Urteil des VG Münster vom 11.05.2006

VG Münster: geistige behinderung, medizinisches gutachten, öffentliches interesse, schule, aufschiebende wirkung, besuch, sklerose, vollziehung, eltern, tod

Verwaltungsgericht Münster, 1 L 241/06
Datum:
11.05.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 241/06
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der - sinngemäße - Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 3. März 2006
bzw. der noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27.
Februar 2006 wiederherzustellen,
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ist nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, hat jedoch in der
Sache keinen Erfolg.
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Die bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung
zwischen dem privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung bis
zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen
Interesse an der sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahme fällt
zu Lasten des Antragstellers aus.
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Die angefochtene Entscheidung des Antragsgegners, bei der Tochter C. des
Antragstellers liege eine geistige Behinderung vor, weshalb sie sonderpädagogische
Förderung benötige und als geeigneter Förderort eine Förderschule mit dem
Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sei, ist nicht offensichtlich rechtswidrig.
Vielmehr spricht bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein
möglichen und gebotenen summarischen Prüfung alles für ihre Rechtmäßigkeit.
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Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - SchulG
NRW - (in der seit dem 1. August 2005 geltenden Fassung vom 15. Februar 2005,
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GV.NRW. S. 102) in Verbindung mit § 19 Abs. 3 SchulG NRW und § 3 Abs. 1 Satz 1 der
Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die
Schule für Kranke - AO-SF - (in der ebenfalls seit dem 1. August 2005 geltenden
Fassung vom 29. April 2005, GV.NRW. S. 538, ber. S. 625) entscheidet die
Schulaufsichtsbehörde auf Antrag der Eltern oder der Schule über den
sonderpädagogischen Förderbedarf, Förderschwerpunkte und den Förderort. Vor der
Entscheidung sind ein sonderpädagogisches Gutachten sowie ein medizinisches
Gutachten der unteren Gesundheitsbehörde einzuholen und die Eltern zu beteiligen (§
19 Abs. 2 Satz 2 und 3 SchulG NRW, §§ 3 Abs. 1 Satz 2, 12 AO-SF).
Nach § 4 Abs. Nr. 2 AO-SF kann ein sonderpädagogischer Förderbedarf u.a. durch eine
geistige Behinderung begründet sein. Geistige Behinderung liegt nach § 6 AO-SF vor
bei hochgradigen Beeinträchtigungen im Bereich der kognitiven Funktionen und in der
Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit und wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür
sprechen, dass die Schülerin oder der Schüler zur selbständigen Lebensführung
voraussichtlich auch nach dem Ende der Schulzeit auf Dauer Hilfe benötigt.
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Von einer solchen geistigen Behinderung ist bei C. auszugehen. Nach dem
schulärztlichen Gutachten vom 9. Januar 2006 leidet sie an einer Tuberösen Sklerose
("Morbus Bourneville-Pringle"), wobei es sich um eine erbliche Erkrankung mit
fehlerhafter Gewebsdifferenzierung und knotigen Geschwulstbildungen u.a. im Bereich
des Gehirns handele, die u.a. durch zunehmende Demenz in Erscheinung trete. Auf
Grund dieser Erkrankung habe sich das Verhalten C´s im Lauf der letzten zwei Jahre
geändert. Ein Kinderpsychiater habe eine intellektuelle Beeinträchtigung vom Grad
einer geistigen Behinderung festgestellt. Ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit werde
auch in Zukunft weiter nachlassen. Nach dem pädagogischen Gutachten vom 30.
Januar 2006 hätten sich bei C. in verschiedenen Tests umfassende
Entwicklungsdefizite in den Bereichen Sprache, Mathematik, Wahrnehmung und
Motorik gezeigt, wobei ihre Lernschwierigkeiten eindeutig auf erhebliche intellektuelle
Entwicklungsdefizite zurückzuführen seien. Daher sei für sie die Förderschule "Geistige
Entwicklung" der richtige und bestmögliche Förderort.
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Anhaltspunkte, die gegen die Aussagekraft der genannten Gutachten sprächen oder
sonst eine für den Antragsteller aus seiner Sicht günstigere Beurteilung des
Leistungsbildes C. rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar und werden vom
Antragsteller auch nicht dargetan. Soweit er um eine erneute Prüfung des
Entwicklungsstandes C. gebeten hat, um zu erfahren, warum sie so zurückgefallen sei,
lässt sich die Antwort hierauf bereits den oben zitierten Gutachten entnehmen. Daraus
ergibt sich, dass die Verschlechterung des Leistungsbildes C. nicht - wie der
Antragsteller offenbar vermutet - in erster Linie durch den Tod ihrer Mutter im Jahr 2002
ausgelöst worden ist, sondern hauptsächlich auf die Erkrankung C1. an Tuberöser
Sklerose zurückzuführen ist, die in ihrem Fall bedauerlicherweise mit einer
zunehmenden Verschlechterung insbesondere ihrer geistigen Fähigkeiten einhergeht
(vgl. insbesondere Seite 5 oben des Gutachtens vom 30. Januar 2006).
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Ist mithin bei C. von einem sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem
Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung" auszugehen, ist auch die Entscheidung des
Antragsgegners, geeigneter Förderort sei eine Schule mit dem genannten
Förderschwerpunkt, nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller Einwände gegen
die im Bescheid vom 27. Februar 2006 benannte O. -Schule in C2. erhoben hat,
berühren diese die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Förderortes schon deshalb
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nicht, weil sich die Festlegung nicht auf den Ort der betreffenden Schule, sondern auf
den Förderschwerpunkt der Schule bezieht. Im Übrigen hat der Antragsgegner den
Einwänden des Antragstellers zwischenzeitlich dadurch Rechnung getragen, dass er C.
nunmehr der K. in H. zugewiesen hat.
Es besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des
angegriffenen Bescheides. Denn bei einem aus der Sicht der Schulaufsichtsbehörde
bestehenden sonderpädagogischen Förderbedarf, der einen (weiteren) Besuch der
bisherigen Schule ausschließt, begründet der auch nur vorübergehende Besuch der
bisherigen Schule regelmäßig die beachtliche Gefahr nicht hinnehmbarer
Beeinträchtigungen der weiteren Schulausbildung und der allgemeinen
Persönlichkeitsentwicklung des Schülers.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. August 2004 - 19 E 876/04 -. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53
Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Der sich daraus ergebende
Auffangwert war wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens um die Hälfte zu reduzieren.
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