Urteil des VG Münster vom 01.12.2010

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Verwaltungsgericht Münster, 9 K 1493/10
Datum:
01.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1493/10
Leitsätze:
Zur Wirksamkeit einer im 1. Halbjahr für das laufende Steuerjahr
beschlossenen Erhöhung des Grundsteuerhebesatzes von 401 v.H. auf
495 v.H.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die auf das Steuerjahr 2010 bezogene
Grundsteuerfestsetzung des Beklagten, der ein im Vergleich zum Steuerjahr 2009 von
401 v.H. auf 495 v.H. und damit ein um 94 Prozentpunkte erhöhter Grundsteuerhebesatz
zugrunde gelegt wurde. Die Erhöhung macht bei den Klägern, die Eigentümer eines in
der Gemeinde O. gelegen Hausgrundstücks sind, mit einer Grundsteuer 2010 i.H.v.
insgesamt 417,19 € eine im Vergleich zum Vorjahr (337,96 €) um 23,44 v.H. höhere
Grundsteuer aus.
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Der streitigen Grundsteuerfestsetzung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt
zugrunde:
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Der Rat der Gemeinde O. hatte in seiner Haushaltssatzung 2009 (dort § 6) die
Steuersätze für die Gemeindesteuern für das Haushaltsjahr 2009 wie folgt festgesetzt:
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"1. Grundsteuer
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1.1 für die land-und forstwirtschaftlichen Betriebe (Grundsteuer A) auf 214 v.H.
6
1.2 für die Grundstücke (Grundsteuer B) auf 401 v.H.
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2. Gewerbesteuer auf 413 v.H."
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Für das Haushaltsjahr 2010 wurde unter dem 23. März 2010 der Entwurf der
Haushaltsatzung der Gemeinde mit seinen Anlagen in den Rat eingebracht. Der
Entwurf, der in dieser Ratssitzung u.a. vom Bürgermeister und vom Kämmerer erläutert
wurde, sah vor, bei einem unverändertem Gewerbesteuerhebesatz von 413 v.H. und
einem unveränderten Grundsteuerhebesatz für die Grundsteuer A den Hebesatz für die
Grundsteuer B auf 600 v.H. anzuheben. Wegen dieser beabsichtigten Erhöhung des
Hebesatzes für die Grundsteuer B wurde u.a. auf das Ziel verwiesen, ein bei der
Haushaltslage der Gemeinde sonst zu besorgendes Haushaltssicherungskonzept zu
vermeiden.
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Der Entwurf der Haushaltssatzung 2010 lag nach öffentlicher Bekanntmachung für die
Zeit vom 24. März 2010 bis zum 1. Juni 2010 einschl. öffentlich aus. Auf die Möglichkeit
zur Erhebung von Einwendungen wurde hingewiesen. Hiervon wurde kein Gebrauch
gemacht.
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Nach Beratung des Haushaltsentwurfs in seinen Ausschüssen (u.a. dem Haupt- und
Finanzausschuss am 18. Mai 2010 mit Beschlussfassung) befasste sich der Rat der
Gemeinde O. abschließend am 1. Juni 2010 in öffentlicher Sitzung mit dem
Haushaltsentwurf unter Einschluss der zwischenzeitlich von den Fraktionen
angebrachten Änderungsvorschläge. Nach Erörterung beschloss er in dieser Sitzung
die Steuersätze des Steuerjahres 2010 in der Haushaltssatzung 2010 (dort: § 6)
mehrheitlich (29 Ja- und 4 Neinstimmen) wie folgt:
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"1. Grundsteuer
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1.1 für die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe (Grundsteuer A) auf 224 v.H.
13
1.2 für die Grundstücke (Grundsteuer B) auf 495 v.H.
14
2. Gewerbesteuer auf 430 v.H."
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Für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2011 bis 2013
wurden durch weiteren Beschluss folgende Steuersätze eingesetzt: Grundsteuer A: 235
v.H.; Grundsteuer B: 590 v.H. und Gewerbesteuer: 446 v.H.
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Unter dem 10. Juni 2010 zeigte der Beklagte die beschlossene Haushaltssatzung 2010
dem Landrat des Kreises Coesfeld an. Dabei wurde auf ein geplantes Defizit i.H.v.
3.476.551 Euro mit dem Erfordernis einer Rücklagenentnahme hingewiesen.
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Der Landrat des Kreises D. teilte unter dem 6. Juli 2010 mit, dass gegen die
Haushaltssatzung 2010 keine Bedenken erhoben würden. Ergänzend wies er im
Zusammenhang mit der Genehmigung der Verringerung der allgemeinen Rücklage
darauf hin, dass der Haushalt der Gemeinde O. für das Haushaltsjahr 2010 ebenso
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wie in den Vorjahren im Plan unausgeglichen sei. Das geplante Defizit belaufe sich auf
3.476.551 Euro.
Die Haushaltssatzung 2010 wurde mit ihren Anlagen im Amtsblatt der Gemeinde vom
15. Juli 2010 bekanntgemacht.
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Mit Abgabenbescheid vom 16. Juli 2010 zog der Beklagte u.a. die Kläger auf der
Grundlage des Grundsteuerhebesatzes B für 2010 von 495 v.H. zur Grundsteuer für das
Jahr 2010 in Höhe von 417,19 Euro heran.
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Die bereits zuvor – nämlich mit Steuerbescheid vom 8. Januar 2010 auf der Basis des
Hebesatzes 2009 mit einem Betrag von 337,96 Euro festgesetzten - Grundsteuern für
das Jahr 2010 wurden dabei rechnerisch abgesetzt. Der Beklagte hatte jenem
Steuerbescheid vom 8. Januar 2010 den Hinweis beigefügt, dass die Haushaltssatzung
2010 voraussichtlich erst im Juni 2010 beschlossen werde und für die Berechnung der
Grundsteuer 2010 die Hebesätze aus der Haushaltssatzung 2009 verwandt worden
seien. Bei einer etwaigen Erhöhung der Hebesätze 2010 würden Änderungsbescheide
ergehen.
21
Die Kläger haben gegen die Grundsteuerfestsetzung in dem Bescheid vom 16. Juli
2010 am 21. Juli 2010 Klage erhoben.
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Sie tragen zur Begründung im Wesentlichen vor: Der Steuerbescheid vom 16. Juli 2010
beruhe auf einer rückwirkenden Erhöhung des Hebesatzes, was ohnehin rechtswidrig
sei. Im Übrigen sei der nunmehr für das Steuerjahr 2010 bestimmte erhöhte
Grundsteuerhebesatz von 495 v.H. unangemessen und beruhe auf einer fehlerhaften
Ermessensausübung des Rates. Der pauschale Hinweis auf den Haushaltsfehlbetrag
reiche zur Begründung der ohnehin gleichheitswidrig besonders starken Erhöhung des
Hebesatzes B nicht aus. Auch hätten anderweitige Einnahmequellen zum
Haushaltsausgleich berücksichtigt werden müssen.
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Die Kläger beantragen,
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die Grundsteuerfestsetzung im Abgabenbescheid des Beklagten vom 16. Juli
2010 aufzuheben.
25
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er tritt dem Vorbringen der Kläger unter anforderungsgemäßer Vorlage der
Aufstellungsvorgänge aus dem Satzungsverfahren im einzelnen entgegen und hebt
hervor, dass der für das Steuerjahr 2010 durch den Rat der Gemeinde beschlossene
Hebesatz für die Grundsteuer B, der in Zusammenhang mit den weiter bestimmten
Änderungen der Steuersätze stehe, auf einer intensiven Abwägung durch den Rat
beruhe und auch sonst keine rechtlichen Fehler aufweise. Ein beachtlicher
Vertrauenstatbestand dahin, für das Jahr 2010 bzw. für bestimmte Zeiträume dieses
Jahres solle abschließend der für das Jahr 2009 geltende Hebesatz maßgeblich sein,
sei vom ihm - dem Beklagten - nicht gesetzt worden. Insbesondere sei solches nicht in
dem Abgabenbescheid vom 8. Januar 2010 zum Ausdruck gebracht worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und
Satzungsunterlagen verwiesen. Diese sind zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Grundsteuerfestsetzung
im Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger
deshalb nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage dieser Festsetzung sind die Bestimmungen der § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 2, §
10 und §§ 13 ff. des Grundsteuergesetzes (GrStG) in Verbindung mit § 6 Ziff. 1.2 der
Haushaltssatzung der Gemeinde O. für das Haushaltsjahr 2010 (Amtsblatt der
Gemeinde O. Nr. 09 vom 15. Juli 2010, 113 ff.).
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Die Voraussetzungen für die Festsetzung der für das Grundstück der Kläger im
Steuerjahr 2010 anfallenden Grundsteuer B in Höhe von 417,19 Euro sind nach diesen
Bestimmungen erfüllt. Insbesondere ist auf der Grundlage des vom zuständigen
Finanzamt für den Beklagten bindend festgesetzten Grundsteuermessbetrages und des
gemäß § 25 Abs. 1 GrStG in der Haushaltssatzung 2010 bestimmten Hebesatzes von
495 v.H. die die Kläger treffende Grundsteuer B zutreffend errechnet worden.
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Der im Haushaltsplan 2010 festgesetzte Grundsteuerhebesatz der Grundsteuer B i.H.v.
495 v.H. ist wirksam. Eine Verletzung höherrangigen Rechts ist nicht festzustellen.
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Nach Art. 106 Abs. 6 des Grundgesetzes (GG) steht das Aufkommen der Grundsteuer
den Gemeinden zu. Die Gemeinden haben dabei das Recht, die Hebesätze der
Grundsteuer festzusetzen. Wie in der Rechtsprechung geklärt ist, haben die Gemeinden
bei der Festsetzung der Hebesätze wegen dieser verfassungsrechtlich garantierten
Steuerhoheit als Bestandteil ihrer Finanzhoheit, die eine eigenverantwortliche
Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft gewährleistet, einen weiten
Entschließungsspielraum, der seine Grenzen lediglich in den allgemeinen Grundsätzen
des Haushalts- und Steuerrechts findet.
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Vgl. statt vieler: BVerwG, Urteil vom 11. Juni 1993 - 8 C 32.90 -, NVwZ 1994,
176;; OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Oktober 2006 – 14 E 1373/05 – und vom
22. Juli 2009 – 15 A 2324/07 –; BayVGH, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4
ZB 09.3189 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Oktober 1989 – 2 S
1429/87 -. KStZ 1990, 35, und Beschluss vom 12. Februar 1998 – 2 S 1648/97 -,
NVwZ 1998, 1325; VG Ansbach, Urteil vom 16. März 2005 – AN 11 K 04.03713
-; VG Halle, Urteil vom 1. Februar 2010 - 4 A 304/09 -; VG Aachen, Urteil vom
24. März 1997 – 6 K 3497/96 -, NVwZ-RR 1998, 200; Urteile des Gerichts vom
9. August 2004 – 9 K 296/04 – und vom 28. August 2007 – 9 K 1205/06 -,
jeweils juris; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 9. Aufl. 2006, § 25 Rdn. 4
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Im Rahmen dieses Entschließungsspielraums, der auch erfasst, auf welche Weise sie
ihre kommunale Aufgabenerfüllung finanziert, kommt es der Gemeinde – durch ihren
Rat - zu, die Hebesätze autonom nach den jeweiligen finanziellen Bedürfnissen
festzusetzen. Allerdings darf die Grundsteuer die dieser Steuer unterworfenen Bürger
nicht übermäßig belasten und ihre Vermögensverhältnisse nicht grundlegend
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beeinträchtigen. Die Steuer darf mithin gemessen an einer normalen finanziellen
Leistungskraft keine "erdrosselnde" Wirkung haben. Auch darf die Gemeinde bei ihrer
eigenverantwortlichen Abschätzung des Finanzbedarfs keine grob unsachlichen, d.h.
evident willkürlichen Entschließungskriterien tragend werden lassen oder gar den zu
bestimmenden Hebesatz ohne jede Würdigung seiner Wirkungen auf die
Steuerpflichtigen "greifen". Auf die Überprüfung, ob diese Grenzen des dem Rat der
Gemeinde durch Verfassungsrecht zukommenden Entscheidungsspielraums, der
oftmals als "Satzungsermessen" bezeichnet wird, eingehalten worden sind, hat sich die
gerichtliche Kontrolle zu beschränken. Anders gewendet folgt hieraus, dass der
innerhalb dieser Grenzen des "Satzungsermessens" für die Gemeinde verbleibende
weite Beurteilungsfreiraum der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Dementsprechend
sind weder das Gericht noch der jeweilige Steuerpflichtige befugt, ihre eigenen für
richtig oder sachgerecht gehaltenen Bewertungen an die Stelle des hierzu nach der
Rechtsordnung berufenen - und entsprechend legitimierten - Satzungsgebers zu stellen.
Damit ist zugleich festzuhalten, dass es – anders als dies die Kläger offenbar für
geboten halten – im Rahmen der auf die satzungsrechtliche Hebesatzbestimmung
bezogenen gerichtlichen Inzidentprüfung mangels entsprechender gesetzlicher
Anordnung weder darauf ankommen kann, ob der Satzungsgeber bei Satzungserlass
eine in jeder Hinsicht fehlerfreie Zusammenstellung von Abwägungsmaterial
vorgenommen hat, noch ob von der Fehlerfreiheit des Abwägungsvorgangs als solchem
auszugehen ist. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist vielmehr ausschließlich,
ob die getroffene Satzungsregelung über den steuerrechtlichen Hebesatz im Ergebnis
mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Angesichts dessen unterliegt der
Satzungsbeschluss über den Hebesatz auch nicht der gerichtlichen Prüfung nach der
Art von ermessensgeleiteten Verwaltungsakten (vgl. § 114 VwGO).
Vgl. dazu auch OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -, NRWE,
sowie Beschluss vom 9. August 2010 – 14a A 2203/09 – (zur gerichtlichen
Kontrolle des Steuersatzes der kommunalen Vergnügungssteuern für
Gewinnspielgeräte).
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Hiervon ausgehend lässt sich nicht feststellen, dass der Rat der Gemeinde O. mit
dem für das Steuerjahr 2010 beschlossenen Hebesatz für die Grundsteuer B i.H.v. 495
v.H. die der gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Grenzen seiner haushaltsrechtlichen
Entschließungsbefugnis verletzt hätte.
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Dieser Hebesatz ist vom Rat angesichts der in den Ratsvorlagen und sonstigen
Beratungs- und Beschlussmaterialien (einschließlich der Haushaltsreden des
Bürgermeisters und des Kämmerers) beschriebenen finanziellen und
haushaltswirtschaftlichen Umstände mehrheitlich als zur ordnungsgemäßen
Aufgabenerfüllung, zur Haushaltskonsolidierung und zur Vermeidung eines
Haushaltssicherungskonzeptes notwendig und angemessen beurteilt worden. Dabei
zeigt der Ablauf der Beratungen und der abschließenden Beschlussfassung (gerade im
Vergleich mit dem Ursprungsentwurf), dass in eine intensive eigene Abwägung der
widerstreitenden Belange eingetreten worden ist. Diese Behandlung durch den Rat –
und zuvor seiner Ausschüsse - bietet für die Annahme einer wie immer zu verstehenden
Willkür bzw. für einen "gegriffenen" oder unreflektiert an vorausgegangene
Empfehlungen Dritter angeknüpften Steuersatz keinerlei Anhalt. Willkürlich ist es
insbesondere nicht, einen Hebesatz nach den individuellen finanzwirtschaftlichen
Gegebenheiten gerade dieser Gemeinde, wie sie sich dem hierzu berufenen Rat
darstellen, zu beschließen. Dabei mag der gefundene Hebesatz - auch durchaus
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spürbar – höher liegen als der von Umlandgemeinden. Auf einen Vergleich des
Hebesatzes mit dem anderer Gemeinden vergleichbarer Größenklasse oder mit
sonstigen landes- oder kreisweiten Durchschnittshebesätzen kann es in diesem
Zusammenhang gleichfalls nicht ankommen. Auch steht es in der originären Befugnis
des Rates der Gemeinde, nach seiner Beurteilung die Steuersätze der
Gemeindesteuern, insbesondere die Hebesätze der Grundsteuern A und B, in
unterschiedlicher Höhe zu beschließen bzw. hier im Vergleich zu vorausgegangenen
Steuerjahren unterschiedliche Veränderungen vorzunehmen. Eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes liegt hierin von vornherein nicht.
Mit den vielfältigen Rügen der Kläger, einzelne oder auch zahlreiche
kommunalpolitische Entscheidungen mit finanziellen Auswirkungen seien in der
Vergangenheit verfehlt gewesen, kann eine Willkür ohnehin nicht begründet werden, da
auch diese Entscheidungen, die klägerseitig als Ursache der angespannten
Haushaltslage der Gemeinde O. angesehen werden, auf der demokratisch
legitimierten Entscheidungsbefugnis der jeweiligen Entscheidungsträger – zumeist des
Rates – beruhten bzw. beruhen. Auch insoweit steht es nicht in der Rechtsmacht der
Kläger oder des Gerichts, hier eigene für richtig gehaltene Bewertungen vorzunehmen
und dies der Höhe des Hebesatzes für die Grundsteuer entgegenzuhalten.
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Dass der Hebesatz in der beschlossenen Höhe eine erdrosselnde Wirkung für die
betroffenen Grundstückseigentümer im Gemeindegebiet hätte, ist schon nach dem
hierauf aufbauenden Zahlbetrag der in Rede stehenden Steuer nicht ersichtlich.
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Ist nach alledem der Hebesatz 2010 mit 495 v.H. als solcher materiell-rechtlich nicht zu
beanstanden, bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, die Haushaltssatzung 2010 sei
verfahrensrechtlich rechtswidrig zustande gekommen. Dies ziehen die Kläger auch
selbst nicht in Zweifel. Soweit gerügt wird, die auf dem Satzungsbeschluss vom 1. Juni
2010 beruhende Hebesatzfestsetzung für das Jahr 2010 erfasse zu Unrecht rückwirkend
auch die bis dahin verstrichenen Monate des Jahres 2010, ist dieser Einwand rechtlich
unzutreffend.
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§ 25 Abs. 3 Satz 1 GrStG ermächtigt die Gemeinde durch ausdrückliche gesetzliche
Anordnung zu einer solchen rückwirkenden - auch erhöhten - Festsetzung bis zum
30. Juni des jeweiligen Steuerjahres, wobei es auf den Zeitpunkt des Ratsbeschlusses
ankommt. Dieser Voraussetzung ist Rechnung getragen worden. Die gesetzliche
Regelung ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. November 1999 – 14 A 4793/99 – und FG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2009 – 3 K 2287/04 B -, juris.
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Davon, dass der Beklagte einen hiervon abweichenden Vertrauenstatbestand gesetzt
hätte, an den die Kläger schutzwürdig ein Vertrauen hätten anknüpfen können, dass sie
jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 1. Juni 2010 abschließend
noch nach dem allein für das Jahr 2009 geltenden Hebesatz veranlagt würden, kann
schon nach den Hinweisen des Beklagten in den Steuerbescheiden vom 8. Januar
2010 nicht gesprochen werden.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO, § 167 VwGO,
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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