Urteil des VG Münster vom 09.09.2008

VG Münster: schutz des familienlebens, bundesamt für migration, aufschiebende wirkung, nichteheliche lebensgemeinschaft, abschiebung, emrk, asylverfahren, duldung, kreis, drittstaat

Verwaltungsgericht Münster, 8 L 493/08
Datum:
09.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 493/08
Schlagworte:
Zurückschiebung Zurückführung Dublin II Dublin 2 Schweden
Asylantrag Umgangsrecht Sorgerecht nichteheliche
Lebensgemeinschaft
Normen:
AufenthG § 57 Abs 1 AsylVfG § 34a Abs 1 AsylVfG § 27a AsylVfG § 13
AsylVfG § 14 EGVO 343/2003 Art 16 Abs 1 Buchstabe c EGVO
343/2003 Art 20 Abs 1 Buchstabe e AufenthG § 60a Abs 2 GG Art 6
EMRK Art 8 MRK Art 8
Leitsätze:
Die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 1 AufenthG wird nicht durch § 34a
Abs. 1 A-sylVfG ausgeschlossen, wenn ein Ausländer zur Durchführung
eines Asylver-fahrens im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c der
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) in einen anderen Staat
zurückgeführt werden soll, in dem er ausschließlich einen Asylantrag
gestellt hat; Asylantrag im Sinne der §§ 34 a Abs. 1, 27 a AufenthG ist
nur ein in Deutschland gestellter Asylantrag.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
Der Antrag des Antragstellers,
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den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen,
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bleibt ohne Erfolg.
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Im Hinblick auf eine (Un-)Zulässigkeit des Rechtsschutzantrages mag offen bleiben, ob
und ggf. wie sich auswirken könnte, dass der Antragsteller sich am 2. September 2008
gegenüber dem Antragsgegner mit einer Zurückführung in das Königreich Schweden
einverstanden erklärt haben könnte.
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Weiterhin mag hier dahingestellt bleiben, ob der gestellte Antrag auf Erlass einer
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einstweiligen Anordnung oder aber ein Antrag auf Anordnung bzw. Feststellung der
aufschiebenden Wirkung (§§ 80 Abs. 5 VwGO) statthaft ist. In diesem Zusammenhang
mag auch dahingestellt bleiben, dass der Antragsteller keine Klage erhoben hat, die
eine aufschiebende Wirkung bewirken könnte.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Der
Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf die Erteilung einer Duldung oder auf
Zurückschiebungsschutz glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920
Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Die Zurückschiebungsanordnung des Antragsgegners ist
offensichtlich rechtmäßig, so dass den öffentlichen Interessen am Vollzug der
Anordnung gegenüberstehende überwiegende private Interessen des Antragstellers,
von dem Vollzug der Anordnung vorläufig veschont zu bleiben, nicht festzustellen sind.
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Grundlage der beabsichtigten Zurückschiebung des Antragstellers in das Königreich
Schweden ist die Zurückschiebungsanordnung des Antragsgegners vom 2. September
2008.
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Die Einwendung, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers und/oder
dem Antragsteller von einer Zurückschiebungsanordnung nichts bekannt sei, steht dem
Bestand einer Zurückschiebungsanordnung nicht entgegen. Die formfrei mögliche
Anordnung (vgl. dazu unten) kann auch konkludent erfolgen. Dem Antragsteller ist
jedenfalls durch dem Antragsgegner bekannt gemacht worden, dass er, der
Antragsgegner, den Antragsteller nach Schweden zurückführen werde.
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Rechtsgrundlage für die Anordnung ist § 57 Abs. 1 AufenthG.
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Die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 1 AsylVfG wird nicht durch die spezielle Regelung
des § 34 a AsylVfG ausgeschlossen. Ein Anwendungsfall des § 34 a AsylVfG liegt nicht
vor. Nach § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bundesamt) - und damit nicht der Antragsgegner die Abschiebung eines
Ausländers an, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in
einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG)
abgeschoben werden soll. Der Antragsteller soll aber nicht in einen sicheren Drittstaat
abgeschoben werden. Er soll auch nicht in einen im Sinne des § 27 a AsylVfG für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden. Zwar erfolgt
die Zurückschiebung des Antragstellers, weil er im Königreich Schweden einen
Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig befunden wurde, so dass in
Schweden das Asylverfahren weiter durchgeführt werden kann. Infolge der
ausdrücklichen Verweisung auf § 27 a AsylVfG erfasst § 34 a AsylVfG aber nicht jedes
außerhalb Deutschlands durchzuführende Asylverfahren, sondern nur Asylanträge, die
in der Bundesrepublik Deutschland gestellt sind, für deren Bearbeitung gleichwohl ein
anderer Staat als die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist. Asylantrag im Sinne
des § 27 a AsylVfG ist nur ein Asylantrag nach §§ 13, 14 AsylVfG und damit nur ein
Asylantrag, mit dem bei einer Außenstelle des Bundesamtes (§ 14 Abs. 1 S. 1 AsylVfG)
um Schutz im Bundesgebiet (§ 13 Abs. 1 AsylVfG) nachgesucht wird. Der Antragsteller
hat aber mit dem in Schweden gestellten Asylantrag Schutz im Königreich Schweden
begehrt.
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Dass die Zurückschiebungsanordnung des Antragsgegners mündlich und nicht
schriftlich erfolgte, ist nicht zu beanstanden. Für eine Zurückschiebungsanordnung
besteht von Rechts wegen kein Schriftformerfordernis. Die Zurückschiebungsanordnung
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ist nicht in § 77 Abs. 1 AufenthG angeführt.
Die Zurückschiebungsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 AufenthG liegen vor. Der
Antragsteller ist im Mai /Juni 2008 und damit vor weniger als sechs Monaten von dem
Königreich Schweden kommend unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist. Auf das Ersuchen des Bundesamtes hat das Königreich Schweden der
Zurückführung des Antragstellers zugestimmt, weil der Antragsteller in Schweden einen
Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig befunden ist, und sich der
Antragsteller während der Prüfung dieses Asylantrages unerlaubt in der Bundesrepublik
Deutschland aufhält (Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c VO [EG] Nr. 343/2003 - ABl. EU L 50
vom 25.2.2003, S. 1 -). Dem Antragsteller ist mit Schreiben des Bundesamtes vom
19. August 2008 die Entscheidung des Königreichs Schweden in Übereinstimmung mit
Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e VO (EG) Nr. 343/2003 mitgeteilt worden.
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Im Verhältnis zu der mit § 57 Abs. 1 AufenthG gesetzlich für den Regelfall angeordneten
Zurückschiebung ("soll") sind tatsächliche Umstände für eine Ausnahmesituation nicht
glaubhaft gemacht worden (wegen der geltend gemachten Lebensgemeinschaft vgl.
sogleich). Somit sind Ermessensfehler nicht gegeben.
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Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Duldung nach § 60 a
AufenthG glaubhaft gemacht.
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Es mag für die hier zu treffende Entscheidung offen bleiben, ob § 60 a AufenthG auf § 57
Abs. 1 AufenthG anzuwenden ist, wenn nach § 57 Abs. 3 AufenthG § 60 Abs. 1 bis 5
und 7 bis 9 AufenthG sowie § 62 AufenthG entsprechend anzuwenden sind, § 60 a Abs.
2 AufenthG aber nicht in § 57 Abs. 3 AufenthG und die Zurückschiebung nicht in § 60 a
Abs. 2 AufenthG erwähnt sind (ablehnend Hailbronner, Ausländerrecht, § 57 Rn. 23; vgl.
dazu auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, II § 57 Rn. 33; zur Ermessensausübung vgl.
oben).
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Auch wenn § 60 a Abs. 2 AufenthG auf eine Zurückschiebung anzuwenden wäre, wären
insbesondere die Voraussetzungen des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft
gemacht. Nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers
auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die tatsächlichen
Voraussetzungen, die eine solche Unmöglichkeit begründen könnten, sind nicht
glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Zurückschiebung
des Antragstellers aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.
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Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung folgt nicht aus dem mit Art. 6 GG und
Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Familienlebens. Der Antragsteller geht zwar im
rechtlichen Ansatz zu Recht davon aus, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft des
Antragstellers seiner Zurückschiebung entgegen stehen kann. Auch bei Anwendung der
aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgenden rechtlichen Vorgaben ist eine
Zurückschiebung des Antragstellers aber nicht unmöglich. Die dafür notwendige
Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seiner Familie ist nicht glaubhaft gemacht.
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Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 GG und Art 8 EMRK nicht allein
aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Die Erklärungen zur
Vaterschaftsanerkennung und zum gemeinsamen Sorgerecht können damit allein
keinen Zurückschiebungsschutz begründen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche
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Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (zu Art. 6 GG BVerfG, Beschluss vom
8. Dezember 2005 2 BvR 1001/04 , www.bverfg.de = InfAuslR 2006, 122 = AuAS 2006,
26 = FamRZ 2006, 187). Der Antragsteller hat aber eine solche tatsächliche
Verbundenheit nicht glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller einerseits sowie die Kindesmutter und Kinder andererseits leben nicht
in einem gemeinsamen Haushalt. Die Kindesmutter und die Kinder leben in H. (Kreis
Emsland), während der Antragsteller 1997 seinen Wohnsitz aufgrund
asylverfahrensrechtlicher Zuweisung in S. (Kreis Steinfurt) genommen hatte. Soweit
für die Begründung eines Lebensgemeinschaft eine Hausgemeinschaft nicht
erforderlich ist (vgl. BVerfG, a.a.O.), hat der Antragsteller nicht konkret dargelegt und
damit nicht glaubhaft gemacht, welche spezifischen Erziehungsbeiträge oder auch nur
Umgangskontakte er erbracht hat. Die Behauptung konkreter Tatsachen war für den
anwaltlich vertretenen Antragsteller jedenfalls naheliegend, nachdem der Bericht des
PK z. A. L. vom 6. August 2008 in das Rechtsschutzverfahren eingeführt worden ist,
nach dessen Inhalt die Kindesmutter dem Polizeibeamten gegenüber erklärt hatte, der
Antragsteller habe "plötzlich nach zwei Jahren (Abwesenheit) an ihrer Haustür
gestanden." Diese Angabe wird bestätigt durch den Umstand, dass der Antragsteller
sich länger im Königreich Schweden aufgehalten hat und dort ein Asylverfahren
betreibt.
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Die eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter steht nicht entgegen. Auch ihr sind
keine konkreten Tatsachenangaben zum Verhalten des Antragstellers zu entnehmen.
Die Angabe, der Antragsteller habe sich immer vorbildlich um die Kindesmutter und die
Kinder gekümmert, beinhaltet keine konkreten Tatsachenbehauptungen, sondern eine
dem Gericht im Rahmen der Prüfung der rechtlichen Vorgaben zukommende Wertung.
Der Wertung, der Antragsteller habe sich immer um seine Kinder gekümmert,
widerspricht im Übrigen der Umstand, dass er sich nach eigenem Vorbringen über einen
längeren Zeitraum ohne die Kinder im Königreich Schweden aufgehalten hatte. In
Übereinstimmung damit hat der Antragsteller selbst vortragen lassen, dass er sich am
Freitag, den 29. August 2008 zu der Kindesmutter und den Kindern begeben habe. Der
Behauptung der Kindesmutter, der Antragsteller lebe seit 2003 faktisch mit ihr in
ehelicher und familiärer Lebensgemeinschaft, widersprechen ebenfalls die angeführten
Umstände, die auch auf den Angaben des Antragstellers beruhen.
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Ungeachtet dessen hat der Antragsteller seine pauschale Behauptung, er habe sich
immer vorbildlich um seine Frau und die gemeinsamen Kinder gekümmert, nicht
glaubhaft gemacht, weil der Antragsteller unglaubwürdig ist. Ausweislich der
Niederschrift des Amtsgerichts Rheine vom 2. September 2008 - 13 XIV 1439 - B - hat
der Antragsteller zugestanden, dass er in der Vergangenheit unberechtigt den Namen
des Sohnes eines Onkels geführt habe und sein richtiger Name L1. I. G. sei.
Wenn der Antragsteller seit 1997 gegenüber deutschen Dienststellen einen falschen
Namen verwandte, um im rechtlich nicht zustehende Vorteile zu erlangen, kann nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller auch
weiterhin zur Erlangung von Vorteilen falsche Angaben macht.
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Ob aus weiteren tatsächlichen Umständen weitere Zweifel an den Glaubhaftigkeit der
Angaben des Antragstellers bestehen, bedarf keiner weiteren Erörterung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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