Urteil des VG Münster vom 03.09.2008

VG Münster: aufenthaltserlaubnis, trennung, befristung, lebensgemeinschaft, wohnung, schwangerschaft, rechtswidrigkeit, erlass, verfügung, abschiebung

Verwaltungsgericht Münster, 8 K 1910/07
Datum:
03.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 1910/07
Tenor:
Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 22. Februar 2007 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom
24. Oktober 2007 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils
zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der 1977 geborene Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember
2000 in das Bundesgebiet ein und stellte erfolglos einen Asylantrag.
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Am 16. September 2004 heiratete der Kläger eine Deutsche. Am 22. Oktober 2004
wurde ihm eine bis zum 7. Juli 2005 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt, am 1. Juli 2005
wurde diese bis zum 30. Juni 2007 verlängert.
3
Die Ehefrau des Klägers erklärte in einem auf den 7. September 2006 datierten Brief an
den Beklagten ein Getrenntleben vom Kläger seit Mai 2006, dessen gegenwärtige
Adresse sei ihr nicht bekannt. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2006 bekräftigte die
Ehefrau des Klägers, dieser sei ca. Mitte Mai 2006 ausgezogen. Schon vorher sei die
Lebensgemeinschaft stark belastet gewesen und sie haben ihn zum Auszug
aufgefordert, so dass Mitte Mai ein endgültiges Ende eingetreten sei.
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Nach einem melderechtlichen Eintrag des Beklagten vom 20. September 2007 wurde
der Kläger am 1. September 2006 von Amts wegen aus der Ehewohnung in eine
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Wohnung in der N.-------straße in N1. umgemeldet, am 10. Oktober 2006 meldete sich
der Kläger in die F.----straße um.
Der Beklagte hörte den Kläger unter dem 28. November 2006 zu einer nachträglichen
Befristung der Aufenthaltserlaubnis an. Der Kläger trug unter dem 21. Februar 2007 vor,
eine Befristung scheide nach den Verwaltungsvorschriften grundsätzlich aus, wenn wie
hier eine Restlaufzeit von weniger als sechs Monaten bleibe.
6
Mit am 27. Februar 2007 abgesandter Ordnungsverfügung vom 22. Februar 2007
befristete der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf den 31.
März 2007, da der Aufenthaltszweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft
mit einer Deutschen seit Mai 2006 nicht mehr bestehe und der Kläger kein
eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben habe. Nach pflichtgemäßem Ermessen
überwögen die öffentlichen Interessen an einer Befristung die Interessen des Klägers.
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Am 30. März 2007 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis
und erhob Widerspruch.
8
Am 5. April 2007 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten, er sei seit fünf Monaten
mit einer Deutschen verlobt.
9
Der Beklagte hörte den Kläger unter dem 26. April 2007 zu einer Ablehnung der
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis an.
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Am 8. Juni 2007 gebar die Ehefrau des Klägers einen Sohn, dessen leiblicher Vater
nicht der Kläger ist.
11
Mit Ordnungsverfügung vom 14. Juni 2007 lehnte der Beklagte eine Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis des Klägers ab, setzt eine Ausreisefrist bis zum 27. Juli 2007 und
drohte ihm die Abschiebung in den Libanon an.
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Hiergegen erhob der Kläger am 13. Juli 2007 Widerspruch.
13
Mit Schreiben vom 4. August 2007 änderte die Ehefrau des Klägers gegenüber dem
Beklagten ihre früheren Angaben dahingehend, eine Trennung sei erst Ende Oktober
2006 erfolgt. Sie habe zuvor den Kläger aus Wut zum 1. September 2006 abgemeldet.
In ihrem Scheidungsantrag vom 30. Januar 2007 hatte die Ehefrau angegeben, sie lebe
seit Januar 2006 in Scheidungsabsicht getrennt, der Kläger sei im Mai 2006
ausgezogen. Dies änderte sie am 21. August 2007 und mit Schreiben vom 29.
September 2007 und 8. Oktober 2007 in den Trennungszeitpunkt 25. Oktober 2006.
14
Mit Widerspruchsbescheiden vom 24. Oktober 2007 wies die Bezirksregierung Münster
die Widersprüche des Klägers zurück.
15
Die Ehe des Klägers wurde am 16. November 2007 geschieden.
16
Der Kläger hat am Montag, den 26. November 2007, Klage erhoben. Er trägt vor, er
habe mehr als zwei Jahren lang rechtmäßig eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt,
wie sich aus den korrigierten Angaben seiner geschiedenen Ehefrau ergebe. Es sei
zwar zu mehrfachen kurzzeitigen Trennungen gekommen, u.a. auf Grund der
ehebrecherischen Beziehung der Ehefrau, welche bei Beginn der Schwangerschaft
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bereits seit geraumer Zeit bestanden habe. Die endgültige Trennung sei aber erst Ende
Oktober 2006 erfolgt.
Der Kläger beantragt,
18
den Beklagten unter Aufhebung der Ordnungsverfügungen vom 22. Februar 2007 und
vom 14. Juni 2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Münster
vom 24. Oktober 2007 zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu
verlängern.
19
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
21
Er bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
22
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23
Die zulässige Klage ist (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die eine nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis bewirkende Verfügung des
Beklagten vom 22. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der
Bezirksregierung Münster vom 24. Oktober 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger
in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (1.). Demgegenüber ist die eine
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnende und die Abschiebung androhende
Verfügung des Beklagten vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der
Bezirksregierung Münster vom 24. Oktober 2007 nicht rechtswidrig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten, denn dieser hat keinen Anspruch auf Verlängerung
seiner Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig, § 113 Abs.
1 Satz 1, Abs. 5 VwGO (2.).
25
1. Die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die
Frist der Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung,
die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung
entfallen ist.
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Dies ist hier zwar der Fall, da die Aufenthaltserlaubnis dem Kläger nach § 27, § 28 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner
deutschen Ehefrau erteilt wurde, der Kläger mit seiner Ehefrau aber keine eheliche
Lebensgemeinschaft mehr geführt hat. Dies ergibt sich aus allen Erklärungen des
Klägers und seiner früheren Ehefrau, wonach es spätestens Ende Oktober 2006 zu
einer endgültigen Trennung gekommen ist.
27
Die nachträgliche Befristung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Kläger einen
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund gehabt
hätte. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt ist insoweit der Tag, auf den die
nachträgliche Befristung erfolgte,
28
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 18 B 119/06 -, www.nrwe.de,
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hier der 31. März 2007.
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Der Kläger hat an diesem Tag keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
aus einem anderen Grund gehabt.
31
Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bestand nicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AufenthG, da die tatsächliche eheliche Lebensgemeinschaft nicht seit mindestens seit
zwei Jahren rechtmäßig in Deutschland bestanden hat.
32
Da dem Kläger nach der Heirat vom 16. September 2004 am 22. Oktober 2004 eine bis
zum 7. Juli 2005 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, die am 1. Juli 2005 bis zum
30. Juni 2007 verlängert wurde, hätte die eheliche Lebensgemeinschaft mindestens bis
zum 22. Oktober 2006 gedauert haben müssen.
33
Zwar haben der Kläger und seine vormalige Ehefrau in der mündlichen Verhandlung
bekundet, trotz zum Teil gravierender Streitereien und zeitweisen Aufenthalts des
Klägers außerhalb der Ehewohnung sei es erst am 25. Oktober 2006 zu der endgültigen
Trennung gekommen, als die Ehefrau dem Kläger ihre Schwangerschaft offenbart habe.
Auch änderte die Ehefrau mit Schreiben vom 4. August, 29. September und 8. Oktober
2007 ihre früheren Angaben dahingehend, eine Trennung sei erst am 25. bzw. Ende
Oktober 2006 erfolgt.
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Diese Darstellung ist aber nicht glaubhaft. Zunächst ist festzustellen, dass weder der
Kläger noch die Ehefrau in der mündlichen Verhandlung substantiiert ein eheliches
Zusammenleben nach Mai 2006 dargelegt haben. Auch die Darstellung des
angegebenen Gesprächs vom 25. Oktober 2006, das zur endgültigen Trennung geführt
habe, ist farblos und oberflächlich geblieben.
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Von größerer Bedeutung ist jedoch, dass die Ehefrau in ihren Schreiben an den
Beklagten vom 7. September und 9. Oktober 2006 nachvollziehbar und in nüchterner
Weise berichtete, die endgültige Trennung sei bereits im Mai 2006 erfolgt. Die Ehefrau
vermochte in der mündlichen Verhandlung auch nicht überzeugend zu erklären, warum
sie in diesen Schreiben zu Lasten des Klägers die Unwahrheit geschrieben haben
sollte. Ihr Vorbringen, sie sei auf den Kläger wütend gewesen bzw. habe diesem wohl
eins "auswischen" wollen, konnte sie nicht näher begründen. Auch die Erklärung der
Ehefrau, den Brief vom 9. Oktober 2006 unter dem Druck des leiblichen Vaters ihres
Kindes geschrieben zu haben, überzeugt nicht, da sie insoweit nach dem Eingangssatz
des Briefs nur auf die in dem Schreiben des Beklagten vom 22. September 2006 an sie
gerichteten Fragen antworten wollte und der Beklagte durch ihren Brief vom 7.
September 2006 bereits über die Trennung informiert war.
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Auch hat im Scheidungsverfahren nicht nur die Ehefrau, sondern auch der Kläger selbst
zunächst vorgetragen, die Trennung sei im Mai 2006 erfolgt. Hieran muss der Kläger
sich auch im ausländerrechtlichen Verfahren zur Vermeidung widersprüchlichen und
treuwidrigen Verhaltens grundsätzlich festhalten lassen. Zwar hat er diese Angabe mit
Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 auf den Trennungszeitpunkt 25. Oktober 2006 geändert,
Gründe für seine Änderung jedoch nicht näher dargelegt.
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Jedenfalls muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger spätestens am 10.
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Oktober 2006 allein in die F.----straße gezogen ist, ohne dass auch die Ehefrau dort
gewohnt hat. Somit haben die Ehegatten spätestens dann nach außen erkennbar den
gemeinsamen Lebensmittelpunkt ohne unabweislichen Grund dauerhaft aufgegeben, so
das eine endgültige Trennung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfolgt ist,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 18 A 1151/06 - m.w.N..
39
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung zwar angegeben, er habe sich am 10.
Oktober 2006 in die F.----straße nur umgemeldet, habe dort aber erstmals nach der
Trennung am 25. Oktober 2006 geschlafen. Er habe die Wohnung nämlich nicht als
Hauptwohnsitz, sondern nur als zusätzliche Übernachtungsmöglichkeit auf Drängen der
Ehefrau gemietet, für den Fall, dass es zwischen ihnen Streit gebe.
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Dies erscheint aber aus zwei Gründen als nicht glaubhaft. Zum Einen ist nicht
nachvollziehbar, und vom Kläger auch nicht erklärt worden, warum er sich bereits gut
zwei Wochen vor der erstmaligen Nutzung der Wohnung in diese bereits umgemeldet
haben sollte. Zum Anderen widerspricht der Darstellung, dass diese Wohnung nur als
Ausweichquartier gedacht war, dass sie nach dem Melderegisterauszug des Beklagten
von dem Kläger als dessen alleinige Wohnung angemeldet wurde. Zudem hat die
vormalige Ehefrau in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts erklärt,
der Kläger sei wohl in der F.----straße gemeldet gewesen, diese Wohnung habe sie aber
nie gesehen. Auch dies lässt nicht auf das Fortbestehen der ehelichen
Lebensgemeinschaft bei Anmietung dieser Wohnung durch den Kläger schließen.
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Gegen den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft noch im September 2006
spricht auch, dass die Ehefrau zu diesem Zeitpunkt von einem damaligen
Arbeitskollegen des Klägers schwanger wurde und nach dem Schriftsatz des Klägers
vom 13. Juni 2008 zu diesem Zeitpunkt die "ehebrecherische Beziehung" bereits seit
geraumer Zeit anhielt.
42
Der Kläger hat selbst eine Niederschrift des Beklagten vom 5. April 2007
unterschrieben, wonach er seit fünf Monaten mit einer Deutschen verlobt sei. Danach
wäre er seit Anfang November 2006 verlobt gewesen, also hätte er sich nur wenige
Tage nach dem in der mündlichen Verhandlung angegebenen Zeitpunkt der
endgültigen Trennung, dem 25. Oktober 2006, verlobt. Nach der allgemeinen
Lebenserfahrung ist es sehr ungewöhnlich, dass eine Verlobung bereits wenige Tage
nach der endgültigen Trennung von der Ehefrau erfolgt. Zwar hat der Kläger in der
mündlichen Verhandlung angegeben, es habe sich dabei um keine Verlobung
gehandelt, sondern um eine Freundschaft. Dieser Widerspruch zu der Erklärung vom 5.
April 2007 stellt aber letztlich die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zusätzlich in
Frage.
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Schließlich haben der Kläger und seine vormalige Ehefrau in der mündlichen
Verhandlung zwar bekundet, die Schwangerschaft sei dem Kläger erst am 25. Oktober
2006 bekannt gegeben worden. Dies kontrastiert aber mit den Angaben im
Klägerschriftsatz vom 13. Juni 2008, wonach das Bestehen von Streit und
Zerwürfnissen vor der endgültigen Trennung angesichts der damaligen
Schwangerschaft nicht von der Hand zu weisen gewesen sei. Zwar hat der
Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich angegeben,
insoweit müsse er sich bei Abfassung des Schriftsatzes geirrt haben. Ein
diesbezüglicher Irrtum erscheint aber nicht als plausibel, da der Prozessbevollmächtigte
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in dem Schriftsatz mangels eigener Wahrnehmungen der ehelichen Verhältnisse allein
die Angaben des Klägers wiedergeben konnte.
Nach alledem kann von einer ununterbrochenen tatsächlichen ehelichen
Lebensgemeinschaft zwischen dem insoweit materiell beweisbelasteten Kläger und
seiner Ehefrau bis zum 22. Oktober 2006 nicht ausgegangen werden, sondern muss
eine Trennung bereits im Mai 2006, spätestens aber am 10. Oktober 2006 angenommen
werden.
45
Das Bestehen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 2 AufenthG ist
weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Der Beklagte hat aber sein ihm durch § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumtes
Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
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Denn nach Nr. 7.2.2.7 der für den Beklagten gemäß Erlass des IM NRW verbindlichen
Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG
und zum FreizügG/EU kann grundsätzlich von einer nachträglichen zeitlichen
Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis abgesehen werden, wenn deren Geltungsdauer
nur noch sechs Monate beträgt und keine gewichtigen Gründe für eine (umgehende)
Entfernung des Ausländers aus dem Bundesgebiet vorliegen. Da die
Aufenthaltserlaubnis des Klägers auf den 30. Juni 2007 befristet war, betrug ihr
Geltungsdauer bei Erlass der Ordnungsverfügung am 22. Februar 2007 weniger als
sechs Monate. Gewichtige Gründe für eine (umgehende) Entfernung des Klägers aus
dem Bundesgebiet sind in der Ordnungsverfügung nicht genannt, im Übrigen auch nicht
ersichtlich. Der Kläger hat hierauf auch im Rahmen seines am 23. Februar 2007 bei
dem Beklagten eingegangenen Anhörungsschreibens hingewiesen. Hiermit hat sich der
Beklagte in seiner am 27. Februar 2007 zur Post gegebenen Ordnungsverfügung aber
nicht auseinander gesetzt und nicht dargelegt, warum er trotzdem eine nachträgliche
Befristung verfügt.
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Auch in dem Widerspruchsbescheid ist keine diesbezüglich fehlerfreie
Ermessensausübung enthalten. Soweit es dort heißt, da die Aufhebung der ehelichen
Lebensgemeinschaft bereits geraume Zeit zurückgelegen habe, "konnte auf die
Anwendung der Nr. 7.2.2.7 der Vorläufigen Anwendungshinweise verzichtet werden,"
"der Vortrag im Anhörungsverfahren führte daher zu keiner anderen Bewertung",
verdeutlicht die Verwendung der Zeitform des Imperfekt und die Bezugnahme auf das
Anhörungsverfahren, dass die Widerspruchsbehörde insoweit ihr Ermessen nicht selbst
ausgeübt hat, sondern nur den diesbezüglichen Mangel in der Ermessensausübung des
Beklagten - unzutreffenderweise - für unbeachtlich gehalten hat.
49
2. a) Die Ablehnung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist rechtmäßig. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner mit Ablauf des 30. Juni 2007
erloschenen Aufenthaltserlaubnis. Wie gezeigt (s. 1.), liegen die Voraussetzungen des §
31 Abs. 1 bzw. 2 AufenthG nicht vor.
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Selbst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hätte der Kläger gegenwärtig keinen
Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, da die
Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht gegeben ist. Denn
der Kläger verfügt nicht über einen gültigen Pass und ein zum Absehen von dieser
Voraussetzung führender atypischer Sachverhalt ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
51
Andere Anspruchsgrundlagen sind weder geltend gemacht noch erkennbar. § 104a
Abs. 1 AufenthG ist auf den Kläger nicht anwendbar, da er eine Aufenthaltserlaubnis
aus familiären Gründen besaß,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juli 2008 - 18 B 602/08 -.
53
Im Übrigen hielt sich der nicht mit minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher
Gemeinschaft lebende Kläger nicht am Stichtag des 1. Juli 2007 seit acht Jahren
ununterbrochen im Bundesgebiet auf, da er im Dezember 2000 in das Bundesgebiet
einreiste. Dementsprechend kommt auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. mit der Bleiberechtsanordnung des IM NRW vom 11.
Dezember 2006 nicht in Betracht.
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Die Rechtsauffassung des Klägers, die Ablehnung der Erlaubnisverlängerung sei
rechtswidrig, da sie auf Grund der Rechtswidrigkeit bzw. nun erfolgten Aufhebung der
nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis zum falschen Zeitpunkt erfolgt sei, ist
unzutreffend.
55
Die nachträgliche Befristung war trotz des Widerspruchs des Klägers zunächst wirksam
(§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), so dass die ablehnende Verfügung zu einem Zeitpunkt
erging, in dem der Kläger über kein Aufenthaltsrecht verfügte.
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Aber selbst wenn man in den Blick nimmt, dass der Kläger auf Grund der nun erfolgten
Aufhebung der nachträglichen Befristung (s. 1.) aus rückblickender Perspektive zum
Zeitpunkt der Ablehnung noch über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte, folgt daraus
ersichtlich keine (formelle) Rechtswidrigkeit der nach Antrag des Klägers ergangenen
Ablehnungsentscheidung. Denn es ist weder dem geschriebenen noch dem
ungeschriebenen Recht ein Rechtssatz zu entnehmen, dass eine (ablehnende)
Verlängerungsentscheidung nicht bereits während der Gültigkeitsdauer des
Aufenthaltstitels ergehen darf.
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b) Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig, da die Voraussetzungen der §§ 58 und
59 AufenthG vorliegen. Der Kläger war zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des
Erlasses des Widerspruchsbescheides am 24. Oktober 2007 auf Grund der
rechtmäßigen Ablehnung der Verlängerung der am 30. Juni 2007 abgelaufenen
Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2, § 84 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG) und in der Abschiebungsandrohung ist der Zielstaat Libanon angegeben (§
59 Abs. 2 AufenthG).
58
Zwar erweist sich die bis zum 27. Juli 2007 gesetzte Ausreisefrist als rechtswidrig, da ihr
Beginn in einen Zeitraum fiel, in dem der Kläger - bei rückwirkender Betrachtung - auf
Grund der Aufhebung der nachträglichen Befristung nicht ausreisepflichtig war,
59
vgl. Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, II-§ 50 Rn. 26.
60
Die Ordnungsverfügung vom 14. Juni 2007 wurde am 21. Juni 2007 zugestellt, die
Aufenthaltserlaubnis des Klägers galt aber noch bis zum 30. Juni 2007, so dass dieser
(bei rückwirkender Betrachtung) erst am 1. Juli 2007 ausreisepflichtig wurde.
61
Damit erweist sich auch die Länge der Ausreisefrist von weniger als vier Wochen als
62
ermessensfehlerhaft. Zwar "soll" gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG eine Ausreisefrist gesetzt
werden, so dass unter besonderen Umständen auch darauf verzichtet werden könnte.
Solche Umstände sind vorliegend aber weder ersichtlich noch in der
Ordnungsverfügung genannt. Vielmehr hat der Beklagte eine Ausreisefrist gesetzt.
Bei der Entscheidung über die Bemessung der Ausreisefrist ist abzuwägen zwischen
dem öffentlichen Interesse an der baldigen Ausreise des Ausländers und dessen
privaten Belangen. Die Ausreisefrist soll es dem Ausländer ermöglichen, seine
beruflichen und persönlichen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet abzuwickeln und
einer Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise zuvorzukommen. Die Frist ist so zu
bemessen, dass der Ausländer noch die Angelegenheiten regeln kann, die seine
Anwesenheit erfordern. Darüber hinaus gewährleistet die Ausreisefrist im Hinblick auf
die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dass der Ausländer wirksamen
Rechtsschutz erlangen kann. Neben der Art des bisherigen Aufenthalts ist regelmäßig
dessen Dauer von Bedeutung, weil nach längerem Aufenthalt im Bundesgebiet die vor
der Ausreise erforderliche Regelung der Angelegenheiten des Ausländers im
allgemeinen mehr Zeit beansprucht als nach einem kurzfristigen Verbleiben.
63
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1997 - 1 C 14.96 -, InfAuslR 1997, 217 = NVwZ-
RR 1998, 454.
64
Die Bestimmung der Ausreisefrist in der angefochtenen Ordnungsverfügung lässt keine
ausdrücklichen Ermessenserwägungen des Beklagten erkennen. Dies mag
unproblematisch sein, soweit eine in Ermangelung besonderer Umstände als
angemessen und üblich anzusehende Ausreisefrist, in der Behördenpraxis von
regelmäßig mindestens einem Monat,
65
vgl. Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, II-§ 59 Rn. 68 ff.; Hailbronner,
Ausländerrecht, A 1, § 59 Rn. 44 f.,
66
gesetzt wird.
67
Dies ist hier jedoch wie gezeigt nicht der Fall, so dass dies einer ausdrücklichen
Begründung bedurft hätte. Es folgt auch nichts Anderes daraus, dass die
Aufenthaltserlaubnis zuvor (rechtswidrig) nachträglich auf den 31. März 2007 befristet
worden war, denn auf Grund des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
vom 30. März 2007 galt der bisherige Aufenthaltstitel gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG bis
zum Erlass der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung als fortbestehend.
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Die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist führt nicht zur Rechtswidrigkeit der
Abschiebungsandrohung,
69
vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 2001 - 9 C 22.00 -, InfAuslR 2001, 357 = juris, Rn. 9;
Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, II-§ 59 Rn. 75; Hailbronner, Ausländerrecht, A
1, § 59 Rn. 59,
70
aber bewirkt, dass diese bis zum Ablauf einer rechtmäßigen Ausreisefrist nicht
vollzogen werden darf.
71
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative VwGO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708
72
Nr. 11, § 711 ZPO.
73