Urteil des VG Münster vom 15.12.2005

VG Münster: stationäre behandlung, örtliche zuständigkeit, sozialhilfe, geschäftsführung ohne auftrag, innere medizin, stadt, gewöhnlicher aufenthalt, entlassung, parkanlage, notfall

Verwaltungsgericht Münster, 11 K 420/04
Datum:
15.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 420/04
Tenor:
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom
16. Oktober 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2004
verpflichtet, die in der Zeit vom 12. Oktober 2001 bis zum 13. Oktober
2001 entstandenen Kosten der stationären Behandlung des Herrn X. X1.
zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt
die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Außergerichtliche
Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet. Das Urteil ist wegen
der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus in N. . Sie streitet mit dem Beklagten über die
Übernahme der Kosten, die während des Krankenhausaufenthaltes des Herrn X. X1. (im
Folgenden: Hilfeempfänger) in der Zeit vom 12. Oktober 2001 bis zum 14. Dezember
2001 entstanden sind.
2
Der am 21. Januar 1944 geborene Hilfeempfänger fuhr am 12. Oktober 2001 als
Fahrgast in einem Bus von X2. nach U. . In U. brach er zusammen und wurde mit dem
Krankenwagen von U. nach N. in das Krankenhaus der Klägerin transportiert. Dort
wurde er als Notfall zur stationären Behandlung aufgenommen und bis zum 14.
Dezember 2001 in der Abteilung für Lungen- und Bronchialheilkunde (Klinik für innere
Medizin II) behandelt. Hierdurch entstanden Behandlungskosten in Höhe von insgesamt
16.563,79 Euro.
3
Bereits am 13. Oktober 2001 hatte die Klägerin den Beklagten per Telefax über die
Aufnahme des Hilfeempfängers zur stationären Behandlung informiert und um
Kostenübernahme gebeten. Als Anschrift des Hilfeempfängers war angegeben: „0000
X2. ohne festen Wohnsitz".
4
Am 19. Oktober 2001 teilte die Klägerin dem Beklagten telefonisch mit, der Beigeladene
lehne die örtliche Zuständigkeit ab. Herr X1. habe bis Juli in einem Seniorenheim in E.
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gewohnt, seitdem ohne festen Wohnsitz und hin und wieder in X2. .
Der Beklagte bat daraufhin die Klägerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2001, einen
sozialhilferechtlichen Grundantrag unter Berücksichtigung der Einkommens-
Vermögens- und insbesondere der genauen Aufenthaltsverhältnisse im letzten
Kalenderjahr zu stellen. Die Klägerin teilte hierauf dem Beklagten Folgendes mit: Der
Hilfeempfänger sei im August 2001 in X2. gewesen und habe in einer Parkanlage
draußen geschlafen. Am 11. August sei er ins G. -Hospital E. aufgenommen worden,
und zwar bis zum 26. August. Vom 27. bis 31. August habe er wieder in der Parkanlage
am Hallenbad in X2. draußen geschlafen. Am 31. August 2001 sei er im N1. -Hospital in
M. stationär aufgenommen worden. Nach der Entlassung am 13. September 2001 sei
der Hilfeempfänger mit der Bahn zurück nach X2. gefahren, wo er bis zum 18.
September 2001 wieder in der Parkanlage geschlafen habe. Vom 18. September bis 9.
Oktober sei er stationär im K. -Hospital in X2. stationär behandelt worden. Er habe dann
wieder vom 9. Oktober bis 12. Oktober in der Parkanlage am Hallenbad in X2.
übernachtet. Am 12. Oktober 2001 sei er mit dem Bus von X2. nach U. gefahren. Dort sei
ihm schlecht geworden. Ein Passant habe einen Krankenwagen gerufen, mit dem er ins
D. -Hospital nach N. gebracht worden sei. Herr X1. wolle nach der Entlassung aus dem
D. -Hospital wieder nach X2. zurück und dort wieder draußen schlafen.
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Mit Schreiben vom 26. Oktober 2001 teilte der Beklagte der Klägerin mit, aus dem
Antrag und aus der Anlage gehe hervor, dass der Patient seinen Lebensmittelpunkt in
X2. habe. Die Klägerin möge die Übernahme der Kosten beim Sozialamt der Stadt X2.
als beauftragter Stelle des Kreises beantragen.
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Einen an den Kreis X2. gerichteten Kostenübernahmeantrag hatte die Klägerin bereits
unter dem 13. Oktober 2001 gestellt. Der Beigeladene teilte der Klägerin mit Schreiben
vom 18. Oktober 2001 mit, er sei der Auffassung, dass die Stadt E. zur Kostenerstattung
für den Krankenhausaufenthalt zuständig sei. Die Stadt E. habe in der Vergangenheit
auch Krankenhilfe seit Jahren für Herrn X1. geleistet.
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Dem Schreiben des Beigeladenen an die Klägerin war die Abschrift eines Schreibens
des Beigeladenen an die Stadt E. vom 17. Oktober 2001 beigefügt, welches die
Kostenübernahme für den Krankenhausaufenthalt des Herrn X1. im G. -Hospital E.
betrifft. In diesem Schreiben ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Hilfeempfänger habe
definitiv zum ersten mal am 6. Juli 2001 in X2. Tagessätze für das Wochenende
erhalten. Am Montag, dem 9. Juli, habe er keinen Tagessatz beantragt. Vom 10. Juli bis
10. August habe er dann wieder Tagessätze erhalten. Da Herr X1. am 11. August 2001
in das G. -Hospital in E. aufgenommen worden sei und er sich keine zwei Monate in X2.
aufgehalten habe, sondern erst ab 10. Juli ein evtl. Nachweis über einen
durchgehenden Aufenthalt in X2. geführt werden könne, sei die Begründung eines
Gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 97 Abs. 2 BSHG nicht gegeben. Im Übrigen
sei er der Auffassung, dass Herr X1. sich überwiegend im E. Bereich aufhalten werde.
Er habe zwar vom 27. bis 31. August 2001 Tagessätze in X2. bezogen, sei jedoch am
31. August in das N1. -Hospital in M1. aufgenommen worden. Nach der Entlassung
habe er am 13., 14. und 17. September in X2. Tagessätze bezogen, um dann vom 18.
September bis 9. Oktober im X3. St. K. -Hospital wieder stationär behandelt zu werden.
Am 9. Oktober und 11. Oktober habe er Tagessätze durch den SKM in X2. bezogen. Die
Aufnahme in eine Klinik in N. weise darauf hin, dass sich Herr X1. wieder auf dem Weg
nach E. befunden haben dürfte. Hiernach sei ein zusammenhängender Aufenthalt von
zwei Monaten nicht gegeben.
9
Die Stadt E. bekräftigte in einem Schreiben vom 26. November 2001 gegenüber dem
Beigeladenen ihren Rechtsstandpunkt, dass sie für die Übernahme der Kosten der
stationären Behandlung des Herrn X1. im G. -Hospital E. , im N1. -Hospital M. und im D.
-Hospital N. die örtliche Zuständigkeit der Stadt X2. nach § 97 Abs. 2 BSHG sehe.
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Durch Bescheid vom 22. November 2001 lehnte der Beigeladene den Antrag der
Klägerin auf Übernahme der Kosten der stationären Behandlung des Hilfeempfängers
mit der Begründung ab, dass Herr X1. in X2. keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet
habe.
11
Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Landrats
des Kreises X2. vom 26. September 2002 zurückgewiesen. Klage wurde hierauf nicht
erhoben.
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Mit Schreiben vom 29. April 2003 wandte sich die Klägerin erneut an den Beklagten mit
der Bitte um Prüfung einer Kostenerstattung. Diverse Bemühungen u.a. über die Stadt
X2. , den richtigen Kostenträger zu ermitteln, seien ergebnislos geblieben. Zuletzt habe
sie - nach der Ablehnung durch den Beigeladenen - dem M1. die Kosten in Rechnung
gestellt. Dieser habe wiederum mit einer neuen Begründung, dass es sich nämlich nicht
um eine Behinderung handele, eine Kostenerstattung abgelehnt.
13
Durch Bescheid vom 16. Oktober 2003 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf
Übernahme der stationären Behandlungskosten für die Zeit vom 12. Oktober bis 14.
Dezember 2001 mit der Begründung ab, nach Prüfung aller von der Klägerin
eingereichten Unterlagen habe er festgestellt, dass der Hilfeempfänger seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in das D. -Hospital am 12. Oktober
2001 in X2. gehabt habe. Für die Übernahme der stationären Behandlungskosten sei er
daher nicht zuständig.
14
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2004
zurückgewiesen.
15
Die Klägerin hat am 10. Februar 2004 Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt
begründet: Ihr stehe gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der
Nothelferkosten nach § 121 BSHG zu. Die Passivlegitimation für die Erstattung der
Nothilfekosten treffe den Sozialhilfeträger, der bei rechtzeitiger Kenntnis die Sozialhilfe
zu gewährten gehabt hätte. Dies sei hier der Beklagte, weil er nach § 97 Abs. 2 Satz 3
BSHG verpflichtet gewesen, vorläufig einzutreten. Es habe ein Eilfall vorgelegen.
16
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
17
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Oktober 2003 und des
Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2004 zu verpflichten, die Kosten der
stationären Behandlung des Herrn X. X1. in der Zeit vom 12. Oktober bis 14. Dezember
2001 in Höhe von 16.563,79 Euro zu erstatten. Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen. Er trägt vor: Die behandelte Person habe sich vor der
Krankenhausbehandlung durchgängig in X2. aufgehalten und dort Sozialhilfeleistungen
in Anspruch genommen. Es könne keine Rede davon sein, dass der Aufenthalt des
Hilfeempfängers vor der Behandlung nicht fest gestanden habe. Auf einen Eilfall könne
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sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Der Notfall sei nicht auf N2. Stadtgebiet,
sondern in U. eingetreten. Der Beklagte müsse sich nicht auf ein
Kostenerstattungsverfahren verweisen lassen, wenn sich die Klägerin gleich an den
eigentlich zuständigen Sozialhilfeträger wenden und ihn bei unberechtigter Weigerung
verklagen könne.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten
Bezug genommen.
21
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22
Die Klage hat nur in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringfügigen Umfang
Erfolg. Im Übrigen ist sie abzuweisen.
23
Zwar steht der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch nach § 121 BSHG auf
Ersatz von Aufwendungen zu, die durch die stationäre Behandlung des Herrn X. X1. im
D. -Hospital N. entstanden sind (1.). Dieser Anspruch deckt jedoch nur den (kurzen)
Zeitraum von der stationären Aufnahme am 12. Oktober 2001 bis zum Zeitpunkt der
Kenntnisgabe des Hilfefalles an den Beklagten am 13. Oktober 2001 ab (2.).
24
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf
Aufwendungsersatz ist § 121 BSHG.
25
Hat jemand in einem Eilfall einem anderen Hilfe gewährt, die der Träger der So- zialhilfe
bei rechtzeitiger Kenntnis nach diesem Gesetz gewährt haben würde, so sind ihm
gemäß § 121 BSHG auf Antrag die Aufwendungen im gebotenen Umfang zu erstatten,
wenn er sie nicht auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat und
sofern er den Antrag innerhalb angemessener Frist stellt. Die Vorschrift gibt einem
Dritten ("jemand") als so genanntem Nothelfer einen strikten öffentlich-rechtlichen
Aufwendungsersatzanspruch gegen den an sich für die Hilfegewährung zuständigen
Träger der Sozialhilfe, um durch die Gewährleistung eines zahlungsfähigen Schuldners
die Hilfsbereitschaft Dritter im Notfall zu erhalten und zu stärken. Vgl. die Begründung
zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. III/1799 S. 61 zu § 114; OVG NRW, Urteil vom 29.
11. 2001 - 16 A 3477/00 - , FEVS 53, 546 (m.w.Nachw.). Ein Eilfall im Sinne des § 121
BSHG war jedenfalls bis zur Benachrichtigung des Beklagten von dem Hilfefall am 13.
Oktober 2001 gegeben. Dies wird auch von der Klägerin ebenso wenig in Zweifel
gezogen wie die materiellen Hilfeleistungsvoraussetzungen, insbesondere die
Mittellosigkeit des stationär behandelten Hilfeempfängers.
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Die zwischen den Beteiligten allein umstrittene Frage der Passivlegitimation ist
ebenfalls im Sinne des Klagegebegehrens zu beantworten. Die Passivlegitimation für
die Erstattung der Nothelferkosten trifft den Sozialhilfeträger, der bei rechtzeitiger
Kenntnis die Sozialhilfe zu gewähren gehabt hätte.
27
BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 - 5 C 67/03 -, FEVS 56, 350; Urteil vom 14. Juni
2001 - 5 C 21.00 -, FEVS 53, 97. Im Rahmen dieser hypothetischen
Zuständigkeitsbestimmung nach § 121 BSHG ist auch § 97 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 1
BSHG (Vorleistungszuständigkeit des Sozialhilfeträgers „vor Ort") einschlägig.
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BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2001 - 5 C 21.00 -, a.a.O. Der Beklagte war hier nach den
letztgenannten Bestimmungen für die Hilfegewährung zuständig. Für die Hilfe in einer
Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung ist nach § 97 Abs. 2 Satz 1
BSHG der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der
Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in
den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatte. Steht nicht spätestens
innerhalb von vier Wochen fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder
2 begründet worden ist, oder liegt ein Eilfall vor, hat der nach Absatz 1 zuständige
Träger, also der Träger, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält,
über die Hilfe unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten (§ 97 Abs. 2 Satz 3
BSHG). Im vorliegenden Fall lag zwar kein Eilfall i. S. v. § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG vor,
denn die stationäre Behandlung des Herrn X1. drohte nicht an der Kostenfrage zu
scheitern. Die andere Alternative der genannten Zuständigkeitsbestimmung war hier
jedoch gegeben, denn es stand nicht innerhalb von vier Wochen nach der insoweit
maßgeblichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Hilfefall fest, ob und wo Herr X1.
zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus bzw. in den letzten zwei Monaten
einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Da das Bundessozialhilfegesetz keine näheren
Regelungen zur Bestimmung des Rechtsbegriffes des gewöhnlichen Aufenthaltes
enthält, gilt nach § 37 S. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) I die Legaldefinition in § 30
Abs. 3 S. 2 SGB I mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff unter
Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang der jeweiligen
Norm auszulegen ist. Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 11.97 -, BVerwGE
99, 158 = FEVS 46, 133; Urteil vom 18. März 1999 - 5 C 11.98 -, FEVS 49, 434. Nach §
30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter
Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet
nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes ist
ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass der
Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet (bis auf weiteres) im Sinne eines
zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen
hat. Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 - 5 C 11.98 -, a. a. O.; Urteil vom 7. Oktober
1999 - 5 C 21.98 -, FEVS 51, 385 und Beschluss vom 24. Januar 2000 - 5 B 211/99 ,
FEVS 51, 389. Hier spricht Alles dafür, dass der Hilfeempfänger zum Zeitpunkt der
Aufnahme in das D1. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in X2. hatte. Der Hilfeempfänger
hielt sich jedenfalls seit Anfang Juli überwiegend in X2. auf, wo ihm immer wieder Hilfe
zum Lebensunterhalt in Tagessätzen gewährt wurde. Zwar war der Hilfeempfänger im
August und September zweimal in stationärer Behandlung, wobei offen ist, warum er
sich nicht in X2. , sondern in E. bzw. M2. in stationäre Behandlung begeben hat.
Gleichwohl deutet gerade der Umstand, dass der Hilfeempfänger in beiden Fällen
wieder nach X2. zurückgekehrt ist und sich dort bis zum 12. Oktober 2001 offenbar
ununterbrochen aufgehalten hat, darauf hin, dass er X2. als seinen Lebensmittelpunkt
im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens gewählt hatte. Die in dem Schreiben an die
Stadt E. vom 17. Oktober 2001 geäußerte Annahme des Beigeladenen, die Aufnahme in
eine Klinik in N. deute darauf hin, dass sich der Hilfeempfänger wieder auf dem Weg
nach E. befunden habe, ist aus der Luft gegriffen. Der Transport des Hilfeempfängers in
das D1. in N. erfolgte deshalb, weil der Hilfeempfänger in U. zusammengebrochen war.
Inwiefern hieraus die Absicht des Hilfeempfängers hergeleitet werden sollte, dass er auf
dem Weg nach E. gewesen sei, ist dem Gericht schleierhaft. Überdies hat der
Hilfeempfänger gegenüber dem D1. kurz nach seiner Aufnahme erklärt, dass er nach
der Entlassung wieder nach X2. zurück wolle. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn der
Hilfeempfänger mit der Fahrt nach U. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in X2.
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aufgegeben hätte, kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt in E. begründet worden. Der
Hilfeempfänger hätte bei dieser - hier nur unterstellten - Sachverhaltsvariante jedenfalls
seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in X2. gehabt mit der Folge, dass dann
ebenfalls die Zuständigkeit des Beigeladenen nach § 97 Abs. 2 BSHG gegeben
gewesen wäre. Die Argumentation des Beigeladenen, die Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthalts in X2. i. S. v. § 97 Abs. BSHG sei deshalb nicht gegeben,
weil sich der Hilfeempfänger keine zwei Monate in X2. aufgehalten habe, findet im
Gesetz keine Stütze. Wie oben bereits dargelegt wurde, ist zur Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthaltes ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich.
Soweit in § 97 Abs. 2 BSHG von einem Zweimonatszeitraum die Rede ist, geht es dort -
wie das Wort „oder" eindeutig erkennen lässt, um eine Alternativvoraussetzung, die
dann zum Tragen kommen kann, wenn der Hilfeempfänger zum Zeitpunkt der Aufnahme
in die Einrichtung gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, z.B. weil er seinen
bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben und noch keinen neuen begründet hat.
Für diesen Fall knüpft die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG an den (letzten)
gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb der letzten zwei Monate an. Auch wenn hiernach
Alles dafür spricht, dass der Hilfeempfänger im Zeitpunkt der Aufnahme in das D1.
seinen gewöhnlichen Aufenthalt in X2. hatte, stand dies innerhalb von vier Wochen
nach der Aufnahme in die Einrichtung noch nicht fest, so dass der Beklagte gemäß § 97
Abs. 2 Satz 3 und Abs. 1 BSHG zu unverzüglicher Entscheidung und vorläufigem
Eintreten verpflichtet ist. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person steht erst fest, wenn
dieser ohne vernünftigen Zweifel ermittelt worden ist und zwischen den in Betracht
kommenden Behörden unstreitig ist. Vgl. VG Gera, Beschluss vom 10. November 2004 -
6 E 1866/04 GE, juris Rechtsprechung, Nr. MWRE111590500 Die durch § 97 Abs. 2
Satz 3 BSHG begründete Rechtspflicht zur vorläufigen Leistungsgewährung endet erst
dann, wenn sich ein in Anwendung des § 97 Abs. 2 Satz 1 und 2 BSHG örtlich
zuständiger Träger der Sozialhilfe ermitteln lässt und dieser die Leistungsgewährung
übernimmt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2003 - 5 C 9.02 -, FEVS 54, 385. An der
letztgenannten Voraussetzung fehlt es hier, denn der Beigeladene hatte sich gegenüber
der Klägerin von Anfang an - wenn auch mit rechtlich zweifelhafter Begründung - für
unzuständig erklärt und die Hilfegewährung abgelehnt.
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Da sich der Hilfeempfänger während des hier maßgeblichen Hilfezeitraums tatsächlich
im Bereich des Beklagten aufhielt (§ 97 Abs. 1 BSHG), trifft den Beklagten somit die
Pflicht zur vorläufigen Leistungsgewährung. Dass der Notfall hier in N. , sondern in U.
eingetreten ist, vermag hieran nichts zu ändern. Wird der Hilfebedürftige, um ihm in
einem Eilfall zu helfen, vor einem (möglichen) Einsetzen der Sozialhilfe über die
Zuständigkeitsgrenzen mehrerer örtlich zuständiger Sozialhilfeträger hinweg
transportiert, aktualisiert sich die Eilzuständigkeit nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG jeweils
neu.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2001 - 5 C 21/00 -, a.a.O. 2. Der hiernach gegebene
Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 121 BSHG besteht aber nur hinsichtlich der
Aufendungen, die durch die stationäre Behandlung des Hilfeempfängers am 12. Oktober
2001, dem Aufnahmetag, und am Folgetag (bis 9.51 Uhr) entstanden sind. Für die Zeit
danach, also für gesamten weiteren Zeitraum von zwei Monaten, scheidet ein
Erstattungsanspruch der Klägerin aus, weil der Beklagte als Träger der Sozialhilfe zu
dieser Zeit Kenntnis von dem Hilfefall hatte.
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Der Mangel der Kenntnis von der Notlage ist Tatbestandsmerkmal des § 121 Satz 1
BSHG ("... bei rechtzeitiger Kenntnis ..."). Im Zusammenhang damit steht das Wort
"erstatten", mit dem ausgedrückt ist, dass es sich um in der Vergangenheit entstandene
Aufwendungen handelt, nicht aber um solche, die gegenwärtig entstehen oder erst noch
entstehen werden. Dabei werden "Gegenwart" und "Zukunft" durch den Zeitpunkt des
Bekanntwerdens des (möglichen) Hilfefalles bei dem Träger der Sozialhilfe bestimmt.
Den Anspruch auf die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz hat grundsätzlich
der Hilfebedürftige. Das Sozialrechtsverhältnis, innerhalb dessen es um die
Verwirklichung dieses Anspruchs geht, wird nicht durch Stellen eines Antrags (im
materiellen, konstitutiven Sinne) begründet, sondern dadurch, dass dem Träger der
Sozialhilfe das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe bekannt
wird. Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 1987 - 5 C 67.84 -, FEVS 36, 361; Urteil vom 3.
Dezember 1992 - 5 C 32.89 -, FEVS 44, 89. Im Verhältnis dazu ist in § 121 BSHG eine
Ausnahme insofern geregelt, als unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen
die Gewährung von Hilfe schon zu dem Zeitpunkt einsetzt, in dem der Träger der
Sozialhilfe von der Notlage noch keine Kenntnis hat. Ständige Rechtsprechung des
BVerwG, z.B. Urteil vom 3. Dezember 1992 - 5 C 32.89 -, aaO. Daraus folgt zwingend,
dass von einer Lage, auf die die Ausnahmeregelung des § 121 BSHG zutrifft, nicht
(mehr) die Rede sein kann, sobald zwischen dem (möglicherweise) Hilfebedürftigen und
dem Träger der Sozialhilfe das Sozial- rechtsverhältnis mit der Folge entsteht, dass
allein der Hilfebedürftige seinen Anspruch geltend zu machen berechtigt und allein der
Träger der Sozialhilfe zur Regelung des Sozialhilfefalls nach Maßgabe der im
Bundessozialhilfegesetz bestimmten sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten
verpflichtet ist. Da diese Regelungskompetenz eine ausschließliche ist, ist für eine
gleichzeitige, konkurrierende Kompetenz eines "Jemand" (im Sinne von § 121 BSHG)
kein Raum.
33
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 1987 - 5 C 67.84 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 29.
11. 2001 - 16 A 3477/00 - , a.a.O. Dass hier ein Anspruch der Klägerin trotz örtlicher und
sachlicher Zuständigkeit des Beklagten zur Leistungsgewährung und trotz Vorliegens
der materiellen Hilfeleistungsvoraussetzungen an dem Wegfall der Aktivlegitimation
infolge der Kenntnis des Beklagten vom Hilfefall scheitert, mag im Ergebnis äußerst
unbefriedigend erscheinen, denn der Nothelfer - hier die Klägerin - ist zur Erfüllung ihrer
Ansprüche darauf angewiesen, dass der mittellose Leistungsberechtigte - hier also der
Herrn X1. - seinen Hilfeleistungsanspruch geltend macht und gegebenenfalls im
Klagewege durchsetzt. Dies ist jedoch Folge der Gesetzeslage, an der das Gericht
nichts zu ändern vermag. Das unbefriedigende Ergebnis fehlender
Aufwendungsersatzansprüche des Nothelfers, das dann entsteht, wenn der
Erstattungsanspruch nach § 121 BSHG mit dem Bekanntwerden des Hilfefalles nach §
5 BSHG a.F./§ 5 Abs. 1 BSHG endet und der Sozialhilfeanspruch des Hilfebedürftigen -
aus welchen Gründen auch immer - nicht realisiert wird, hat dem Ausschuss für
Gesundheit des Deutschen Bundestages (14. Ausschuss) im Rahmen der Beratungen
des Regierungsentwurfs zur Reform des Sozialhilferechts Veranlassung gegeben, eine
entsprechende Novellierung des § 121 BSHG zu empfehlen, Bundestagsdrucksache
(BT-Drucks.) 13/3904: „Dem § 121 wird folgender Satz angefügt: 'Mit Zustimmung des
Leistungsberechtigten sind die Aufwendungen auch für den Zeitraum bis zur
Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfe zu erstatten; die Zustimmung wird
vermutet, wenn der Leistungsberechtigte die Leistung vor der Entscheidung nicht selbst
bei dem zuständigen Träger der Sozialhilfe in Anspruch nimmt."; vgl. hierzu OVG NRW,
Urteil VwGO 16. Mai 2000 - 22 A 2172/98 -. Dem ist der Gesetzgeber im Gesetz zur
Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1088) nicht gefolgt. Ein
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Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Aufwendungen für die stationäre Behandlung
des Hilfeempfängers für die Zeit nach Kenntnis des Beklagten vom Hilfefall ergibt sich
auch nicht aus anderen Rechtsgrundlagen. Insbesondere kann ein entsprechender
Anspruch nicht auf das Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne
Auftrag gestützt werden, weil § 121 BSHG gesetzesspezifisch den Fall einer
auftraglosen Geschäftsführung betrifft und damit in seiner leistungsbegrenzenden
Wirkung als spezielle gesetzliche normierte Regelung weitergehende Ersatzansprüche
ausschließt. Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 26. 9.2003 - 8 K 143/02 -, juris
Rechtssprechung Nr. MWRE 120570300. - Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155
Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO. Da der Beklagte nur zu einem sehr
geringen Anteil unterlegen ist, sieht es das Gericht als sachgerecht an, der Klägerin die
Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Außergerichtliche Kosten des
Beigeladenen sind hiervon ausgenommen, denn der Beigeladene hat keinen eigenen
Antrag gestellt und sich damit auch nicht am Kostenrisiko beteiligt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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