Urteil des VG Münster vom 13.05.2008

VG Münster: rückgriff, vergleich, kreis, erlass, beförderung, polizei, beamter, bewährung, unterliegen, zitat

Verwaltungsgericht Münster, 4 L 173/08
Datum:
13.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 173/08
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, eine der ihm für Januar, Februar und März 2008
zugewiesenen Stellen der Besoldungsgruppe A 10 BBesO mit den
Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden
worden ist.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der (sinngemäße) Antrag der Antragstellerin,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine der ihm
für Januar, Februar und März 2008 zugewiesenen Stellen der Besoldungsgruppe A 10
BBesO mit den Beigeladenen zu besetzten, bis über die Bewerbung der Antragstellerin
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,
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hat Erfolg. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf das beantragte Eingreifen des
Gerichts (Anordnungsanspruch) im Sinne von § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. §§
920 Abs.2, 294 ZPO glaubhaft gemacht. Die vom Antragsgegner beabsichtigten
Beförderungen der Beigeladenen auf die zugewiesenen Beförderungsplanstellen der
Besoldungsgruppe A 10 unterliegen nach summarischer Prüfung rechtlichen Bedenken.
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Ein Beamter hat nach geltendem Dienstrecht zwar grundsätzlich keinen Anspruch auf
Übertragung eines Beförderungsamtes. Der Dienstherr hat jedoch bei der Entscheidung
darüber, welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten er eine
Beförderungsstelle übertragen will, das Prinzip der Bestenauslese zu beachten und
Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Konkurrenten zu bewerten und zu
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vergleichen (Artikel 33 Abs. 2 GG, §§ 25 Abs. 6, 7 Abs. 1 LBG NRW). Ist ein Bewerber
besser qualifiziert, darf er nicht übergangen werden. Im Übrigen - bei gleicher
Qualifikation - ist die Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn
gestellt. In diesem Fall hat der einzelne Bewerber insoweit lediglich ein nach § 123 Abs.
1 Satz 1 VwGO sicherungsfähiges Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei der
Stellenbesetzung.
Der Erlass einer entsprechenden Sicherungsanordnung setzt voraus, dass die
Verletzung des Rechts des betroffenen Beamten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
über sein Beförderungsbegehren glaubhaft ist und die Möglichkeit besteht, dass eine
fehlerfreie Wiederholung der Auswahlentscheidung zur Beförderung des Antragstellers
führt. D. h., jeder Fehler im Auswahlverfahren einschließlich etwaiger Fehler der dabei
zu Grunde gelegten Beurteilungen vermag den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
rechtfertigen; vorausgesetzt werden dabei die Berücksichtigungsfähigkeit des Fehlers
und dessen potenzielle Kausalität für das Auswahlergebnis.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2001 - 6 B 1776/00 - und vom 1.
Juni 2005 - 6 B 225/05 -
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Für eine am Bestenausleseprinzip orientierte Auswahlentscheidung sind grundsätzlich
die letzten dienstlichen Beurteilungen der Konkurrenten ausschlaggebend. Zeitnahe
und aussagekräftige dienstliche Beurteilungen sollen verlässlich Auskunft geben über
die maßgeblichen Beförderungskriterien Befähigung, fachliche Leistung und Eignung.
Dabei bedarf es grundsätzlich nicht der Erstellung von Bedarfsbeurteilungen, wenn die
in die Auswahlentscheidung einzubeziehenden Bewerber in der letzten, an einem
datumsmäßig fixen Stichtag anknüpfenden Beurteilungsperiode regelbeurteilt worden
sind und die letzte Regelbeurteilung im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung jedenfalls
nicht mehr als drei Jahre zurückliegt.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2001 - 1 B 704/01 -.
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Im vorstehenden Sinn hinreichend aktuelle dienstliche Beurteilungen liegen mit den
Regelbeurteilungen vom Mai 2006 (für die Antragstellerin) bzw. Dezember 2005 und
Januar 2006 (für die Beigeladenen) vor. Diese Beurteilungen, die jeweils im selben
statusrechtlichen Amt A 9 erstellt wurden, enden im Endurteil für die Antragstellerin und
die Beigeladenen jeweils mit „die Leistung und Befähigung entsprechen voll den
Anforderungen" (3 Punkte). Insoweit ist der Antragsgegner zunächst zutreffend von
einem Beurteilungsgleichstand ausgegangen; dies gilt auch für die Hauptmerkmale, bei
denen sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladenen jeweils zweimal 3 Punkte
und einmal 4 Punkte erreicht haben. Rechtlich bedenklich ist allerdings, dass der
Antragsgegner vor dem gebotenen Rückgriff auf früheren Beurteilungen keine weitere
Ausschärfung der aktuellen Beurteilungen vorgenommen hat. Denn unter
Berücksichtigung des Beurteilungsergebnisses auf der Ebene der Submerkmale ergibt
sich ein Beurteilungsvorsprung für die Antragstellerin zumindest gegenüber den
Beigeladenen Herrn I und Herrn L, da die Antragstellerin, anders als die vorgenannten
Beigeladenen, die jeweils sechsmal 3 Punkte und ebenfalls sechsmal 4 Punkte erreicht
haben, fünfmal 3 Punkte, sechsmal 4 Punkte und einmal 5 Punkte bei den
Submerkmalen aufweist. Den Submerkmalen in dienstlichen Beurteilungen gemäß den
Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes NRW kommt für den
Qualifikationsvergleich bei einer Stellenbesetzung grundsätzlich nur dann keine
Aussagekraft mehr zu, wenn sich aus der Beurteilung ergibt, dass der Endbeurteiler die
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Bewertung der Submerkmale durch den Erstbeurteiler nicht teilt. Dies ist hier jedoch
nicht der Fall.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 594/05 - m. w. N..
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Selbst wenn man angesichts der geringfügigen Differenz hier von einem
Beurteilungsgleichstand ausgehen wollte, ergeben sich jedoch durchgreifende
rechtliche Bedenken aus der Bewertung der Vorbeurteilungen im Verhältnis der
Beigeladenen zu der Antragstellerin. Allerdings hat der Antragsgegner zutreffend vor
dem Rückgriff auf leistungs- und eignungsferne Merkmale (Hilfskriterien) die Möglichkeit
genutzt, um durch einen Rückgriff auf frühere Beurteilungen einen hinreichend
aussagekräftigen Leistungs- und/oder Eignungsvorsprung zu ermitteln. Denn nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen
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vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, ZBR 2003, 359 und vom 21.
August 2003 - 2 C 14.02 -; OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 6 B
2172/03 und vom 6. September 2007 - 1 B 754/07 -
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ist die zusätzliche Berücksichtigung vorangegangener dienstlicher Beurteilungen bei
einer Auswahlentscheidung mit Rücksicht auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, weil sie
Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt
ermöglichen und positive und negative Entwicklungstendenzen aufzeigen können. Ein
chronologisch rückwärts gerichteter Vergleich älterer Beurteilungen ist dabei nicht
zwingend, vielmehr kommt es darauf an, ob die den Konkurrenten früher erteilen
Beurteilungen miteinander vergleichbar sind und wie weit sie Aufschluss darüber
geben, wer für die zu besetzende Stelle besser qualifiziert ist.
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Das der Antragsgegner daher bis ins Beurteilungsjahr 1997 die an hand der
Beurteilungen ausgewiesene Leistungsentwicklung berücksichtigt und hierbei auch den
Umstand gewichtet hat, dass die Beurteilungen in unterschiedlichen statusrechtlichen
Ämtern erfolgt sind, ist vom Grundsatz her nicht zu beanstanden, entspricht vielmehr der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Danach kommt der dienstlichen Beurteilung
des Inhabers eines höherwertigen Amtes gegenüber der gleichlautenden dienstlichen
Beurteilung eines Mitbewerbers im allgemeinen ein größeres Gewicht zu. Dem liegt die
Überlegung zugrunde, dass der Maßstab für die dienstlichen Anforderungen im Blick auf
das innegehaltene Amt im statusrechtlichen Sinne zu bestimmen ist. Sobald der Beamte
befördert ist, fällt er aus dem Kreis der vor der Beförderung mit ihm zu vergleichenden
Beamten heraus und tritt in den Kreis der nunmehr mit ihm zu vergleichenden Beamten
des Beförderungsamtes ein. Das Anlegen eines höheren Maßstabes wird, wenn der
beförderte Beamte seine Leistung nicht mehr steigert, regelmäßig dazu führen, dass die
Beurteilung im neuen Amt schlechter ausfällt als diejenige im vorangegangen, niedriger
eingestuften Amt. Hierdurch verschiebt sich zugleich der Beurteilungsmaßstab im
Verhältnis zu den (noch) nicht beförderten Beamten. Diese Verschiebung zum Zwecke
der Herstellung der Vergleichbarkeit solcher Beurteilungen mit anderen Beurteilungen
(in einem niedrigeren bzw. noch höherwertigeren Statusamt) auszugleichen, dient im
Rahmen des Auswahlverfahrens die entsprechende Gewichtung durch den Dienstherrn.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 16. April 2007 - 1 A 1789/06 - m. w. N..
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Hiervon ausgehend konnte der Antragsgegner eine unterschiedliche Gewichtung der
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Vorbeurteilungen vornehmen, wobei es keinen Grundsatz dergestalt gibt, dass durch
eine Beurteilung in einem um eine Besoldungsgruppe höherwertigen statusrechtlichen
Amt nur eine - schlechtere - Notenstufe ausgeglichen werden könnte. Dem stünde
bereits entgegen, dass es ausschließlich Aufgabe des Dienstherrn, und zwar letztlich
der für die Besetzungs-/Beförderungsentscheidung zuständigen Stelle ist, nach
Maßgabe des Prinzips der Bestenauslese die (von den jeweiligen Beurteilern
festgestellten) Leistungen der Konkurrenten gewichten miteinander zu vergleichen. Ob
der Antragsgegner danach berechtigt war, entsprechend seinem Vermerk vom 29.
Januar 2008 über die Beförderungskonferenz vom 25. Januar 2008 die in einem
niedrigeren stausrechtlichen Amt erreichte Beurteilung um zwei Noten abzusenken,
mag dahin stehen. Denn nach seinen Ausführungen am Ende des zweiten Absatzes auf
Seite 2 der Niederschrift heißt es: „Danach werden grundsätzlich Beurteilungen im
statusrechtlichen Amt A 8 um eine Note und Beurteilungen im statusrechtlichen Amt A 7
um zwei Noten abgesenkt um eine Vergleichbarkeit herstellen zu können, es sei denn,
es gibt besondere, im Leistungsbild eines Beamten/ einer Beamtin liegende Gründe,
von diesem Grundsatz abzuweichen." Von diesen Ausführungen ausgehend hätte der
Antragsgegner daher von einem Beurteilungsvorsprung der Antragstellerin ausgehen
müssen, da diese sich zum Zeitpunkt der Regelbeurteilung im Jahre 2000 im
statusrechtlichen Amt A 8 befunden hat, die Beigeladenen hingegen im
statusrechtlichen Amt A 9, diese jedoch um zwei Noten schlechter (jeweils 2 Punkte)
beurteilt worden sind, als die Antragstellerin, die 4 Punkte erreicht hat. Das Gericht
verkennt nicht, dass die in dem vorgenannten Zitat vorgegebene Absenkung um eine
Notenstufe im Widerspruch steht zu den Ausführungen im ersten Absatz der
vorgenannten Niederschrift; allerdings ist dieser Widerspruch weder plausibel noch
erklärbar. Lösgelöst hiervon hätte der Antragsgegner jedenfalls vor dem Hintergrund
seiner oben zitierten Ausführungen, wonach im Leistungsbild einer Beamtin liegende
Gründe ein Abweichen von dem Grundsatz der - überhaupt - Notenabsenkung gebieten
können, Veranlassung gehabt, dies im Falle der Antragstellerin zu berücksichtigen.
Denn für das Gericht stellt sich die Situation so dar, dass die Beigeladenen viermal (L)
bzw. dreimal (I und B) im statusrechtlichen Amt A 9 beurteilt wurden, ohne das bezogen
auf das Endurteil bislang eine positive Leistungsentwicklung festgestellt werden kann.
Im Gegenteil, der Beigeladenen L ist, nach dem er 1997 im statusrechtlichen Amt A 9
zunächst mit drei Punkten bewertet wurde, in der hier in Vergleich zu setzenden
Beurteilungsrunde im Jahre 2000 leistungsmäßig abgefallen und nur noch mit 2
Punkten bewertet worden. Auch die Beigeladenen I und B sind bei ihrer erstmaligen
Beurteilung im Amt A 9 nur mit 2 Punkten im Jahre 2000 beurteilt worden.
Demgegenüber ist bei der Antragstellerin festzustellen, dass sie bereits bei ihrer
erstmaligen Beurteilung im statusrechtlichen Amt A 9 im Jahre 2003 3 Punkte erzielt hat
und damit aus Sicht des Gerichts im Sinne des vorgenannten Vermerks im Leistungsbild
der Antragstellerin liegende Gründe vorliegen, die für den Antragsgegner hätten
Veranlassung sein müssen die Frage zu erörtern, ob nicht von einer Absenkung
überhaupt abgesehen wird.
Da sich somit bei einer sachgerechten Bewertung der Vorbeurteilungen auf der Basis
der Vorgaben in der Niederschrift über die Beförderungskonferenz vom 29. Januar 2008
nicht ausschließen lässt, dass die Antragstellerin zu befördern ist, war dem Antrag zu
entsprechen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen
Antrag stellt und sich damit dem Kostenrisiko nicht unterworfen haben (§ 154 Abs. 3
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VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes. Der sich daraus ergebende Auffangwert war wegen des
vorläufigen Charakters des Verfahrens um die Hälfte zu reduzieren.
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