Urteil des VG Münster vom 14.03.2007

VG Münster: gaststätte, anwohner, betriebszeit, nachbar, vollstreckung, gerichtsakte, grundstück, bedürfnis, beschränkung, unterbringung

Verwaltungsgericht Münster, 9 K 775/05
Datum:
14.03.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 775/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
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Die Klägerin ist Inhaberin der Gaststätte „N. s" in O. , M. Straße 17 - 19. Zunächst
wurden ihr zwei vorläufige Erlaubnisse erteilt, dann erfolgte die endgültige Erlaubnis
zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft unter dem 15. März 2005. Unter Nr. 4
heißt es, zu Beschränkungen der Betriebszeit u. a.:
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Zum Schutz der Nachtruhe der Nachbarschaft wird der Beginn der Sperrzeit auf 2 Uhr
festgesetzt. Sie endet um 6 Uhr.
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Gegen diese Beschränkung legte die Klägerin unter dem 22. März 2004 Widerspruch
ein, den sie im wesentlichen damit begründete, gerade ab 24 Uhr tätige sie die für sie
die entscheidenden Umsätze, um den Betrieb weiterhin garantieren zu können.
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Dieser Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Landrates des Kreises
Coesfeld vom 21. April 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es
bestehe ein öffentliches Bedürfnis, eine von der allgemeinen Sperrzeit abweichende
Sperrzeit festzusetzen. Es sei zu befürchten, dass die in der Umgebung wohnenden
Menschen durch die Gäste der Gaststätte über das übliche Maß hinaus in ihrer
Nachtruhe beeinträchtigt werden. Sowohl die Gespräche der Gäste, die Geräusche, die
durch die an- und abfahrenden Kraftfahrzeuge entstünden als auch im besonderen
Maße die musikalischen Beschallungen ließen Lärmbeeinträchtigungen erwarten, die
der Nachbarschaft nicht zugemutet werden könnten. Zwar treffe es zu, dass die
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Nachbarschaft der Gaststätte aufgrund der Hauptverkehrsstraße, hier M. Straße, bereits
einer Lärmbelästigung ausgesetzt sei. Dies ändere aber nichts daran, dass die von dem
Gaststättenverkehr ausgehenden Lärmeinwirkungen ein erhebliches zusätzliches
Störpotenzial aufwiesen. Die Art der durch Besucherverkehr der Gaststätte ausgelösten
Geräusche wirke sich zusätzlich störend aus. Anders als die Hintergrundgeräusche des
Straßenverkehrs, die in der Regel mit einer gewissen Gleichmäßigkeit an- und
abschwellen, seien die von dem Besucherverkehr ausgehenden Geräuscheinwirkungen
eher geeignet, Irritationen bei den Anwohnern hervorzurufen. Die von den
Gaststättenbesuchern verursachten Geräusche träten wie aus den Anzeigen der
Nachbarn hervorgehe plötzlich und unerwartet auf (Türenschlagen, lautes Rufen und
Grölen, Anlassen des Motors und dergleichen), darüber hinaus unterliege deren
Lautstärke häufigen Änderungen (Hochdrehen der Motoren, Quietschen der Bremsen).
Außerdem sei festzustellen, dass sich häufig Nachbarn des Restaurants „N. s" über den
von der Gaststätte ausgehenden Lärm als für sie unzumutbar beschwert hätten. Es
lägen auch keine besonderen örtlichen Verhältnisse vor, die im vorliegenden Fall eine
weitere Verkürzung rechtfertigen könnten. Hierfür seien eine Vielzahl von
Gesichtspunkten maßgeblich. Insbesondere müssten erhebliche Störungen der
Nachtruhe der Anwohner vermieden werden. Diese seien wie jedoch bereits dargelegt
gerade zu befürchten. Demgegenüber müsse das gegenseitige Interesse der Anwohner
einerseits und das der Klägerin andererseits an dem Erzielen von Umsätzen,
gegeneinander abgewogen werden. Dies sei zutreffend durch den Beklagten erfolgt.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 3. Mai 2005 Klage erhoben,
mit der sie im wesentlichen geltend macht, es bestehe kein öffentliches Bedürfnis für die
Verlängerung der gesetzlich vorgesehenen Sperrzeit von 5 bis 6 Uhr ab 2 Uhr, da sich
die Gaststätte in einem Mischgebiet befinde und daher auch unter Berücksichtigung der
Hauptverkehrsstraße die Nachbarschaft mehr an Lärmbeeinträchtigungen hinzunehmen
habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beschränkung der Betriebszeit in der Gaststättenerlaubnis vom 15. März 2005 für
die Zeit von 02.00 Uhr bis 05.00 Uhr und den Widerspruchsbescheid des Landrates des
Kreises Coesfeld vom 21. April 2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus: Es seien weiterhin Beschwerden aus der Nachbarschaft
geführt worden. Es hätten inzwischen auch Ordnungswidrigkeitsverfahren zu einer
Bestrafung der Klägerin wegen Verstoßes gegen das Gaststättengesetz geführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte 9 L 960/05 und die
vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 der
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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Rechtsgrundlage für die verfügte Auflage ist § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Gaststättengesetzes -
GastG -. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG können einem Gastwirt jederzeit Auflagen zum
Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des
Bundesimmissionsschutzgesetzes oder sonst gegen erhebliche Nachteile Gefahren
oder Belästigungen für die Bewohner des Betriebsgrundstückes oder der
Nachbargrundstücke sowie der Allgemeinheit erteilt werden. Eine Betriebszeitregelung
dergestalt, dass eine Schankwirtschaft nicht erst mit dem Beginn der allgemeinen
Sperrzeit um 5 Uhr zu schließen ist, ist vom Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 3
GastG grundsätzlich gedeckt und wird nicht durch die Sperrzeitvorschrift des § 4 Abs. 1
GastV NRW verdrängt, sondern findet ihre Entsprechung in § 4 Abs. 3 GastV NRW,
worin geregelt ist, dass bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer
örtlicher Verhältnisse für einzelne Betriebe die Sperrzeit verlängert, verkürzt oder
aufgehoben werden kann.
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Diese Voraussetzungen liegen vorliegend vor. Der Gaststättenbetrieb der Klägerin
verursacht schädliche Umwelteinwirkungen. Er führt insbesondere zur Nachtzeit, die
grundsätzlich ab 22 Uhr beginnt, zu Belästigungen der Umgebung, die das der örtlichen
Situation angepasste Ausmaß überschreiten und sich als unzumutbar darstellen. Für die
Beurteilung dessen, was an Lärmbeeinträchtigungen zumutbar ist, ist die
bebauungsrechtliche Situation des Grundstücks der Klägerin maßgeblich. Das
Grundstück liegt in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Mischgebiet (MI),
nördlich und westlich angrenzend - und zwar jeweils nur durch eine ca. 6 bis 6,5 m
breite Straße getrennt - an ein allgemeines Wohngebiet (WA). Die Nutzung innerhalb
dieser WA-Bereiche ist ausweislich der Darlegung in dem Verfahren des einstweiligen
Rechtschutzes (9 L 960/05) abgesehen von einem Büro ausschließlich durch Wohnen
gekennzeichnet. Auch wenn das Grundstück, auf dem sich der Gaststättenbetrieb der
Klägerin befindet im Mischgebiet liegt, so ist die Klägerin angesichts der angrenzenden
allgemeinen Wohngebiete und im Hinblick auf deren konkrete Nutzung, die im
wesentlichen einem reinen Wohngebiet entspricht, zu einer erhöhten Rücksichtnahme
verpflichtet. Die östlich angrenzende M. Straße beeinträchtigt zwar auch das
Wohngebiet im gewissen Maße, führt jedoch nicht dazu, dass die Schutzwürdigkeit
dadurch insgesamt auf das Maß eines Mischgebietes reduziert ist. Viel mehr kann
angenommen werden, dass die Festsetzung Allgemeines Wohngebiet bereits
berücksichtigt hat, dass die M. Straße angrenzend verläuft und sich ein Mischgebiet
südlich anschließt. Mischgebiete dienen gem. § 6 Abs. 1 BauNVO dem Wohnen und der
Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Das
Schwergewicht der Nutzung liegt also noch im Bereich Wohnen, welches ohne
massivere Beeinträchtigungen ermöglicht werden soll. Vorliegend ist das
Schwergewicht der Nutzung noch dadurch gesteigert, dass angrenzend Allgemeine
Wohngebiete liegen und diese fast ausschließlich zum Wohnen genutzt werden.
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Zwar sind in einem solchen Bereich grundsätzlich Einzelhandelsbetriebe und Schank-
und Speisewirtschaften zulässig. Vorliegend wird aber auch nicht der Betrieb der
Gaststätte insgesamt verhindert, sondern lediglich die Betriebszeit auf die Zeit bis 2 Uhr
begrenzt.
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Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse, die sich aus der Aktenlage und der
Schilderung der Klägerin selbst ergeben, ist das Gericht der Auffassung, dass jedenfalls
eine darüber hinausgehende Öffnungszeit die Nachbarn unzumutbar in ihrem Recht auf
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eine ungestörte Nachtruhe beeinträchtigen würde.
Die Klägerin hat dargelegt, dass sie in der Zeit ab 00 Uhr im Wesentlichen ihre für den
wirtschaftlichen Betrieb der Gaststätte notwendigen Umsätze tätigt. Daraus ergibt sich
aber auch, dass offenbar zu dieser Nachtzeit ein zusätzlicher Besucherandrang entsteht
und diese dann im Wesentlichen erst nach 2 Uhr die Gaststätte verlassen, und zwar, mit
entsprechender Lärmverursachung.
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In diesem Zusammenhang ist es daher unschädlich, dass der Beklagte keine weiteren
Lärmmessungen durchgeführt hat. Auch unabhängig von konkreten Schallpegeln und
Pegelerhöhungen hält das Gericht jedenfalls über das genehmigte Vorhaben
hinausgehende Öffnungszeiten mit für die Nachbarn drohenden Lärmauswirkungen im
Hinblick auf die spezifische Art des Lärms (Kraftfahrzeuglärm in nächster Nähe der
Nachbar-Grundstücke, ferner hervortretende Schallereignisse wie Türenschlagen,
Hupen, Rufen, Lachen etc. und sein zeitlich konzentriertes Auftreten während der
besonders schutzwürdigen Nachtzeit, vornehmlich zwischen 22 und 24 Uhr bzw. ab 2
Uhr) gaststättenrechtlich im Interesse der Nachbarn für unzumutbar. Die Nachtzeit dient
im besonderen Maße der Nachtruhe und Erholung mit der Folge, dass jegliche
potenziellen Störquellen entsprechend zu gewichten sind.
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Vgl. OVG NRW Beschluss vom 28. August 1998 - 10 B 1353/98.
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Auf eine ungestörte Nachtruhe können sich die Anwohner bei realistischer Betrachtung
erst ab 2 Uhr - 2.30 Uhr morgens einstellen. Zu dem müssen sie damit rechnen ab ca.
00 Uhr durch konzentrierten Zugangsverkehr bereits am Einschlafen gehindert zu
werden. Ab 2 Uhr müssen sie damit rechnen, aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Diese nachhaltige Störung der Nachruhe lässt sich wertend nicht durch einen
Mittelungspegel einfangen.
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Die Lärmquelle ist eindeutig im Bereich der Gaststätte und der angrenzenden
Nachbargrundstücke unmittelbar dem Betrieb der Gaststätte zu zurechnen und stellt
jedenfalls bereits bis 2 Uhr eine Beeinträchtigung der Nachbarschaft dar.
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vgl. zu einem vergleichbaren Fall OVG NRW Beschluss vom 28. August 1998 - 10 B
1353/98.
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Unerheblich ist, ob sich im wesentlichen nur ein Nachbar beim Beklagten über die von
der Gaststätte ausgehende Lärmbelästigung beschwert hat. Zum Einen ergibt sich aus
den Verwaltungsvorgängen, dass auch andere Nachbarn Eingaben gemacht haben.
Entscheidend ist aber allein, ob der Betrieb mit seinen Ausstrahlungen sich in das
Gebiet, in dem er liegt einpasst oder als störender Fremdkörper erscheint. Dies ist nach
objektiven Maßstäben zu beurteilen und hängt nicht von der Zahl derer ab, die sich
tatsächlich beschwert fühlen
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 1984 - 4 A 1632/83 -.
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Bei Öffnung unter Nutzung der allgemeinen Sperrzeit von 5 bis 6 Uhr und einem
Publikum, das speziell die Nachtstunden zum Besuch der Gaststätte nutzt, ist davon
vorliegend auszugehen.
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Angesichts der - wie bereits oben dargelegt - der Gaststätte zuzurechnenden Geräusche
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des an- und abfahrenden Publikums bzw. auch solcher Gäste, die zu Fuß das Lokal
besuchen, durch Rufen, Lachen, Sprechen ist von einer solchen Fremdkörperwirkung in
diesem im Übrigen nicht wesentlich vorbelasteten in den Abendstunden durch ruhige
Wohnnutzung geprägten Bereich auszugehen. Zu einem anderen Ergebnis kommt auch
das anlässlich der Fußballweltmeisterschaft gefertigte Lärmgutachten nicht, auch wenn
nach Ansicht der Klägerin die Besonderheit der Situation während der
Fußballweltmeisterschaft nicht hinreichend berücksichtigt worden ist. Die Aussagekraft
kann insoweit dahinstehen, weil wie bereits oben ausgeführt, auch ohne gesonderte
Messung von einer unzumutbaren Lärmbelästigung für die Nachbarschaft ausgegangen
werden müsste, wenn die Sperrzeit noch später als 2 Uhr beginnen würde.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass aus der Gaststätte selbst im
wesentlichen keine Lärmbeeinträchtigungen für die Nachbarschaft dringen; denn diese
stellen nicht das hauptsächliche Störpotenzial dar.
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Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung das ihm zustehende Ermessen auch
hinreichend ausgeübt. Er hat die hier maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und ist im
Rahmen der erforderlichen Abwägung der gegenseitigen Interessen zu einer die
Interessen der Klägerin angemessen berücksichtigenden Entscheidung gelangt. Er hat
einerseits das Ruhebedürfnis der Nachbarschaft berücksichtigt und andererseits das
durch Art. 12 des Grundgesetzes geschützte Interesse der Klägerin an der Ausübung
ihres Betriebes.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708
Nr. 10, 711 der ZPO.
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