Urteil des VG Münster vom 08.11.2002

VG Münster: fristlose entlassung, drohende gefahr, überwiegendes öffentliches interesse, soldat, aufschiebende wirkung, dienstverhältnis, gefährdung, interessenabwägung, vollziehung, bahn

Verwaltungsgericht Münster, 10 L 1439/02
Datum:
08.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 1439/02
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis zu 6.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 10 K 2858/02 gegen die
Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2002 in der Gestalt des
Beschwerdebescheides des Befehlshabers des Heeresführungskommandos vom 19.
August 2002 wiederherzustellen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO - zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
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Bei der Begründung der Anordnung sofortiger Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass ein Verbleiben des
Antragstellers im Soldatenverhältnis bis zur Entscheidung des Verfahrens in der
Hauptsache sowohl weitreichende Auswirkungen auf die Disziplin anderer Soldaten als
auch für das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit habe, wenn ein Zeitsoldat, der
sich der Urkundenfälschung eines für Wehrpflichtige ausgestellten
Berechtigungsausweises für Familienheimfahrten und dessen Gebrauchmachen
dringend tatverdächtig gemacht hat, auf Grund der an sich bestehenden aufschiebenden
Wirkung der Klage bei der Truppe verbleibt. Da insoweit schwerwiegende Nachteile für
die Aufrechterhaltung der militärischen Sicherheit und Ordnung zu befürchten seien,
wiege das öffentliche Vollzugsinteresse gewichtiger als das private Interesse an einer
Fortsetzung des Dienstverhältnisses. Mit diesen in der Begründung zum Ausdruck
kommenden Erwägungen hat die Antragsgegnerin hinreichend deutlich gemacht, dass
sie die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Falle des Antragstellers für so
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gewichtig und dringlich ansieht, dass diese Umstände aus ihrer Sicht zugleich ein
überwiegendes öffentliches Interesse daran begründen, die Entlassungswirkungen
sofort eintreten und nicht durch eine Klageerhebung hemmen zu lassen. Dies genügt
den formellen Begründungsanforderungen. Ob die angeführten Erwägungen tatsächlich
tragfähig und objektiv von hinreichendem Gewicht sind, ist keine Frage des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO, sondern ist im Rahmen der vom Gericht selbst vorzunehmenden
Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beantworten.
In die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung sind einerseits das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung und andererseits das
private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung verschont zu bleiben,
einzustellen. Nach der insoweit allein möglichen summarischen Prüfung der
vorzunehmenden Interessenabwägung spricht Überwiegendes dafür, dass sich die
angegriffene Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2002 als
rechtmäßig erweisen wird und die Interessenabwägung vorliegend zu Lasten des
Antragstellers ausgeht.
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Gemäß § 55 Abs. 5 Soldatengesetz - SG - kann ein Soldat auf Zeit während der ersten
vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten verletzt hat und
sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen
der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Bei summarischer Prüfung sind diese
gesetzlichen Voraussetzungen im Falle des Antragstellers aller Voraussicht nach erfüllt.
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Der Antragsteller war im Zeitpunkt seiner Entlassung noch keine vier Jahre im Dienst.
Durch sein Verhalten im Zeitraum von Dezember 2001 bis zum 21. März 2002 bei
seinen Familienheimfahrten von I. nach O. hat er seine Dienstpflicht zum achtungs- und
vertrauenswürdigen und dem Ansehen der Bundeswehr gerecht werdenden Verhalten
außerhalb des Dienstes - § 17 Abs. 2 Satz 2 SG - verletzt. Nach dieser Vorschrift hat
sich der Soldat außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen
so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das
Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt werden.
Diese ausserdienstliche Wohlverhaltenspflicht hat der Antragsteller durch die mehr als
einmalige Nutzung des von ihm verfälschten Berechtigungsscheins für
Familienheimfahrten von I. nach O. in dem Zeitraum von Dezember 2001 bis zum 21.
März 2002 verletzt. Wie von dem Antragsteller in seiner Vernehmung am 15. April 2002
selbst eingeräumt, hat er den Berechtigungsschein über dessen Ablauf hinaus
eigenmächtig verlängert und weiter für unentgeltliche Familienheimfahrten genutzt,
wobei die Häufigkeit der Benutzung offen ist. Mit der Fälschung des Gültigkeitsdatums
des Berechtigungsscheins und dessen unberechtigter Nutzung trotz - wie vom
Antragsteller selbst eingeräumt - vorheriger Belehrung durch den Kompaniefeldwebel
hat sich der Antragsteller vorsätzlich in strafrechtlich relevanter Weise über bestehende
Vorschriften hinweggesetzt und durch sein Fehlverhalten die Achtung und das
Vertrauen in sein dienstliches Ansehen als Zeitsoldat ernsthaft beeinträchtigt. Denn die
Art und Weise wie der Antragsteller vorgegangen ist, einerseits Fälschung einer
amtlichen Urkunde, andererseits Nutzung eines gefälschten und für ihn unberechtigten
Fahrausweises der Bundeswehr zur Erlangung rechtswidriger Vermögensvorteile auf
Kosten eines Dritten, hier der Deutschen Bahn AG, stellt eine erhöhte kriminelle Energie
dar, die, zumal es sich entgegen den Ausführungen seiner Verfahrensbevollmächtigten
nicht nur um eine vereinzelt auftretende Pflichtverletzung handelte, Rückschlüsse auf
sein Verantwortungsbewußtsein, seine charakterliche Zuverlässigkeit und seine
moralische Integrität zulassen. Dass die Bundeswehr den Berechtigungsschein vom
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Antragsteller nicht eingezogen hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Der Antragsteller
wußte auf Grund der vorherigen Belehrung durch den Kompaniefeldwebel, dass er nach
Übernahme ins Zeitsoldatenverhältnis nicht berechtigt war, den für einen
Wehrpflichtigen ausgestellten Berechtigungsschein für unentgeltliche Heimfahrten zu
benutzen. Die durch die Fälschung des Gültigkeitsdatums und das unberechtigte
Gebrauchen des Fahrausweises vorgenommene Dienstpflichtverletzung fällt allein in
den Verantwortungsbereich des Antragstellers, der auf Grund der vorherigen Belehrung
durch den Kompaniefeldwebel gehalten war, auch unaufgefordert, den
Berechtigungsschein bei der Kompanieführung zurückzugeben.
Durch diese Dienstpflichtverletzung, der energisch entgegengetreten werden muss,
würden das Ansehen und die militärische Ordnung der Bundeswehr ernstlich gefährdet,
wenn der Antragsteller im Dienstverhältnis verbliebe.
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Mit der in § 55 Abs. 5 SG vorausgesetzten "ernstlichen" Gefährdung entscheidet das
Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zum erstrebten
Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem das Gesetz des
weiteren auch noch durch die Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit auf die ersten
vier Dienstjahre Rechnung trägt. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit ist daher kein Raum. Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung des
§ 55 Abs. 5 SG ist es, eine drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Sie soll
künftigen Schaden verhindern und dient allein dem Schutz der Bundeswehr. Deshalb ist
im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG auch kein Raum für Erwägungen darüber, ob die
Sanktion der dienstlichen Verfehlungen angemessen ist und ob der Soldat auf Zeit im
Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder
untragbar ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361 (363); Urteil
vom 20. Juni 1983 - 6 C 2.81 -, NJW 1984, 938 (939); Urteil vom 24. September 1992 - 2
C 17.91 -, BVerwGE 91, 62 = NVwZ-RR 1993, 501; OVG NRW, Beschluss vom 11.
Oktober 1994 - 12 B 2183/94 -, n.v.
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Die für die Entlassung zuständige Stelle hat zu prüfen, ob eine Gefahr droht, die durch
die Entlassung abgewendet werden kann. Ihr Blick ist in die Zukunft gerichtet:
Vorausschauend beurteilt sie die drohende Gefahr; diese Vorausschau vollzieht das
Verwaltungsgericht in einer "objektiv nachträglichen Prognose" nach. Die Vorausschau
muss allerdings auch die in der Vergangenheit liegende Verletzung von Dienstpflichten
im Auge behalten; denn zwischen dieser und der Gefahr eines für die Zukunft
befürchteten Schadens besteht ein innerer Zusammenhang: Die Gefährdung wird durch
die Anknüpfung an die Auswirkungen der Dienstpflichtverletzung näher bestimmt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971 - VIII C 180.67 -, BVerwGE 38, 178 bis 185.
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Dass - aus der Sicht eines verständigen Betrachters - eine Minderung des Rufs der
Streitkräfte in der Öffentlichkeit ernsthaft zu besorgen wäre, wenn auf das Fehlverhalten
des Antragstellers nicht mit seiner fristlosen Entlassung reagiert würde, ergibt sich aus
folgendem:
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Der Begriff 'Ansehen der Bundeswehr' in § 55 Abs. 5 SG ist gleichbedeutend wie in § 17
Abs. 2 Satz 2 SG. Das Ansehen der Bundeswehr wird ganz wesentlich getragen von der
Teilhabe an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem Vertrauen darauf,
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dass die Bundeswehr sich dem Wertekanon des Grundgesetzes verpflichtet weiß. Dem
Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ist es höchst abträglich, wenn der
Eindruck entsteht, dass sich "Bürger in Uniform" durch Fälschung und betrügerische
Handlungen auf Kosten der Öffentlichkeit Vermögensvorteile verschaffen können. Ein
Soldat, der in der Öffentlichkeit unberechtigterweise von ihm gefälschte
Berechtigungsscheine nutzt, um den an sich erforderlichen Fahrpreis zu sparen,
entspricht nicht dem Bild eines pflichtgetreu handelnden Soldaten und weckt Zweifel an
seiner Zuverlässigkeit. Insofern ist für die "objektiv nachträgliche Prognose" von
wesentlicher Bedeutung nicht zuletzt der Umstand, dass der Antragsteller dieses
Verhalten über einen längeren Zeitraum und - anders als er es mit seiner Antragsschrift
darzustellen versucht - wiederholt an den Tag gelegt hat, auch wenn die unberechtigte
Nutzung dort nicht aufgefallen war. Durch die vorgenommene Fälschung und die damit
einhergehende Täuschung über seine Berechtigung zur Nutzung des Ausweises für
unentgeltliche Familienheimfahrten hat der Antragsteller nicht dem Bild eines
pflichtgetreu handelnden vertrauenswürdigen Soldaten in der Öffentlichkeit
entsprochen.
Vgl. hierzu auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), Beschluss vom 12. Juni 1991 - 1 A 70/89 -, das in dem Fälschen von
Berechtigungsausweisen ein schwerwiegendes Fehlverhalten sieht.
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Deshalb kann das Verhalten des Antragstellers auch nicht etwa bei Berücksichtigung
der Gesamtpersönlichkeit des Soldaten als atypische Entgleisung bewertet werden. Das
Verhalten des Antragstellers in der Öffentlichkeit, hier: bei der unberechtigt
unentgeltlichen Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels mittels strafrechtlich
relevanter Verhaltensweisen, ist vielmehr geeignet, negative Rückschlüsse auf das
Verhalten anderer Soldaten in der Öffentlichkeit, die allgemeine Dienstauffassung in der
Truppe und gar auf die militärische Disziplin als solche in der Bundeswehr zuzulassen.
Dass der Antragsteller hierbei nur einen oberen Mannschaftsdienstgrad innehatte, lässt
sein Fehlverhalten als Soldat nicht in einem geringeren Licht erscheinen. In der
Öffentlichkeit, namentlich gegenüber den anderen Fahrgästen in der Bahn, war er auch
außerhalb seines Dienstes Repräsentant der Bundeswehr, der sich mittels eines
gefälschten Berechtigungsscheins bewusst rechtswidrige Vermögensvorteile zu Lasten
Dritter verschaffen wollte. Hierdurch ist das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft
gefährdet worden, da die Öffentlichkeit zu Recht hohe Anforderungen an die Integrität
der Bundeswehr als einer Wehrpflichtarmee stellt.
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Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 - 12 A 2849/96 -; OVG Rheinland-
Pfalz, Beschluss vom 23. November 1992 - 2 B 12123/92 -, NVwZ-RR 1993, 257(258).
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Dieses Vertrauen würde, wie die Antragsgegnerin in der Beschwerdeentscheidung
zutreffend ausführt, ernsthaft gefährdet, wenn auch nur der Anschein entstünde, die
Bundeswehr dulde in ihren Reihen Zeitsoldaten, die sich mittels strafbarer Handlungen
Vermögensvorteile auf Kosten der Öffentlichkeit verschafften. Gerade mit Rücksicht auf
das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, welches in jüngerer Zeit - wenn auch
verzerrt - durch eine Reihe von Disziplinlosigkeiten und Fällen von Radikalisierung
geprägt wird, stieße es in der Bevölkerung auf Unverständnis, wenn die Bundeswehr
einen Zeitsoldaten, der die geltenden Gesetze nicht respektiert, in ihren Reihen beließe.
In der Öffentlichkeit könnte dann der Eindruck entstehen, dass es sich bei der
Dienstpflichtverletzung um das typische Teilstück einer als allgemeine Erscheinung
auftretenden Neigung von Disziplinlosigkeit handelt, so dass ohne die fristlose
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Entlassung des Antragstellers ein Anlass zu ähnlichem Verhalten für andere Soldaten
gegeben wäre.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1981, a.a.O., S. 939; Urteil vom 12. Februar 1981 - 2 C
47.78 -, ZBR 1981, 323.
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Dass von einer Fälschung und Nutzung von Fahrausweisen für die Deutsche Bahn und
die damit verbundene Verschaffung von Vermögensvorteilen eine negative
Vorbildwirkung für andere Soldaten ausgehen kann, die wiederum Konsequenzen für
die innere Disziplin der Truppe haben kann, ist in dem Beschwerdebescheid vom 19.
August 2002 hinreichend dargelegt worden, so dass zur Vermeidung von
Wiederholungen hierauf Bezug genommen wird, da der Einzelrichter die dortigen
Feststellungen und Begründungen für zutreffend erachtet.
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Ob neben der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr durch ein
Verbleiben des Antragstellers im Dienstverhältnis auch die militärische Ordnung
ernsthaft gefährdet würde, kann dahinstehen, zumal eine fristlose Entlassung gemäß §
55 Abs. 5 SG nicht sowohl eine Ansehensgefährdung als auch eine Gefährdung der
militärischen Ordnung voraussetzt.
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Die Antragsgegnerin war entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht
gehalten, von einer fristlosen Entlassung abzusehen und dem Antragsteller zunächst als
milderes Mittel einen "ausdrücklichen Hinweis" zu erteilen. Da die Entlassung nach § 55
Abs. 5 SG keinen disziplinären Charakter hat, sondern allein eine Schutzmaßnahme zu
Gunsten der Bundeswehr zur Schadensverhinderung ist, ist im Rahmen dieser
Vorschrift auch kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen
Verfehlung angemessen ist oder ob der Soldat nach disziplinarrechtlichen Grundsätzen
im Hinblick auf Art und Schwere der Pflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist.
Die nach § 55 Abs. 5 SG gebotene Entlassung ist keine Disziplinarmaßnahme; vielmehr
kann sie zu einer bereits verhängten Disziplinarmaßnahme hinzutreten.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, NVwZ-RR 1993, 501.
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Die fristlose Entlassung des Antragstellers wird auch nicht dadurch präkludiert, weil der
Kompaniechef dem Antragsteller angeblich einen mündlichen, ausdrücklichen Hinweis
erteilt hat. Abgesehen davon, dass den Verwaltungsvorgängen ein solcher
ausdrücklicher Hinweis nicht entnommen werden kann, stellt ein solcher Hinweis kein
Verfahrenshindernis für eine fristlose Entlassung dar. Der "Ausdrückliche Hinweis" ist
weder in § 55 Abs. 5 SG noch in § 135 WDO, sondern in Nr. 6.1 der Kurzmitteilungen
über personelle Grundsatzfragen - PersKM 1/91 des Bundesministers der Verteidigung -
P II 1 - Az. 16-26-00/10 - vom 7. März 1991 geregelt. Er wird "aus Gründen der Fürsorge
ausgesprochen", ist daher "weder zwingende Voraussetzung für die Entlassung nach §
55 Abs. 5 SG noch muss er bei erneutem pflichtwidrigen Verhalten des Soldaten
zwangsläufig die fristlose Entlassung zur Folge haben". Danach hat der "Ausdrückliche
Hinweis", ähnlich wie sonstige erzieherische Maßnahmen eines Vorgesetzten, lediglich
eine Erziehungs- und Warnfunktion.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1995 - 2 WDB 2.95 -, BVerwGE 103, 212.
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Anhaltspunkte dafür, die Antragsgegnerin habe das ihr nach § 55 Abs. 5 SG zustehende
Ermessen fehlerhaft ausgeübt, sind nicht gegeben. Es ist insbesondere nichts dafür
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ersichtlich, dass wegen etwa vorliegender Besonderheiten im Falle des Antragstellers
von einer fristlosen Entlassung hätte abgesehen werden müssen. Im Rahmen der
Ermessenserwägungen hat die Antragsgegnerin darauf abgestellt, dass sich ein
Verbleiben des Antragstellers als Zeitsoldat im Dienst bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens bei der gegebenen Sachlage auf die Disziplin anderer Soldaten
auswirken und deren Bereitschaft zu untadeliger Pflichterfüllung beeinträchtigen würde.
Es würde bei labilen Soldaten, u. a. bei anderen Mannschaftsdienstgraden im "Soldat-
auf-Zeit-Verhältnis", die Gefahr der Nachahmung bestehen, wenn ein Soldat auf Zeit,
dessen Verhalten auch ein Maßstab für andere Soldaten ist, trotz derartiger
Pflichtverletzungen in seinem Dienstverhältnis bleiben dürfte. Dieses geltend gemachte
öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung und dem
Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ist nachvollziehbar, dringlich und
grundsätzlich auch schutzwürdig. Auch der unmittelbare Dienstvorgesetzte hat dies so
gesehen, da er nach Vernehmung des Antragstellers aus diesem Grund einen Antrag
auf Entlassung gestellt hat (S. 1 des Verwaltungsvorganges 1). Demgegenüber wiegen
die Folgen für den Antragsteller, wenn seine Entlassungsverfügung vollzogen wird,
geringer. Abgesehen davon, dass er nach seinen Einlassungen mit den sich aus
seinem Fehlverhalten ergebenden Konsequenzen einverstanden war, möchte der
Antragsteller ausweislich seiner Erklärung vom 13. Mai 2002 allein deshalb im
Dienstverhältnis verbleiben, weil er aus einer strukturschwachen Region stamme, in der
er keine Möglichkeit habe als Karosserie- und Fahrzeugbauer kurzfristig Arbeit zu
finden. Das Interesse des Antragstellers besteht somit darin, weiterhin beschäftigt zu
sein und Bezüge zu erhalten. Dieses Interesse ist aber nicht schutzwürdig.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Oktober 1994 - 12 B 2183/94 -.
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Ihm steht schon das fiskalische Interesse der Antragsgegnerin gegenüber , keine
Bezüge mehr zu leisten, auf die aller Voraussicht nach kein Rechtsanspruch besteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes - GKG -. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 b GKG ist im
Hauptsacheverfahren vom 6,5-fachen Betrag des Endgrundgehalts des Antragstellers
als Hauptgefreiter auszugehen (ca. 12.000 EUR), der wegen der Vorläufigkeit des
vorliegenden Verfahrens um die Hälfte zu reduzieren ist.
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