Urteil des VG Münster vom 25.08.2008

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Verwaltungsgericht Münster, 7 K 565/07
Datum:
25.08.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 565/07
Tenor:
Der Abgabenbescheid vom 24. Januar 2007 und der
Widerspruchsbescheid vom 30. März 2007 werden aufgehoben, soweit
der Kläger darin zu Abfallbeseitigungsgebühren herangezogen worden
ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks E. 5 in B. .
2
Durch Abgabenbescheid vom 24. Januar 2007 wurden der Kläger und seine Ehefrau
u.a. zu Abfallbeseitigungsgebühren in Höhe von 262,68 EUR für ein 120 l
Restmüllgefäß für das Kalenderjahr 2007 herangezogen.
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Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid
vom 30. März 2007 zurück.
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Am 13. April 2007 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Es sei
willkürlich, dass der Nutzer eines Restabfallbehälters im Innenbereich erheblich mehr
zahlen müsse als der Nutzer eines solchen Behälters im Außenbereich. Diese
Ungleichbehandlung könne nicht damit begründet werden, dass im Außenbereich eine
Abfuhr von Biomüll entfalle. Auch die in der Gebühr enthaltene Grundgebühr sei
rechtswidrig. Gleiches gelte für den Umstand, dass der Erstattungsbetrag für die
Papierabfuhr in Höhe von 25 % nicht in die Gebührenkalkulation zu Gunsten der Bürger
einfließe.
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Der Kläger beantragt - sinngemäß -,
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den Bescheid vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.
März 2007 aufzuheben, soweit er darin zu Abfallbeseitigungsgebühren herangezogen
worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung macht er geltend: Die Differenzierung bei der Gebührenerhebung nach
Innen- und Außenbereich habe ihre Ursache darin, dass es im Außenbereich keine
Biomüllentsorgung gebe. Der in der Satzung vorgesehene Abschlag für
Eigenkompostierer in Höhe von 25,- EUR sei nach dem Abfallgesetz zulässig. Eine
Grundgebühr werde nicht erhoben; die Differenzierung zwischen einem Grundbetrag
und einem volumenbezogenen Betrag sei nur in den Kalkulationstabellen aufgeführt. Im
DSD-Abfall seien rund 25 % Papier-, Pappe- und Kartonanteile enthalten. Diese 25 %
würden bei den Abschlagszahlungen für die Altpapierentsorgung, die die Gemeinde an
Remondis überweise, direkt in Abzug gebracht und erscheine deshalb nicht in der
Kalkulation. Sich in diesem Zusammenhang ergebende Überschüsse bzw. Fehlbeträge
würden in der nächstfolgenden Jahreskalkulation berücksichtigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Gerichtsakten nebst Verwaltungsvorgängen betreffend die Abfallbeseitigungsgebühren
2006 (7 K 990/06) und die Abfallbeseitigungsgebühren 2008 (7 K 361/08) Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung
(§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Die Klage hat Erfolg.
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Der Abgabenbescheid des Beklagten vom 24. Januar 2007 und der
Widerspruchsbescheid vom 30. März 2007 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger
in seinen Rechten, soweit der Kläger darin zu Abfallbeseitigungsgebühren
herangezogen worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Für die Heranziehung des Klägers zu Abfallbeseitigungsgebühren für das Kalenderjahr
2007 fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die Regelung in § 1 der
Gebührensatzung der Gemeinde B. zur Satzung über die Abfallentsorgung in der
Gemeinde B. in der Fassung der Gebührensatzung vom 18. Dezember 2006
(Gebührensatzung 2007) ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -
GG - bzw. das Prinzip der Leistungsproportionalität nichtig.
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Nach § 1 Abs. 1 b) Gebührensatzung 2007 beträgt der Gebührensatz für einen 120 l
Abfallbehälter im Innenbereich - einen solchen Abfallbehälter hat der im Innenbereich
wohnende Kläger - bei vierwöchentlicher Abfuhr des Restmülls, 14- tägiger Abfuhr des
Biomülls und vierwöchentlicher Abfuhr der Papiertonne einschließlich zweimaliger
Abfuhr von sperrigen Abfällen, sechsmaliger Entsorgung von Sonderabfällen
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(Schadstoffmobil), zweimaligem Shreddern von Baum- und Strauchschnitt sowie der
Nutzung des Recyclinghofes 262,68 EUR. Der Gebührensatz für einen 120 l
Abfallbehälter im Außenbereich beträgt nach § 1 Abs. 1 e) Gebührensatzung 2007 bei
vierwöchentlicher Abfuhr des Restmülls und vierwöchentlicher Abfuhr der Papiertonne
einschließlich zweimaliger Abfuhr von sperrigen Abfällen, sechsmaliger Entsorgung von
Sonderabfällen (Schadstoffmobil), zweimaligem Shreddern von Baum- und
Strauchschnitt sowie der Nutzung des Recyclinghofes 171,36 EUR. Für
Eigenkompostierer, die auf Antrag vom Anschluss an die Biotonne befreit wurden,
verringert sich nach § 1 Abs. 1 i) Gebührensatzung 2007 die zu entrichtende Gebühr u.a.
des Buchstaben b) um 25,- EUR.
Diese Regelungen verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG bzw. das Prinzip der Leistungsproportionalität, der landesrechtlichen Ausprägung
des allgemeinen Gleichheitssatzes. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG gebietet, bei gleichartig beschaffenen Leistungen, die rechnerisch und finanziell in
Leistungseinheiten erfasst werden können, die Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze
in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit so zu wählen und zu schaffen,
dass sie unterschiedlichen Ausmaßen in der erbrachten Leistung Rechnung tragen,
damit die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern gewahrt bleibt.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76.
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Entsprechend dem Prinzip der Leistungsproportionalität oder der speziellen
Entgeltlichkeit, wonach die Gebührenpflichtigen nur mit den Kosten belastet werden
dürfen, die durch die Erbringung der in Anspruch genommenen Leistung entstehen, sind
Differenzierungen bei der Gebührenbemessung nur zulässig, wenn sie auf
Unterschiede der zu erbringenden bzw. erbrachten Leistung abstellen, sich also am
Umfang der Leistung orientieren. Solche Unterscheidungen, z.B. nach der Größe oder
der Leerungshäufigkeit der Abfallgefäße, sind zulässig und sogar geboten.
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Vgl. hierzu Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar,
Loseblattsammlung, 38. Ergänzungslieferung, März 2008, § 6 Rdnr. 52, 214 m.N.
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Danach ist die unterschiedliche Bemessung des 120 l Restmüllbehälters, abhängig
davon, ob die Abfallentsorgungsleistung des Beklagten - ohne Biomüllentsorgung - im
Innen- oder im Außenbereich erbracht wird, unzulässig. Es gibt keine Unterschiede in
der zu erbringenden bzw. erbrachten Leistung, die einen unterschiedlichen
Gebührensatz rechtfertigten. Aus den im Katalog des § 1 Abs. 1 b) (Innenbereich) und §
1 Abs. 1 e) (Außenbereich) Gebührensatzung 2007 aufgezählten
Entsorgungsleistungen ist zu entnehmen, dass der Leistungsumfang ohne Biotonne im
Innenbereich und im Außenbereich absolut identisch ist. Die Inanspruchnahme der
Abfallentsorgungseinrichtung durch den Eigenkompostierer im Innenbereich
unterscheidet sich mithin nicht von der durch den Nutzer der
Abfallentsorgungseinrichtung im Außenbereich; beide Nutzergruppen können - mit
Ausnahme der Biotonne - vielmehr sämtliche Abfallentsorgungseinrichtungen
gleichermaßen in Anspruch nehmen. Derjenige aus der Gruppe der Nichtnutzer der
Biotonne im Innenbereich zahlt pro bereitgestelltem Liter 1,98 EUR (262,68 - 25,- =
237,68 : 120 l = 1,9806), der Nutzer im Außenbereich demgegenüber nur 1,43 EUR
(171,36 : 120 l = 1,428 EUR). Der Innenbereichsnutzer zahlt damit für die gleiche
Leistung knapp 30 % mehr als der Außenbereichsnutzer.
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Der Beklagte kann sich mit Blick auf diese unterschiedliche Bemessung der Gebühren
für die gleiche Leistung nicht mit Erfolg darauf berufen, die Regelungen in § 1 Abs. 1 b)
und i) Gebührensatzung 2007 stünden mit dem Gesetz in Einklang. Grundsätzlich
verstößt es nicht gegen höherrangiges Recht, wenn eine Satzung eine einheitliche
Abfallgebühr vorsieht und für Eigenkompostierer (nur) einen Gebührenabschlag. Nach §
9 Abs. 2 Satz 5 des Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen
(Landesabfallgesetz - LAbfG - ) können bei der Gebührenbemessung öffentliche
Belange im Interesse einer geordneten Abfallentsorgung berücksichtigt werden;
insbesondere ist es zulässig, verschiedene Abfallentsorgungsleistungen über die
Erhebung einer einheitlichen Abfallgebühr bezogen auf das Restmüllgefäß sowie
einzelne mit einer Sondergebühr belegte Abfallentsorgungsteilleistungen anteilig über
eine einheitliche Abfallgebühr abzurechnen. Nach § 9 Abs. 2 Satz 7 LAbfG ist
Eigenkompostierern eine angemessener Gebührenabschlag zu gewähren. Der
Beklagte bzw. der Rat der Gemeinde B. hat sich für den Innenbereich für die Erhebung
einer einheitlichen Abfallgebühr bezogen auf das Restmüllgefäß entsprechend der 1.
Variante in § 9 Abs. 2 Satz 5 LAbfG entschieden und gewährt den Eigenkompostierern
unabhängig von der Größe des gewählten Abfallgefäßes einen nach § 9 Abs. 2 Satz 7
LAbfG grundsätzlich zulässigen Abschlag von 25,- EUR.
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Diese Vorschriften im Landesabfallgesetz liefern aber keine Rechtfertigung für die
unterschiedliche Gebührenbemessung des 120 l Restmüllgefäßes, je nachdem ob
dieses von einem Nutzer im Außenbereich oder einem Nutzer und Eigenkompostierer
im Innenbereich in Anspruch genommen wird. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass
der Ortsgesetzgeber zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der
Bioabfallerfassung und -verwertung auch diejenigen mit Kosten der Biotonne in
Anspruch nehmen kann, die diese nicht in Benutzung nehmen,
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vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung, LT-Drks. 12/3143, S. 70, 71,
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nicht jedoch, Nichtnutzer von Biotonnen unterschiedlich zu behandeln.
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Auch der Umstand, dass die Außenbereiche nach § 10 Abs. 5 der Satzung über die
Abfallentsorgung in der Gemeinde B. (Abfallentsorgungssatzung) bezüglich der
Biotonne grundsätzlich vom Anschluss- und Benutzungszwang befreit werden, bietet
keinen sachlichen Grund, die Nichtnutzer der Biotonne im Innen- und Außenbereich
unterschiedlich zu behandeln. Denn auch die Nichtnutzer der Biotonne im Innenbereich
sind vom Anschluss- und Benutzungszwang an dieses Gefäß befreit; eine Befreiung
hiervon wird auf Antrag (§ 10 Abs. 3 Abfallentsorgungssatzung) gewährt, wenn die
Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Abfallentsorgungssatzung erfüllt sind. Mögen sich die
Befreiungsvoraussetzungen auch unterscheiden, im Außenbereich erfolgt die Befreiung
grundsätzlich, im Innenbereich nur auf Antrag und nach Erfüllung der entsprechenden
Voraussetzungen für die Befreiung, sind im Ergebnis hinsichtlich der tatsächlich vom
Anschluss- und Benutzungszwang Befreiten keine Unterschiede zu erkennen. Diese
nehmen, gleichgültig ob im Außen- oder im Innenbereich, die Biotonne nicht in
Anspruch.
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Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegenhalten werden, es müssten für den
Eigenkompostierer im Innenbereich Vorhalteleistungen für Bioabfall getroffen werden,
weil der vom Anschluss- und Benutzungszwang Befreite jederzeit wieder einen
Anschluss verlangen könne. Auch der im Außenbereich kraft Abfallentsorgungssatzung
grundsätzlich Befreite hat nach § 7 Abs. 1 Abfallentsorgungssatzung ein Anschluss- und
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Benutzungsrecht an die Bioabfallentsorgung. Denn nach dieser Vorschrift ist jeder
Eigentümer eines im Gebiet der Gemeinde B. liegenden Grundstückes im Rahmen der
§§ 2 bis 5 Abfallentsorgungssatzung berechtigt, von der Gemeinde den Anschluss
seines Grundstückes an die kommunale Abfallentsorgungseinrichtung zu verlangen und
die auf seinen Grundstücken oder sonst bei ihm anfallenden Abfälle der kommunalen
Abfallentsorgungseinrichtung zu überlassen. In § 2 Abs. 2 Nr. 2
Abfallentsorgungssatzung ist die Entsorgungsleistung des Einsammelns und
Beförderns von Bioabfällen ausdrücklich aufgeführt.
Es kommt nicht darauf an, dass der Kläger kein Eigenkompostierer ist. Die
unterschiedlichen Gebührensätze für identische Abfallbehälter führen zur
Fehlerhaftigkeit der Gebührensätze insgesamt.
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Eine Unwirksamkeit der Satzung ergibt sich nicht, soweit der Kläger meint, die
Abfallbeseitigungsgebühr enthalte eine rechtswidrige Grundgebühr. Tatsächlich sieht
die Satzung eine einheitliche Gebühr vor und gerade keine Aufteilung in eine
Grundgebühr, der regelmäßig die verbrauchsunabhängigen Vorhaltekosten zuzuordnen
sind, und eine Zusatzgebühr, die sich am Verbrauch orientiert.
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Auf Grund der festgestellten Unwirksamkeit der in der Satzung geregelten
Gebührensätze kann dahinstehen, ob die Gebührenkalkulation fehlerhaft ist, weil der
Erstattungsbetrag für die Papierabfuhr nicht in die Kalkulation eingestellt ist. Abgesehen
davon dürfte sich der nicht eingestellte Erstattungsbetrag im Rahmen des vom
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in ständiger
Rechtsprechung für unschädlich angesehenen Toleranzbereiches von 3 % der
gesamten ansatzfähigen Kosten halten.
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Vgl. u.a. OVG NRW, Teilurteil vom 24. Juni 2008 - 9 A 373/06 -, zitiert bei Juris. Zudem
dürfte dieser Betrag nach § 6 Abs. 2 Satz 3 des Kommunalabgabengesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen - KAG NRW -, wonach Kostenüber- und - unterdeckungen
innerhalb der nächsten drei Jahre auszugleichen sind, in der Rechnungsperiode für das
Kalenderjahr 2009 oder 2010 zulässigerweise zum Ausgleich gebracht werden können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711
der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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