Urteil des VG Münster vom 16.12.2005

VG Münster: aufschiebende wirkung, widmung, gemeinde, anfechtungsklage, bekanntmachung, entstehung, bebauungsplan, beitragspflicht, wahrscheinlichkeit, aussetzung

Verwaltungsgericht Münster, 3 L 950/05
Datum:
16.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 950/05
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der im Verlaufe dieses Verfahrens
erhobenen Anfechtungsklage 3 K 2210/05 gegen die
Heranziehungsbescheide des Antragsgegners vom 01. September 2005
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2005 wird
angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1355,31 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der sinngemäße Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner im
Verlaufe dieses Verfahrens erhobenen Anfechtungsklage 3 K 2210/05 gegen die
Heranziehungsbescheide des Antragsgegners vom 01. September 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2005 anzuordnen, hat in Anwendung des § 80
Abs. 5 VwGO Erfolg. Der Antrag ist zulässig, insbesondere hat der Antragsteller sich
gem. § 80 Abs. 6 VwGO zunächst an den Antragsgegner gewandt. Dieser hat den vom
Antragsteller mit seinem Widerspruch vom 20. September 2005 gestellten Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung zwar noch nicht abgelehnt. Dennoch durfte der
Antragsteller den gerichtlichen Aussetzungsantrag bereits stellen, da der Antragsgegner
gem. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO über den Antrag ohne Mitteilung eines
zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat. Dabei ist
die nur für das Hauptsacheverfahren geltende Frist der Parallelregelung des § 75 Satz 2
VwGO nicht heranzuziehen. Was angemessen ist, richtet sich vielmehr nach den
Umständen des Einzelfalls. Dabei kann auch auf die Regelungen der §§ 70, 74 VwGO
zurückgegriffen werden. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 13.
Auflage, München 2003, § 80 VwGO, Rdnr. 186. Den Ablauf von zwei Monaten hält das
Gericht in diesem Fall für angemessen, zumal der Antragsgegner dem Antragsteller -
ohne auf den Aussetzungsantrag einzugehen - in seinem Widerspruchsbescheid erneut
eine Zahlungsfrist bis zum 15. November 2005 gesetzt hat, die bei Stellung des Antrags
bereits abgelaufen war. Der Antrag ist auch begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel
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im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO an der Rechtmäßigkeit der streitigen
Heranziehung. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen
nach der gefestigten Rechtsprechung des beschließenden Gerichts und des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen nur dann, wenn aufgrund
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsmittelführers im
Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Mißerfolg. Dabei findet die
gerichtliche Prüfung des Streitstoffes im Rahmen des vorliegenden
Aussetzungsverfahrens ihre Grenze an den Gegebenheiten des vorläufigen
Rechtsschutzes, d.h. die gerichtliche Prüfung hat sich grundsätzlich auf die von dem
Abgabenpflichtigen selbst vorgebrachten Einwände zu beschränken, es sei denn, daß
sich andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen; zudem
können im vorläufigen Rechtsschutzverfahren weder schwierige Rechtsfragen
aufbereitet noch abschließende Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Vgl. dazu
OVG NRW, Beschl. v. 25. August 1988 - 3 B 2564/85 -, NVwZ-RR 1990, 54; OVG NRW,
Beschl. v. 17. März 1994 - 15 B 3022/93 -, NVwZ-RR 1994, 337. Eine an diesen
Maßstäben orientierte summarische Prüfung ergibt unter Berücksichtigung des
gegenwärtigen Erkenntnisstandes nach Aktenlage die überwiegende
Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem
Rechtsschutzbegehren Erfolg haben wird. Die streitige Heranziehung rechtfertigt sich
wohl nicht aus §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von
Erschließungsbeiträgen in der Gemeinde T. vom 07. Januar 1991 in der Fassung der
Bekanntmachung vom 29. April 1993. Es dürfte an der für die Entstehung der sachlichen
Beitragspflicht zwingend notwendigen Widmung des abgerechneten Stichwegs fehlen.
Überwiegendes spricht dafür, daß die Widmung vom 07. Juli 2005 deshalb fehlerhaft ist,
weil sie die nach § 6 Abs. 3 StrWG zwingend erforderliche Einstufung des Stichwegs als
Gemeindestraße nicht vornimmt. Vgl. hierzu OVG NRW, Beschl. v. 03. Dezember 1993 -
3 B 3397/92 -, RSE § 127 BauGB Widmung; OVG NRW, Beschl. v. 09. Dezember 1992
- 3 B 112/91 -, RSE § 125 BauGB Bebauungsplan. Ob die unterlassene ausdrückliche
Nennung durch den Zusatz ersetzt werden kann, daß Träger der Straßenbaulast gem. §
47 StrWG die Gemeinde T. ist, erscheint äußerst zweifelhaft. Die Bestimmung des
Trägers der Straßenbaulast entbindet die Gemeinde nicht von der direkten Bestimmung
der Straßengruppe, auch wenn sich aus der zitierten Vorschrift der Hinweis auf eine
Gemeindestraße ergibt. Die bloße Festlegung, daß die Gemeinde Straßenbaulastträger
ist, ergibt noch nicht eindeutig, daß es sich dann auch um eine Gemeindestraße
handelt, denn auch sonstige öffentliche Straßen und Wege können nach § 50 StrWG
NRW in der Straßenbaulast der Gemeinde stehen. Der Hinweis auf § 47 StrWG NRW
klärt dies zwar auf; dennoch dürfte es dem unbefangenen Leser der
Widmungsverfügung nicht zuzumuten sein, erst durch Zuhilfenahme des Gesetzestextes
auf die Einstufung der Straße schließen zu können. Dafür spricht bereits die
Formstrenge des § 6 StrWG NRW, die fordert, daß die Widmungsverfügung unter
Anwendung der gesetzlichen Begrifflichkeiten aus sich heraus eindeutig ist. Die
schwierige Frage, wie weit die Auslegungsmöglichkeit tatsächlich reicht, muß jedoch
letztlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Überwiegendes spricht im
vorliegenden Verfahren jedenfalls dafür, daß die Widmung unwirksam ist, wobei das
Gericht offenläßt, ob sie wegen der Unvollständigkeit bereits nach ihrem äußeren
Erscheinungsbild nicht zustandegekommen ist oder wegen eines schwerwiegenden
Fehlers nach § 44 Abs. 1 VwVfG NRW nichtig ist. Vgl. hierzu OVG NRW, Beschl. v. 09.
Dezember 1992 - 3 B 112/91 -, RSE § 127 BauGB Widmung. Die Kostenentscheidung
folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52
Abs. 1 GKG. Dabei gewichtet das Gericht den Wert des Rechtsschutzes im vorläufigen
Verfahren mit einem Viertel der streitigen Forderung.
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