Urteil des VG Münster vom 16.11.2009

VG Münster (anlage, aufschiebende wirkung, wirtschaftliches interesse, umgebung, verwaltungsgericht, genehmigung, streitwert, installation, stellungnahme, entfernung)

Verwaltungsgericht Münster, 10 L 428/09
Datum:
16.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 428/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 10 K 1365/09 gegen die der Beigeladenen
erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Antragsgegners vom 8. Juni 2009
zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zum Halten von Masthähnchen (39.990
Tierplätze) auf den Grundstück Gemarkung C. Flur Flurstück in T. -C.
wiederherzustellen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5, 80 a Abs. 1 und 3 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen
Erfolg. Die in diesem Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der
Antragstellerin aus, weil einerseits ihre Klage gegen den immissionsschutzrechtlichen
Genehmigungsbescheid voraussichtlich keinen Erfolg haben wird und andererseits die
Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Verwirklichung ihres
Vorhabens hat. Es spricht bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen
Prüfung vieles dafür, dass die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung
nicht zu Lasten der Antragstellerin gegen sie schützende Vorschriften verstößt.
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Die Antragstellerin wird nicht dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die
Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Genehmigungsbescheid das von der
Antragstellerin versagte Einvernehmen nach § 36 BauGB ersetzt hat, denn die
Ersetzung des Einvernehmens ist rechtmäßig. Die Antragstellerin hätte ihr
Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur aus den sich aus den §§ 31, 33,
34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen dürfen. Da solche Gründe nicht
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vorliegen, hatte der Antragsgegner gemäß § 2 Nr. 4 a Abs. 1 des Ersten Gesetzes zum
Bürokratieabbau das Einvernehmen der Antragstellerin zu ersetzen.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen beurteilt sich
nach § 35 BauGB, da der Hähnchenmaststall im Außenbereich errichtet werden soll.
Das Vorhaben ist gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Es soll wegen seiner
nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll.
Gewerbliche - nicht auf überwiegend eigener Futtergrundlage betriebene -
Tierhaltungen können im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert
zulässig sein,
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vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1983 - 4 B 206.82 -, BRS 40 Nr. 74; OVG NRW,
Beschluss vom 02. Juni 2009 - 8 B 572/09 -.
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Umstände, die im vorliegenden Fall einer Privilegierung entgegen stehen könnten, sind
nicht ersichtlich.
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Die geplante Anlage beeinträchtigt keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3
BauGB. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor.
Hinsichtlich der zu erwartenden Geruchsimmissionen wird der nach der
Geruchsimmissionsrichtlinie einzuhaltende Richtwert an den Wohnhäusern auf den
Nachbargrundstücken eindeutig eingehalten. Zwar wird auf der Hofstelle T1. E. , auf der
auch die Beigeladene wohnt, mit einer Geruchswahrnehmungshäufigkeit von 67 % der
für den Außenbereich geltende Geruchsimmissionswert der
Geruchsimmissionsrichtlinie überschritten. Daraus kann aber kein
Rücksichtnahmeverstoß abgeleitet werden. Das bauplanungsrechtliche
Rücksichtnahmegebot gilt im Verhältnis von Grundstückseigentümern untereinander.
Das bedeutet, ein Grundstückseigentümer muss auf die Belange anderer
Grundstückseigentümer Rücksicht nehmen. Dagegen werden die Interessen der
Bewohner des Vorhabengrundstücks durch das Rücksichtnahmegebot nicht geschützt.
Das gilt auch im vorliegenden Fall für die Bewohner der Hofstelle T1. E. , die durch
Baulast mit dem Anlagengrundstück vereinigt worden ist.
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Darüber hinaus stellt sich die Geruchsbelästigung für die Bewohner der Hofstelle T1. E.
nicht als unzumutbar dar. Bewohner von landwirtschaftlichen Hofstellen müssen ein
deutlich höheres Maß an Geruchsimmissionen hinnehmen als Personen, die ohne
Bezug zur Landwirtschaft im Außenbereich wohnen. Eine
Geruchswahrnehmungshäufigkeit von mehr als 50 % der Jahresstunden vermag eine
Unzumutbarkeit für landwirtschaftlich bezogenes Wohnen nicht ohne weiteres zu
begründen,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. März 2007 - 10 A 259/08 -, Beschluss vom 18. März
2002 - 7 B 315/02 -, BRS 65 Nr. 87.
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Im Übrigen führen die von der geplanten Anlage ausgehenden Geruchsimmissionen für
die Bewohner der Hofstelle T1. E. allenfalls zu einer geringfügigen Erhöhung der bereits
durch die bestehende Tierhaltung auf der Hofstelle verursachten Immissionen und sind
deshalb zu vernachlässigen, da die Anlage östlich der Hofstelle und damit entgegen der
Hauptwindrichtung errichtet werden soll. Zudem wird durch das Geruchsgutachten die
tatsächliche Immissionssituation überschätzt, da die Errichtung von zwei weiteren
Hähnchenmaststellen in die Prognose mit einbezogen worden ist, die aber nicht
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Gegenstand dieses Verfahrens sind und derzeit noch nicht genehmigt sind.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die in der
angefochtenen Genehmigung geforderte Installation einer Abluftbehandlungsanlage sei
nicht geeignet, die Ammoniakkonzentrationen nachhaltig zu senken. Die geforderte
Abluftbehandlungsanlage hat bei den im Genehmigungsverfahren vorgelegten
Immissionsprognosen keine Berücksichtigung gefunden. Auch ohne Installation dieser
Anlage entstehen für die Bewohner der Umgebung keine unzumutbaren Immissionen.
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Von der genehmigten Anlage gehen für die Bewohner der Umgebung bei summarischer
Prüfung keine schädliche Umwelteinwirkungen durch Bioaerosole (luftgetragene
Mikroorganismen, insbesondere Pilze, Bakterien, Viren und Endotoxine) aus. Die
Auswirkungen von durch Massentierhaltung hervorgerufenen Bioaerosolen auf die
Umgebung ist bislang wenig erforscht. Aus arbeitsmedizinischen Untersuchungen ist
bekannt, dass in Tierställen auftretende Bioaerosole und Stäube zu Atemwegs- und
allergischen Erkrankungen führen können. Ob die im Umfeld von Tierhaltungsanlagen
lebende Bevölkerung durch Emissionen aus diesen Betrieben gesundheitlich
beeinträchtigt werden kann, ist bislang allerdings ungewiss,
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vgl. Dirk Heller und Barbara Köllner, Bioaerosole im Umfeld von Tierhaltungsanlagen -
Untersuchungsergebnisse aus Nordrhein-Westfalen, 2007
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Es gibt derzeit auch keine genauen Erkenntnisse darüber, ab welcher Konzentration
Bioaerosole zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung von Personen führen, die mit diesen
Stoffen in Kontakt kommen. Deshalb existieren keine wirkungsbezogene Grenzwerte für
diese Stoffe.
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Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV
NRW) schlägt unter Bezugnahme auf den Entwurf der VDI-Richtlinie 4250
„Umweltmedizinische Bewertung von Bioaerosol-Immissionen" vor, als
Bewertungskriterium für eine mögliche Gefährdung durch Bioaerosole den Vergleich
von der Immissionskonzentration mit der normalen Hintergrundkonzentration
heranzuziehen (vgl. Schreiben des LANUV NRW an den Kreis D. vom 23. März 2009).
Nach den dem LANUV NRW vorliegenden Untersuchungen unterscheidet sich die
Immissionskonzentration von der Hintergrundkonzentration ab einer Entfernung von
etwa 500 m von der Emissionsquelle nicht mehr. In ähnlicher Weise äußert sich Prof.
Hartung in seiner von der Antragstellerin vorgelegten fachlichen Stellungnahme von
vom 24. August 2009. Danach lassen Messungen an einem Masthühnerstall eine
Ausbreitung von Keimen über eine Entfernung von mindestens 500 m in Windrichtung
erwarten. Das LANUV NRW betont aber, auch bei einer gegenüber der
Hintergrundkonzentration erhöhten Immissionskonzentration sei damit keine Aussage
zu einem konkreten quantitativen Gesundheitsrisiko verbunden. Demnach liegen keine
Erkenntnisse dafür vor, dass die Bewohner der westlich der geplanten Anlage
gelegenen Wohnhäuser, die bis zu 492 m an den Abluftschacht des genehmigten
Stalles heranreichen, Gefahren durch Bioaerosole ausgesetzt sein könnten. Die
Hauptwindrichtung verläuft im Münsterland von West nach Ost. Folglich werden die
meisten von der Anlage ausgehenden Immissionen nicht in Richtung auf die
Wohnbebauung, sondern in die entgegengesetzte Richtung getragen. Es besteht auch
keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass auf dem Grundstück des
Gymnasiums C. , welches von der Emissionsquelle mehr als 440 m und ebenfalls
entgegen der Hauptwindrichtung entfernt liegt, Gesundheitsgefährdungen durch
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Bioaerosole zu erwarten sind. Erst recht gilt dies für das mehr als 800 m - entgegen der
Hauptwindrichtung - von der genehmigten Anlage entfernt gelegene Krankenhaus.
Entgegen der Argumentation der Antragstellerin ist die Erschließung des Vorhabens
gesichert. Die Hofstelle T1. E. wurde mit dem Vorhabengrundstück durch Baulast
vereint. Damit ist das Vorhaben über die Straße „B. E1. „ ausreichend erschlossen. Auch
das Bauordnungsamt der Antragstellerin vertritt in seiner Stellungnahme vom 26. Mai
2009 die Auffassung, dass Baugrundstück liege an einer öffentlichen Verkehrsfläche.
Der Einschätzung des Antragsgegners in der Begründung des angefochtenen
Genehmigungsbescheids, bei der Straße „B. E1. „ handele es sich um eine öffentlich
gewidmete Straße, die aufgrund ihrer baulichen Ausführung geeignet sei,
Schwerlastverkehr aufzunehmen, ist die Antragstellerin nicht entgegen getreten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, 53 Abs. 1 Nr. 2 GKG i. V. m Nr. 19.3
und Nr. 2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahre
2004. Der danach für das Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert war wegen der
Vorläufigkeit dieses Verfahrens auf die Hälfte zu reduzieren.
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