Urteil des VG Münster vom 13.01.2011

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Verwaltungsgericht Münster, 3 L 704/10
Datum:
13.01.2011
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 704/10
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 3 K 2599/10
gegen den Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin vom 25.
Oktober 2010 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 513,97 Euro festgesetzt.
G r ü n d e Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Heranziehungsbescheid der
Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2010 anzuordnen,
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hat Erfolg.
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Das Rubrum wurde hinsichtlich der Bezeichnung der Antragsgegnerin von Amts wegen
geändert, nachdem zum 1. Januar 2011 der bis dahin geltende § 5 Abs. 2 AGVwGO
NRW entfallen ist und Anfechtungsklagen seitdem gegen die Körperschaft zu richten
sind, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.
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Der Antrag erweist sich als zulässig. Der gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO vom
Antragsteller mit Schreiben vom 11. November 2010 gestellte Aussetzungsantrag ist
von der Antragsgegnerin unter dem 22. November 2010 abgelehnt worden.
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Nach summarischer Prüfung hat der Antrag des Antragstellers auch in der Sache Erfolg.
Es bestehen ernstlichen Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO an der
Rechtmäßigkeit der streitigen Heranziehung zu einem Ausbaubeitrag. Nach der im
Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen überschlägigen
Prüfung unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Erkenntnisstandes spricht eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren
mit seiner Klage Erfolg haben wird. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller
voraussichtlich zu Unrecht zu einem Straßenbaubeitrag für die Anlage "T.---straße "
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(zwischen T1. E. und S.---straße ) herangezogen, denn das bei der Heranziehung
erfasste Grundstück (Flurstück 71) dürfte beitragsrechtlich nicht als von der T.---straße
her erschlossen anzusehen sein.
Bei dem veranlagten Grundstück mit der postalischen Bezeichnung T1. E. 98/98a
handelt es sich um ein so genanntes Hinterliegergrundstück. Eine die Beitragserhebung
rechtfertigende Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße im Sinne von
§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW setzt in der Regel voraus, dass diese für den Eigentümer
des veranlagten Hinterliegergrundstücks auf Dauer gesichert ist. Entscheidend ist
insoweit, ob die Inanspruchnahme der ausgebauten Straße hinsichtlich des Verkehrs
zum und vom Grundstück nur vom Willen des Grundstückseigentümers abhängt. Bei
bebauten Hinterliegergrundstücken sind dabei geringere Anforderungen an die
rechtliche Sicherung zu stellen. Hier reicht die mit Rücksicht auf die Erschließung über
ein Vorderliegergrundstück erteilte Baugenehmigung aus.
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Gemessen daran dürfte das bebaute Grundstück zumindest zum T1. E. hin über die auf
dem Vorderliegergrundstück (Flurstück 12) angelegte Zufahrt beitragsrechtlich
erschlossen sein. Denn es sprechen alle Umstände (u.a. Ausrichtung des Wohnhauses)
dafür, dass die wohl aus dem Jahre 1960 datierende Baugenehmigung bezüglich des
Wohnhauses auf dem Flurstück 71 mit Blick auf die Zufahrt über das Flurstück 12, das
zudem mit einem bereits im Jahre 1955 im Grundbuch eingetragenen Wegerecht zu
Gunsten des Antragstellers belastet ist, erteilt worden ist. Dass eine Erschließung in der
vorbeschriebenen Weise zum T1. E. gegeben ist, setzen Antragsgegnerin und
Antragsteller im Übrigen unstrittig voraus.
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Rechtlich überwiegend zweifelhaft ist derzeit hingegen, dass eine beitragsrechtlich
relevante Zweiterschließung für das veranlagte Grundstück, welches jeweils zu 1/2 im
Miteigentum des Antragstellers und seiner Ehefrau steht, über das Flurstück 73 zur T.---
straße hin besteht. Dieses Flurstück 73 steht zwar jeweils zu 1/4 im Miteigentum des
Antragstellers und seiner Ehefrau. Allerdings ist auch ein Dritter, der nicht Miteigentümer
des veranlagten Hinterliegergrundstücks ist, Miteigentümer des Flurstücks 73 zu 1/2. Mit
Blick auf das von der Antragsgegnerin vorgelegte Luftbild aus dem Jahre 2001 (BA 1,
Bl. 28) dürfte davon auszugehen sein, dass auf dem Flurstück 73 vormals eine Zufahrt
zum veranlagten Hinterliegergrundstück angelegt worden war. Unter Berücksichtigung
der beschriebenen Miteigentumsverhältnisse am Flurstück 73 ist aber ernstlich
zweifelhaft, dass eine hinreichend gesicherte Möglichkeit der Inanspruchnahme der T.---
straße über das Flurstück 73 hinweg für den Antragsteller besteht. Denn er hat es wohl
nicht allein in der Hand, dass es bei einer etwaig bestehenden Zufahrt und damit der
Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten T.---straße bleibt. Nach der
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen kann
zwar eine beitragsrechtlich beachtliche Zweiterschließung für ein
Hinterliegergrundstück auch dann anzunehmen sein, wenn auf dem
Vorderliegergrundstück eine Zufahrt angelegt ist und dieses Grundstück im Miteigentum
der selben Miteigentümer steht, denen auch das Hinterliegergrundstück gehört. Es liegt
dann eine Eigentümeridentität vor in Form mehrerer identischer Miteigentümer.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Oktober 2005 - 15 A 240/04 -, KStZ 2006, Seite 16 -
18, juris.
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Der vorbeschriebene Fall ist indes hier nicht gegeben, da unter anderem auch ein
Dritter, der nicht zugleich Miteigentümer des veranlagten Hinterliegergrundstücks ist,
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Miteigentümer des Vorderliegergrundstücks zu 1/2 ist. Zudem ist von der
Antragsgegnerin weder substantiiert vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass
bezüglich des veranlagten Hinterliegergrundstücks eine Baugenehmigung (auch und
gerade) mit Blick auf eine Erschließung über das Flurstück 73 zur T.---straße hin erteilt
worden ist. Die im gerichtlichen Verfahren insoweit auf Indizien gestützte Vermutung,
eine Baugenehmigung sei auf der Basis einer Erschließung zur T.---straße erteilt
worden, führt nicht weiter. Die Antragsgegnerin selbst verfügt über die für das
Grundstück geführten Bauakten. Bereits im Beitragserhebungsverfahren, spätestens
aber im gerichtlichen Eilverfahren hätten diese stichhaltig ausgewertet werden können.
Mag dies im Vorverfahren unterblieben sein, weil - so der Vermerk auf Blatt 26, 3.
Absatz, der Anliegerakte - rechtsfehlerhaft davon ausgegangen wurde, dass allein das
Miteigentum am Flurstück 73 die Möglichkeit der Inanspruchnahme auf Dauer sicherere,
so ist kein Grund erkennbar, weshalb auch im gerichtlichen Verfahren der Vortrag nicht
durch Tatsachenangaben gestützt wird. Angesichts des summarischen Charakters des
Eilverfahrens sieht das Gericht keinen Anlass, insoweit weitere Aufklärungsmaßnahmen
durchzuführen.
Gemessen an der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum
Erschließungsbeitragsrecht kann in einer Fallkonstellation, in der das
Hinterliegergrundstück im Alleineigentum eines von mehreren Miteigentümern des
Anliegergrundstücks steht, ein Erschlossensein des Hinterliegergrundstücks regelmäßig
nicht angenommen werden. Es liegt - abgesehen von besonderen Umständen im
Einzelfall - keine hinreichend gesicherte Zufahrt vor.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 - 9 C 1.09 -, KStZ 2010, Seite 196 - 200.
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Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze sind bei überschlägiger Prüfung derzeit
keine genügenden Anhaltspunkte dafür erkennbar, das veranlagte Grundstück als
beitragsrechtlich durch die T.---straße erschlossen anzusehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Im Verfahren auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes legt das Gericht regelmäßig ein Viertel der
streitigen Forderung (hier insgesamt 2.055,88 Euro) zu Grunde.
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