Urteil des VG Münster vom 16.11.2010

VG Münster (kläger, überwiegendes öffentliches interesse, öffentliches interesse, katholische kirche, gebäude, antrag, kirche, teil, vorplatz, veränderung)

Verwaltungsgericht Münster, 2 K 421/10
Datum:
16.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 421/10
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2010 wird aufgehoben und
der Beklagte verpflichtet, dem Kläger die denkmalrechtliche Erlaubnis
für die Anbringung einer in seinem Antrag vom 2. November 2009
beschriebenen Solaranlage auf der östlichen Dachfläche des westlichen
Anbaus an das Gebäude U. 00 in C. zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht
der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung C., Flur 00, Flurstücke 000 und
000 (U. 00, 00000 C.). Das mit einem Einfamilienwohnhaus bebaute Grundstück liegt im
Geltungsbereich des Denkmalbereichs Nr. 1 der Stadt T. "Historischer Stadtkern C. mit
Schlossanlage". Die Gasse U. befindet sich an der Innenseite der historischen
Stadtmauer und ist auf deren Resten geschlossen bebaut. Im Bereich des ehemaligen
Stadtgrabens liegen nunmehr die Gärten der jeweiligen Grundstücke, die sich bis an
den öffentlichen Fußweg "T.1" erstrecken. Südlich des "T.1" liegt die katholische Kirche.
Die dem Garten zugewandte südliche Außenwand des Gebäudes U. 00 besteht zum
Teil aus Resten der mittelalterlichen Stadtmauer. An diese Außenwand des
Hauptgebäudes schließen sich zum Garten hin zwei Anbauten an: Der westliche Anbau
ist ebenso wie das Hauptgebäude mit einem Spitzdach mit dunklen Dachpfannen
versehen. Sein First reicht bis zu der Traufkante des Daches des Hauptgebäudes. In der
östlichen Dachfläche dieses Anbaus befindet sich ein Dachflächenfenster, daneben -
parallel zur Außenwand des Hauptgebäudes - eine Satellitenschüssel. Der
eingeschossige östliche Anbau schließt sich unmittelbar an den westlichen Anbau an
und ist mit einem leicht geneigten Schrägdach parallel zur Dachfläche des
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Hauptgebäudes versehen.
Am 2. November 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die denkmalrechtliche
Erlaubnis für die Installierung einer 4,26 m² großen Solaranlage mit zwei dunklen
Kollektoren und einem dunklen Rahmen zur Brauchwassererwärmung. Im Verlauf des
Verwaltungsverfahrens teilte der Kläger mit, die Solaranlage solle auf der südlichen
Dachfläche des Hauptgebäudes installiert werden.
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Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 lehnte der Beklagte die beantragte
denkmalrechtliche Erlaubnis ab. Zur Begründung führte er aus, die weitgehend
ursprünglich erhaltene Dachlandschaft sei Teil des Erscheinungsbilds des durch die
Denkmalbereichssatzung geschützten historischen Stadtkerns von C. Die geplante
Anlage, die vom "T.1" aus sichtbar sei, verändere das Erscheinungsbild des Daches
erheblich. Ihr Material, ihre Farbe und Oberflächenstruktur weiche von dem Bild einer
traditionellen Dacheindeckung deutlich ab. Sie verfälsche darüber hinaus die tradierte
Dachfunktion, die darin bestehe, das Gebäude vor der Witterung zu schützen und
gegebenenfalls Licht in die Räume des Dachgeschosses zu leiten.
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Der Kläger hat am 26. Februar 2010 Klage erhoben und ursprünglich sinngemäß
beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, dem Kläger die Anbringung einer in seinem Antrag vom 2. November 2009
beschriebenen Solaranlage auf der südlichen Dachfläche des Hauptgebäudes U. 00 in
C. zu genehmigen.
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Er macht geltend, auf die Solaranlage angewiesen zu sein. Ein von ihm in dem
Gebäude U. 00 mit Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingebauter Pelletsofen
könne im Sommer nicht genutzt werden, da er die Räume überhitzen würde. Er benötige
daher die Solaranlage für die Erwärmung des Brauchwassers im Sommer. Die optische
Veränderung des Denkmalbereichs trete nur geringfügig in Erscheinung, da die Anlage
klein und nur von einem wenig frequentierten Fußweg aus sichtbar sei. Das
Erscheinungsbild des Denkmalbereichs werde im übrigen durch mehrere bereits
umgesetzte oder genehmigte Bauvorhaben beeinträchtigt.
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Das Gericht hat die Südseite des Gebäudes U. 00 und dessen nähere Umgebung in
Augenschein genommen und mit den Beteiligten vor Ort eine Installierung der
Solaranlage auf der östlichen Dachfläche des westlichen Anbaus erörtert.
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Der Kläger beantragt vor diesem Hintergrund nunmehr,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, dem Kläger die Anbringung einer in seinem Antrag vom 2. November 2009
beschriebenen Solaranlage auf der östlichen Dachfläche des Anbaus an das Gebäude
U. 00 in C. zu genehmigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich auf die Gründe seines Ablehnungsbescheids und macht ergänzend
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geltend, die geplante Solaranlage wäre nicht nur vom "T.1" aus sichtbar, sondern auch
vom Vorplatz der katholischen Kirche, vom katholischen Friedhof, von der I.-Straße und
vom Parkplatz des Einkaufszentrums C.1. Der Erteilung einer Erlaubnis käme eine
Vorbildwirkung für andere Anlagen auf der Straße U. zu, da es bislang keine
Solaranlagen in diesem Denkmalbereich gebe.
Der Beigeladene macht geltend, das Wohngebäude des Klägers sei insbesondere mit
der südlichen Dachfläche des Hauptgebäudes Teil der durch die
Denkmalbereichssatzung geschützten Stadtansicht C. von Süden. Diese Dachfläche sei
auch Teil einer Blickbeziehung von dem Vorplatz der katholischen Kirche in Richtung
I.1 und in Richtung des Turms der Hohen Schule. Stadtansicht und Blickbeziehung
würden durch eine Solaranlage auf dieser Dachfläche erheblich gestört, durch eine
Solaranlage auf der östlichen Dachfläche des westlichen Anbaus hingegen nicht
erheblich beeinträchtigt, weil diese Dachfläche nur auf einem kurzen Abschnitt vom T.1
und vom Vorplatz der katholischen Kirche aus sichtbar sei. Eine Solaranlage auf der
östlichen Dachfläche des westlichen Anbaus würde aber das Erscheinungsbild der
mittelalterlichen Stadtmauer beeinträchtigen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des vorgelegten
Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat Erfolg.
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Soweit der Kläger nunmehr beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihm die
Anbringung einer in seinem Antrag vom 2. November 2009 beschriebenen Solaranlage
auf der östlichen Dachfläche des westlichen Anbaus an das Gebäude U. 00 in C. zu
genehmigen, ist diese Klageänderung sachdienlich und daher zulässig (vgl. § 91 Abs. 1
VwGO), weil auch für die geänderte Klage der Streitstoff im wesentlichen derselbe bleibt
und die Klageänderung die endgültige Beilegung des Streits fördert.
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Die geänderte Klage ist zulässig und begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf die beantragte denkmalrechtliche Erlaubnis nach §§
5 Abs. 2, 9 Abs. 2 DSchG (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Das Vorhaben beinhaltet die
Veränderung einer baulichen Anlage im Geltungsbereich des Denkmalbereichs Nr. 1
der Stadt T. "Historischer Stadtkern C. mit Schlossanlage" und bedarf damit der
Erlaubnis nach § 9 DSchG (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 DSchG, § 5 Abs. 1 der
Denkmalbereichssatzung). Nach § 9 Abs. 2 DSchG ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn
Gründe des Denkmalschutzes nicht entgegenstehen (lit. a) oder ein überwiegendes
öffentliches Interesse die Maßnahme verlangt (lit. b). Die Voraussetzungen des ersten
Falls liegen vor. Dem Vorhaben des Klägers stehen Gründe des Denkmalschutzes nicht
entgegen. Welche "Gründe des Denkmalschutzes" der Erteilung der Erlaubnis
entgegenstehen können, kann nicht in abstrakter, auf alle denkbaren Einzelfälle
anwendbarer Form benannt werden, sondern muss stets anhand der Besonderheiten
des zur Entscheidung stehenden konkreten Falles geklärt werden. Vorzunehmen ist
eine von der Qualität des jeweils zu schützenden Objekts abhängige Einzelfallprüfung,
ob und inwieweit die Schutzzwecke des Denkmalschutzgesetzes durch die in Rede
stehende Maßnahme und bezogen auf das konkret betroffene Objekt gestört oder
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vereitelt werden könnten. Bei dieser Prüfung kommt den Gründen der
Unterschutzstellung besonderes Gewicht zu, da diese Gründe die mit der
Unterschutzstellung verbundene Einschränkung der Eigentümerbefugnisse
rechtfertigen. Allerdings darf eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 2 lit. a DSchG erst dann
verweigert werden, wenn Gründe des Denkmalschutzes der Veränderung
"entgegenstehen", also stärkeres Gewicht haben als die für die Veränderung streitenden
Interessen. Nicht schon jede geringfügige Beeinträchtigung denkmalrechtlicher Belange
kann deshalb zur Verweigerung einer beantragten Erlaubnis führen. Anders als bei der
Entscheidung über die Unterschutzstellung - die gerade von privaten Interessen
unabhängig und allein vom Denkmalwert des betroffenen Objekts abhängig ist - verfolgt
§ 9 DSchG das Ziel, den Eigentümern trotz der ihnen auferlegten Einschränkungen eine
flexible, profitable und zeitgerechte Nutzung des Objekts im Rahmen des
denkmalrechtlich Vertretbaren zu ermöglichen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Oktober 2002 - 8 A 5546/00 -, BauR 2003, 684 =
Städte- und Gemeinderat 2003, Nr 6, 29 = NWVBl 2003, 222 = BRS 65 Nr. 211.
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In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Vorhaben des Klägers zu erlauben. Die
Denkmalbereichssatzung schützt in § 2 Abs. 2 die - fotografisch dokumentierte -
Stadtsilhouette, die sich dem Betrachter von verschiedenen Standorten aus bietet, und
in § 2 Abs. 1 unter anderem das Erscheinungsbild des historischen Stadtkerns mit der
sich anschließenden Zitadelle als ringförmige Befestigung und die Reste der
Stadtmauer.
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Die denkmalwerte Eigenart der Stadtsilhouette wird durch das Vorhaben des Klägers
nicht beeinträchtigt. Die Stadtsilhouette ist der Schattenriss der Stadt. Er entsteht durch
den Gesamteindruck, den der Betrachter aus einer gewissen Entfernung gewinnt, aus
der Details nicht mehr wahrgenommen werden. Geschützt wird also die bauliche
Höhenentwicklung der Stadt und hier insbesondere der freie Blick auf die
Identifikationsmerkmale.
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Vgl. Hönes in: Davydov/ Hönes/ Martin/ Ringbeck, Denkmalschutzgesetz Nordrhein-
Westfalen, Kommentar, 1. Aufl. 2009, § 2, Anm. 12.2.
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Die so verstandene Stadtsilhouette wird - unabhängig davon, dass der Standort der von
dem Kläger geplanten Solaranlage auf den zur Satzung gehörenden Fotografien nicht
erkennbar ist - durch die unmittelbar an und parallel zur Dachfläche geplante, nur
unwesentlich hervortretende Solaranlage ersichtlich nicht gestört.
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Das Erscheinungsbild des historischen Stadtkerns wird durch das Vorhaben des
Klägers ebenfalls nicht beeinträchtigt. Das Erscheinungsbild des historischen
Stadtkerns wird nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Denkmalbereichssatzung bestimmt durch
überkommene Bausubstanz, Gebäudehöhen und -volumen, Anordnung der Häuser in
Trauf- und Giebelstellungen, Dachneigungen, Gebäudeabstände, Fensterformen,
Baumaterialien und durch die typische Art der Parzellenstruktur, sowie die Sichtbezüge,
die sich aus der Bebauung und Straßenführung ergeben. Keines dieser Merkmale wird
von dem Vorhaben des Klägers berührt. Die einzig in Betracht zu ziehenden
Sichtbezüge sind nicht betroffen, da hiermit Perspektiven des Stadtbildes gemeint sind,
die durch das Vorhaben des Klägers ersichtlich nicht verstellt werden. Im Ergebnis kann
jedoch offen bleiben, ob das Erscheinungsbild des historischen Stadtkerns durch das
Vorhaben des Klägers trotz fehlender Betroffenheit seiner bestimmenden Merkmale mit
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Blick auf die sich in unmittelbarer Nähe des Vorhabens befindlichen Stadtmauerreste
oder in Form der Dachlandschaft berührt wird. Denn das Erscheinungsbild wird
jedenfalls nicht beeinträchtigt. Die Solaranlage soll eine Dachfläche von lediglich 4,26
m² bedecken und wäre nur auf einem kurzen Abschnitt vom Vorplatz der katholischen
Kirche und vom T.1 aus sichtbar. In Anbetracht der von dem Kläger geplanten
schwarzen Kollektoren mit schwarzem Rahmen würde sie sich den ebenfalls dunklen
Dachpfannen des Gebäudes U. 00 anpassen und optisch nur durch die Spiegelung der
Kollektoren ins Auge fallen. Dieser Effekt beeinträchtigt jedoch weder das
Erscheinungsbild der Dachlandschaft noch der in das Gebäude U. 00 integrierten
Stadtmauerreste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Beigeladenen konnten
keine Kosten auferlegt werden, weil er keinen Antrag gestellt hat (vgl. § 154 Abs. 3
VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung
beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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