das Gericht steht aufgrund der
in dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners enthaltenen Vermerke und Fotografien
fest, dass der Antragsteller jedenfalls Vorbereitungen unternommen hat, einem
Schimmelpony auf dessen rechten hinteren Oberschenkel eine "Rolling-Stones-Zunge"
zu tätowieren.
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Mitarbeiter des Beklagten stellten am 20. Juli 2010 um 11.00 Uhr im Rahmen einer
Anlasskontrolle aufgrund einer Beschwerde fest, dass dem Schimmelpony bereits von
dem Antragsteller am rechten hinteren Oberschenkel eine größere Fläche Haare
wegrasiert worden war. Der Antragsteller, auf diesen Umstand angesprochen, räumte
ein, dass beabsichtigt sei, das Pferd am Nachmittag desselben Tages tätowieren zu
lassen. Damit lag ein Sachverhalt vor, der bei ungehindertem Geschehensablauf zu
einem Schadenseintritt bei dem Pferd geführt hätte. Zur Vermeidung dieses künftigen
Verstoßes erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller zunächst mündlich
eine Untersagungsverfügung. In Kenntnis der durch Ordnungsverfügung vom 26. Juli
2010 schriftlich bestätigten Untersagungsverfügung trieb der Antragsteller die
Tätowierung gleichwohl weiter voran, indem er auf der vorbereiteten Stelle am rechten
hinteren Oberschenkel des Schimmelponys eine ca. 15 cm große Vorlage der "Rolling-
Stones-Zunge" in Form von schwarzen Linien vortätowierte, wie Mitarbeiter des
Antragsgegners bei einer Überprüfung am 24. August 2010 feststellten. Nach der
Einlassung des Antragstellers erfolgte dieser Tätowier-Versuch ohne Betäubung oder
Schmerzstillung. Der Versuch sei nur deshalb abgebrochen worden, weil sich
herausgestellt habe, dass die Haut des Pferdes für die Tätowierungsnadel zu dick
gewesen sei.
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Die Tätowierung eines warmblütigen Wirbeltieres stellt einen Verstoß gegen § 1 Satz 2
TierSchG dar. Diese Vorschrift verbietet es, einem Tier ohne vernünftigen Grund
Schmerzen zuzufügen. Das Einstechen von Farbpigmenten mittels Nadeln in die Haut
ist nach der allgemeinen Erkenntnislage mit Schmerzen verbunden. Das wird im
Einzelnen zutreffend in der angefochtenen Ordnungsverfügung ausgeführt (dort Seite 1
dritter Absatz und Seite 2 erster bis dritter Absatz). Hierauf wird in entsprechender
Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen.
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Aus dem Tierschutzgesetz folgt kein die Schmerzzufügung gestattender vernünftiger
Grund. Er ergibt sich nicht aus dem Hinweis des Antragstellers auf § 5 Abs. 2 Nr. 1
TierSchG, wonach eine Betäubung nicht erforderlich ist, wenn bei vergleichbaren
Eingriffen am Menschen eine Betäubung in der Regel unterbleibt. Zwar erfolgen
Tätowierungen am Menschen im Regelfall ohne Betäubung, was allerdings nicht
bedeutet, dass der mit derartigen Eingriffen in die Haut verbundene Schmerz bei einem
Tier zu vernachlässigen ist. Grundsätzlich hängen die Schmerzen vom eigenen
Empfinden bzw. der eigenen Empfindlichkeit ab, die bei Menschen unterschiedlich
ausgeprägt ist. Bei der Frage nach der Vergleichbarkeit müssen deshalb sowohl die
physiologischen Eigenschaften des Tieres wie auch seine Angst und seine Unfähigkeit,
den Sinn des Schmerzes einzusehen und dessen zeitliche Dimensionen abzuschätzen,
bedacht werden.
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Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 5 Rn. 6; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 5.
Aufl., München 1999, § 5 Rn. 22.
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Im Gegensatz zu einem Tier können sich Menschen auf die mit einer Tätowierung, die
sie freiwillig vornehmen lassen, verbundenen Schmerzen einstellen. Anders als ein Tier
können sie die Prozedur jederzeit unter- oder gar abbrechen lassen. Das Tier ist jedoch
dem Willen des Tätowierers unterworfen. Aus dem Verwaltungsvorgang des
Antragsgegners ergibt sich, dass die Vortätowierung an dem Schimmelpony durch den
Antragsteller 2 Stunden gedauert haben soll und sie nur abgebrochen wurde, weil die
Tätowiernadel für die Pferdehaut nicht geeignet war.
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Das erklärte Motiv des Antragstellers, "sein Pferd individuell verschönern" zu lassen,
stellt ebenfalls keinen vernünftigen Grund im Sinne des § 1 Satz 2 TierSchG dar. Die
Tätowierung des Schimmelponys und weiterer Tiere dient nicht einer Kennzeichnung im
Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG, sondern allein einem individuellen und
wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers, der mit einem "Tattooservice für Tiere"
Geld verdienen will, wie sich aus der vorliegenden Gewerbeanmeldung ohne weiteres
ersehen lässt. Dieses Interesse ist nicht grundrechtlich geschützt. In der Kollision
zwischen dem verfassungsrechtlich verankerten Tierschutz (Art. 20 a GG) und dem
Bestreben des Antragstellers, einer tierschutzwidrigen gewerblichen Tätigkeit
nachzugehen, setzt sich schon auf der Schutzbereichsebene der Tierschutz gegenüber
der Berufsfreiheit durch.
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Das allein optischen Veränderungen des Tieres dienende Tätowieren verstößt
außerdem gegen § 6 Abs. 1 TierSchG. Diese Bestimmung verbietet das vollständige
oder teilweise Zerstören von Geweben eines Wirbeltieres, es sei denn, es liegt ein Fall
des § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG vor. Der Antragsgegner hat unwidersprochen dargelegt,
dass bei einer Tätowierung mittels Nadelstichen, die bis zu 3000-mal pro Minute in die
Haut eindringen, Farbpigmente in die mittlere von drei Hautschichten eingebracht
werden. Das ständige Eindringen der Nadeln führt dabei zu Gewebezerstörungen und
Reizungen der Schmerzrezeptoren, die bei einem Tier zu einem Schmerzempfinden
führen.
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Vgl. Wissdorf/Gerhards/Huskamp/Deegen, Praxisorientierte Anatomie des
Pferdes, Hannover 2010, 3. Aufl., Kapitel 2, S. 14.
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Dass die Untersagung der Tiertätowierung geeignet und erforderlich zur Verhütung der
vorgenannten Verstöße ist und angesichts der Schwere des Eingriffs sowie der
Bedeutung des Tierschutzes auch angemessen ist, bedarf keiner weiteren Begründung.
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