Urteil des VG Münster vom 14.03.2017

VG Münster (kläger, ausbildung, betriebswirtschaftslehre, wichtiger grund, wechsel, antrag, verwaltungsgericht, abbruch, begriff, grund)

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 1383/75
Datum:
25.06.1976
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1383/75
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 30. Januar
1975 und 27. März 1975 und des Widerspruchsbescheides des
Landesamtes für Ausbil- dungsförderung Nordrhein-Westfalen in
Aachen vom 15. Oktober 1975 verpflichtet, dem Kläger für die Zeit ab 1.
Oktober 1974 Ausbildungsförderung als Zuschuß zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Der Kläger nahm zum Wintersemester 1971/72 an der X. X.-Universität in N. das
Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Ziel auf, die Diplomkaufmannsprüfung
abzulegen. Als Nebenfächer wählte er ab dem 2. Semester Sport und Pädagogik. Der
Beklagte förderte das Studium des Klägers ab dem Wintersemester 1972/73 nach den
Regeln des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - BAföG -.
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Mit Schreiben vom 28. September 1974 teilte der Kläger dem Beklagten mit, daß er sich
"aufgrund der derzeit ungünstigen Arbeitsmarktlage für Betriebswirte" entschlossen
habe, vom Studium der Betriebswirtschaftslehre umzuwechseln auf das Studium der
Wirtschaftswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien. Dieser Wechsel brächte
keinen Zeitverlust mit sich, da ihm u.a. die 6 Semester Betriebswirtschaftslehre voll
angerechnet würden. Zugleich bat der Kläger um Weiterförderung. Der dazu angehörte
Förderungsausschuß sah in den vom Kläger vorgetragenen Umständen keinen
wichtigen Grund für einen Fachrichtungswechsel im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG.
Dementsprechend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 1975 den Antrag
des Klägers auf Weiterförderung ab. Dagegen legte der Kläger am 20. Februar 1975
Widerspruch ein.
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Mit Bescheid vom 27. März 1975 bewilligte der Beklagte ihm für den Zeitraum vom 1.
Oktober 1974 bis zum 30. September 1975, beschränkt auf 4 Monate, je 72,- DM als
unverzinsliches Darlehen; diesen Bescheid focht der Kläger nicht an.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1975 - dem Kläger zugestellt am 20.
Oktober 1975 - wies das Landesamt für Ausbildungsförderung Nordrhein-Westfalen den
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Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30. Januar 1975 zurück.
Zur Begründung seiner dagegen am 20. November 1975 erhobenen Klage macht der
Kläger im wesentlichen geltend:
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Vor der Änderung seines Berufszieles habe er wegen der Weiterförderung ein Telefonat
mit der Sachbearbeiterin des Beklagten geführt. Diese habe ihm gesagt, dass der
Wechsel unproblematisch sei, und er in seinem Antrag lediglich einen Grund dafür
angeben müsse. Diese Auskunft habe er dahin gedeutet, dass es sich bei der Angabe
des Grundes lediglich um eine Formsache handele. Dementsprechend habe er als
naheliegendes Motiv die schlechten Berufsaussichten für Betriebswirte genannt.
Entscheidend sei aber folgendes für die Änderung seines Berufszieles gewesen: Im
Laufe seines Studiums sei er immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass der Beruf
des Diplomkaufmannes seinem Charakter und seinen Fähigkeiten nicht entspreche.
Während zweier Praktika habe er festgestellt, dass ihm die für einen Diplomkaufmann
wesentliche Eigenschaft fehle, sich ständig und mit Eifer für die Umsatz- und
Gewinnsteigerung des jeweiligen Unternehmers einzusetzen. Auch habe sich gezeigt,
dass er den Anforderungen eines vollen betriebswirtschaftlichen Studiums nicht
gewachsen gewesen sein; so habe er zwei Semester lang vergeblich versucht, zwei
notwendige Scheine zu erwerben. Demgegenüber habe er während seiner Tätigkeit als
Gruppenleiter bei der Deutschen Jugendkraft in sich pädagogische Fähigkeiten
entdeckt, die er bis dahin nicht für möglich gehalten habe; es habe ihm Freude bereitet,
mit jungen Menschen zu arbeiten.
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Im übrigen liege gar kein Fachrichtungswechsel vor, weil er ja weiterhin
Wirtschaftswissenschaften studiere und sich seine Studiendauer nicht bzw. nur
unwesentlich verlängere.
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Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar
1975 sowie des Bescheides vom 27. März 1975 und des Widerspruchsbescheides des
Landesamtes für Ausbildungsförderung Nordrhein-Westfalen in B. vom 15. Oktober
1975 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 1974 Ausbildungsförderung
als Zuschuß zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Dazu trägt er u.a. vor:
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Die Änderung des Berufszieles des Klägers stelle sich als Fachrichtungswechsel im
Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG dar. Insoweit sei eine Förderung nur dann möglich, wenn
für den Fachrichtungswechsel ein wichtiger Grund vorliege, was bei dem Kläger jedoch
nicht der Fall sei.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen
wird auf die Streitakte sowie auf die von dem Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist - als Verpflichtungsklage - in vollem Umfang zulässig.
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Zwar hat der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. März 1975 weder
Widerspruch eingelegt noch Klage erhoben; auch war dieser Bescheid nicht
ausdrücklich Gegenstand des Widerspruchsbescheides. Gleichwohl muß der Bescheid
vom 27. März 1975 in dem durch den Klageantrag gekennzeichneten Umfange als mit
angefochten gelten. Dieser Bescheid ist ausdrücklich unter dem Vorbehalt der
Rückforderung ergangen, "weil einzelne zur Entscheidung über den Antrag erforderliche
Feststellungen nicht rechtzeitig getroffen werden konnten (Par. 51 Abs. 2 BAföG)." Somit
handelte es sich nur um eine vorläufige Bewilligung, die jederzeit, namentlich bei
Abschluß der notwendigen Feststellungen, einer Neuregelung zugänglich sein sollte.
Verständlicherweise mußte angesichts dessen dem Widerspruchsbescheid vom 15.
Oktober 1975, der seinem Wesen nach eine umfassende und abschließende
Entscheidung im Verwaltungsverfahren traf, der Erklärungswert beigemessen werden,
dass er auch insoweit die zu erwartende Neuregelung enthielt. Mit der "endgültigen"
Versagung einer Weiterförderung der Ausbildung des Klägers dem Grunde nach für den
Bewilligungszeitraum ab Oktober 1974 wurde in ihm zugleich schlüssig die für einen
Teil dieses Zeitraumes ausgesprochene Bewilligung von Vorausleistungen im Sinne
von § 51 Abs. 2 BAföG aufgehoben.
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Die somit insgesamt zulässige Klage ist auch sachlich gerechtfertigt. Das
Klagebegehren ist auf Bewilligung von Ausbildungsförderung als Zuschuß für den
Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1975 dem Grunde
nach gerichtet. Es findet seine Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 17
Abs. 1 und 2 BAföG in der hier maßgeblichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 31.
Juli 1974 (BGBl I 1649).
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Nach § 7 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für eine erste Ausbildung, die nach
dem BAföG gefördert werden kann, bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß
geleistet. Bei dem vom Kläger ab dem Wintersemester 1974/75 betriebenen Studium, für
welches er die streitige Förderung begehrt, handelte es sich nach wie vor um die erste
Ausbildung und nicht - wie der Beklagte meint - um eine andere im Sinne von § 7 Abs. 3
BAföG; der Kläger hat nämlich weder die Ausbildung abgebrochen noch die
Fachrichtung gewechselt. Nach § 15 a Abs. 4 BAföG in der o.g. Fassung, welcher eine
gesetzliche Definition für den Abbruch der Ausbildung enthält, ist ein solcher dann
gegeben, wenn der Auszubildende das Ziel eines förderungsfähigen
Ausbildungsabschnittes endgültig nicht mehr anstrebt und nicht in derselben
Fachrichtung die Ausbildung an einer Ausbildungsstätte anderer Art im Sinne von § 2
Abs. 1 (BAföG) weiterführt. Letztes trifft jedenfalls auf den Kläger nicht zu. Er führt
nämlich die Ausbildung in derselben Fachrichtung (vergl. dazu unten) weiter. Zwar
geschieht dies nicht an einer Ausbildungsstätte anderer Art im Sinne von § 2 Abs. 1
BAföG, sondern an der von ihm von Anfang an besuchten. Dies ist jedoch nach
Auffassung der Kammer unerheblich; wenn schon die Fortsetzung der Ausbildung in
derselben Fachrichtung an einer Ausbildungsstätte anderer Art nicht als Abbruch der
Ausbildung zu werten ist, so muß dies erst recht gelten, wenn der Auszubildende an der
von ihm besuchten Ausbildungsstätte verbleibt.
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Der Umstand, daß der Kläger nunmehr Wirtschaftswissenschaften (als Hauptfach) mit
dem Berufsziel des Lehramtes an Gymnasien studiert, hat auch nicht einen
Fachrichtungswechsel bewirkt. Außer in § 7 Abs. 2 und 3 findet sich der Begriff
Fachrichtung noch in § 15 a Abs. 4 BAföG. Es kann davon ausgegangen werden, daß
der Gesetzgeber diesem Begriff eine einheitliche Bedeutung zugemessen hat, zumal
die genannten Vorschriften miteinander korrespondieren. § 15 a Abs. 4 BAföG ist jedoch
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zu entnehmen, daß bei der Bestimmung des Inhalts des Begriffes Fachrichtung nicht auf
das Berufsziel abzustellen ist. Bei Anwendung dieser Vorschrift ist nämlich der Abbruch
einer Ausbildung offensichtlich dann zu verneinen, wenn beispielsweise ein
Auszubildender den Abschluß eines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an einer
Hochschule mit der Diplomkaufmannsprüfung nicht mehr anstrebt und statt dessen das
Studium der Betriebswirtschaftslehre an einer Fachhochschule (vergl. § 2 Abs. 1 BAföG)
mit dem Studienziel eines graduierten Betriebswirtes fortsetzt. Im Hinblick darauf kann
daher nicht zweifelhaft sein, daß der Begriff Fachrichtung unabhängig von dem
jeweiligen Berufsziel zu sehen ist. Diese Folgerung steht im übrigen auch im Einklang
mit der Rechtsprechung der Kammer, die bereits hinsichtlich von Ausbildungen, die auf
die Befähigung zu einem Lehramt abzielen, zur Bestimmung des Begriffes Fachrichtung
nicht auf das Berufsziel abgestellt hat.
Vergl. z.B. Urteil der Kammer vom 15. August 1975, Az.: 1 L 219/75.
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Umstände, die einen Wechsel der Fachrichtung bewirken könnten, sind im Falle des
Klägers jedoch nicht ersichtlich.
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Daß der Kläger nicht mehr Betriebswirtschaftslehre, sondern Wirtschaftswissenschaften
studiert, erscheint unerheblich. Bei dem Studium der Betriebswirtschaftslehre handelt es
sich um eine besondere Ausprägung des Studiums der Wirtschaftswissenschaften, bei
der andere Bereiche, wie z.B. Volkswirtschaftslehre, durchaus Berücksichtigung finden.
Im übrigen spricht insoweit vorliegend gegen einen Wechsel der Fachrichtung, daß dem
Kläger das Studium der Betriebswirtschaftslehre voll auf das Studium der
Wirtschaftswissenschaften angerechnet worden ist, d.h. der Kläger so gestellt worden
ist, als hätte er von Anfang an dieses Studium betrieben.
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Ohne Einfluß auf die Fachrichtung ist es schließlich auch, daß die vom Kläger bereits
seit seinem zweiten Semester betriebenen Nebenfächer Sport und Pädagogik im
Rahmen des nunmehr angestrebten Studienabschlusses einen anderen, d.h.
prüfungsrelevanten Stellenwert erfahren haben. Dies führt nach Auffassung der Kammer
allein zu einer Ergänzung der durch das Hauptfach Wirtschaftswissenschaften
maßgeblich bestimmten Fachrichtung.
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Da sich nach Berechnung der Kammer der dem Kläger für den Bewilligungszeitraum
vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1975 zustehende monatliche
Förderungsbetrag auf - überschlägig - 120,- DM beläuft, steht dem Kläger die begehrte
Ausbildungsförderung grundsätzlich auch als Zuschuß zu (§ 17 Abs. 1 BAföG).
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Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 BAföG
stattzugeben.
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