Urteil des VG Münster vom 21.03.2007

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Verwaltungsgericht Münster, 2 L 93/07
Datum:
21.03.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 93/07
Tenor:
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
3. Der Streitwert wird auf 3.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Anträge der Antragsteller,
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1.) die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche vom 2. Februar 2007 gegen die der
Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 28. Dezember 2006 für die Errichtung
einer Feuerbestattungsanlage mit 13 Stellplätzen auf dem Grundstück Gemarkung E - L,
Flur 00, Flurstücke 000 bis 000 (H C 00 in E) anzuordnen,
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2.) die Bauarbeiten zur Errichtung einer Feuerbestattungsanlage mit 13 Stellplätzen auf
dem Grundstück Gemarkung E - L, Flur 00, Flurstücke 000 bis 000 (H C 00 in E) mit für
sofort vollziehbar erklärter Bauordnungsverfügung zu untersagen,
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haben keinen Erfolg.
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Die im Verfahren der §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende,
regelmäßig am Ausgang des Hauptsacheverfahrens orientierte Abwägung zwischen
dem Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten
Baugenehmigung und dem Interesse des Nachbarn, von der Bauausführung bis zur
abschließenden Klärung der Rechtslage im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben,
geht hier zu Gunsten der Beigeladenen aus. Denn der Rechtsbehelf der Antragsteller
wird voraussichtlich keinen Erfolg haben.
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Auf der Grundlage einer in dem vorliegenden Verfahren nur möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung lässt sich nicht feststellen, dass das mit der o.g.
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Baugenehmigung zugelassene Vorhaben der Beigeladenen gegen solche Vorschriften
verstößt, die zumindest auch dem Schutze des Antragstellers zu 2. als Eigentümer bzw.
der Antragstellerin zu 1. als Betreiberin eines Gewerbebetriebes mit Betriebswohnung
auf dem Grundstück X I 0 in E zu dienen bestimmt sind. Der Frage, ob der
Antragstellerin zu 1. als am Grundstück nicht dinglich Berechtigter überhaupt ein
Abwehrrecht zustehen kann, muss innerhalb dieses Verfahrens nicht weiter
nachgegangen werden.
Zunächst ist eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauordnungsrechts
nicht festzustellen. Denn das Vorhaben der Beigeladenen wahrt insbesondere die nach
§ 6 BauO NRW gegenüber dem Grundstück der Antragsteller einzuhaltenden
Abstandsflächen.
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Auch eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungsrechts ist nicht
feststellbar.
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Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben der Beigeladenen nach § 30 Abs. 1
BauGB, da es innerhalb des Geltungsbereiches des rechtsverbindlichen
Bebauungsplanes Nr. 00/0 „Industriegebiet E - Teil 000" der Stadt E vom 12. Juni 1997
verwirklicht werden soll.
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Von der Wirksamkeit eines Bebauungsplanes ist in einem Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes angesichts seines Rechtsnormcharakters regelmäßig auszugehen, es
sei denn, die Fehlerhaftigkeit des Planes drängt sich offensichtlich, gleichsam mit ins
Auge springenden Mängeln, auf.
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Vgl. insoweit nur: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), Beschlüsse vom 17. Mai 2002 - 7 B 1360/01 - und vom 7. August 2000 - 10 B
919/00 -. Dass der o.g. Bebauungsplan der Stadt E an derartigen Mängeln leidet, ist
weder von den Antragstellern vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
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Das im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO
zugelassene Krematorium verstößt gegen keine nachbarschützenden Festsetzungen
des o.g. Bebauungsplanes. Namentlich können sich die Antragsteller nicht auf eine
Verletzung des -nachbarschützenden- sog. Gebietsgewährleistungsanspruches
berufen.
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Der Gebietsgewährleistungsanspruch berechtigt den Nachbarn, Bauvorhaben
unabhängig von irgendwelchen tatsächlich spürbaren Beeinträchtigungen abzuwehren,
die im Baugebiet ihrer Art nach planungsrechtlich unzulässig sind. Dem Nachbarn steht
ein Anspruch auf Beibehaltung des Gebietscharakters zu, wenn das
Vorhabengrundstück und sein Gründstück innerhalb desselben Bereiches liegen, für
den durch Bebauungsplan eine bestimmte Nutzungsart festgesetzt worden ist. Der
Anspruch greift gegenüber Vorhaben ein, die in dem Baugebiet planungsrechtlich
weder allgemein zulässig sind noch im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB
oder einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassen werden können.
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Vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 2006, - 10 A 930/05-, mit weiteren
Nachweisen.
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In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung scheidet die von den Antragstellern
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gerügte Verletzung des Gebietsgewährleistungsanspruches bereits aus, da mit der
streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 28. Dezember 2006 ausdrücklich eine
Ausnahme gem. § 31 Abs. 1 BauGB und § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO von der Festsetzung
des Bebauungsplanes Nr. 00/0 „Industriegebiet E - Teil 000" der Stadt E über die Art der
baulichen Nutzung zugelassen worden ist.
Diese ausnahmsweise Zulassung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es bedarf daher
keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, ob die streitgegenständliche
Feuerbestattungsanlage in dem festgesetzten Gewerbegebiet gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1
BauNVO als Gewerbebetrieb allgemein zulässig wäre.
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Insbesondere schließt der Bebauungsplan Nr. 00/0 „Industriegebiet E - Teil 000" der
Stadt E eine ausnahmsweise Zulassung von Anlagen u.a. für kirchliche, kulturelle oder
soziale Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht aus. Ferner ist das geplante
Vorhaben nicht allein auf den Vorgang der Verbrennung beschränkt, sondern verfügt
auch über einen ca. 58 qm großen Raum, der für die Abschiednahme von ca. 10
Hinterbliebenen vorgesehen ist. Diese Einbindung der Hinterbliebenen in den Vorgang
der Bestattung ist als wesentlicher und prägender Bestandteil des Vorhabens zu
betrachten. Es entspricht der in § 8 Abs. 3 BauNVO zum Ausdruck kommenden
gesetzgeberischen Vorstellung, dass Krematorien mit solchen „Pietätsräumen", die als
Orte für Ruhe, Besinnung und innere Einkehr dienen, in Gewerbebieten als Anlagen für
kirchliche, kulturelle oder soziale Zwecke ausnahmsweise zulässig sein können.
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Vgl. auch zur ausnahmsweisen Zulassung in Industriegebieten: OVG Rheinland- Pfalz,
Beschluss vom 28. Oktober 2005, - 8 B 11345/05-, BauR 2006, 336; Bay.VGH, Urteil
vom 30. Juni 2005, -15 BV 04.576-, nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 20.
Dezember 2005, -4 B 71/05-,BauR 2006, 659.
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Es ist auch weder von den Antragstellern vorgetragen noch sonst nahe liegend, dass
das Vorhaben der Beigeladenen gegen sonstige Festsetzungen verstößt, die allgemein
oder nach dem Willen der Gemeinde als Plangeber dem Nachbarschutz der
Antragsteller zu dienen bestimmt sein sollten.
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Auch eine Verletzung des in § 15 BauNVO verankerten Gebotes der Rücksichtnahme
ist nicht festzustellen.
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Der Umfang der für jedes Vorhaben geltenden öffentlich-rechtlichen Pflicht, auf andere
Rücksicht zu nehmen, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab. Das
Rücksichtnahmegebot beinhaltet, dass umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden
kann, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die
Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt; umgekehrt braucht
derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je
verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind.
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In Anwendung dieser Grundsätze verletzt das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber
den Antragstellern nicht das Rücksichtnahmegebot. Bei dieser Abwägung fand
zunächst Berücksichtigung, dass das Vorhaben der Beigeladenen am Rande des
Gewerbegebietes zum sog. Außenbereich verwirklicht werden soll und eine zwei Meter
hohe blickdichte Abschirmung nach außen erhalten wird (Nebenbestimmung Nr. 29), so
dass ohnehin nur eine beschränkte Wahrnehmbarkeit der „Bestattungszeremonien" zu
erwarten ist. Zudem erweisen sich mögliche Beeinträchtigungen, denen das Grundstück
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der Antragsteller in Bezug auf Licht-, Sonnen und Luftzufuhr sowie nicht ausreichenden
Sozialabstand ausgesetzt werden, nicht als rücksichtslos, da das Vorhaben der
Beigeladenen die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen zu dem mehr
als 100 Meter entfernten Grundstück der Antragsteller einhält.
Die Beeinträchtigungen, denen sich ihr Grundstück mit Blick auf die zu erwartenden
Luftverunreinigungen und Geruchsbelästigungen ausgesetzt sein werden, überschreiten
nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht die Schwelle dessen, was diesen auf ihrem
überwiegend gewerblich genutzten Grundstück zumutbar ist.
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Ausweislich der Betriebsbeschreibung für die Filteranlage „3-clean-System" und der
Garantieerklärung der Metall- Technik GmbH vom 27. Juni 2006 werden von dem
geplanten Krematorium die Grenzwerte der 27. BImSchV eingehalten. Das Gericht hat
keine Veranlassung diese Garantieerklärung in Zweifel zu ziehen, zumal das Staatliche
Umweltamt Münster nach vorheriger Prüfung der Antragsunterlagen unter dem 12.
Dezember 2006 festgestellt hat, dass das Vorhaben der 27. BImSchV entspricht. Ferner
hat das Staatliche Umweltamt Münster zur dauerhaften Sicherung - auch der
Anforderungen der TA-Luft- die Einbeziehung notwendiger Regelungen in die
streitgegenständliche Baugenehmigung (Nebenbestimmungen 6 - 16) veranlasst.
Hierdurch wird eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens unter diesem Gesichtspunkt
hinreichend verlässlich ausgeschlossen.
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Schließlich haben die Antragsteller auf ihrem Grundstück bei prognostischer
Betrachtung auch nicht mit Lärmeinwirkungen zu rechnen, die das ihnen zumutbare
Maß innerhalb des festgesetzten Gewerbegebietes überschreiten werden. Diese
Einschätzung ergibt sich bereits daraus, dass der Zu- und Abgangsverkehr
ausschließlich über den N am östlichen Rand des Gewebegebietes abgewickelt werden
soll. In Anbetracht der Entfernung des Grundstückes der Antragsteller vom N (mehr als
100 Meter) und der vorhandenen Bebauung zwischen dem Vorhaben der Beigeladenen
und dem Antragstellergrundstück, die eine Abschirmung des Antragstellergrundstückes
bewirkt, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nutzung des Krematoriums und der
13 Stellplätze den Antragstellern gegenüber unzumutbar sein könnte.
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Eine Verletzung sonstiger baurechtlich schützenswerter Interessen der Antragsteller
haben die Antragsteller nicht dargelegt.
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Insbesondere gibt es keinerlei baurechtlich relevante Anhaltspunkte dafür, dass die
Antragsteller wegen der Nutzung des benachbarten Krematoriums mit beschränkenden
Auflagen für ihren Betrieb zu rechnen hätten.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der auf die Baustilllegung gerichtete
Antrag zu 2. ebenfalls keinen Erfolg haben konnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind gem. § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären,
weil die Beigeladene sich durch die Stellung eines eigenen Antrages dem Kostenrisiko
des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs.
1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und geht von einem geschätzten wirtschaftlichen Interesse der
Antragsteller im Hauptsacheverfahren von 7.000 EUR aus; dieser Betrag ist im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angemessen auf die Hälfte zu reduzieren.
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